Kompetenz Online I Christof Mackinger I Foto: Nurith Wagner-Strauss
Am 15. Juni 2023 tritt ihre Belegschaft in den Streik – aus Protest gegen eine Bildungsreform, ohne Mitbestimmung der Betroffenen. Die Betriebsratsvorsitzende Selma Schacht im Gespräch über Freizeitpädagogik, Mitbestimmung in der Arbeitnehmer:innen-Vertretung, und Monster in der Stadthalle.
Die Betriebsratsvorsitzende der Bildung im Mittelpunkt GmbH (BiM) ist dieser Tage eine gefragte Person. Erst die geheimen Pläne des Bildungsministers, ein Beschluss zum Streik, Solidarität vom ÖGB, nächste Woche schon die Aktionswoche – bei Selma Schacht geht’s derzeit drunter und drüber. Aber alles der Reihe nach…
Kritik
Mit einem Paukenschlag veröffentlichte der Betriebsrat der BiM vor zwei Wochen, die bis dahin unbekannten Pläne des Bildungsministeriums: Freizeitpädagog:innen an öffentlichen Schulen sollen österreichweit in den öffentlichen Dienst überführt werden. Bisher sind sie bei Unternehmen, wie der BiM, oder bei Vereinen angestellt. Klingt nicht unlogisch, der Teufel aber liegt, wie sooft, im Detail: Die Umsetzung des Plans würde der „Eliminierung der Freizeitpädagogik“ gleichkommen, heißt es in einer Stellungnahme vom Betriebsrat, „verbunden mit katastrophalen Verschlechterungen der Dienstverhältnisse, der Ausbildung und der Betreuung sowie massive Personalkürzungen und das Ende der Bildung im Mittelpunkt GmbH.“
„So nicht!“ sagen die Betriebsrät:innen und stellen eine Petition , gegen die undurchsichtigen Pläne des Bildungministers Martin Polaschek, ins Netz. In einer Betriebsversammlung wurde zu Tausendst der Streik beschlossen, eine ganze Aktions- und Streikwoche vom 12.- 16. Juni wird ausgerufen. Federführend beteiligt: Selma Schacht, streitbare Betriebsratsvorsitzende, Freizeitpädagogin und Kommunistin.
Biografie
„Seit ich denken kann, setze ich mich für andere ein,“ blickt Schacht auf Jahrzehnte der politischen Organisierung zurück. Die gebürtige Linzerin war schon bei Schüler:innen-Organisationen, im Gymnasium dann Schulsprecher-Stellvertreterin und Bundes-Studierenden-Vertreterin.
„Seit ich denken kann, setze ich mich für andere ein.“
Selma Schacht
Schacht ist eigentlich diplomierte Sozialarbeiterin, hat nach Fortbildungen aber vor 25 Jahren begonnen als Freizeitpädagogin zu arbeiten. Um den Austausch unter den auf viele Schulen verstreuten Kolleg:innen, zu fördern, habe sie damals mit anderen die „MitarbeiterInnen-Zeitung“ gegründet. Seit 2001 ist sie im Betriebsrat aktiv, vier Jahren später übernahm sie den Vorsitz. Dort vertritt sie heute an die 2.300 Freizeitpädagog:innen.
Freizeitpädagogik
Freizeitpädagogik ist für sie, „die sinnerfüllte Freizeit im schulischen Rahmen,“ erklärt das „Stahlstadt-Kind.“ Das könne Theater, Sport, Musisches oder andere kreative Tätigkeiten sein. Unterricht und Freizeit sollen Hand in Hand gehen, die formelle Bildung nach Lehrplan und Phasen zur freien Entfaltung. „Zum Beispiel das Konzert der Monsterfreunde , letzte Woche in der Stadthalle, das haben auch Freizeitpädagog:innen an den Schulen mit den Kindern vorbereitet.“ Bei dem Projekt wurden Kinder im Volksschulalter durch das Semester von „Monstern“ begleitet. Höhepunkt war ein Konzert zum Mitmachen, mit Kostümen, Tanz und gemeinsamem Singen. In Summe 16.000 Kinder aus unzähligen Schulklassen, hätten laut Schacht bei den acht Konzerten der Monsterfreunde teilgenommen.
„Eine Matura als Voraussetzung bedeutet, dass hunderte Menschen ihren Job nicht weitermachen könnten.“
Selma Schacht
Der Haken an der Reform
Das aktuelle Problem: Mit der geplanten Bildungsreform verschwinde die gesetzliche Grundlage für ihre ganze Profession. „Der entsprechende Lehrgang auf den Pädagogischen Hochschulen soll komplett aus dem Gesetz gestrichen werden.“ Die ersatzweise geplante „Assistenzpädagogik“ umfasse nur die Hälfte der Ausbildungszeit von Freizeitpädagog:innen. Die Pläne des Ministeriums bedeuten nicht nur bis zu einem Fünftel weniger Lohn für viele von Schachts Kolleg:innen, sondern auch eine „Verschärfung der Aufnahmebedingungen,“ wie es in einer Stellungnahme des Betriebsrats heißt. „Eine Matura als Voraussetzung bedeutet, dass hunderte Menschen ihren Job nicht weitermachen könnten.“ Viele der Freizeitpädagog:innen hätten keine Matura. „Wir haben im Betrieb eine irrsinnig diverse Belegschaft.“ Geschätzte 60 Prozent der Freizeitpädagog:innen haben ihre Wurzeln nicht in Österreich und bringen Mehrsprachigkeit und Multikulturalität in die Schule. „Sie zeigen damit tagtäglich, dass sie gute Arbeit machen,“ so Schacht. Auch in der Betriebsratsarbeit: „Auch in der Gewerkschaftsbewegung, die vor xenophoben Ressentiments nicht gefeit ist, ist es wichtig, dass gerade diese Kolleg:innen repräsentiert sind.“ Das versuche der BiM-Betriebsrat abzubilden.
Geschichte
Und das mit Erfolg. „In Streikzeiten ist klar, dass nicht ich den Ton angebe, sondern das Streikkomitee.“ Die Kolleg:innen von der Basis sollen mitgestalten und -diskutieren können, findet die Betriebsratsvorsitzende. Und die blickt auf eine kämpferische Geschichte zurück: Der BiM-Betriebsrat war einer der ersten in dem Bereich, der während KV-Verhandlungen Protestaktionen organisierte, die Betriebsversammlungen im öffentlichen Raum abhielt. „Unsere Belegschaft war Motor vieler Streikbewegungen im Sozial- und Gesundheitsbereich der letzten Jahre.“
Mit der geplanten Bildungsreform steht aber auch Schachts Betriebsrat selbst zur Disposition. „Ob ein Weitermachen als kollektiv-kämpferisches BR-Team möglich ist, wenn wir in öffentlichen Dienst überführt werden, steht in den Sternen. Daher sagen wir auch: Kein Tag ohne Interessensvertretung!“
Dafür gehen die Freizeitpädagog:innen ab Montag (12.06.) in eine Streik- und Aktionswoche. Die ganze Woche lang gibt es Infotische, Kundgebungen, Demos und Streiks an unterschiedlichen Schulstandorten in Wien. Am 15. Juni veranstalten Beschäftigte im gesamten Bildungsbereich und Gewerkschaften in ganz Österreich Aktionen, an denen sich auch Schachts Kolleg:innen mit einem ganztägigen Streik beteiligen.
Zur Person
Wenn sie nicht am Organisieren, Beraten oder Vernetzen ist, dann geht Selma Schacht in die Berge oder singt Revolutions – und Arbeiter:innenlieder mit dem Hor 29. Novembar, einem selbstorganisierten Chor in Wien. Dazu hat sie gerade wenig Zeit, aber: „Ich mache den Job einfach wirklich gerne!“ Er verbinde Arbeit mit Menschen und politische Arbeit. Es mache ihr Spaß gemeinsam was zu bewegen. Das entspreche ihrer Überzeugung: „Ich bin Kommunistin. Als solche ist für mich eine Gesellschaft ohne Ausbeutung, das was es zu erreichen gilt.“ Man müsse dafür sorgen, dass jene, die in diesem System unter die Räder kommen, sich selbst ermächtigen können.