GEAS: Todesstoß des EU-Asylrechts durch Allparteienkoalition des „Wertewestens“

Es war 2017 als der damalige EU-Parlamentspräsident Antonio Tajani von der rechten Forza Italia und heutiger Vize-Premier von Italiens Postfaschistin Giorgia Meloni Internierungslager für Geflüchtete „an der Grenze zwischen dem Niger und Libyen“ forderte. Seither nahm die Auslagerung der „Flucht- und Migrationsabwehr“ an Afrika und Verlagerung der ‚EU-Außengrenzen‘ bis tief in den afrikanischen Kontinent nochmals rasant an Tempo auf. Gestern einigten sich die VertreterInnen der EU-Staaten und des Europaparlaments nun auf eine rigorose Verschärfung des EU-Asylrechts in regressiver „Reform“ des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS). Von einer weitgehenden Allparteienkoalition des „Wertewestens“ von Konservativen, über Sozialdemokraten, Liberalen und Grünen frenetisch als „historische Einigung“ und „wegweisend“ bejubelt, charakterisieren einschlägige NGOs die Verschärfung als Todesstoß des europäischen Asylrechts.

Denn mit der GEAS-„Reform“ werden quasi die letzten Ziegelsteine in der „Festung Europa“ gesetzt. Dass mit dieser „Reform“ sowohl das in der Genfer Konvention verankerte individuelle Recht auf Asyl nun ausgehebelt ist und die „Reform“ auch gegen die Genfer Flüchtlingskonvention verstößt, vermag die Jubelstimmung von Ursula von der Leyen bis Werner Kogler nicht zu trüben.

Entsprechend zog der „Wertewesten“ als Grenzwall schon in den letzten Jahren bereits einen neuen globalen „Limes“ hoch, errichtete an seinen Grenzen und über Finanz- und Fluchtabwehr-Abkommen mit nordafrikanischen Ländern, Sahel- und Tschadsee-Staaten, sowie Anrainern des Horns von Afrika bis tief in afrikanischen Kontinent ein regelrechtes Abschottungs- und Lagerregime und bauten die verantwortlichen politischen Figuren der EU diese zur quasi asylfreien „Festung Europa“ aus. Und erst jüngst schraubten die EU-Innenminister auch noch die berüchtigte „Krisenverordnung“ in das „Gemeinsame Asylsystem“ (GEAS) der Union und einigte sich die EU-Staaten auf diese.

Damit einhergehend hat der Brüsseler „Wertewesten“ die Sahara und das Mittelmeer in regelrechte Massengräber verwandelt und die EU-Außengrenzen mittels eines dicht gestaffelten Eisernen Vorhang aus Stacheldraht und militärischen Grenzanlagen sowie einer mörderischen Kanonenboot-Politik (FRONTEX, Küstenwachen) ergänzt um dreckige Deals mit Despoten und autoritären Regimes abgeschottet, ihre diesbezüglichen ‚Außengrenzen‘ damit quasi in die Türkei, auf Nordafrika ja bis in den Sahel externalisiert (wobei Niger jüngst seine Türsteherfunktion für die EU aufkündigte), und rückt den verbliebenen Schutzsuchenden systematisch auch militärisch zu Leibe.

Dabei klebt an den Händen der ökonomischen und politischen Eliten der Festung Europa schon bislang immer mehr Blut. „Das gut recherchierende Projekt ‚Migrant Files‘“ etwa, „geht davon aus, dass von 2004 bis 2019 bis zu 80.000 Flüchtende allein im Meer gestorben sind – dazu käme noch einmal mindestens die gleiche Opferzahl in Folge von Verdursten, Verhungern und Ermordungen“, so der Journalist David Goeßmann, um den zu verantwortenden Blutzoll des europäischen Abschottungsregimes etwas deutlicher vor Augen zu führen.

Mit den nunmehrigen Verschärfungen haben das politische Personal des „Wertewestens“ die EU faktisch zur asylrechtsfreien Zone erklärt. Mit Internierungslagern außerhalb der EU und ersten Schnellverfahren an der Grenze (ohne weitere Evaluierungen der individuellen Fluchtgründe und ordentliche Asylverfahren als sogenanntes Screening um Flüchtende mit „geringen Aufnahmechancen“ erst gar nicht in die EU gelangen zu lassen), umgehende Rückschiebungen in vermeintlich „sichere Herkunftsländer“ bzw. „sichere Drittstaaten“ (deren Kriterien begleitende gesenkt wurden um sie deutlich auszuweiten), die Möglichkeit dreimonatiger Freiheitsberaubungen für Kinder, Freikauf für Nicht-Aufnahmen (á 20.000 Euro pro Kopf bzw. auch einfach Gegenrechnung der Beteiligung am Außengrenzschutz zur „Flüchtlingsbekämpfung“ bzw. „Flüchtlingsabwehr“ wie es in militärischen Jargon vielfach unverblümt heißt), biometrischen Erfassungen (sprich Einsatz von KI und Gesichtserkennung zur Abschottung) …

Sechs Monate vor den EU-Wahlen soll der aufbrandenden Rechten in Europa damit der Wind aus den Segeln genommen werden, indem man deren Agenda einfach selbst durchsetzt und das politische Koordinatensystem weiter nach rechts verschiebt. Den rechtspopulistischen bzw. rechtsextremen Parteien das Wasser abgraben zu wollen indem man in Kniefall vor sie hinsinkt und ihr Programm zum eigenen erhebt, wird indes ebenso scheitern, wie er die ganze Verkommenheitdes politischen Establishments der EU vor Augen führt.

Dahinter lugt jedoch nicht minder, wie es Janina Puder unlängst auf den Punkt brachte, ebenso das trockene ökonomische Kosten-Nutzen-Kalkül des Kapitalismus hervor.Entgegen aller humanistischen Lippenbekenntnisse die Ausweitung protektionistischer Maßnahmen …, um jene Geflüchtete spätestens an den europäischen Außengrenzen abzuweisen, deren Arbeitskraft sich nur eingeschränkt oder nur mit finanziellem Aufwand (z.B. Kostenübernahme für Sprachkurse, Unterbringung, Schul-, Aus- und Weiterbildung) verwerten lässt. [Und:] So kann nebenbei auch künftigen Migrationsbewegungen, die im Zusammenhang mit dem globalen Klimawandel stehen, präventiv ein Riegel vorgeschoben werden. In der Einwanderungspolitik [für ausländische Fach- und Schlüsselkräfte] geht es dagegen darum, billige Arbeitskräfte in den … Arbeitsmarkt einzuspeisen. Während diese Fachkräfte meist auf Kosten der Herkunftsländer ausgebildet werden, können … Industrie, das Handwerk, der Pflegesektor so von qualifizierter Arbeitskraft profitieren, ohne selbst Kosten für deren Ausbildung tragen zu müssen.“

Wenige Tage vor Weihnachten möchten wir uns dazu auch als Linke nicht die Extravaganz verkneifen, abschließend den Pontifex zu zitieren, der schon zuletzt ebenso eindeutige wie drastische Worte zum neuen „Limes“ des „Wertewestens“ fand: „Wir stehen an einem Scheideweg der Zivilisation“ – so Papst Franziskus seinen Schäfchen im Wolfspelz zur Mahnung.

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