IS-Massaker an den JesidInnen 2014

In Memoriam an das IS-Massaker an den JesidInnen 2014: Für 5 Minuten das Leben anhalten und im Gedenken und als Mahnung innezuhalten

Am 3. August 2014 überfielen die Mörderbanden des „Islamischen Staats“ (IS) Şengal mit dem Ziel, die JesidInnen in einem groß angelegten Genozid auszulöschen. Das Schicksal der JesidInnen, mit dem IS-Massaker und Femizid vor sieben Jahren noch stärker in den medialen Fokus gerückt, ist heute wieder weitgehend aus der Weltöffentlichkeit verschwunden.

Dabei leben nicht nur nach wie vor große Teile der mehr als 400.000 vertriebenen JesidInnen Şengals seither als Flüchtlinge, sondern stehen sie und ihre als Antwort auf den Terror aufgebaute Autonomieverwaltung und basisdemokratischen Volksratsstrukturen heute abermals vor ihrer akuten Bedrohung. Nach der unmittelbaren Rettung einer der ältesten Religionsgemeinschaften durch die ihnen sofort zur Hilfe eilende PKK und nachfolgende Niederringung der Kalifat-Krieger durch die kurdisch geführten Syrischen Demokratischen Streitkräfte (SDK) wie ihrer kommunistischen Verbündeten, dieses Mal allerdings durch das neo-osmanische Projekt der Türkei.

Ankara mit grünem Licht des Westens auf der Blutspur des IS

Die von Vertreibung und Genoziden gekennzeichnete Geschichte der ethnisch-religiösen Minderheit der Jesiden – das heute wieder weitgehend in Vergessenheit geraten zu sein scheint – setzt sich so unter neuen Vorzeichen fort. Das Massaker an den jesidischen Männern und die systematischen Vergewaltigungen und massenhaften Verschleppungen und Versklavungen von über 7.000 jesidischen Frauen und Mädchen gilt unter JesidInnen als der 74. Genozid (Ferman) und zugleich traumatischer Femizid. Auch die Parlamente von Belgien und Holland etwa, haben den Säuberungsmord und die Verbrechen des Daesh von 2014 als Völkermord anerkannt. Und das ganze Ausmaß an Hingemordeten ist noch gar nicht endgültig bekannt, wie die immer wieder neu gefundenen Massengräber zeigen.

In der nordsyrischen Region Afrin unternimmt nach dessen Besatzung derweil das AKP/MHP-Regime seit längerem eine großangelegte bevölkerungspolitische Neuordnung. Begleitend verdrängt die staatliche türkische Religionsbehörde Diyanet in jesidischen Dörfern aktuell forciert deren Glaubenseinstellung und breitet über die einst multi-religiöse Region ihr türkisch-islamisches Ideologem aus. Angesichts des Umstands dass seit den 1980er 99% aller in der Türkei selbst lebenden JesidInnen in die Emigration getrieben wurden, braucht es nicht viel Fantasie sich auszumalen, was die jetzige türkische Offensive in Afrin für die JesidInnen bedeutet.

Aber auch über ihrem Hauptsiedlungsgebiet Şengal im kurdisch geprägten Nordirak selbst hängen zum Jahrestag des 74. Ferman dunkle Wolken, dass der – medial weitgehend totgeschwiegene, immer brachialer tobende – AKP/MHP-Kriegszug gegen Kurdistan und in der Region etablierten basisdemokratischen Selbstverwaltungs-Projekte mit grünem Licht des Westens und in abgekartetem Spiel mit der PDK die Blutspur des IS fortschreibt.

Im Doppelspiel des Westens: PKK – Von gefeierten Rettern der JesidInnen ‚wieder‘ zur „Terrororganisation“

Nach der Rettung der jesidischen Bevölkerung im Şengal-Gebirge vor dem Genozid der IS-Schlächter im Herbst 2014, wurden die ihnen zur Hilfe geeilten Einheiten der PKK international als heldenhafte Guerilla gefeiert. Im heroischen Kampf um Kobanê durch die ihr geschwisterlich verbundenen Volksbefreiungskräfte YPG und Frauenverteidigungseinheiten YPJ zur letzten Bastion gegen die Dunkelheit der schwarzen Fahne des IS avanciert sowie zur weltweiten Bewunderung gelangt, gelten die Arbeiterpartei Kurdistans und ihre Guerilla HPG im steten doppelten Spiel des Westens heute wieder vorrangig als „Terrororganisationen“.

Weitgehend aus der Erinnerung getilgt wird dazu: Als die Kalitfat-Krieger des IS vor sieben Jahren in Şengal einrückten, zogen sich die rund 12.000 in der Region stationierten Peschmerga der südkurdischen Regierungspartei PDK ohne Vorwarnung zurück und überließen die jesidische Bevölkerung schutzlos den Islamisten. Wer fliehen konnte, brach ins Gebirge auf. Dort schützte zunächst ein Dutzend Guerillakämpfer der HPG den Zugang zum Gebirge und verhinderte das Eindringen der Djihadisten. Gleichzeitig wurden umgehend weitere HPG-Einheiten der PKK zur Verteidigung der JesidInnen nach Şengal geschickt. Am 6. August kamen den PKK-Einheiten zudem zwei Bataillone der Volks- und Frauenverteidigungseinheiten YPG/YPJ aus Rojava zu Hilfe. Im gemeinsamen Kampf wurde ein Fluchtkorridor eingerichtet und gegen den IS verteidigt, um die zu Zehntausenden in Şengal-Gebirge geflohenen Menschen zu evakuieren. Bereits in den ersten Tagen gelangten über diesen Korridor rund 50.000 JesidInnen nach Rojava in Sicherheit. In heftigen Gefechten mit den Mörderbanden des IS konnte damit ein noch größeres Massaker und die geplante Auslöschung der jesidischen Bevölkerung in Şengal verhindert werden.

Die türkisch-westliche Vernichtungsoffensive gegen die HeldInnen von gestern & die neuerlich dunklen Wolken über Şengal

Gegen die einstigen Retter wird heute in der kurdischen Autonomieregion der Medya-Verteidigungsgebieten unter dem Namen „Operation Krallenblitz“, mit grünem Licht des Westens und der NATO und Freigabe des Luftraums durch die USA, eine langfristige Militäroffensive Ankaras geführt – verstärkt als Drohnenkrieg und unter augenscheinlichem Einsatz von Giftgas und geächteter chemischer Waffen. Während Ankara letzteres nach Kräften zu vertuschen sucht, werden die neuen Drohnen hingegen, insbesondere die auch mit westlichem Know-how entwickelte Bayraktar-TB2-Drohne, auf türkischen Paraden wie Helden gefeiert. Da die massiven Luftangriffe, die Spezialoperationen, der stete Drohnenkrieg und der Einmarsch von Bodentruppen ohne Einverständnis der USA und NATO schlicht nicht möglich sind, erklärte die KCK (Dachverband der Union der Gemeinschaften Kurdistans) daher auch: „Der laufende Angriff auf Südkurdistan ist ein NATO-Angriff, der durch die Türkei ausgeführt wird“.

Und so wandelt das AKP/MHP-Regime Erdoğans und Bahçelis, und mit ihm dessen westliche NATO-Partner und EU-Verbündete, auf den Blutspuren des IS. Darüber vermögen auch manch eingeübte Stehsätze in den Hauptstädten des Metropolenkapitalimus nicht hinwegzutäuschen. Zumal auch Şengal von Ankara unverhohlen beständig als weiteres Ziel türkischer Angriffe genannt wird. Umso mehr bedarf es dagegen des Schulterschlusses der „Verdammten dieser Erde“ (F. Fanon), der kurdischen Freiheitsbewegung und ihrer kommunistischen Verbündeten und der globalen revolutionären ArbeiterInnenbewegung.

Die JesidInnen, sich dem Ernst der Lage und der Kräftekonstellationen bewusst, rufen zum Jahrestag des 74. Ferman gleichzeitig alle solidarischen Menschen weltweit dazu auf, im Gedenken an die Toten und als Mahnung für die Lebenden am 3. August um 10.00 Uhr für fünf Minuten innezuhalten.

Foto: ANF

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