Klimaziele brauchen eine gesamtgesellschaftliche Perspektive I

Gerade erst letzte Woche schrillten erneut die Alarmglocken hinsichtlich der Klimakrise und Klimaziele. Konträr zu den Erfordernissen ist die anthropogene Klimaerwärmung in den letzten 10 Jahre sogar stärker gestiegen als je zuvor, wie der aktuelle IGCC-Bericht ausweist. Zugleich warnte die UNO, dass die Welt dabei ist die 1,5°-Latte wohl definitiv zu reißen. Um die eskalierende Klimakrise noch so weit möglich zu stoppen bzw. einzuhegen bedarf es denn auch eines tiefgreifenden, radikalen Umbaus unserer gesamten Wirtschafts- und Lebensweise. Jedes „Weiter so“ führt uns in einer Spirale sich selbstverstärkender Effekte direttissima in die „Klimahölle“ (UN-Generalsekretär Guterres). Matthias Koderhold hat in „Kurswechsel“ 1/2024 dazu einen aspektiv akzentuierten Debattenbeitrag zu einem vielfach ausgesparten Aspekt, jenem der Lebensweise, vorgelegt, den wir in 2 Teilen als Beitrag zur Debatte in ihrer Gesamtdimension hier mit zur Diskussion stellen.

Das österreichische Treibhausgasbudget zur Erreichung des 1,5°C-Ziels wird bei produktionsbasiertem Pro-Kopf-Ansatz bereits Mitte 2025 verbraucht sein (Climate Change Centre AUSTRIA 2022) bzw. ist es bereits verbraucht, wenn Gerechtigkeitsperspektiven angewandt werden.  Etwa bei Berücksichtigung historischer Treibhausgasemissionen, die auch wesentlich in unserer öffentlichen und sozialen Infrastruktur stecken oder wenn dem globalen Süden ein höherer Anteil an den verbleibenden Restemissionen für eine nachholende Entwicklung und Klimaanpassungsmaßnahmen zugestanden wird. Wir emittieren Treibhausgase somit zunehmend auf Kosten anderer Regionen und Menschen, insbesondere wenn berücksichtigt wird, dass die konsumbasierten Emissionen ca. das 1,5fache der produktionsbasierten betragen. Zur Erreichung von Klimaneutralität bedarf es grundlegender Veränderungen unserer Energiebasis, Produktion und Infrastruktur aber auch von menschlichem Verhalten, von Konsummustern und Konsumniveaus – gewaltige Veränderungen unserer ökonomischen Basis und unseres sozialen Lebens stehen damit an. Investitionen müssen hinsichtlich Umbau hin zu einer klimaneutralen Wirtschafts- und Lebensweise ebenso strategisch getätigt werden, wie Prioritäten hinsichtlich Produktion und Konsum gesetzt werden. Denn für die Bereitstellung von Konsumgütern und Dienstleistungen ist ein breites Feld an Produktionsprozessen notwendig, das mit einem viel zu hohen Energie- und Materialbedarf, mit Treibhausgasemissionen und anderen schädlichen Umwelteinflüssen verbunden ist.

Zur Lösung braucht es einen ganzheitlichen Ansatz, eine gezielte und gesellschaftlich gesteuerte Transformation der Wirtschaft, die nicht auf das Wirken von Marktkräften bezüglich Innovation und Diffusion, auf reine technologische Lösungen und ausreichend erneuerbare Energie für ein weiter wie bisher vertraut. Sofern überhaupt vorhanden, beschränken sich die Dekarbonisierungsstrategien der Branchen und Unternehmen zumeist darauf, ihr eigenes Geschäftsmodell durch klimafreundlichere oder kohlenstoffarme Technologien aufrechtzuerhalten. Insgesamt zeigt sich allerdings viel zu wenig Interesse an den ökologischen Auswirkungen – seitens der Unternehmen als auch der Konsument:innen, sowohl in Österreich als auch weltweit. Es fehlt ein klarer Fahrplan, wie Klimaneutralität erreicht werden kann, wenn technologische Lösungen nicht beliebig vorhanden und umsetzbar sind, v.a. aufgrund zumindest vorerst beschränkter erneuerbarer Energie.

Produktions- und konsumbasierte Betrachtung nicht gegeneinander ausspielen

Produktions- und konsumbasierte Ansätze müssen beim Klimaschutz Hand in Hand gehen, da beide eng zusammenhängen. Machtasymmetrien zwischen Kapital und Konsument:innen und eingeschränkte Handlungsoptionen letzterer dürfen dabei allerdings ebenso wenig vernachlässigt werden, wie Ungleichheiten der CO2-Fußabdrücke. Der Schwerpunkt eines geplanten Übergangs muss auf der Produktionsseite und der Bereitstellung einer klimaneutralen Infrastruktur liegen, allerdings werden sich damit auch die Konsummöglichkeiten hinsichtlich Struktur und Niveau anpassen und spätestens dann Verhaltensveränderungen nach sich ziehen müssen. Das trifft besonders für klimaschädliches Reiseverhalten oder die Umsetzung kreislaufwirtschaftlicher Ansätze zu, die ohne eine aktive Rolle der Konsument:innen nicht gelingen kann.

Ohne nachfrageseitigen Blickwinkel, ohne Berücksichtigung des eigenen CO2-Fußabdrucks sowie seiner gesamtgesellschaftlichen Zusammensetzung, wird es schwerfallen, das Ausmaß des Problems zu erkennen, entsprechend zu handeln und schließlich Produktions- und Konsummöglichkeiten zu definieren, die mit einer Erreichung der Klimaziele im Einklang stehen. Das betrifft nicht nur den unmittelbar privaten Konsum, sondern auch maßgeblich die Bereitstellung öffentlicher Güter und Dienstleistungen – vom Bildungs- und Gesundheitssystem über den öffentlichen Verkehr bis hin zu Verwaltung und Sicherheit (vgl. Klien 2023). Mit Ablehnung umfassender Maßnahmen, um auch die Nachfrage zu reduzieren, werden die Klimaziele nicht erreichbar sein und sich globale Konflikte verstärken. Es geht aber nicht darum, Konsument:innen die alleinige Verantwortung aufzuerlegen, sondern eine empirische Basis für eine faktenbasierte Klimapolitik zu schaffen, die auch ein Augenmerk auf sozioökonomische Dimensionen legt. Dazu ist ein umfassender Blickwinkel auf verschiedene Emissionsquellen notwendig.

Verengte Herangehensweisen mit zugespitzten Schuldzuweisungen spiegeln hingegen die Komplexität des Problems nicht wider, untergraben Bewusstseinsbildung und hinreichende gesamtgesellschaftliche Lösungsansätze. Sie unterstützen in breiten Teilen der Bevölkerung die Ansicht, selbst kaum direkt oder indirekt Teil der notwendigen Lösung der Klimakrise sein zu müssen. Ohne die Verantwortung fossiler Energiekonzerne für die Klimakrise, ihre Macht und Beharrlichkeit in Leugnung des Klimawandels, Blockieren technologischer Alternativen, Ausbau der Abhängigkeit von fossilen Energieträgern oder Verzögerung und Verwässerung von Klimaschutzmaßnahmen zu schmälern, stellt sich die Frage der Lösungsrelevanz, wenn in der politischen Debatte 100 Konzernen 70,6 % der industriellen Treibhausgase zwischen 1988 und 2015 zugeordnet werden (Griffin 2017). Während die Zurechnung der mit dem Produktionsprozess direkt verbundenen Scope-1-Emissionen[1] der Konzerne über Entscheidungsmacht der Kapitaleigentümer einen berechtigten Blickwinkel darstellt, erscheint die Übertragung der Verantwortung sämtlicher Scope-3-Emissionen, die aus der Verbrennung von Kohle, Öl und Gas zur Energiegewinnung in allerlei Produktionsprozessen und Unternehmenstätigkeiten oder im privaten Verbrauch resultieren und 90 % des oben genannten Anteils der Konzerne ausmachen, wenig zielführend. Sie spiegeln in erster Linie unsere Abhängigkeit von fossilen Energieträgern wider. Auch eine reine Konzentration auf die Treibhausgasemissionen der (Super-)Reichen stellt keinen Lösungsansatz dar, liegen die Emissionen der Haushalte auch in Österreich generell auf viel zu hohem Niveau, wenn auch ungleich verteilt und damit sehr unterschiedlich hinsichtlich individuellen Einsparungspotenzialen (Theine et al. 2022).

Soll berücksichtigt werden, dass Kapitaleigentümer bzw. (Super-)Reiche die emissionsverursachenden Produktionsprozesse kontrollieren, gestalten und von ihnen profitieren, bietet sich daher eher an, Scope-1-Emissionen den Eigentümer:innen der Unternehmen zuzurechnen oder nur die Emissionen aus den Investitionen in den Kapitalstock (z.B. Maschinen), um Investitionsentscheidungen in den CO2-Fußabdruck zu integrieren (Chancel et al. 2023). Da die Produktion trotz Profitinteresse und Gestaltungsmöglichkeiten kein Selbstzweck ist, sondern ein gesellschaftliches Bedürfnis befriedigen muss, um sich wieder in Geldkapital zurückzuverwandeln, schließt die Produktion den Konsum allerdings mit ein. Auch wenn Konsument:innen in ihren individuellen Konsumentscheidungen durch die angebotenen Güter und Dienstleistungen, die Infrastruktur sowie den bestehenden Kapitalstock beschränkt werden und ihr Einfluss auf die allgemeine Funktionsweise der Wirtschaft durch einen reinen konsumbasierten Fußabdruck überschätzt wird. Eine Vernachlässigung konsumbasierter Emissionen blendet allerdings mögliche individuelle Verhaltensänderungen aus, von Ernährungsgewohnheiten bis hin zu Mobilitätsverhalten und Freizeitgestaltung.

Realpolitisch müsste die Diskussion über die Verantwortung der Unternehmen und Konzerne zumindest eine Regulierung der Wirtschaft mit weitreichenden Markteingriffen bis hin zum Stellen der Eigentumsfrage nach sich ziehen. In Bezug auf das Privatvermögen und die Emissionen der (Super-)Reichen bräuchte es Vermögenssteuern, die die Vermögenskonzentration rasch und deutlich verringern. Zur Orientierung: Selbst ein stark progressives Vermögenssteuermodell, das mit Ausweicheffekten ca. 15 Mrd. € pro Jahr einbringt, führt bloß zu einer leichten Senkung bzw. Stabilisierung der Vermögensungleichheit (Heck et al. 2020, Modell III, S26f). Doch auch wenn der Kapitalismus mit seinem Profitstreben und Wachstumszwang sowie der Macht der Konzerne als wesentliche Ursache der Klimakrise benannt werden muss, ist die Überwindung privatkapitalistischer Eigentumsverhältnisse zur Lösung nicht ausreichend.


Literatur

BMK/BMDW (2022): Wasserstoffstrategie für Österreich, S 35f. Ähnliches Szenario für Deutschland: https://www.wasserstoff-kompass.de/handlungsfelder#/import

Chancel, Lucas/Rehm, Yannic (2023): The Carbon Footprint of Capital: Evidence from France, Germany and the US based on Distributional Environmental Accounts, World Inequality LAB Working Paper N°2023/26.

Climate Change Centre AUSTRIA (2022): Klimawandel, Vermeidung und Anpassung, https://ccca.ac.at/fileadmin/00_DokumenteHauptmenue/02_Klimawissen/FactSheets/40_treibhausgas_budget_202212.pdf.

EU (2023): Regulation (EU) 2023/… of the European Parliament and of the Council oft he European Union on ensuring a level playing field for sustainable air transport (ReFuelEU Aviation), https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/A-9-2022-0199-AM-137-137_EN.pdf, S 89.

Griffin, Paul (2017): CDP Carbon Majors Report 2017.

Heck, Ines/Kapeller, Jakob/Wildauer, Rafael (2020): Vermögenskonzentration in Österreich – Ein Update auf Basis des HFCS 2017, Materialien zu Wirtschaft und Gesellschaft, AK Wien.

Klien, Michael/Böheim, Michael/Streicher, Gerhard/Weingärtler, Michael (2023): Die Rolle des öffentlichen Vergabewesens für eine klimaneutrale Produktions- und Lebensweise, WIFO.

Mayer, Jakob/Bachner, Gabriel/Steininger, Karl W. (2019): Macroeconomic implications of switching to process-emission-free iron and steel production in Europe, Journal of Cleaner Production 210, 1517-1533.

Neuling, Ulf/Berks, Leon (2023): E-Fuels zwischen Wunsch und Wirklichkeit, Agora Verkehrswende.

Streissler (2023): Kohlendioxid verschwinden lassen – Ein Zaubertrick, Wirtschaft & Umwelt 4/2023, AK Wien.

Theine, Hendrik/Humer, Stefan/Moser, Mathias/Schnetzer, Matthias (2022): Emissions inequality: Disparities in income, expenditure, and the carbon footprint in Austria, Ecological Economics 197.

[1] Scope-1-Emissionen umfassen Emissionen aus Quellen, die direkt von Unternehmen verantwortet oder kontrolliert werden (z.B. Emissionen aus dem Einsatz von Energieträgern). Scope-2-Emissionen sind indirekte Emissionen der Unternehmen aus zugekaufter Energie (z.B. Strom oder Fernwärme). Scope-3-Emissionen umfassen alle indirekten Emissionen, die entlang der Wertschöpfungskette von Unternehmen entstehen. Das betrifft sowohl vor- als auch nachgelagerte Emissionen inklusive dem Endverbrauch bei Konsument:innen und Unternehmen.

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