Für eine tiefgreifende sozial, ökologische und verkehrspolitische Kehrtwende, statt im Irrweg der Automobilität und Interesse der Autolobby Milliarden in Beton zu versenken und die Klimakrise weiter zu befeuern.
Die selbsternannte „Klimamusterstadt“ Wien hat Anfang April ein Budget von 460 Millionen Euro für den Bau der 3,2 Kilometer langen, vierspurigen Stadtstraße in Wien Donaustadt beschlossen. Gleichzeitig wurden 100 Millionen Euro für Anpassungsmaßnahmen gegen die Klimaerhitzung angekündigt, die Wien abkühlen sollen – denn Wien drohen 2050 um + 7,6° C höhere Höchsttemperaturen. Maßnahmen um die CO2-Emissionen drastisch zu senken und das selbstgesteckte Ziel der Klimaneutralität bis 2040 zu erreichen stehen insbesondere für den Verkehrssektor weiterhin aus. Anstatt entschieden gegen die Klimakrise gegenzusteuern, gibt die Stadt unmittelbar also fast das Fünffache an finanziellen Mitteln zur Verschärfung der Klimakrise frei, wie sie zur Anpassung an die katastrophalen Folgen investiert. Mittelfristig werden mindestens weitere 2,1 Mrd. Euro fällig, denn die Stadtstraße ist Bestandteil eines weiterreichenden Individualverkehrskonzepts, das den 8,2 Kilometer langen und durchs Naturschutzgebiet führenden Lobautunnel, den 10 Kilometer langen Ausbau der S1 sowie die 4,6 Kilometer lange Spange Aspern umfasst. ExpertInnen schätzen die Kosten des Gesamtprojekts jüngst auf 3 – 4,5 Mrd. Im Endeffekt stellt die Stadtstraße also eine fast 4 Kilometer lange Autobahnabfahrt von der Lobauautobahn in die Seestadt dar, die direkt an der internationalen Nord-Süd-Transitroute liegt. Allein für die Stadtstraße und die Spange Aspern werden 330.000 m² Grünland und landwirtschaftliche Fläche versiegelt, die das Ökosystem sowie die Versorgungsbilanz mit Nahrungsmitteln weiter beeinträchtigen. Das entspricht ungefähr einem Drittel der Fläche des 8. Bezirks. Mit den budgetären Mitteln, die alleine für die Stadtstraße veranschlagt sind, könnten mindestens 14.500 Bäume im Stadtgebiet gepflanzt werden.
Verkehrszunahme statt -entlastung
Mit drei Ausnahmen stagniert bzw. sinkt die Verkehrsbelastung im 22. Bezirk. Die Eßlinger Hauptstraße, der Rautenweg und die Breitenleer Straße sind hingegen mit steigenden Verkehrsaufkommen pro Tag belastet. Eine Verkehrsverlagerung auf die vom Stadtrand Richtung Zentrum verlaufende Stadtstraße, mag zwar vorübergehend für Entlastungen in den Ortskernen sorgen, einem nachhaltigen und zukunftsorienteierten Mobilitätsangebot entspricht sie allerdings mitnichten. Denn mit der Verbindung zur S1 und dem Lobautunnel ist eine längerfristige Verkehrszunahme verbunden. Beim Verkehr gilt generell, dass das Angebot die Nachfrage erzeugt: mehr Straßen und schnellere Verbindungen attraktivieren den Individualverkehr für EinpendlerInnen nach Wien und BewohnerInnen der Seestadt. Autobahnartige Straßen sind bequemer als die mühsame Fahrt durch den Bezirk. Längerfristig ist somit induzierter Verkehr zu erwarten, der Treibausgasemissionen erhöht statt sie zu senken sowie Lärm und Feinstaub verursacht. Darüber hinaus verstärken derartige Verkehrsachsen die Zersiedelung und bewirken weiter steigendes Verkehrsaufkommen. Neue Flächen werden für die Bauwirtschaft interessant, lassen das Wiener Umland wachsen und führen zum Verlust weiterer Acker- und Grünflächen für Bauland und Straßen. Die Distanzen zwischen Wohn- und Arbeitsort vergrößern sich, somit nimmt auch der PendlerInnenverkehr weiter zu.
Viel Geld für wenig Beschäftigung
Das Projekt der Stadtstraße widerspricht nicht nur den in der Bundesverfassung verankerten Prinzipien öffentliche Mittel zweckmäßig, sparsam und wirtschaftlich einzusetzen, es ist ebenso hinsichtlich der Klimakrise abzulehnen, wie auch der Wiener Klimarat festhält. Das Gremium, bestehend aus Parteien, hohen BeamtInnen und ExpertInnen aus den Gebieten Ökologie, Verkehrsforschung und Ökonomie, fordert das Aus für die Stadtstraße: „Projekte wie der Lobautunnel, die S1 (die Lobau-Autobahn und die Spange Seestadt), die Stadtstrasse Aspern sowie die Errichtung einer dritten Piste am Flughafen Wien müssen im Sinne einer Klimagerechten Stadt aufgehalten werden. Diese verhindern einen langfristigen Umstieg auf nachhaltige Mobilität. Als Ersatzmaßnahmen müssen sozial-gerechte autofreie Alternativen für BewohnerInnen der betroffenen Stadtteile geschaffen werden.“ Hinsichtlich des Arbeitsmarktes weist der Straßenbau darüber hinaus die niedrigsten Beschäftigungseffekte in der Bauwirtschaft auf und die finanziellen Mittel sind u.a. angesichts der Covid-19-bedingten Budgetlöcher dringend für den sozial-ökologischen Umbau zu verwenden. Für 460 Mio. Euro können 20 bis 30 Kilometer Straßenbahn gebaut werden, die nachhaltig beschäftigungsintensiver sind und zur Erreichung der Klimaziele beitragen. Ein gut ausgebautes und damit attraktives öffentliches Nachverkehrsnetz würde wesentlich zur Vermeidung kurzer Strecken beitragen, die die Hauptverkehrslast in der Donaustadt hervorrufen.
Deshalb fordern wir als KOMintern von der Wiener Stadt- und Bundesregierung:
Die Einstellung des klimaschädlichen Straßenbauprojekts „Stadtstraße“ in Wien Donaustadt inklusive der daran angeknüpften Projekte Lobautunnel, Ausbau S1 und Spange Aspern.
Stattdessen sollen klimafreundliche Verkehrsreduktionsmaßnahmen für die Anrainer sowie der beschäftigungsintensivere und nachhaltigere Ausbau des öffentlichen Verkehrsangebots umgesetzt werden. Hierzu zählen u.a.:
- Einschränkung des Durchzugsverkehrs durch Verkehrsberuhigungsmaßnahmen, Geschwindigkeitsbeschränkungen, Fahrverbotszonen und Anrainerverkehr (inklusive Zulieferern)
- Ausbau des Radinfrastruktur
- Fußgänger- und Begegnungszonen in den betroffenen Ortskernen
- Massiver Ausbau vorwiegend emissionsarmer öffentlicher Verkehrsmittel (S- und U-Bahn, Straßenbahn, Busse)
- Ausdehnung der Kernzonengrenze, damit auch BewohnerInnen des Umlands günstig die öffentlichen Verkehrsmittel nutzen können und rasche Umsetzung des 1-2-3-Tickets
- Ausbau von Park & Ride-Anlagen am Stadtrand
Weiterführend hat sich die Stadtentwicklung u.a. an folgenden Punkten zu orientieren:
- Konzentration des Stadtwachstums in zentralen bzw. durch öffentliche Verkehrsmittel gut erreichbaren und angebundenen Gebieten
- Bau von Wohnhochhäusern in gut erschlossenen Lagen, um Flächenverbrauch und Zersiedelung zu reduzieren
Ein klimaneutrales und auch in sozialer Hinsicht möglichst barrierefreies Stadtkonzept, das nachhaltige Arbeitsplätze schafft und gleichzeitig Umwelt- und Lärmbelastungen für die BewohnerInnen reduziert