System Change – not Climate Change!

Rekordhitzen, die Verschiebung der Jahreszeiten, das frühere Austreiben von Obstkulturen, Frostschäden, der Gletscherschwund, Rekordniederschläge, Jahrhunderthochwasser, Tropennächte, das Artensterben, die Zunahme verheerender Hurrikane, das Abschmelzen der Polkappen, jahrelange Dürreperioden in tropischen und subtropischen Ländern die Millionen zur Flucht zwingen – die Folgen des Klimawandels zeitigen bereits tiefe, unabweisbare Spuren.

Aber diese und andere Auswirkungen der Klimakrise markieren gleichzeitig erst den Anfang. Zwar liegt die globale Temperatur (mit ihrem Anstieg um 1,1 Grad seit 1900) heute bereits höher als jemals zuvor „seit Menschengedenken“. Bei einer weitergehenden Erwärmung sind wir allerdings nicht mehr bloß mit einem sozusagen gemächlichen Klima„wandel“ konfrontiert, sondern stehen an der Schwelle zu einem gravierenden Klima-„Umbruch“ – und zwar einem menschenverursachten.

Das geochronologische Zeitalter des Menschen

Dass diese Klimaerwärmung auf menschlichen Einflüssen beruht, ist indes alles andere als eine neue Diskussion. Bereits in den 1930er Jahren wurde von Fachleuten ein Zusammenhang der damals beobachteten Klimaerwärmung mit dem Anstieg des CO2 durch die Industrialisierung diskutiert und sogar schon 1873 hatte der Geologe Antonio Soppani das neue Erdzeitalter, das sich mit der Industrialisierung ankündigte, das „Anthropozoikum“ genannt. Aber erst mit dem ersten ausführlichen UNO Klima-Report 1990 wurde die durch den Menschen verursachte globale Klimaerwärmung, nach vielen Zwischenstufen, weltweit nicht mehr bestritten. Und spätestens seit dem bahnbrechenden Aufsatz des Klimawissenschaftlers und Nobelpreisträgers Paul Crutzen 2002, wird diese neue, menschengemachte erdklimatische Epoche, in welcher der Mensch zum entscheidenden Einflussfaktor auf das Klima wurde, als „Anthropozän“ (das geochronologische Zeitalter des Menschen) bezeichnet.

Um sich die ganze dahinterliegende Dimension des Problems klar zu machen: Wir sind als Menschheit gerade dabei, die uns seit Zivilisationsbeginn bekannte und uns geschichtlich tragende klimatische Epoche zu verlassen und in ein neues Klimazeitalter einzutreten. Die moderne Geschichte der Menschheit (seit der sog. ‚Neolithischen Revolution‘) fällt mit dem Beginn einer Warmzeit vor 11.500 Jahren zusammen, die darüber hinaus auch eine erstaunlich temperaturstabile Klimaepoche, mit lediglichen Schwankungen der globalen Durchschnitts-Temperatur von +/- 0,75 Grad markierte.

Während wir im Alltag Temperaturveränderungen im Auf und Ab des Tagesverlaufs oder über die Jahreszeiten festmachen und uns für Freizeitaktivitäten oftmals das eine oder andere Grad mehr wünschen, handelt es sich bei der mittleren globalen Temperatur um eine klimabezogene Größe. Diesbezüglich muss man sich jedoch klarmachen, dass der Unterschied beispielsweise zwischen natürlichen Eiszeit- und Warmphasen bei im Mittel etwa 4 Grad liegt. Vor diesem Hintergrund versteht man auch erst das berühmte Pariser Klimaziel der 1,5 Grad-Grenze, bis zu der die Folgen noch als „verkraftbar“ gelten. Eine Erwärmung darüber hinaus wird jedoch bereits als „gefährlich“ eingestuft und ein Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur über 2 Grad hinaus, zöge überhaupt regelrecht verheerende Folgen nach sich. Nichts desto trotz steuert die Welt aktuell auf einen globalen Temperaturanstieg um 3 bis zu 6 Grad (zum vorindustriellen Niveau) allein bis Ende dieses Jahrhunderts hin.

Umbruch mit drastischen Folgen

Entsprechend schreibt der anerkannte Klimaforscher Hans J. Schellnhuber: Vor rund 250 Mio. Jahren „zum Beispiel erwärmte sich das Klimasystem um fünf Grad – über Zehntausende Jahre hinweg, also sehr viel langsamer als heute. Damals wurde dennoch die ganze Biosphäre umgekrempelt“, was zum schlimmsten Massensterben der Erdgeschichte führte (im Zuge dessen 95% aller Landlebewesen und 75% aller Meeresbewohner ausstarben). „Was heute“ – innerhalb eines bzw. zweier Jahrhunderte – „geschieht, gleicht … tatsächlich einem kollektiven Suizidversuch.“ Bei einem derartigen Klima-Umbruch „würden in manchen Weltgegenden Temperatur und Luftfeuchte in einem für den Menschen unerträglichen Maße zunehmen. Da geht es nicht ums Wohlfühlambiente, sondern um das nackte Überleben außerhalb klimatisierter Räume. Körperliche Arbeit auf dem Bau oder in der Landwirtschaft würde dann ganz unmöglich.“ Die bisherige planetarische Großwetterlage, die heutigen Vegetationszonen der Erdoberfläche, sowie die Tier- und Pflanzenwelt gestalteten sich gründlich um. Sengende Hitze, eine Verschiebung der klimatischen Zonen, der Umbruch jahrtausendelang gewohnter Wettermuster, eine rasante Zunahme von Extremwetterereignissen, ein massiver Anstieg des Meeresspiegels, schwere Überschwemmungen und Stürme, jahrelange Dürren, verschleißende und zerbröckelnde wirtschaftliche und gesellschaftliche Infrastrukturen, sowie ein rigoroses Massensterben von Tier- und Pflanzenarten wären die Folge.

„Kapitalozän“: Welt retten = Kapitalismus überwinden

Allerdings sind es nicht „die Menschen“ oder „die Gesellschaft“ schlechthin, die für diese Umwälzung, wie wir sie als neuzeitliche Menschen buchstäblich noch nicht erlebt haben, verantwortlich sind, sondern das kapitalistische System. Denn das Verhältnis „Mensch – Natur“ ist nicht sozial indifferent, sondern wird durch das gesellschaftliche Verhältnis „Mensch – Mensch“, also die kapitalistische Produktionsweise bestimmt, in dem die globale Klimakrise in letzter Instanz wurzelt. Gleichzeitig sind es global zurzeit (noch) gerade jene Länder und Regionen, die die Folgen des Klima-Umbruchs bis hin zu Hungersnöten und Wasserknappheit am drastischsten zu erleiden haben, die am wenigsten zur Erderwärmung beigetragen haben. Und auch in den Industrieländern trifft der Klimawandel allem voran alte und sozial schlechter gestellte Menschen sowie Bewohner benachteiligter Stadtteile und Orte. Dementsprechend wird das Anthropozän von systemkritischer Seite auch nochmals in die besondere Phase oder aktuelle Etappe des „Kapitalozän“ untergliedert.

So wichtig und unumgänglich daher jeder nur mögliche Beitrag zur Klimarettung ist (und wir können nicht warten!): Die Welt zu retten heißt daher nicht weniger, als den Kapitalismus mit seiner Profitlogik, seinem Raubbau an der Natur und seinen umweltzerstörerischen Systemeigenschaften als tiefste Ursache der Klimakrise zu überwinden.


Dieser Artikel erscheint in KOMpass #19/2019


Bild: Joe Brusky / (CC BY-NC 2.0)

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