Die einst innige strategische Beziehung zwischen Washington und Riad hat sich schon länger abgekühlt und merklich gelockert. Nach dem Beschluss der „OPEC plus“ von letztem Mittwoch angesichts der abflauenden Weltwirtschaft (sowie als Antwort auf den westlichen Zaunpfahl von Ölpreisdeckel) die Förderquoten zu senken, hat der im November vor Kongresswahlen stehende US-Präsident Biden dem langjährigen Verbündeten nun „Feindseligkeit“ sowie „auf der Seite Russlands“ zu stehen vorgeworfen und eine unverzügliche Neubewertung der Beziehungen angekündigt. Damit neigt sich eine 50jährige Liebe ihrem absehbaren Ende.
Denn die enge Liaison der USA mit Saudi-Arabien datiert genau 50 Jahre zurück. Parallel mit dem Zusammenbruch des Bretton Woods Abkommen unter der Ägide der USA 1971 und 1973 (zunächst der Aufhebung der festen Gold-Bindung des Dollars, danach des endgültigen Zusammenbruchs des Bretton-Woods-Systems) und dem gleichzeitigen Wandel der US-Großmacht zum weltgrößten Ölimporteur 1973, galt es für den US-Imperialismus den Dollar als Welt-Leitwährung zu verteidigen oder unbeschadet zu halten. Entsprechend verhandelt die USA 1972 – 1974 mit Saudi-Arabien (der Nummer 1 des Welt-Öl-Marktes) das Petrodollar-System aus. Das saudische Scheichtum verpflichtet sich damals, Öl einzig in Greenbacks zu fakturieren und gegen Dollar zu verkaufen, die USA im Gegenzug, für den Fortbestand des wahhabitischen Regimes zu garantieren.
Bereits mit den jüngeren Machtverschiebungen am Ölkampfplatz haben sich allerdings auch die politischen Beziehungen gelockert – ohne bislang substantiell zu zerreißen. Jahrzehntelang war die US-Großmacht vom arabischen Öl abhängig (bekam umgekehrt aber auch stets immense Preisnachlässe). Jetzt exportiert man wieder selber und ist auch seinerseits offensiv in den globalen Konkurrenzkampf um das „schwarze Gold“ eingetreten. Zwar ist Saudi-Arabien zurzeit noch der größte Ölexporteur, der weltgrößte Ölproduzent ist indessen jedoch bereits die USA, die sich mit Ausbruch des Ukraine-Kriegs heute auch Europa als Absatzmarkt für ihr Schieferöl erschlossen hat.
Länder die gegen die Dollar-Vormacht wiederum erwogen haben vom Petrodollar-Regime abzugehen, wie der Irak unter Saddam Hussein oder Libyen unter Muammar al-Gaddafi, wurden von den USA und ihren jeweiligen Allianzen aus dem Sattel und in Schutt und Asche gebombt, und bilden heute in Verheerungen versunkene „Failed states“. Gegen unbotmäßige Störenfriede wie den Iran und Venezuela wiederum wurden scharfe Sanktionen verhängt. Wobei Caracas sich im Herbst 2018 tatsächlich aus der Dollarbindung gelöst hat, was – obwohl Venezuela aus mehrerlei Gründen aktuell nur für 2% des weltweit geförderten Öl‘s steht –, seitens der USA zu einem aus Washington orchestrierten Putschversuch und einer „Regime Change-“Operation 2019/2020 geführt hat.
Allerdings macht die mit dem westlichen Weltwirtschaftskrieg einhergehende De-Dollarisierung und dessen zunehmende Erosion als Welt-Zahlungsmittel mittlerweile auch vor Riad nicht mehr Halt. Öllieferungen nach China in Renminbi stehen ebenso auf der Tagesordnung, wie ein Zahlungssystem in Rupie mit Indien und Ölimporte großen Stils in Rubel aus Russland. Zum anderen suchte Saudi-Arabien nach einem mehrjährigen Öl-Krieg für den selbst dessen unschlagbar günstigen Förderkosten und riesigen Petrodollar-Rücklagen schlussendlich nicht hinreichten schließlich den Ausgleich mit Russland im sich zwischenzeitlich fest etablierten seit 2016 bestehenden Format der „OPEC plus“.
Der unterkühlte Empfang Joe Bidens in Saudi-Arabien im Juli machte diese Konstellationsverschiebung ebenso deutlich wie das Abstimmungsverhalten der Golfstaaten in der UN-Vollversammlung zur US-Resolution zum Ukraine-Krieg insgesamt. Schon im Sommer zeigte die Golf-OPEC-Staaten dem Weißen Haus zudem schlicht die kalte Schulter auf westliches Geheiß zu Springen und doch endlich „die Hähne stärker aufzudrehen“. Der nunmehrige Beschluss der „OPEC plus“, also inklusive der Nicht-Golf-OPEC-Staaten in Lateinamerika und Afrika, ihre Erdölproduktion im November und Dezember um zwei Millionen Barrel pro Tag zu senken zeugt (ungeachtet seiner Begründung mit dem Zusteuern der Weltwirtschaft in eine Rezession) wie durch ein Brennglas die tiefen weltwirtschaftlichen Umbrüche sowie eine voranschreitende neuen weltpolitische Aufspaltung des Globus – was sich beiher auch den, in unseren Mainstream-Medien allerdings keinen Niederschlag gefunden habenden, zahlreichen Reden auf der jüngsten UN-Vollversammlung entnehmen ließ.
Wenig verwunderlich reagierte das Weiße Haus in Schnappatmung über diese offene Brüskierung seiner Hegemonieanspruchs mit scharfen Worten und Drohungen auf den Beschluss der „OPEC plus“ als gleich „feindseligen Akt“. Diese habe sich mit ihrer Entscheidung „an die Seite Russlands gestellt“. Namentlich Saudi-Arabien, das in der OPEC den Ton angibt, sei kein vertrauenswürdiger Partner Washingtons und des Westens mehr. Daran vermag auch der regelrecht verzweifelte Panik signalisierende Umstand, dass man in der EU zuletzt Prinz Bin Salman, bis vor kurzem noch persona non grata, nun als Ehrengast im Élysée-Palast empfing, nicht Abhilfe zu schaffen. Denn US-Präsident Biden hat angekündigt, die Beziehungen zum langjährigen Verbündeten unverzüglich neu zu bewerten. „Es wird Konsequenzen haben“, so der Chef des US-Empire. Und die EU ist seit Ausbruch des Ukraine-Kriegs unter Federführung der transatlantischen Führungsfiguren mehr denn je bloßer subalterner Vasall von „God’s own Country“. Schreibtisch-Oberfeldwebelin Annalena Baerbock, die vor den deutschen Bundestagswahlen noch wortgewaltig intonierte: „Waffen haben in Kriegsgebieten nichts verloren. Saudi-Arabien beteiligt sich am Jemen-Krieg und tritt Menschenrechte mit Füßen. Rüstungsexportstopp an Saudi-Arabien muss weiter gelten“, gerade aber von Olaf Scholz noch mit Biden vereinbarte Rüstungsexporte nach Riad mittrug, wird das am falschen Fuß erwischen. Ein Trost ist das indes mitnichten. Der westliche Wirtschaftskrieg tendiert mehr und mehr dazu, sich über Russland und China hinaus wohl mindestens partiell bald auch auf den Nahen Osten und weitere unbotmäßige Länder im Weltordnungskrieg des Westens auszudehnen. Einzig, die allerdings alles anderen denn ursächlich intendierte Begleiterscheinung, dass der Kriegskoalition gegen den Jemen unter Führung Saudi-Arabiens längerfristig etwaig die Waffen etwas rarer werden könnten, hat einen begrüßenswerten Nebeneffekt. Aber das sind nach 7 Jahren gemeinsamen Kriegsgang mit Washington und London nur im Raum stehende Daumenschrauben und Strafmaßnahmen aus Enttäuschung über die Öl-Politik im Eigeninteresse Riads. Und bei über 190 Staaten dieser Welt lassen sich Sanktionen, Embargos und Wirtschaftsboykotte noch gut und gerne um eine kräftige Schippe über die derzeit mehr als 40 von Washington damit belegten (und von der EU vielfach mitgetragenen) Länder verhängen.
Auch wenn das die Existenz von weiteren Millionen Menschen in der Europäische Union „ruinieren“ wird. Gegen dieses Tabula rasa wären auch die Gewerkschaften angehalten, endlich aus ihre Einbindung in den entbrannten Amoklauf des Westens auszubrechen.