Breite Mehrheit des österreichischen Nationalrats drängt auf Schutz der kurdischen Bevölkerung – mit Abstrichen

Mit breiter Mehrheit hat sich der österreichische Nationalrat heute Donnerstag für eine Entschließung zum Agieren der Türkei in den kurdischen Gebieten Syriens und Iraks ausgesprochen.

Mit breiter Mehrheit hat sich der Nationalrat gegen das Wüten der Türkei in Syrien und im Irak ausgesprochen. Anknüpfend an eine Forderung der Oppositionsparteien nach einer dezidierten Verurteilung der türkischen Angriffe in Nordostsyrien und dem Nordirak wurde im Außenpolitischen Ausschuss mehrheitlich eine Entschließung gefasst, in der die Bundesregierung aufgefordert wird, sich auf allen Ebenen dafür einzusetzen, dass die Türkei ihren völkerrechtlichen Verpflichtungen nachkommt. Insbesondere Außenminister Schallenberg soll sich gegenüber der Türkei für einen umfassenden Schutz der Zivilbevölkerung, ziviler Objekte und kritischer Infrastruktur in Nordsyrien und im Nordirak sowie für die vollumfängliche Einhaltung der Menschen- und Grundrechte in der Region, einschließlich der kurdischen Bevölkerung, einsetzen, sowie Verletzungen des Völkerrechts und der Menschenrechte weiterhin klar als solche benennen.

Dem inhaltlich um einiges weitergehenden und dezitierteren ursprünglichen Oppositionsantrag wurden seitens der Regierung dabei allerdings „die Zähne gezogen“, wie in der Debatte von Oppositionsseite zu Recht kritisiert wurde. Jener selbst fand im Plenum des Nationalrats sonach auch keine Mehrheit. Zumindest einzelne OppositionsrednerInnen brachten in ihren Wortmeldungen die türkischen Militäroffensiven gegen Nord-Ostsyrien und den Nordirak jedoch als „völkerrechtswidrige Angriffe der Türkei“ auf den Punkt. (Ausführlicher siehe: https://anfdeutsch.com/aktuelles/nationalrat-nimmt-entschliessung-zum-schutz-der-kurdischen-bevolkerung-an-36878)

Eliminiert aus der ursprünglichen Begründung wurde dabei etwa die Passage: „Seit der türkischen Militäroffensive auf Afrin Anfang 2018 greifen türkische Streitkräfte immer wieder nordostsyrische, vorwiegend kurdische, Gebiete und Regionen an, offenbar mit dem Ziel, die kurdisch-stämmige Bevölkerung zu verdrängen. Im Mai [2022] bestätigte das auch Präsident Erdogan selbst, indem er sein Ziel eines [sogenannten] Sicherheitskorridors entlang der türkisch-syrischen Grenze präsentierte: Auf mutmaßlich 600 km Länge und 30 km Breite wolle die Türkei dafür sorgen, [angebliche] terroristische Bedrohungen einzugrenzen. De facto würde es sich dabei aber um eine türkische Besatzung des Gebiets handeln, die Kurdinnen und Kurden ihre Lebensgrundlage vollends rauben und vertreiben würde. Nicht erst die jüngsten Angriffe … zeigen, dass die Türkei unter Präsident Erdogan systematisch gegen Kurdinnen und Kurden im eigenen Land, aber vor allem auch in Nordostsyrien und im Nordirak vorgeht, gröbste Menschenrechtsverletzungen begeht und tausende Kurdinnen und Kurden dadurch ihr Leben verlieren.“

Dass Erdogan und seiner faschistische AKP/MHP-Regierungskoalition, die sich in ihrem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg mit allen nur erdenklichen Mitteln der in Rojava Gestalt annehmende Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts an der Südgrenze der Türkei zu entledigen suchen und diese – in Erdogans eigenen Worten: „wie hoch der Preis auch sein mag“ – mit Stumpf und Stiel zu beseitigen und auszuradieren trachten, verbietet sich hinsichtlich des NATO-Partners des Westens jedoch offen benannt zu werden. Gleiches gilt für dessen Vernichtungsfeldzug gegen die kurdische Freiheitsbewegung. Entsprechend verstieg sich etwa die ach so „wertebasierte“ Außenpolitik Deutschlands auf Ankaras offene Ankündigung Kurdistan von der YPG/PYD, PKK und der mit ihnen verbündeten InternationalistInnen und kommunistischen Guerillabündnisse zu „säubern“ und deren „Köpfe“ zu „zermalmen“, in nur schwerlich zu übertreffendem Zynismus ein „verhältnismäßiges“ Gemetzel einzumahnen.

Dass überhaupt, wie es mit zugleich offen entgegenkommenden Verständnis an Ankara im abgeänderten Entschließungsantrag nun gegenüber dem Despoten und Kurdenschlächter am Bosporus entschuldigend heißt, die kurdische Freiheitsbewegung „als [terroristische] Sicherheitsbedrohung wahrgenommen“ wird, ist zugleich eine direkt dem Propagandahandbuch des türkischen Regimes entnommene Totschlagsfloskel, die sich gleichzeitig der sogenannten EU und US-„Terrorliste“ verpflichtet sieht. Wie devot und nur oberflächlich übertünchter Kumpanei dies steht, verdeutlicht alleine der Umstand, dass etwa das belgische Gericht in Brüssel Anfang 2016 den Prozess gegen insgesamt über 30 Kurdinnen und Kurden mit der Begründung einstellte, dass die angeklagten AktivistInnen nicht als Mitglieder einer „terroristischen“ Vereinigung belangt werden können, da in und seitens der Türkei Krieg herrscht. Das „erkennt an, dass … die Anschuldigungen Ankaras, die Kurden seien Terroristen, falsch sind“, hieß es denn auch in einer Stellungnahme des KNK zum mittlerweile auch vor dem EuGH standgehaltenen Urteil des Brüsseler Gerichts.

Zugleich im nicht näher genannten Nebulosen verbleiben die von Ankara seit 2015 forcierten neo-osmanischen Ambitionen: einer Ausweitung der türkischen Grenzen auf die nördlichen Regionen Syriens (die es zwischen Tall Abjad und Ras al-Ain bereits mit Segen der Großmächte kontrolliert) bis in die erdölreichen Gebiete um Kirkuk im Nordirak, sowie die Wiedereröffnung der Mossul-Frage. Zudem mischte der „Palast“ aber auch im Kaukasus-Konflikt 2016 und 2020 (für viele der mit nicht zuletzt türkischen Drohnen und Unterstützung türkischer Offiziere seitens Aserbaidschans geführte „erste echte Drohnenkrieg“) offen mit oder intervenierte in Libyen und ist heute ein gewichtiger Schutzpatron der islamistischen Milizen in Tripolis. Mit seinen steten Militäroperationen im Nordirak wiederum setzt sich die Türkei Schritt für Schritt dauerhaft im Irakisch-Kurdistan fest und okkupiert neben syrischem zusehends auch irakisches Territorium. Gleichzeitig trachtet die Türkei mit einem neuerlichen Kriegsgang ihren Plan eines „arabischen Gürtels“ umzusetzen. Sprich: Über eine Million syrischer Geflüchtete zur demographischen Neuordnung der Region entlang der Grenze anzusiedeln um die Demographie in den Gebieten ethnisch zu verändern.

Der systematische Doppelstandard des Westens und seines NATO-Militärbündnisses ist denn auch trotz Annahme des Entschließungsantrags unverkennbar. Entsprechend wurde denn auch die ursprüngliche Entschließungs-Intention, „die türkischen Angriffe auf alle kurdischen Ziele auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene aufs Schärfste zu verurteilen und gegenüber offiziellen Vertreterinnen und Vertretern der Republik Türkei bei jeder Gelegenheit sowohl auf ein Ende der gewaltsamen Angriffe auf Kurdinnen und Kurden im eigenen Land und der Region als auch auf die umfassende Einhaltung der Menschenrechte generell zu pochen“, weitgehend dahingehend weichgezeichnet, „sich auf allen Ebenen weiterhin dafür einzusetzen, dass die Türkei ihren völkerrechtlichen Verpflichtungen in vollem Umfang nachkommt“. Einem gelernten Österreicher nur ein müdes Stirnrunzeln entlocken wiederum kann einem und einer freilich zudem der mitbeschlossene Satz, „die Verletzungen des Völkerrechts und der Menschenrechte weiterhin klar als solche zu bennen.“ Ein bedeutungsschwerer Satz, aber man muss dazu nicht das Kleingedruckte lesen, um sicher sein zu können, dass daraus gleichviel ebensowenig eine Verurteilung der – mit immerhin grünem Licht der NATO geführten – türkischen Militäroffensiven und Okkupationen als „völkerrechtswidrige Angriffskriege“ folgen werden, wie eine Klage gegen die Türkei vor der OPCW (Organisation für das Verbot chemischer Waffen) wegen Ankaras systematischem und breitflächigem Einsatz geächteter und verbotener chemischer Waffen gegen die kurdischen Rückzugsgebiete im Nordirak. Diesbezüglich geradezu verräterisch ist die Abwandlung vom Pochen die völkerrechtswidrigen Militäroffensiven und Menschenrechtsverletzungen überall und jederzeit „aufs Schärfste zu verurteilen“, zum unverbindlichen „Ersuchen“ sich „dafür einzusetzen“.

Dabei wäre der Lackmustest es ernst zu meinen leicht zu bestehen: „Angriffskriege“ dürften „nicht straflos bleiben“, tönt es aus den westlichen Hauptstädten ja fast Tag für Tag unisono. Und mit ebenso doppeltem Zugenschlag dozierte Van der Bellen jüngst beim Neujahrsempfang vor dem Diplomatischen Corps: „Wir sind nicht neutral gegenüber dem eklatanten Bruch des Völkerrechts und gegenüber Kriegsverbrechen.“ Na, dann sollte eine entsprechende Anklage vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag und ein internationaler Haftbefehl gegen Erdogan ja bereits in Arbeit sein, um auf den Weg gebracht zu werden. Es sei denn, der Westen ist – wie wir gerade auch in anderem Zusammenhang betonten – unauflöslich in seinen metropolitan-imperialen Doppelstandards verfangen und in Völkerrechtsfragen schlicht unlaubwürdig, wie es der Völkerrechtler, Professor für Internationales Strafrecht und Counsel sowie Richter am Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag, Kai Ambos, in seinem jüngsten Buch „Doppelmoral“ anprangert.

Gleichwohl, immerhin …

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