50 Jahre Berufsverbote und Kommunistenverfolgung in Deutschland

Geschichte und Gegenwart

Auf den Tag genau vor 50 Jahren wurde unter der sozial-liberalen Koalition von Willy Brandt der „Radikalenerlass“ verabschiedet und KommunistInnen, aber auch anderweitige konsequente Linke, mit Berufsverbot belegt. Ein Hexenjagd-Erlass, in dem sowohl die historischen Verhältnisse wie tieferen politischen Einstellungen ihren Ausdruck finden, sowie sich eine lange deutsche Tradition mit den (wie zu sehen nicht vollständigen) Eckpunkten 1878 – 1898 – 1933 – 1956 – 1972 – 1990 – bis heute spiegelt.

Bismarcks Sozialistengesetz von 1878

Vor über 140 Jahren – im Oktober 1878 – beschloss der deutsche Reichstag unter Bismarck das Gesetz gegen die „gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie“ (kurz: „Sozialistengesetz“).  Und verbot damit sämtliche sozialistische und kommunistische Organisationen, Vereine und Schriften, deren Ziel die revolutionäre Umwälzung der bestehenden, genauer: kapitalistischen Staats- und Gesellschaftsordnung war.

Spätestens seit jenen Tagen bedienen sich die Herrschenden weltweit immer wieder der Kriminalisierung, des Verbots und der justiziellen Verfolgung radikaler DemokratInnen, der revolutionären Linken und kommunistischen Bewegung.

1897/98 und die „Lex Arons“ Kaiser Wilhelms II.

Mit der sogenannten „Lex Arons“, benannt nach der Verbannungdes sozialdemokratischen Physikers und Erfinders einer Quecksilberdampflampe (Martin) Leo Arons aus dem Hochschulbetrieb unter Kaiser Wilhelm II, setzte in Deutschland danach zugleich aucheine erste explizite Phase der Berufsverbote ein. Bereits 1897 unterstrich Kaiser Wilhelm – gegen die Fakultät der Universität – mit Nachdruck: „Ich dulde keine Sozialisten unter … den Lehrern unserer Jugend an den Königlichen Hochschulen.“ Da Arons als Privatdozent kein Beamter war und die Regierung daher kein direktes Eingriffsrecht auf seine Beschäftigung hatte, wurde im Jahr drauf, 1898, auf Betreiben Wilhelms ein Gesetz erlassen, das nunmehr auch Privatdozenten der staatlichen Disziplinargewalt unterstellte. Da dieses Gesetz der gesinnungspolitischen Unterwerfung auch von Privatdozenten unter Staatsaufsicht vor allem auf Leo Arons zugeschnitten war, wurde es „Lex Arons“ genannt.

1933 – 1945 und das sog. „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“

Im April 1933 verkündeten später die Nazis bekanntlich das sogenannte „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“. Diese faschistische Feinderklärung zielte freilich vor allem auf die Juden und Jüdinnen Deutschlands ab, sollte aber in einem auch politisch missliebige Beamte und Wissenschaftler aus dem Staatsdienst entfernen und der Verwaltung sowie Wissenschaft den geschlossenen Weg in den Faschismus bahnen sowie von sämtlichen humanitären Prinzipien reinigen.

KommunistInnen hatten schon in der Weimarer Republik sozusagen kein Bürgerrecht auf den Universitäten. Dem bekannten Philosophen Karl Korsch, KPD-Mitglied und Professor in Jena, etwa, wurde 1924 per Landesregierungsbeschluss die Ausübung seines Lehrauftrags verweigert. Mit dem NS-„Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ wurde dann die Gleichschaltung des Öffentlichen Dienstes gesetzlich auf den Weg gebracht und dieser von sämtlichen der ArbeiterInnenbewegung nahestehenden öffentlichen Bediensteten gesäubert. Demgemäß hieß es im Gesetzestext denn auch ausdrücklich, dass im Staatsdienst unterm Hakenkreuz keine Menschen geduldet werden können, „die nach ihrer bisherigen politischen Betätigung nicht die Gewähr dafür bieten, dass sie jederzeit rückhaltlos für den nationalen Staat eintreten“.

Der Kalte Krieg und das Verbot der KPD 1956

Während in der Zweiten Republik Österreichs gerade die Großen Koalitionen von Leopold Figl (ÖVP) und Adolf Schärf (SPÖ) bzw. Julius Raab (ÖVP) und Adolf Schärf der Alpenrepublik vorstanden, zog die 1949 gegründete BRD unter Langzeitbundeskanzler Konrad Adenauer (1949 – 1963) mit lautem Hurra in den Kalten Krieg und trat 1955 der NATO bei. In dieser in der offiziellen Geschichtsschreibung von den Adepten des Imperialismus verklärten und umgelogenen Epoche und später in der öffentlichen Erinnerung von Ludwig Erhards im Grunde wenig verwunderlichem sogenannten „deutschen Wirtschaftswunder“ überlagerten Jahren, vollzog sich die neuerliche imperialistische Weichenstellung Deutschlands. Samt justiziellen Feldzug gegen dessen Opponenten.

Bereits 1950 – im Zuge des Korea-Kriegs – erreichte der Kalte Krieg in Mitteleuropa einen neuen Höhepunkt. Per sogenanntem Adenauer-Erlass erließ die deutsche Bundesregierung erste Berufsverbote aufgrund der Mitgliedschaften in der KPD, der FDJ oder auch im VVN (Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes) im öffentlichen Dienst. Die Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr sekundierte devot und übernahm diese Schand-Regelungen im gleichen Jahr de facto auch für den Gewerkschafsapparat.

1951 beantragte die Bundesregierung dann beim Bundesverfassungsgericht das Verbot der KPD. In einem sich dahinzögernden Verfahren wurde die KPD am 17. August 1956 schließlich als verfassungswidrig verboten und aufgelöst. Ihren Abgeordneten wurden begleitend die Mandate entzogen. Zudem wurden parallel auch die Vermögenswerte der Partei vom Staat kassiert. Die deutschen KommunistInnen waren bis ins Aufbruchsjahr 1968 fortan in die Illegalität gezwungen.

Einen maßgeblichen politischen Hintergrund für das KPD-Verbot bildete realiter ihr unnachgiebiges Agieren gegen die Wiederaufrüstung bzw. Remilitarisierung Deutschlands und ihre strikte Ablehnung der Atombewaffnung des neuen NATO-Frontstaats und US-Statthalters.

In seiner Begründung führte das Gericht zudem aus, dass der Marxismus-Leninismus (genauer: dessen aktive Anwendung) mit der „freiheitlich-demokratischen Grundordnung“ nicht vereinbar sei.

„Die in der Folge eingeleiteten Ermittlungsverfahren gegen Mitglieder und der Partei Nahestehende hatten zum Teil erhebliche persönliche Konsequenzen, selbst wenn keine Verurteilung erfolgte, denn der Verdacht einer strafbaren Handlung konnte als wichtiger Grund für eine Kündigung dienen. Ebenfalls reichte die reine politische Betätigung am Arbeitsplatz zur Kündigung aus. Dazu sind Fälle bekannt, in denen der Verfassungsschutz bei Neueinstellung eines Kommunisten auf seine politische Vergangenheit hinwies, was zur erneuten Entlassung führen konnte. Die Zahl der eingeleiteten Ermittlungen und Verurteilungen wird mit 125.000 bis 200.000 Ermittlungen und 7.000 bis 10.000 Verurteilungen angegeben – bei 78.000 bis 85.000 KPD-Mitgliedern zum Zeitpunkt des Verbots der Partei. Betroffen waren auch viele Kommunisten, die in den Jahren der nationalsozialistischen Diktatur lange Jahre in Zuchthäusern und Konzentrationslagern verbringen mussten.“ – so selbst nach Wikipedia.

Oder nüchtern gesprochen: Während es den Herrschenden parallel gelang, ein Zerrbild des „goldenen Zeitalters“ des Kapitalismus und „des Westens“ zu stricken, saßen Tausende westdeutsche KommunistInnen oder ihnen Nahestehende in den Kerkern Adenauers ein.

Internationale Kontext und unterschiedliche Spielarten des McCarthyismus

Freilich gab es in Österreich keine unmittelbar vergleichbaren justiziellen Maßnahmen oder gar ein Parteiverbot. Das im August 1945 vom Kabinettsrat der Provisorischen (Konzentrations-)Regierung aus SPÖ, ÖVP und KPÖ beschlossene Beamten-Überleitungsgesetz (B-ÜG) eröffnete zunächst vielmehr KommunistInnen und AntifaschistInnen bis zu einem gewissen Grad den Weg in den Staatsdienst. Aufgrund der nationalen und internationalen Kräfteverhältnisse sowie mit der „Truman-Doktrin“ 1947 änderte sich aber auch in Österreich der Wind und führte hierzulande vor allem nach dem Oktoberstreik 1950 zum „Backlash“ und Einschnitt mit tausenden Kündigungen und Entlassungen.

In den USA wiederum tobte nach dem Umschwenken Washingtons von der Anti-Hitler-Koalition in den Kalten Krieg die McCarthy Ära, in der die herrschenden monopolkapitalistischen Kreise und das politische Establishment in den Vereinigten Staaten bekanntlich eine beispiellose antikommunistische Hysterie und Kommunistenjagd entfachten.

Der Kalte Krieg und McCarthyismus wirkte sich freilich auf sämtliche Staaten aus. Die kommunistischen Parteien Westeuropas wurden aus den Regierungen gedrängt, auch in Italien und Frankreich. Aber, mit Georg Fülberth gesprochen, eine antikommunistische Woge in „dann doch wieder unterschiedlicher Weise“. „Eric Hobsbawm berichtet in seinen Memoiren, wie man es in Großbritannien machte: Kommunisten im öffentlichen Dienst wurden von ihren Vorgesetzten aufgefordert, aus ihrer Partei auszutreten. Weigerten sie sich, wurden sie nicht entlassen, allerdings nie mehr befördert. In Ländern mit starken kommunistischen Parteien – Frankreich, Italien – war an eine Berufsverbotspraxis wie in der Bundesrepublik ohnehin nicht zu denken.“

Notstandsgesetze und Radikalenerlass

In der weiteren Bonner Staats-Architektur der Herrschenden schoben diese dem Verbot der KPD durch die Große Koalition dann Ende der 1960er Jahre die „Notstandsgesetze“ und die unter dem Motto „mehr Demokratie wagen“ angetretene sozial-liberale Regierung Willy Brandts am 28.1. 1972 schließlich noch den „Radikalenerlass“ nach.

Den Eröffnungsakt bildete 1971 in Bremen die Ablehnung der Ernennung des marxistischen Soziologen Horst Holzer zum Professor der Universität aufgrund seiner Mitgliedschaft in der DKP(der 1968 neugegründeten Deutschen Kommunistischen Partei). Im Anschluss wurde dann zunächst vor allem in Hamburg einer Aufnahme von kommunistisch gesinnten Beamten der Riegel vorgeschoben und systematisch ausgedehnt.Der staatlich-administrative Knüppel zielte dabei allem voran auf die Mitglieder, Freunde und SympathisantInnen der DKP (sowie der SDAJ), umgriff aber ebenso sämtliche andere staatlich ausgemachte „Radikale“, darunter viele sogenannte „K-Gruppen“, anderweitige linke Gruppierungen und Strukturen, AktivistInnen und SympathisantInnen der Friedensbewegung (es war die Zeit der Bewegung gegen den Vietnamkrieg und der Neuen Ostpolitik), bis hin zu linken SozialdemokratInnen denen eine ungenügende antikommunistische Abgrenzung unterstellt wurde oder kritischen GewerkschafterInnen, die eine Beschäftigung im öffentlichen Dienst suchten oder dort bereits tätig waren. Selbst der bekannte belgische trotzkistische Ökonom Ernest Mandel wurde vom Erlass betroffen und seine Bewerbungen für Professuren an der Freien Uni Berlin und der Universität Osnabrück abgeschmettert. Der damalige deutsche Innenminister der sozial-liberalen Koalition Hans-Dietrich Genscher erließ 1972 gegen ihn sogar ein Einreiseverbot.

Gleichzeitig entwickelte sich unter der Losung „Sei keine Duckmaus – gemeinsam gegen Berufsverbote“ eine breite Widerstands- und Solidaritätsbewegung gegen die Hexenjagd. Und das beiweilen nicht nur in Deutschland. Kritisch vermerkt sei im Rückblick jedoch, dass die damals zugespitzte Abgrenzung der ML- und MLM-Strömungen voneinander (beiderseits von den Diskriminierungen betroffen), einmal unbesehen ihrer ideologischen Grundlagen und politischen Gründe, im Rahmen der Solidaritätsbewegung (gleichviel) kein sonderliches Ruhmesblatt bildete.

Den repressiv-administrativen Maßnahmen und Berufsverboten wurde seinerzeit der dem deutschen Grundgesetz damals unbekannte Begriff der „Verfassungsfeindlichkeit“ zugrunde gelegt. Die Zuständigkeit der Beurteilungen wiederum dem deutschen „Verfassungsschutz“ übertragen. Dieser fertigte in diesem Zusammenhang über 35.000 Dossiers gegen Andersdenkende an, infiltrierte mit noch robusterem Mandat linke und antifaschistische Organisationen, observierte darüber hinaus auch verstärkt die Friedensbewegung, Frauenbewegung und entstehenden „neuen sozialen Bewegungen“ – bis hin zur Ausspähung der privatesten Details –, und entfaltete mithilfe eines Netzes von „V-Leuten“ zudem zersetzerische Tätigkeiten und Entsolidarisierungen.  

Dass die Berufsverbote ausgerechnet in sozialdemokratisch regierten Bundesländern ihren Anfang nahmen und dort auch mit am häufigsten exekutiert wurden, sowie, dass sie gerade Kanzler Brandt auf den Weg brachte, vermag (in konkret-historischer Einstellung) nur auf den ersten Blick zu verblüffen. Zum generellen Antikommunismus und dem wachsenden Einflussgewinn der DKP und Linken im Kontext der 68er-Bewegung, gesellte sich mit Willy Brandts ausgerufener Politik des „mehr Demokratie wagen“ und der anhebenden Entspannungspolitik gegenüber den sozialistischen Ländern – nach Abwahl der Vorgängerregierung unter Führung des Alt-Nazis Kiesinger im Jahre 1969 – der „Handlungsbedarf“ eines „regierungstaktischen Manövers zur Absicherung der sozial-liberalen Koalition“ hinzu. Zum einen sollte damit der wiederaufkeimende Einfluss der systemkritischen Linken gebrochen werden und sie bereits im Ansatz aus dem „mehr Demokratie wagen“ ausgeschlossen werden. Denn dieses „Wagnis“ war von den sozial-liberalen politischen Eliten mitnichten vorgesehen. Zum anderen sollte das scharfe Vorgehen dem Vorwurf begegnen, die „Neue Ostpolitik“ Willy Brandts und Egon Bahrs des „Wandels durch Annäherung“ berge eine Gefahr einer erhöhten Akzeptanz der KommunistInnen in der Bundesrepublik. Darüber hinaus ging es gleichzeitig ganz allgemein um die Zusatzetablierung eines „gegenwärtigen und zukünftigen Herrschaftsinstruments“. Entsprechend standen auch CDU-regierte Bundesländer wie Schleswig-Holstein den sozialdemokratisch regierten letztlich in nichts nach.

Die damit einhergehenden Berufsverbote der 1970er und 1980er Jahre hatten für Tausende KommunistInnen und Linke in unserem Nachbarland dramatische Folgen: Viele verloren ihre Arbeit oder wurden gar nicht erst eingestellt (zumal als LehrerInnen oder auf den Unis), einzig weil sie sich etwa gegen Notstandsgesetze, gegen den Krieg in Vietnam oder das Wiedererstarken alter Nazis und Aufflammen der Rechten engagierten bzw. Mitglieder und KandidatInnen legaler linker Parteien und Organisationen waren. Sprich: in linker, politischer Einstellung ihre eigentlich grundgesetzlich garantierten Grundrechte wahrgenommen haben.

Aufgrund des „Radikalenerlasses“ kam es in der Folge zu ca. 3,5 Millionen „Regelanfragen“ (Auskünfte beim „Verfassungsschutz“ über die politische „Zuverlässigkeit“ und Durchleuchtung von BewerberInnen), dazu zu etwa 11.000 offiziellen Berufsverbotsverfahren, etwa 1.500 konkreten Berufsverbotsmaßnahmen und rund 2.200 Disziplinarverfahren, sowie auch einigen hundert Entlassungen aus dem öffentlichen Dienst. Unter ihnen auch die international Wellen schlagende Dienstsuspendierung des Briefträgers Gustav Steffen, weil er 1978 für die DKP zu den Gemeindesratswahlen in Pinneberg (Schleswig-Holstein) angetreten war. Einer der weltweiten Öffentlichkeit durch das 3. Internationale Russell-Tribunal zur Berufsverbotspraxis bekannten „Fälle“ ist sicherlich jener der Lehrerin Silvia Gingold, Tochter der nach Frankreich zwangsemigrierten jüdisch-kommunistischen Résistance-KämpferInnen Peter und Ettie Gingold, die wegen der ihr vorgeworfenen Nähe zur DKP und SDAJ, der Teilnahme an Demonstrationen gegen den Vietnamkrieg sowie wissenschaftlichen Tagungen des IMSF 1975 mit Berufsverbot belegt und über Jahre observiert und bespitzelt wurde. Bis hin zu ihren Aktivitäten in der VVN-BdA und der Pflege des Erbes ihres prominenten antifaschistischen Vaters resp. ihrer beiden Eltern.  Wenn das Visier auch allem voran auf die Mitglieder der Kommunistischen Partei Deutschlands gerichtet war, umgriff der „Radikalenerlass“ wie gesagt aber auch weitere Linke, wie etwa die beiden der MLPD zugerechneten LehrerInnen – Inge Dressler und Wolfgang Serway – die aufgrund ihres Antritts zu den Kommunalwahlen in Stuttgart 1982 gleichfalls mit einem Berufsverbot belegt wurden. Als „Delikt“ in einem Graubereich angesiedelt, bot der „Radikalenerlass“ den Behörden in eins einerseits einen unerhörten Ermessensspielraum bezüglich dieses Gummiparagraphen und erhob den deutschen Innengeheimdienst quasi zur letzten Auswahl- und Einstellungsbehörde für LehrerInnen, SozialpädagogInnen, ÄrztInnen, HochschulprofessorInnen, WissenschaftlerInnen, aber auch Lokführer, Postbeamte und FriedhofsgärtnerInnen, Fernmeldebeamte und andere Berufe. (Während das deutsche Grundgesetz eine Verfassungswidrigkeit politischer Organisationen kannte, die aber förmliche Verfahren gegen die inkriminierten Parteien und Organisationen bedurft hätten, bildete der bis dahin unbekannte Begriff oder Tatbestand der „Verfassungsfeindlichkeit“ einen äußerst dehnbaren administrativen Knüppel gegen unliebsame linke Gesinnungen, missliebige Aktivitäten oder Solidaritäts- und Sympathiebezeugungen.) Dazu genügte nicht selten bereits die Teilnahme an einer angeblich „linksextrem“ beeinflussten Demonstration oder ähnlichem, der Aktivität in Organisationen in der Nicht-KommunistInnen und KommunistInnen zusammenarbeiteten wie der VVN (Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes) oder auch der Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen (VDJ) bzw. des Hochschulbunds-SHB, ganz zu schweigen von der Mitgliedschaft in völlig legalen (!) Parteien wie der DKP oder dem KBW, oder auch Jungendorganisationen wie der SDAJ.

Zugleich, wie die DKP in ihrer Erklärung zum 50. Jahrestag des „Radikalenerlasses“ festhält, „(gingen) die Folgen der Berufsverbotepraxis [zudem] weit über die direkt Betroffenen hinaus. Für eine ganze Generation war klar: Wer links aktiv ist, wer sich gar in SDAJ oder DKP organisiert, dessen Berufswahl ist erheblich eingeschränkt.“ Aber sie wirkten, wie noch einmal Georg Fülberth festhielt, zudem auch im Sinne einer „repressiven Zähmung“: „Es gibt eine funktionierende Selbstzensur, wenn man ins Berufsleben eintreten möchte. Dadurch haben die Berufsverbote von 1972 eine Langzeitwirkung: Sie trugen zur Zähmung der Intelligenz und einem fortwirkenden Duckmäusertum bei. Die intellektuellen Deserteure aus dem Bürgertum, die 1968 aufgebrochen waren, sollten durch sie heimgeholt werden, und das ist in großem Maße gelungen.“

Der bekannte marxistische Grenzgänger Wolfang Abendroth urteilte auf der „Internationalen Konferenz gegen die Berufsverbote“ 1979 bereits seinerzeit klar und deutlich: „Wir haben in der Bundesrepublik Deutschland ein politisches Überwachungssystem, wie es in dieser Perfektion und in diesem Umfang in keiner anderen bürgerlichen Demokratie besteht, noch nicht einmal in den Vereinigten Staaten, etwa in der Zeit des Kalten Krieges.“

Der früheren SPD-Vorsitzenden und Kanzler Willy Brandt hat den unter seiner Regierung auf den Weg gebrachten Radikalenerlass in späteren Jahren dann als seinen größten politischen „Irrtum“ bezeichnet. Allerdings mit sorgsam angebrachten Abstrichen und einem Klima, in dem der der Erlass seine Wirkung schon erzielt hatte.

Von Adenauer über Brandt zur Berliner Republik und ihren neuen Berufsverboten „Made in Germany“

Während die Berufsverbotspraxis des „Radikalenerlass“ mit den 1980er Jahren einebtte, stieg die Zahl der von Berufsverboten Betroffenen in Deutschland im Zusammenhang der Einverleibung der DDR nach 1990 sprunghaft an. „Laut Auskunft der Bundesregierung vom Dezember 1992 hatten z. B. von den ehemals 195.073 Beschäftigen in Forschung und Lehre der DDR nur noch circa 23.600 eine Vollzeitstelle, das waren 12,1 Prozent“, so Arnold Schölzel beispielhaft skizzierend. Allerdings: „Die Zahl dieser Berufsverbote wird wohlweislich verschwiegen. Ja, sie werden als solche überhaupt nicht benannt. Auch nur selten von links. Dabei widerspiegeln gerade die Berufsverbote seit 1990 antikommunistische Kontinuität in der Stigmatisierung und Diskriminierung progressiver, vor allem linker Kräfte“, wie Hans Bauer, Vorsitzender der Gesellschaft für Rechtliche und Humanitäre Unterstützung (GRH), den zwieschlächtigen Umgang (auch vieler Linker) mit dem Berufsverbotsknüppel herausstellt.Dabei war sie quantitativ sogar die eindeutig „breiteste deutsche Berufsverbotswelle“ gegen KommunistInnen und Linke. „Die ‚abgewickelten‘ Kolleginnen und Kollegen im Osten waren schutzlos. Kaum jemand von uns im Westen hat sich um sie gekümmert“, räumt Georg Fülberth selbstkritisch ein bzw. konstatiert die Lage.Umso entschiedener stellt die vom „Radikalenerlass“ hauptbetroffene DKP in ihrer Erklärung zu dessen 50. Jahrestag „50 Jahre Berufsverbote – der Kampf geht weiter!“ den „Radikalenerlass“ in seine historische Gesamtkontinuität und verbindet den Kampf um die Rehabilitierung und Entschädigung der Opfer der Berufsverbote im Westen auch mit der seit 1990 fortgeschriebenen Klassen-Justiz im Osten. Bzw., wie Patrik Köbele im jw-Interview nochmals unterstreicht: „Mit dem sogenannten Radikalenerlass hat man in der alten Bundesrepublik diejenigen verfolgt, die über eine sozialistische Alternative nachdachten und für sie kämpften. Und im Gefolge der Annexion hat man all diejenigen verfolgt, die in der DDR an einer sozialistischen Alternative mit gebaut haben.“ Wie immer man den Versuch im Einzelnen auch bewerten mag. Allerdings beileibe nicht „nur“ im Osten, wie das versuchte „kalte Parteiverbot“ der DKP im Zusammenhang der letzten Bundestagswahlen, die staatlichen Angriffe auf die DKP bei der letzten Bundestagswahl, die staatlichen Angriffe auf den VVN-BdA, die Rote Hilfe (RH) oder auch die linke Tageszeitung „JungeWelt“, sowie der aktuelle Koalitionsvertag in Berlin nur zu deutlich zeigen.

Man sollte in diesem Zusammenhang denn auch den Koalitionsvertrag der SPD, Grüne und FDP nochmals mit gebotener Sorgfalt auch zwischen den Zeilen lesen, wenn es heißt: „Um die Integrität des Öffentlichen Dienstes sicherzustellen, werden wir dafür sorgen, dass Verfassungsfeinde schneller als bisher aus dem Dienst entfernt werden können.“ „Die in anderen Bereichen bewährte Sicherheitsüberprüfung von Bewerberinnen und Bewerbern weiten wir aus und stärken so die Resilienz der Sicherheitsbehörden gegen demokratiefeindliche Einflüsse.“ Lothar Letsche, linker Berufsverbots-Betroffener des „Radikalenerlasses“ mahnt zu Recht: „Wer das vor dem Hintergrund aufgedeckter Neo-Nazi-Netzwerke bei Polizei, Bundeswehr etc. als ‚Signal gegen Rechts‘ versteht, könnte ein böses Erwachen erleben.“ Wer ‚Verfassungsfeind‘ ist bestimmen in letzter Instanz der deutsche Staatsschutz und Inlandsgeheimdienst.

Foto: Unsere Zeit

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