Ältere unter uns werden sich noch an die „Maastrichtisierung“ Europas erinnern und wie der deutsche Bundeskanzler Helmut Kohl, sein Finanzminister Theo Waigel und zunächst Direktoriumsmitglied bzw. dann Bundesbankpräsident Hans Tietmeyer die Euro-Währungsunion – gegen differierende Ansätze – nach deutschem Modell formten. Samt Obergrenzen für die Defizite der Staatshaushalte, die Budgetverschuldung und ein Staatsfinanzierungsverbot. Im Amsterdamer Vertrag von 1997 schickte das deutsche Führungstriumvirat der Währungsunion dann noch den sogenannten Wachstums- und Stabilitätspakt mit Detailregeln nach. Was das ganze Vertragskonvolut mit Stabilität und insbesondere Wachstum zu tun hat, blieb freilich schon seinerzeit unergründlich.
Kern des vor genau 30 Jahren, am 7. Februar 1992, im beschaulichen Maastricht in den Niederlanden unterzeichneten dicken ‚Vertragswerk über die Europäische Union‘ – seitdem gewöhnlich kurz „Vertrag von Maastricht“ genannt –, war unzweifelhaft die nach deutschen Vorstellungen geschmiedete Währungsunion mit ihrem Zwangskorsett der „Stabilitätskriterien“. Dass es für die Maastricht-Kriterien (Staatsschulden von höchstens 60% und eine Neuverschuldung von höchsten 3%) nach ziemlich allgemeiner Auffassung keine tragfähige ökonomische Begründung gibt, hat der geld- und währungspolitischen Maastrichtisierung Europas dabei keinen Abbruch getan. Die 60%-Festlegungen Anfang der 1990er Jahre entsprachen vorrangig schlicht dem damaligen Schuldenstand Deutschlands und Frankreichs, der beiden bedeutendsten Hauptmächte der EU. Die 3% Haushaltsdefizitgrenze wiederum entstand, wie einer ihrer beiden „Erfinder“, Guy Abeille, späteräußerte: intuitiv. Gleichwohl umweht(e) beide Konvergenzkriterien bis heute der Odem eines sakralen ökonomischen Dogmas.
Der Weg zu Maastricht
Vorangegangen war dem eine neoliberale Wende in den wichtigsten kapitalistischen europäischen Kernländern. Eingeleitet von Margaret Thatchers Wahlsieg 1979 in Großbritannien, dem Kanzlerantritt Helmut Kohls in Deutschland 1982 und dem radikalen Schwenk François Mitterrand (nach Torpedierung und Scheitern des letzten zaghaften keynesianistischen Projekts der französischen 1981-1983er Maurois-Koalition) zum Wirtschaftsliberalismus sowie der Kursnahme auf eine Geldpolitik im Schatten der D-Mark, und dessen letztlicher Kurssetzung auf die Maastrichter Währungsunion, wurde diese nach Maß der Banken und Konzerne ins Reine gestrickt. 1997, 2000 und 2007 kamen dann noch die Ergänzungsverträge von Amsterdam, Nizza und Lissabon hinzu. Letzterer, mit dem ambitionierten Ziel eines Tigersprungs, die europäische Union bis zum Jahr 2010 zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt zu entwickeln, ist in einem gänzlichen Bauchfleck geendet. Aber auch die Währungsunion selbst steht seit Jahren in der Zerreisprobe.
Die Vorgeschichte der Währungsunion reicht bzw. weist freilich noch viel weiter zurück, angefangen mit dem „Schumann-Plan“ 1950, über die Römischen Verträge 1957, dem WWU-Plan des Luxemburgischen Ministerpräsidenten Werner („Werner-Plan“), der verabschiedeten Grundsatzentscheidung über die Gründung und eine stufenweise Verwirklichung einer Wirtschafts- und Währungsunion 1971, oder der Schaffung des (allerdings weit anpassungsfähigeren Wechselkursregimes) von Giscard d’Estaing und Helmut Schmidt inaugurierten EWS („Europäischen Währungssystems“) 1979. Allerdings herrschten bis Ende der 1980er Jahre immer auch Vorbehalte gegen die Abgabe der geld- und währungspolitischen Befugnisse an übergeordnete supranationale Gemeinschaftsorgane vor, so dass die Fortentwicklung der EG zur Währungsunion zunächst beständig stockte und auf unüberwindliche Hindernisse stieß – obschon man sich in den oberen Etagen von einer Einheitswährung vielfach eine Verbesserung der Konkurrenzverhältnisse des europäischen Kapitals zum US-amerikanischen und (damals auch) japanischen (als Zentren der imperialistischen Triade der 1970er und 1980er Jahre) versprach. Zumal nach dem Zusammenbruch des Bretton-Woods-Systems und der Dollar-Bindung die Weichen der EG stets zugleich auf den sozusagen ‚Erhalt‘ eines europäischen „Mini-Bretton-Woods-System“ gestellt waren.
Den entscheidenden Kick und ultimativen Anstoß der Währungsunion letztlich realiter den Weg zu bahnen, bildete dann allerdings die Übernahme DDR durch die BRD 1990 und das für Deutschland nach Osten wieder offene Europa. Sowohl Paris wie London waren sich des damit einhergehenden Machtzuwachses der Bundesrepublik im Klaren und trachteten danach, die nochmals massiv gestiegene Machtposition Deutschlands geopolitisch, geldpolitisch und ökonomisch mittels Vertiefung der Integration zu einer „Europäischen Union“ und von Seiten Frankreichs auch vermittels gemeinsamer Währungzu begrenzen.Sprich: einen befürchteten erneuten deutschen Alleingang des neuerstarkten Deutschlands den Kontinent zu dominieren zu vereiteln und es so eng wie möglich in die EG einzubinden. „Mitterrand wollte keine Wiedervereinigung ohne einen Fortschritt bei der europäischen Integration“, äußerte später denn auch dessen damaliger Berater und spätere französische Außenminister Hubert Védrine. Mit dem „Europäischen Weißbuch“ 1985, (der „Einheitlich Europäischen Akte“ 1987) und dem im „Delors-Bericht“ 1989 (benannt nach dem damaligen, französischen EU-Kommissionspräsidenten Jacques Delors) dann vorgelegten 3-Stufen-Plan zur Errichtung der Wirtschafts- und Währungsunion, lagen dem engeren Zusammenschweißen der EG zugleich auch die entsprechenden erneuten Initiativen vor. Der „Eisernen Lady“ Margarete Thatcher ebenso eisernes Misstrauen gegen die sogenannte „deutsche Wiedervereinigung“ war ohnehin ein offenkundiges. Bekannt ist ihr berühmt gewordener Satz: „Zweimal haben wir die Deutschen geschlagen, jetzt sind sie wieder da“. Im Rückblick nahezu weitsichtig war ihr Pessimismus in Mitterands Versuch oder Unterfangen, Deutschlands Dominanz durch eine stärkere Einbindung in europäische Institutionen zähmen zu wollen. „Die Probleme werden durch eine Stärkung der Europäischen Gemeinschaft nicht gelöst“, schrieb sie Anfang 1990 in einem internen Vermerk. „Deutschlands Ehrgeiz würde dann der dominante und aktive Faktor werden“. Was auch eingetreten ist. Entsprechend lag die Währungsunion auch seit jeher ebenso im Interesse der maßgeblichen Fraktionen des deutschen Monopol- und Finanzkapitals und hat die nach deutschem Muster konstruierte EZB ihren Sitz in Frankfurt am Main, nicht in Paris. Noch nicht einmal deren prestigeträchtiger erster Präsident ließ sich von Frankreich nach der Standortniederlage durchsetzen. Anstatt des von Paris protegierten Jean-Claude Trichet zog der holländische Bundesbank-Vertraute Wim Duisenberg als „Mr. Euro“ in den Eurotower ein.
Österreich II mittendrin statt nur dabei
Auch in Österreich, das seit der engen geld- und währungspolitischen Anbindung des Schillings an die D-Mark in den 1970er Jahren jeden auch noch so mickrigen Zinspolitischen Schritt der Deutschen Bundesbank stante pede durch die OeNB nachäffte, zog man das Argument aus dem Talon, dass man mit in einer Währungsunion anstatt der dämlichen Nachäffung Frankfurts dann mit Sitz und Stimme mitentscheide. Ja, stärker noch, phantasierte man, als kleines Land dann mit einer Stimme im EZB-Rat vertreten, erlange man, gemessen an der Größe Österreichs, gar einen überproportionalen Einfluss auf dem Feld der Geld- und Währungspolitik Euro-Projekts. Mit diesem Schwenk unter der von SP-Kanzler Franz Vranitzky und VP-Außenminister Alois Mock, dem „Vater des EU-Beitritts Österreich“, geführten Großen Koalition nahm auch Österreich Kurs auf den EG/EU-Beitritt. (SPÖ-Vorsitzender und Vizekanzler Bruno Pittermann bezeichnete die EWG noch als „reaktionären Bürgerblock“ und lehnte die erste Anbahnung von Beitrittsgesprächen unter der kurzzeitigen ÖVP-Alleinregierung in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre strikt ab.) Bis dahin EFTA-Mitglied und damit auch in den Binnenmarkt eingebunden, wurden die Segeln nun auf dem Hintergrund einer ebenso auf breiter Front geführten wie hanebüchenen Regierungskampagne auf EG-Vollmitgliedschaft gestellt. Bereits in der „Luxemburger Erklärung“ der seinerzeitigen EG und EFTA-Staaten 1984 wurde ein „Vervollkommnung des Freihandels und eine verstärkte Zusammenarbeit“ beschlossen. Vorgesehen war dabei zunächst eine eher lose, nicht institutionalisierte Kooperation. 1989 schlug Jacque Delors den EFTA-Staaten dann eine „stärker strukturierte Partnerschaft, mit gemeinsamen Beschlussfassungs- und Verwaltungsorganen“ vor. Als Vorstufe zur geographischen Erweiterung der EG/EU wurde mit den EFTA-Ländern in diesem Zusammenhang ein Vertrag über die Schaffung eines europäischen Wirtschaftsraums (EWR) geschlossen, der freilich auch noch die Möglichkeit eines gleichsam ‚bloß‘ erweiterten Binnenmarkts enthielt. (Dem neuen „Hinterhof“ im Osten, bot man zeitgleich eine Reihe von Assoziierungsverträgen an.) Im Sommer desselben Jahres schickte Österreich aber bereits seinen bekannten „Brief nach Brüssel“ ab und suchte um den EG-Beitritt der Alpenrepublik an. Der Bevölkerung wurde begleitend der „Cecchini-Bericht“ präsentiert, der versprach, dass mit dem Beitritt zur Wirtschafts- und Währungsunion und dessen Integrationseffekten Milch und Honig fließen würden. Während in anderen Ländern heftige bis erbitterte Kämpfe um die Währungsunion ausgetragen wurden – und zwar sowohl zwischen Kapital und Arbeit wie auch unter unterschiedlichen Kapitalfraktionen –, stellten Regierung und Parteien, aber auch nahezu sämtliche Medien sowie die Gewerkschaften vor allem das Micky Maus-„Argument“ heraus, dass man mit der WWU für den obligatorischen Italien- oder Spanien-Urlaub oder einen Abstecher nach Passau künftig nicht mehr Geld wechseln muss. Die Osterweiterung der EU folgte erst 10 Jahre später (die Euro-Einführung nochmals danach), sonst hätte man vermutlich auch noch den Tagestripp nach Bratislava ohne Umtausch in Kronen ins Treffen geführt, wenngleich sich das Bummeln in der slowakischen Hauptstadt oder die Einkaufstour in die Shopping Malls gleich über der Grenze Tschechiens auch in Kronen derselben Beliebtheit erfreute. Gleichviel war der damalige ÖVP-Obmann Mock so gerührt, dass er nach dem positiven Votum der Volksabstimmung vom 12. Juni 1994 vor laufender Kamera der sozialdemokratischen Europa-Staatssekretärin Brigitte Ederer ein in die Annalen eingegangenes Busserl auf die Wange gedrückt hat.
Die neoliberale, monetaristische geldpolitische Wende und die „vergessene“ institutionelle Zäsur
Die dem Modell der Deutschen Bundesbank nachgebildete Europäische Zentralbank (EZB) – genauer: das Europäische Zentralbankensystem –bedeutete für das Gros der europäischen Länder aber auch eine institutionelle Zäsur zusätzlicher Art. Auch wenn das heute für viele Ohren vielleicht überraschend klingen mag, war die Autonomie der nationalen Zentralbanken bis dahin eher eine deutsche Besonderheit – bzw. bildete das deutsche Modell der Unabhängigkeit der Notenbank als einer wesentlichen Grundlage jedenfalls eine Spezifik gegenüber dem englisch-französischem Zentralbanken-Modell. Bis zur Einführung der Währungsunion waren denn auch viele Zentralbanken, auch in Europa, direkt oder indirekt an Genehmigungen bis zu Weisungen ihrer Regierungen (im Konkreten des Finanzministers) bzw. des Parlaments gebunden. Die strikte Unabhängigkeit der Deutschen Bundesbank war – anders als etwa die noch bis in die 1990er Jahre hinein als politisch eingebundener Teil der Wirtschaftspolitik fungierende französische oder britische Notenbank – vielmehr eine institutionelle Besonderheit; und keineswegs gleichsam eine Selbstverständlichkeit wie es heute scheinen könnte. Diesbezüglich wäre auch ein Blick über den europäischen Tellerrand, etwa auf die japanische Notenbank, die Bank of Japan, und gesetzliche Regulierungen im Land Nippon – die wir hier jedoch zurückgestellt lassen müssen – lehrreich.
Auch die differierenden Mandate oder Aufgabenkataloge der Zentralbanken unterschieden sich durchaus (deutlich). Wie heute noch die FED (die 1913 gegründete US-amerikanische Zentralbank Federal Reserve), deren umfassenderer Aufgabenkatalog neben der Geldwertstabilität ebensosehr in der Förderung der Vollbeschäftigung (im bürgerlichen Begriff), einem angemessenen Wirtschaftswachstum sowie dem Zahlungsbilanzgleichgewicht liegt, verfolgten auch die Zentralbanken Großbritanniens und Frankreichs diesen vielfältigeren und umfassenderen Strauß an Zielen. Die „Geldwertstabilität“ war eines mehrerer Ziele, aber nicht das allem übergeordnete Gut. Dass eine gewisse Linke oftmals dahin tendierte, den Wert der Preisstabilität teils zu gering zu veranschlagen, sollte niemand über den tiefgreifenden geldpolitischen Paradigmenwechsel hinwegtäuschen, der mit der Währungsunion vollzogen wurde. Schon im sogenannten „Delors Bericht“ zur Errichtung der WWU standen die „Erfordernisse der Geldwertstabilität und Haushaltsdisziplin“ im Mittelpunkt. Hinter den beiden unscheinbaren Worten „Geldwertstabilität“ und „Haushaltsdisziplin“ als Primärziele verbirgt sich im Wirtschaftsjargon jedoch ein umfassendes neoliberal-neomonetaristisches Konzept, das mit dem Amsterdamer-Vertrag bei Verstoß auch Rüffel bis satte Geldstrafen für unbotmäßige Länder des Euro-Clubs beinhaltet. Zwar „darf“ auch die EZB weitere wirtschaftspolitische Ziele als Geldwertstabilität verfolgen, aber nur untergeordnet und insofern sie dem Hauptziel der Geldwertstabilität nicht widersprechen. Mit 1. Jänner 1999 trat eben diese Währungsunion in Kraft und fand mit der Einführung des Euro-Bargelds mit 1. Jänner 2002 den Abschluss ihrer letzten Stufe. In den darauffolgenden Jahren folgte zunächst vorrangig die Erweiterung der Euro-Zone. Als Ordnungsprinzip wurde in dieser in eins zugleich die Beachtung des „Grundsatzes einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb“ festgeschrieben. Eine in Verfassungsrang der Euro-Zone montierte Gesellschaftsbestimmung, die ebenfalls nochmals um einiges rigider ist als in den meisten damaligen westlichen Verfassungen.
Die sozial-reaktionären strukturellen Zwänge der Währungsunion
Mit der Währungsunion, samt nachgeschobenen „Stabilitäspakt“ als Eintrittskarte, und dem österreichischen (EU-)/EG-Beitritt 1995 sowie der alpenländischen Teilnahme an der Währungsunion seit 1999, gingen mithin zugleich tiefgehende nationale wirtschafts-, konjunktur- und beschäftigungspolitische Kompetenzwegfälle einher, die auch dem gewerkschaftlichem Ringen wie „sozialpartnerschaftlichen“ Ausbaldowere enge Zügel anlegte und den Neoliberalismus gleichsam zum supranational verfestigten Staatsgrundgesetz erhob.
Die parallel vorherrschende, naive gewerkschaftliche Sichtweise einer gesellschaftspolitisch neutralen Währungsunion wiederum, verkennt die strukturellen Zwänge die vom Euro ausgehen. Die Währungsunion bzw. der Euro markieren nicht bloß eine Währungsumwandlung, sondern schlagen ihren Teilnehmern drei der vier zentralen makroökonomischen Regulierungen aus der Hand: die Wechselkurspolitik, die Zinspolitik und (über die Maastricht-Kriterien, den Fiskalpakt, den Sixpack und den Two-Pack) die Budgetpolitik (verschärft noch um die im Euro-Kontext in die Verfassung geschraubte blödsinnige nationale „Schuldenbremse“ und den neuen österreichischen Stabilitätspakt). Die wirtschaftspolitischen Regulierungsinstrumente und makroökonomischen Anpassungen im Euroraum und in Österreich verlagern sich daher vorrangig auf die Lohnpolitik und jene Politikbereiche, die die Lohnpolitik mittelbar beeinflussen, allem voran die Sozial- und Arbeitsmarktpolitik. Wenn heute in der EU allerorten Lohnflexibilität und Lohnsenkungen eingefordert werden (im euphemistischen Wirtschaftssprech „innere Abwertung“ genannt), ist das nicht zuletzt eine direkte Folge der Maastrichter Währungsunion und ihrer Konstruktion.
In einem II. Teil werden wir dann deren weitere Entwicklung bis heute in den Blick nehmen
Bild: Thijs ter Haar, Flickr (CC BY 2.0), cropping KOMintern