Liebe Genossen, liebe Genossinnen, liebe Freunde, liebe Freundinnen,
auch als KOMintern möchten wir Fatih Mehmet Maçoğlu auf das Allerherzlichste in Wien begrüßen und danken den Veranstaltern und GenossInnen der ADHF für die Einladung zu ein paar Worten.
Angesichts der tiefen Dreifach-Krise des Kapitalismus – seiner Wirtschafts- & Sozialen-, seiner Gesundheits- und globalen Klimakrise – wie seitens des US-Imperialismus und der imperialistischen Kernländer entfesselten Kampfes um die Welthegemonie und der hegemonialen Ambitionen zahlreicher Regionalmächte sind der proletarische Internationalismus und kommunistische Bastionen wichtiger denn je.
Und so strahlt unser heutiger Gast, Fatih Mehmet Maçoğlu – schon seit seiner Zeit als Bürgermeister von Ovacik, aber erst recht natürlich seit seiner Wahl zum Bürgermeister von Dersim (Tunceli) 2019 – nicht nur in der Türkei, sondern weit über deren Grenzen hinaus aus. Sowohl als kommunistisches Symbol, wie auch durch seine unermüdliche Arbeit für die Arbeits- und Lebensinteressen der Werktätigen und einfachen Bevölkerung, seiner alternativen Ansätze konkreter Kommunalpolitik, aber auch – am Rande erwähnt – seiner bekannten menschlichen Bescheidenheit wegen.
All dies hat heute noch umso mehr Gewicht, als sich die Türkei in einer tiefen multiplen Krise befindet. Die Wirtschaft am Bosporus befindet sich seit Jahren (längst vor der Weltwirtschafts- und Corona-Krise einsetzend) in einer manifesten Dauerkrise, die türkische Lira seit Langem im regelrechten Niedergang. Die Inflation wiederum ist völlig außer Kontrolle und liegt gegenwärtig selbst nach offiziellen Angaben bei 48,7% gegenüber dem Vormonat. Kritische ÖkonomInnen weisen sie in ihren eigenen Berechnungen sogar noch um vieles höher aus. Millionen Haushalte der Türkei sind in akuter Bedrängnis. Und die Teuerungen für die Güter des täglichen Bedarfs, wie Lebensmittel und Energie, zogen sogar noch viel stärker an und sind vollends durch die Decke geschossen. Allein die Miete zu berappen und zu Tanken, hat sich für viele zu einem regelrecht existentiellen Problem entwickelt. Grundnahrungsmittel von Brot und Milch über Butter, Nudeln, Gemüse bis Zucker und Eier, ja selbst Tee, ist für Massen kaum mehr erschwinglich. Aber auch Erdgas und Strom schlagen mit voller Wucht auf die an Kaufkraft immer weiter absackenden Einkommen durch.
Seit geraumer Zeit nehmen aufgrund der sozialen Misere und der Verelendungswelle, die sich bis in die sogenannten Mittelschichten frisst, der Unmut und die Wut denn auch quer durch die Bevölkerung stetig zu. Vielen steht das Wasser bis zum Hals. Immer weniger wissen, wie sie angesichts der von Erdoğan mit seiner Wirtschafts- und Geldpolitik noch rigoros angeheizten Inflation über die Runden kommen sollen.
Dementsprechend flammten letzten November und Dezember auch starke soziale Protestwellen in den Städten auf, die auch von jenen, die nicht selbst auf der Straße waren von den Balkonen und aus den Fenstern durch Tencere-Tava-Aktionen deutlich hörbaren Zuspruch und Unterstützung erfuhren. Aber auch die gewerkschaftlichen Kämpfe nehmen wieder zu. So jüngst etwa Aktionen im Zusammenhang um einen ausreichenden neuen Mindestlohn, oder zuletzt der schließlich durch einen Großeinsatz der Polizei niedergeschlagene Streik der Beschäftigten desAutomobilherstellers Farplas, bzw. aktuell der Arbeitskampf beim Essenszustelldienst Yemeksepti.
Denn, vergessen wir nicht: die Regentschaft Erdoğans ist durchgängig auch mit harten Arbeits- und Streikkämpfen der Werktätigen konfrontiert. Schon das Jahr 2015 markiert diesbezüglich nicht nur den erstmaligen Verlust der absoluten Parlamentsmehrheit der AKP, sondern war auch unauflöslich mit der als „Metallsturm“ bezeichneten Streikwelle im Metall- und Automobilsektor verbunden. Und auch seither ebben die Streiks und Arbeitskämpfe nicht ab, sondern flammen auch ihrerseits kontinuierlich auf. Sei es jener bei Süperpark (ein Tochterunternehmen des österreichischen Kartonweltkonzerns Mayr-Melnhof), der bei Nestle, oder jenem der ArbeiterInnen bei Flormar (ein Tochterunternehmen von Yves Rocher), bis hin zum – mit Wasserwerfern, Tränengas, Spezialeinheiten der Polizei und Massenverhaftung hunderter Streikender – niedergeschlagenen Bauarbeiterstreik am neuen Flughafen Istanbul, oder dem über 1.000 Tage währenden Streikkampf der Cargill-Arbeiter, aber auch der Ausstand im Werk der französischen Bel Group, sowie eben der heutige Arbeitskampf beim im Eigentum des deutschen Dax-Konzern Delivery Hero befindlichen online Essensdienst Yemeksepti.
In eins damit sind die Arbeitenden und Völker – neben der neoliberalen Langzeitoffensive des Kapitals – seit langem mit einem rund um die Welt aufbrandenden Rechtsnationalismus und rassistischen Verschiebungen der politischen Koordinatensysteme konfrontiert. Von rechts-außen Regierungen, über offen faschistoide Staatslenker, bis zum Faschismus an der Macht. Nicht zuletzt in der Türkei unter dem faschistischen AKP/MHP-Koalitionsblock.
Und während auf globaler Ebene die Eskalationsschraube im Ukraine-Konflikt von der NATO und EU immer weiter Richtung Krieg gedreht wird, die Kernländer des Imperialismus unentwegt am möglichen Pulverfass im chinesischen Meer zündeln und auch im Nahen und Mittleren Osten beständig Öl ins Feuer gießen, etabliert sich die Türkei als aggressive Regionalmacht.
Seit seiner Wahlniederlage 2015 hat Erdoğan die Türkei in einen militanten nationalistisch-chauvinistischen Taumel gejagt, die faschistische MHP ins Boot geholt, die Opposition für vogelfrei erklärt und – mit grünem Licht des westlichen Metropolenkapitalismus und seiner NATO-Partner – eine Kaskade mittlerweile bereits 7 Jahre andauernder, schmutziger Kriege gegen Kurdistan, die kurdische Freiheitsbewegung, das radikaldemokratische Selbstverwaltungs-Projekt der „Demokratischen Föderation Nord- und Ostsyrien“ und die türkische Linke entfesselt. In innenpolitischer Absicht auch, um sich damit der stärksten linken und parlamentarischen Opposition zu entledigen und die vereinte Linke der HDP für die Präsidentenwahlen 2023 auszuschalten.
Zugleich forciert das türkische Regime im Windschatten der imperialistischen Konfrontations- und Kriegspolitik ihre neo-osmanischen und immer stärker auch panturanistisch-völkisch konnotierten Ambitionen: einer Ausweitung der türkischen Grenzen auf die nördlichen Regionen Syriens bis in die erdölreichen Gebiete um Kirkuk im Nordirak, sowie die Wiedereröffnung der Mossul-Frage – mischte aber auch im Kaukasus-Konflikt mit oder intervenierte in Libyen.
Gleichzeitig verschwimmen in diesem Kontext die Grenzen zwischen den türkischen Ultranationalisten und islamischen Fundamentalisten bis zu einem gewissen Grad mehr und mehr. Und zwar sowohl in Ankara wie in der Diaspora. Während sich die MHP immer stärker dem Islam öffnet bzw. zuwendet, prägt sich in der AKP spiegelverkehrt ein immer aggressiverer Nationalismus aus.
Allerdings befindet sich das Regime heute in einer tiefe Hegemoniekrise. Und gerade die Kämpfe in der Türkei gegen den faschistischen AKP/MHP-Koalitionsblock, gegen die soziale Verelendungswelle im Land, und die schmutzigen Kriegsgänge und Militärinterventionen bilden in der weltpolitischen Lage der Gegenwart einen ausnehmend bedeutenden Knotenpunkt sowohl des globalen Klassenkampfes, wie des Emanzipationskampfes der unterdrückten Minoritäten (etwa der AlevitInnen), Frauen und LGBTIQ+, sowie des Freiheitskampfes der unterdrückten Völker.
Diesen Kämpfen in der Türkei und den alternativen politischen, sozialen, demokratischen und kooperativen Leuchttürmen auf allen Ebenen, gilt unsere aktive Solidarität! Im historischen Optimismus, dass sich die in einem Interview geäußerte Zukunftshoffnung Fatih Mehmet Maçoğlus eines Tages erfüllen wird: „Mein Wunsch ist der nach einer kommunistischen Welt, in der alle in Frieden und ohne Ausbeutung leben können.“