Schwächen der Inflationsberechnung und Ausblick

Funktion des VPI

Es gibt nicht DIE Inflationsrate, aber die prominenteste Maßzahl ist der Verbraucherpreisindex (VPI). Dieser zielt eben auf die Teuerungen für KonsumentInnen ab, während andere Preissteigerungsindizes z.B. die Preisänderungen der Großhandelspreise oder der Importpreise, der Häuserpreise oder der Ausstattungsinvestitionen reflektieren. Dieses Ensemble von Preisänderungsindizes soll also Auskunft auch über die Quelle der letztendlich auf die KonsumentInnen durchschlagenden Preiserhöhungen geben.

Nun war die Steigerung des eben erwähnten VPIs mit jeweils 4,3 % im November und Dezember 2021 so hoch wie seit Mai 1992 nicht mehr in Österreich. Für Jänner 2022 liegt die Schnellschätzung sogar schon bei 5,1 %. Diese Raten liegen deutlich über den vergangenen Abschlüssen der KV Verhandlungen im Herbst. Auch die nun stattfindenden KV Verhandlungen werden was die zugrundeliegende Inflationsrate betrifft sich nicht an diesem Wert orientieren, da hier die durchschnittliche Inflation der letzten 12 Monate als Wert genommen wird. Diese Orientierung auf die Vergangenheit soll eben auch eine preistreibende Wirkung verhindern.[1] Die Erzählung einer Lohn-Preisspirale darf man als MarxistIn aber sowieso durchaus auch kritisch sehen.[2]

Gefühlte Inflation vs. VPI

Aufgrund mehrerer Faktoren wird die Inflation niedriger ausgewiesen als sie den nicht nur wahrgenommenen, sondern auch tatsächlichen Preissteigerungen entspricht. So reduziert die hedonische Preisberechnung den Preis um etwaige Qualitätssteigerungen. Im Falle von PCs ist das z.B. der Arbeitsspeicher. Nun werden aber die schlechteren PCs gar nicht mehr angeboten, man muss also auf die aktuelleren Modelle zugreifen. Diese arbeiten aber nicht in dem Ausmaß schneller wie es die Steigerung der technischen Spezifikationen impliziert, da neuere Betriebssysteme und andere Software die Geschwindigkeit auch entsprechend belasten. Der Bereich „Mobiltelefonie“ mit 1,15 % Gewichtung im Warenkorb weist z.B. einen Preisrückgang von 3,8 % im Dezember aus (sowohl im Vergleich zum Vorjahr als auch zu 2019) und dies obwohl die Handytarife im März 2021 ja geradezu akkordiert um 10+ % hinaufgesetzt worden sind.

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist, dass die Preissteigerungen in den letzten Jahren in den Bereichen Wohnen und Energie überproportional waren. Diese Bereiche sind in hohem Maße preisunelastisch. Das bedeutet, dass überproportionale Preissteigerungen nicht durch niedrigere Quantitäten ausgeglichen werden (Wohnen und Heizen muss man trotzdem). Anders ausgedrückt, wird der Konsum in diesen Bereichen kaum zurückgefahren, es bleibt dann aber weniger im Börserl, um die Güter nach wie vor zu kaufen, die weniger stark im Preis gestiegen sind. Der Warenkorb wird hingegen nur alle fünf Jahre grundlegend aktualisiert, zuletzt für das Jahr 2021.

In früheren Zeiten gab es Preisindizes für ArbeiterInnenhaushalte, das jetzige Konzept des VPIs stellt auf Konsum schlechthin ab, sodass die genannten Gewichte der Bereiche Wohnen und Energie von vornherein nicht den Anteil an den Konsumausgaben eines Haushaltes mit nicht überdurchschnittlichem Einkommen entsprechen. Kreditfinanziertes Wohnen im Eigentum findet keinen Platz im VPI (indem man z.B. die Kreditraten einbeziehen könnte) und somit wird der Preisauftrieb bei Immobilien auch nicht berücksichtigt. Der HVPI, die europäische Variante des VPIs, ist hier noch mangelhafter, indem er darüber hinaus auch die Ausgaben für Wohnen im Eigentum wie z.B. Reparaturen nicht berücksichtigt.

Die aktuelle Inflation ist zu großem Teil der Lieferkettenproblematik geschuldet. Diese führt dazu, dass z.B. Automobilkonzerne die knappen Halbleiter dann für die Herstellung von margenstarken Modellen verwenden und die preisgünstigeren Modelle damit gar nicht mehr verfügbar sind. Ähnlich passierte es bei Kameras. Auch dies führt zu einer zu gering ausgewiesenen Inflationsrate.[3]

Was führte und führt aktuell nun zum Anstieg des VPI?

Für die sogar offiziell ausgewiesene hohe Inflationsrate sind vor allem die Konsumhauptgruppen Verkehr mit 12,0 % und Wohnung, Wasser, Energie mit 5,3 % Inflation im Dezember verantwortlich. Bei beiden Hauptgruppen haben sich die Steigerungsraten im Dezember im Vergleich zu November „beruhigt“, auch innerhalb der Gruppe „Energie“ trat einstweilen insgesamt eine Konsolidierung bei sehr hohen 16,90 % (vs. 16,23 % im November) ein. Diese war aber nur möglich, weil die akzelerierenden Steigerungen bei Strom (12,36 % vs. 10,19 % im November) und Gas (27,86 % vs. 20,53 % im November) durch den Rückgang des Index bei den flüssigen Brennstoffen von 124,8 auf 118,5 von November und Dezember konterkariert wurden. Dort lag die Preissteigerung im Dezember aber noch immer bei stolzen 44,34 % vs. 64,43 % im November. Die Hauptgruppe Verkehr tankte um 12 % auf, da der Rückgang bei Schienenverkehr (Stichwort Ökoticket) durch die Tankpreise überkompensiert wurde.

War die hohe Inflation nur ein vorübergehendes Phänomen?

So gestellt, lässt sich die Frage natürlich leicht mit „Nein“ beantworten. Optimistische Aussagen in der jüngeren Vergangenheit über die besonders kurze Temporalität der Inflation wurden freilich schon von der Realität eingeholt.[4] Der Gaspreis hat sich zu Ausgang des alten Jahres etwas normalisiert, stieg aber am 14.1 wieder um ein Viertel in der EU nach dem Scheitern der Verhandlungen zwischen Russland und den USA. Auch die Tatsache, dass die hohen Gaspreise noch nicht auf alle KonsumentInnen durchgeschlagen sind, lässt hier noch kein baldiges Ende absehen.[5]

Einige andere, zu Beginn angesprochene, Preissteigerungsindizes verheißen auch nichts Gutes, auch wenn es auch dort zu gewissen Konsolidierungen auf hohem Niveau kommt. Im September 2021 war die Steigerung des Großhandelspreisindex 13,5%, im Oktober 15,8 % und im November schon 16,6 %, bevor er bei 15,0 % im Dezember konsolidierte. Von den am stärksten betroffenen Bereichen gab es bei Motorenbenzin (+33,7 % im Dezember vs. +41,7 % im November) und sonstigen Mineralölerzeugnissen (Dezember +49,9 % vs. November +58,6 %) Rückgänge sowie bei Eisen und Stahl eine Konsolidierung bei +71,7 %, dafür ging es bei Getreide, Saatgut und Futtermilch weiter bergauf (+62,7 % vs. +55,9 % im November). Die Preisrückgänge von 2019 auf 2020 wurden überall bei weitem überkompensiert, bei den sonstigen Mineralölerzeugnissen war dieser zu Beginn der Coronakrise mit ca. 30 % aber durchaus beachtlich.

Der Erzeugerpreisindex Produzierender Bereich hat allerding noch keine Beruhigung gefunden. Die Steigerungsraten waren im September +10,6 %, im Oktober +14,0 %, im November +15,3 % und im Dezember +16,7 %. Der Importpreisindex erfuhr ebenfalls überproportionale Steigerungen. Hier liegen erst die Werte für Q3 2021 mit ca. +11 % vor (in Q2 war die Steigerung ca. 8 %). Seit zumindest 2016 erstaunlich konstant ist hingegen der Index für Ausrüstungsinvestitionen, was man durchaus als mangelnde Nachfrage nach Investitionsgütern und damit als Krisenerscheinung deuten kann.

Die überdurchschnittlich hohen Inflationsraten werden uns also noch einige Zeit begleiten, mathematisch und pragmatisch gesehen zumindest bis die Basispreiseffekte mit Mai und vor allem mit Oktober wirksam werden. Anders formuliert wird der Vergleich mit den hohen Preisen im Oktober 2021 dann die neuerliche Steigerung geringer ausweisen. Andererseits darf man nicht davon ausgehen, dass eine Entspannung bei der Lieferkettenproblematik sich in Preissenkungen niederschlagen wird. Es ist von einer Persistenz der gestiegenen Preise auszugehen und damit von einer Erhöhung der Profite, außer man wehrt sich dagegen.


[1] https://awblog.at/kollektivvertragsverhandlungen-in-zeiten-hoher-inflation/?jetztlesen

[2] So zitiert Ottwald Demele (https://www.prokla.de/index.php/PROKLA/article/view/1713 ,,Wenn es in der Hand der kapitalistischen Produzenten stände, beliebig die Preise ihrer Waren zu erhöhn, so könnten und würden sie das tun auch ohne Steigen des Arbeitslohns … (oder anderer Kostenfaktoren, O.D.) Die Behauptung, daß die Kapitalisten die Preise der Luxusgüter erhöhen können, weil die Nachfrage danach abnimmt . ..wäre eine ganz originelle Anwendung des Gesetzes von Nachfrage und Angebot.“ (Karl Marx, Das Kapital, 2. Band (MEW 24), Berlin (DDR) 1969, S. 341; Hervorhebung O.D.)

[3] Ab ca. 3:20 https://www.youtube.com/watch?v=v3Q9El8TpVQ

[4] So hat der Generaldirektor der Statistik Austria Tobias Thomas im Mai verlautbart: „In den kommenden Monaten wird die preistreibende Wirkung der nunmehr erholten Treibstoff- und Energiepreise allerdings geringer ausfallen“ (https://www.statistik.at/web_de/statistiken/wirtschaft/preise/verbraucherpreisindex_vpi_hvpi/zeitreihen_und_verkettungen/126241.html)

[5] https://www.vienna.at/e-control-energiepreise-duerften-noch-weiter-steigen/7227435

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