Historischer Streik in der US-Automobilbranche – „God’s Own Country“ vor einer Renaissance der Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung?

Zum anhaltenden, viel beachteten Streik in Hollywood, gesellt sich seit letztem Freitag nun die erstmalige gleichzeitige Bestreikung der „Big Three“ der US-Autoindustrie hinzu. Steht die einstige Glamour-Industrie und „Traumfabrik“ für die kulturelle Hegemonie des „American Way of Life“, so symbolisiert die US-amerikanische Autoindustrie die Leitindustrie des Aufstiegs des US-Kapitalismus, der die globale Autobranche von Anfang des 20. Jahrhunderts bis tief in die 1960er Jahre hinein bestimmte und dominierte. Ja, dass auf die Automobilgiganten Ford und General Motors zurückweisende Arbeitsregime der Fließbandproduktion, prägte als „Fordismus“ bald die gesamte Weltindustrie.

Die US-Autoindustrie und die „Big Three“ (Ford, GM und Chrysler)

Die – wechselvollen – Anfänge der Geschichte des Automobils selbst reichen zwar bis ins Jahr 1763 zurück, in welchem der französische Ingenieur N.J. Cugnot ein erstes, mit Dampf betriebenes, Kraftfahrzeug baute. Aber der Beginn der Überführung des Automobils von einem Luxustransportmittel zur Massenmotorisierung datiert zweifelsohne auf die 1903 gegründete Ford-Automobil-Gesellschaft, dem seit 1910/11 aus dem Werk rollenden „T-Modell“ als „Automobil für die Menge“ und dessen ab 1913 systematisch betriebene, industrielle Fließbandfertigung zurück. Stieß diese zunächst eine sensationelle Jahresproduktion von 34.500 Wägen aus, steigerte sich diese gegen Ende des Ersten Weltkriegs bereits Richtung einer Million und waren zur Produktionseinstellung des „T-Modells“ 1928 bereits 15 Millionen Stück vom Band gelaufen. Parallel dazu stiegen mit den Konkurrenten GM und Chrysler zwei weitere US-Automobilkonzerne in lichte Sphären auf und bildeten sich mit ihnen zusammen die sogenannten „Big Three“ heraus. Am Vorabend der Weltwirtschaftskrise 1929 gab es in den USA bereits 19 Millionen zugelassener Pkw und damit eine Automobildichte relativ zur Bevölkerung, die Westeuropa erst Ende der 1960 Jahre erreichte. Mit 1941, zur Kriegseintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg, 30 Millionen Pkw und 1950 40 Millionen Pkw, sowie dem Ausbau ihrer Werke in Westeuropa, dominierten die US-Autokonzerne die Weltautomobilbranche (trotz des Aufstiegs von VW oder Fiat und mit Abstrichen Großbritannien und Frankreichs – eine japanische, chinesische oder indische Autoindustrie gab es damals faktisch oder auch schlicht realiter noch nicht).

Milliardenschwere Profite & historische Rekordgewinne

Wenngleich es in der Weltautoindustrie seither zu Neuordnungsprozessen und Verschiebungen gekommen ist (Stichwort: zunächst etwa der globale Aufstieg der japanischen, dann – quasi begleitet vom gleichzeitigen Aufstieg der südkoreanischen – jener der deutschen Autoindustrie zur latenten Vorherrschaft), kontrollierten die „Big Three“ zusammen mit den 9 weiteren größten ‚westlichen‘ Autoherstellern kurz vor der Corona- und Wirtschaftskrise noch rund drei Viertel der globalen Produktion, und schrieben die „großen Drei“ auch in den letzten Jahren Rekordgewinne. Zumal der weltweite Pkw-Bestand im 100-järigen Zeitraum seit Ende des Ersten Weltkriegs, von 1920 bis 2020, von 10 Millionen auf unfassbare 1,1 Milliarden Pkw explodierte und die US-Pkw-Preise – bei relativ konstanten Produktionskosten – allein in den letzten vier Jahren um 30% gestiegen sind. Entsprechend sackten Ford, General Motors und Stellantis (Chrysler) in den letzten zehn Jahren einen Profit von rund 250 Mrd. Dollar ein und scheffelten im heurigen ersten Halbjahr bereits weitere 21 Mrd. Dollar Gewinn (nochmals 80% mehr als letztes Frühjahr).

Kämpferischer gewerkschaftlicher Kurswechsel und die Forderungen der United Auto Workers (UAW)

Allerdings stöhnt die US-Arbeiterschaft mit ihren seit Jahrzehnten zurückhängenden Löhnen nicht weniger unter der drückenden Inflation als anderswo. Daher legten letzten Freitag die Beschäftigten der „Big Three“ erstmals in der Geschichte gleichzeitig die Arbeit nieder und traten auf einmal gegen die drei großen Autobauer in den Streik für höhere Löhne und kürzere Arbeitszeiten. Sich der historischen Dimension bewusst, äußerte UAW-Präsident Shaw Fain kurz vor Beginn des Ausstands denn auch: „Heute Nacht werden wir das erste Mal in unserer Geschichte alle drei großen Konzerne gleichzeitig bestreiken.“ Die Gewerkschaft UAW (United Auto Workers) und Beschäftigten, fordern, unter ihrer neuen kämpferischeren Führung um Shawn Fain, eine Lohnerhöhung von 36% über vier Jahre und eine Viertagewoche mit einer Arbeitszeit von 32 Stunden bei vollem Lohnausgleich, sowie höhere Einstiegsgehälter bzw. ein Ende der unterschiedlichen wie spalterischen Lohngruppen für jüngere und älter Beschäftigte, die Erneuerung der Teuerungszulagen und eine Erhöhung der Betriebspensionen sowie Arbeitsplatzsicherheit. Die Autokonzerne indes sind lediglich zur Hälfte der Gehaltsforderungen (GM von 18%, Stellantis (Chrysler) von 17,5%) bzw. – Ford – einer maximalen Gehaltssteigerung von 20% über den besagten Zeitraum von vier Jahren bereit. Angesichts der hohen Inflation und der immensen Rekordgewinne der Automobilgiganten in den letzten Jahren, hält nicht nur UAW-Präsident Shawn Fain den Konter der Konzerne für unzureichend bis „beleidigend“ und unterstreicht: „Die großen Drei können es sich leisten, uns umgehend unseren fairen Anteil zu geben“ – und hat damit eine satte Dreiviertelmehrheit der US-amerikanischen Öffentlichkeit hinter sich. Ja, selbst für den Vorstoß der knapp 150.000 Mitglieder starken Industriegewerkschaft einer radikalen Arbeitszeitverkürzung von 40 auf 32 Wochenstunden verbucht die UAW deutliche Umfragemehrheiten in der US-Öffentlichkeit.

„Entscheidender Moment für die Arbeiterklasse“

Die Autokonzerne antworteten derweil mit der Aussperrung von rund 2.600 Nicht-Gewerkschaftsmitgliedern in zwei bestreikten Werken, um zu versuchen die UAW in die Knie zu zwingen. Diese zeigt sich allerdings kampfentschlossen. „Wir werden einen Tag länger durchhalten, als sie [die Auto-Konzerne] das können“ und ist dabei – sollten die am Sonntag wiederaufgenommenen Gespräche zu keinem substantiellen Ergebnis führen –, die Schlagzahl nochmals durch eine Ausweitung des Streiks auf weitere Fabriken zu erhöhen. Nicht wenige Kommentatoren sehen im Kampf der UAW und der Schauspielgewerkschaft SAG-AFTRA sowie anderweitigen Arbeitskämpfen in den USA so etwas wie eine Renaissance der Arbeiter- und kämpferischen Gewerkschaftsbewegung – und vergleichen den Ausstand bereits mit dem legendären Flint-Streik 1936/37, der damals „Sitzstreik“ genannten, kämpferischen Betriebsbesetzung des GM-Werk in der Stadt Flint und gleichsam eigentlichen Geburtsstunde der UAW. Das ist übertrieben, aber als Verweis auf einen neuerlichen geschichtlichen Markpunkt durchaus vielsagend. Shaw Fain jedenfalls, lässt sich in der Tat in diese Richtung vernehmen: „Dies ist der entscheidende Moment für unsere Generation. Lasst uns für uns selbst und die Arbeiterklasse eintreten.“ „Wir kämpfen für das Wohl der gesamten Arbeiterklasse und Armen.“ Bliebe zum Abschluss noch daran zu erinnern, dass es die National Association of Manufacturers (NAM), vielfach vergessen, 1930 nur um Haaresbreite schaffte, in den US-Industrie die Einführung einer 30-Stunden-Woche zu verhindern. Der Streik der AutomobilarbeiterInnen markiert denn auch in der Tat einen gegebenenfalls weichenstellenden Moment der US-amerikanischen Arbeiterklasse und Gewerkschaftsbewegung.

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