Männer des Westens: Pratassewitsch, Nawalny und Co

Ein weißrussischer Jet zwang eine irische Passagiermaschine zu Landung, um einen „Regimekritiker“ zu verhaften, die EU wolle diese autoritäre Willkür nicht dulden – so berichtete der ORF über die Festnahme des belarussischen Faschisten Raman Pratassewitsch. Abseits von der zweifelhaften, mindestens geradezu hysterischen Darstellung und Reaktionen der „Erzwungenen Landung“, wirft die Geschichte rund um den „weißrussischen Oppositionellen“ einige Fragen auf.

Dass die verhaftete Person, die in der reichweitenstärksten Nachrichtensendung Österreichs euphemistisch als Regimekritiker bezeichnet wird, ein handfester Neonazi ist, wurde ebenso verschwiegen, wie die langanhaltende und recht einseitige Fehde seitens der EU gegen die unbotmäßige ehemalige Sowjetrepublik Belarus aus blankem Profitinteresse. Der Fall Pratassewitsch ist jedoch kein Einzelphänomen, wie die mediale Darstellung des „Regierungskritikers“ Nawalny oder des „Demokratieaktivisten“ Jimmy Lai zeigen.

Und am lautesten krakeelen im Chor der selbsternannten „Verteidiger“ der „westlichen Werte“ vielfach gerade jene, die diese (vorgeblich) zwar gern selbst mit den reaktionärsten Gesinde exportieren wollen, um sich in globalstrategischer Absicht die Welt botmäßig zu machen, die auf diese im Westen selbst aber immer offenkundiger pfeifen.

Wie offensichtlich verlogen die Posse um Pratassewitsch ist, demonstriert die jüngste Vergangenheit anschaulich: Beispielsweise als 2013 ein Flugzeug, in welchem sich auch der demokratisch gewählte Präsident Boliviens, Evo Morales, befand, zu einer Landung in Wien gezwungen und auf Druck der USA von österreichischen Beamten durchsucht wurde. Gerechtfertigt wurde diese Einschüchterungsaktion mit dem Verdacht, der gesuchte US-amerikanische Whistleblower Edward Snowden würde sich im Flugzeug befinden. Ein medialer Aufschrei blieb damals ebenso aus, wie das obligate inhaltsleere Geschwafel staatlicher Autoritäten von „westlichen Werten“. Ein ähnliches Bild zeichnete sich 2016, als ein belarussisches Flugzeug in Kiew zur Landung gezwungen wurde, der Verdacht: es befinden sich AntifaschistInnen auf Donezk und Lugansk an Board – erst als eine Person festgenommen wurde, durfte der Flug fortgesetzt werden. Selbstverständlich war auch diese Aktion Medien und Politik im Westen keinen Mucks wert.

Allein diese Beispiele zeigen, welcher Lächerlichkeit sich der Westen preisgibt, wenn er sich als moralische Instanz aufspielt. Die Biografien und Einstellungen sogenannter „Regimekritiker“, die in ihren Heimatländern oft eine marginale politische Rolle spielen, aber derzeit von der westlichen Medienlandschaft geradezu hofiert werden, konterkarieren dies noch zusätzlich. Kritisch hinterfragt werden Personen wie Pratassewitsch, Nawalny und Jimmy Lai hingegen kaum. Deshalb lohnt sich ein genauerer Blick auf deren tatsächliches Wirken.

Pratassewitsch: Regimekritiker unter der Flagge des Faschismus

Der Privatisierungsprozess in Belarus ging dem westlichen Kapital viel zu langsam von statten, mit einer Pro-EU Regierung an ihrer Seite böte sich für westeuropäische Monopole genügend Potenzial sich ehemalige Staatsbetriebe einzuverleiben und ein geostrategischer Pfeiler im Neuen Kalten Krieg und weiterer mächtiger Militärposten an Russlands Grenze, wodurch sich der versteckte Krieg gegen Weißrussland und dessen Machthaber nur lohnen kann. Die angebliche Sorge um menschenrechtliche Situationen dient der EU und der USA nicht nur als Vorwand für Interventionen und wirtschaftliche Sanktionen gegen unliebsame Staaten wie Weißrussland, sondern spielt eine ebenso wesentliche Rolle in der moralischen Rechtfertigung für die Zusammenarbeit und den Schutz von Faschisten wie Pratassewitsch, die als Handlanger vor Ort die Drecksarbeit erledigen.

Raman Pratassewitsch hat in den vergangenen Jahren als Teil des offen neonazistischen und ukrainisch-nationalistischen Asow-Bataillons keinen Hehl aus seiner politischen Motivation gemacht. Finanziert werden die unverhohlen faschistischen Militärs, denen sich Neonazis aus ganz Europa angeschlossen haben, mitunter durch EU-Gelder. Der ehemalige Anführer der Einheit bestätigte unlängst die Aktivitäten Pratassewitschs für Asow, die er ohnedies nie geheim hielt. Bewiesen scheint, dass Raman Pratassewitsch für den Pressedienst des Asow-Battaillons tätig war. Dem nicht genug, arbeitete er laut eigenen Angaben auch für Radio Liberty, den Haus- und Hofsender der CIA. Nachdem im Zuge des Krieges in der Ostukraine das Asow-Bataillon, das sich mit der schwarzen Sonne mit einem SS-Symbol schmückt, verstärkt ins Rampenlicht der Öffentlichkeit rückte, beschloss der US-Kongress direkte finanzielle Unterstützungen an die Terroreinheit zu verbieten. Das hinderte die USA jedoch nicht, Pratassewitsch „Stipendien zur Talentförderungen“ zukommen zu lassen. Fotos beweisen, dass er 2018 sogar im US-Außenministerium empfangen wurde. Des Weiteren soll er auch Mitglied der „Jungen Front“, der Jugendorganisation der „Volksfront“, einer belarussisch-nationalistischen Gruppe, denen Kollaborateure der Nazibesatzer als Vorbild dienen, gewesen sein. Fotos des medial als „Regimekritiker“ verharmlosten Faschisten Pratassewitsch mit einem Maschinengewehr sowie mit weiteren Soldaten des Asow-Bataillons sollten jeden Zweifel über dessen politische Gesinnung ausräumen.

Zumal selbst Lesern der bürgerlichen Leit-Medien nicht entgangen sein dürfte, dass das (neo)nazistische paramilitärische Asow-Bataillion, neben seiner Rolle im Interesse der hofierten Oligarchen sowohl offen für seine eigenen faschistischen Ziele kämpft wie auch vor brachialer Gewalt gegen GewerkschafterInnen, Linke, KommunistInnen, die russischsprachige Bevölkerung, LGBTIQ* und JüdInnen noch nie zurückschreckte. Und gerade GewerkschafterInnen sollte zudem das mörderische Toben der Phalanx des Rechten Sektors am 2. Mai 2014 in Odessa in Erinnerung sein, als dieser zuvor Gegner brutal verprügelte und nachdem sie sich in das Gewerkschaftshaus der Stadt geflüchtet hatten, dieses in Brand steckten und zugleich die Ausgänge blockierten. An diesem Blutfreitag wurden 46 unbewaffnete Menschen, darunter zahllose Gewerkschafter und Gewerkschafterinnen, vom faschistischen Mob und dessen paramilitärischen Kämpfern á la Pratassewitsch‘ ermordet. 

„Prominente“ Unterstützung erhielt Pratassewitsch jüngst freilich von einer weiteren Person, die vom Westen nur allzu gern als demokratiepolitische Heilsfigur inszeniert wird: Alexei Nawalny, dessen Team Pratassewitsch Einsatz im Asow-Bataillon verteidigte.

Nawalny: Rechtsextremer Finanzinvestor als EU-Aushängeschild

Alexei Nawalny war in den vergangenen Monaten wohl das prominenteste Aushängeschild westlicher Kapitalinteressen in Osteuropa. Während Nawalny in der bürgerlichen Journaille unserer Breitengrade als Aufdecker und (vermeintlich einziger) Oppositioneller zu Putins Kreml gefeiert wird, ist er in Russland als Reaktionär bekannt, dessen oppositionelles Wirken neben den eigenen unmittelbaren finanziellen Interessen, von der Vorstellung eines ethisch-reinen Russlands getrieben wird.

Zweifelsohne hat Nawalny viele Feinde innerhalb gewisser russischer Kapitalfraktionen, die auch vor mafiösen Methoden wie einer Vergiftung nicht zurückschrecken. Das allein – sollte man meinen – kann jedoch nicht reichen, um die mediale Tradierung der liberalen Alternative zum autoritären Putin-Russland zu stützen. Nawalny selbst ist Aktionär mehrerer Staatsunternehmen, unter anderem in Gas- und Ölkonzernen sowie in der Immobilienbranche. Bei genauerer Betrachtung bröckelt Nawalnys Fassade des selbsterklärten Aufklärers und Kämpfers gegen demokratische Missstände in der Russischen Föderation schnell, sind es doch primär die eigenen Dividenden, die er gegenüber seinen politischen Gegnern zu verteidigen versucht. Ebenso ins Dunkle gehüllt wie seine Motivation hinter seinen Antikorruptionskampagnen, bleibt in den westlichen Medien seine eigentliche politische Gesinnung: ursprünglich war Nawalny Mitglied der liberalen Jabloko-Partei, aus der er 2007 aufgrund seiner Zusammenarbeit mit faschistischen Organisationen sowie rassistischen und ultranationalistischen Äußerungen ausgeschlossen wurde. Standesgemäß verabschiedete er sich mit dem nationalistischen Gruß „Ehre sei Russland“.

In den folgenden Jahren bezeichnete er beispielsweise in seinem Blog Homosexuelle als „Schwuchteln“, die weggesperrt gehörten“, forderte als Vertreter eines ethnisch-reinen Russlands, Deportationen und Abschiebungen nationaler Minderheiten und bezeichnete TschetschenInnen als „Kakerlaken“, gegen die sich die gesamte Bevölkerung bewaffnen müsse“. Auch wenn Nawalny in den vergangenen Jahren mit seinen rechtsextremen Aussagen aus politisch-taktischen Gründen etwas leiser trat, steht er inhaltlich weiter dahinter, wie er Radio Liberty – jenem CIA-Sender, bei dem auch Pratassewitsch „journalistisch“ tätig war – erst vor kurzem bestätigte.

Das Beispiel Nawlany demonstriert wie kein anderes die Janusköpfigkeit der westlich-kapitalistischen Zentren in puncto Menschenrechte: während Aktivisten wie Julian Assange, die tatsächlich korrupte Machenschaften imperialistischer Staaten ans Tageslicht brachten, staatlicher Verfolgung überlassen werden, werden Propagandainhalte eines rechtsextremen Selbstinszenierers zu Tatsachen erklärt.

Jimmy Lai: Ausbeuter als „Vorzeige-Demokrat“

Abrunden lässt sich der illustre Kreis natürlich mit Jimmy Lai in Hongkong. Der ist zwar weder „Blogger“, noch „Investigativ-Journalist“, sondern vielmehr schwerreicher Medienmogul und Großfinanzier der antichinesischen Bewegung in Hongkong – auch wenn er mit seinen Schnell- und Kurzbotschaften gelegentlich sogar einen Donald Trump in den Schatten stellt. Auch hieß er vor der Anglisierung seines Namens und Erhalt der britischen Staatsbürgerschaft eigentlich auch nicht Jimmy Lai, sondern Li Zhiying (resp. Chee-Ying), aber, und das ist für die derzeitigen Vorzeige-„Helden“ des Westens immerhin festhaltenswert: er ist kein Nazi.

Ob er hingegen als Vorzeige-„Demokrat“ taugt, steht schon auf einem anderen Blatt. Als Kritiker der ehemaligen britischen Kolonialverfassung und -gesetzgebung tauchte er nicht in Erscheinung. Dafür machte er im vom britischen Empire bis 1997 okkupierten Hongkong bereits seit den 1980er Jahren seine ersten Dollar-Millionen.  Daran, dass in der britischen Kronkolonie weder die basalsten Arbeits- oder Streikrechte galten, oder diese Meinungs-, Demonstrations- und Pressefreiheit oder freie Wahlen kannte, dafür aber der 12-Stunden-Tag und eine weltweit berüchtigte Kinderarbeit herrschte, ja Hongkong ein regelrechtes Zentrum eines modernen Sklavenhandels mit Arbeitskulis bildete, nahm Jimmy Lai hingegen nie Anstoß.  Diese Umstände dürften seinem Aufstieg als zunächst Produzent von Billigtextilien eher durchaus zupass gekommen sein.

Und dass der zum permanenten Stelldichein in den USA aufgeschlagene „Held“ gerade den im Kriegsmodus gegen die Volksrepublik China befindlichen, faschistoiden ‚Irren im Weißen Haus‘ Donald Trump anflehte, endlich Hongkong zu „befreien“  – „Mr. President, Sie sind der einzige, der uns retten kann“ – , wird wohl ebenfalls bei keinem ernsthaft an Frieden und Demokratie Interessieren als Leumundszeugnis durchgehen. Im Gegenteil.

Aber auch das bis jüngst geltende, noch von Großbritannien zur Rückgabe der ehemaligen Kolonie an China diktierte Wahlrecht Hongkongs stand nie so recht im Fokus Lai’s. Ungeachtet des Umstands, dass dieses nicht nur eine unverkennbar koloniale Handschrift trug, um einen Fuß im Legislativrat zu behalten, sondern auch einem gleichen und freien Wahlrecht spottet. So wurden diesem gemäß, was den Vorzeige-„Demokraten“ Lai wenig tangierte, nur die Hälfte der Parlamentarier in allgemeiner Wahl gewählt. Die andere Hälfte hingegen von den ‚Berufsverbänden‘ bestimmt. Einschließlich der Großbanken und Konzerne, die ihren Hauptsitz auch in anderen Ländern haben können. „Facebook, Twitter, Microsoft, Google und Konsorten“, wie der Berliner Tagesspiegel vor gar nicht allzu langem schrieb. Stärker noch, wie der Autor und China-Kenner Uwe Behrens, herausstrich: „So verfügt[e] beispielsweise der Finanzsektor über 130 Stimmen, von denen allein 125 von britischen und französischen Banken kommen.“

Entsprechend wenig Unterstützung hatten denn auch die seit langem lodernden und vielfach vehement aufflammenden sozialen Proteste und Armutsaufbegehren in Hongkong von Lai zu erwarten. Diese richteten sich in den zurückliegenden Jahren ihrer Natur nach zu Recht gegen die sozialen Verwerfungen, Arbeits- und Lebensverhältnisse sowie Wohnmisere in der internationalen Handels-, Konzern und Finanzmetropole und gegen die Hongkonger Administration, nicht jedoch gegen die Pekinger Zentralregierung – die vielmehr für einen sozial entgegengesetzten Entwicklungspfad steht.

Erst als die „sozialen Proteste“ durch Wortführer wie Joshua Wong oder Martin Lee, mit Unterstützung westlicher Think-Tanks, Medien, Politiker und Auslandsdienste aller Art (allein das US-Konsulat soll bis zu 1.600 Mitarbeiter haben) in eine antichinesische Stoßrichtung und Kampagne gegen Peking umgebogen wurden, schlug die wahre Stunde seines stramm gegen China gerichteten Geldregens. Dabei hat die Volksrepublik mit der schreienden sozialen Lage in Hongkong wenig bis nichts zu tun – wie schon allein ein nüchterner, vergleichsweiser Blick auf andere Städte Chinas abseits des entfesselten Hongkonger Turbokapitalismus zeigt.

Dem immer heißer werdenden Krieg gegen China und Kampf gegen dessen weiteren Aufstieg, bis hin zu zunehmenden Versuchen eines gewaltsamen „Regime change“ in China, gelten Figuren wie Jimmy Lai spätestens seit dem „pivot to Asia“, der US-Wende zu Asien, allerdings auch medial nicht als das, was sie tatsächlich sind, sondern als des Westens Helden und Vorzeige-„Demokraten“.

Klassenkampf statt Messianismus

Die angeführten Beispiele veranschaulichen: die vermeintlich bürgerlich-demokratischen Werte des Westens scheinen nur dort zu interessieren, wo jemand westlichen Kapitalinteressen entgegensteht. Es geht nicht darum „Whataboutism“ zu betreiben oder hier vollends zu lösen was hinter etwaigen Anschuldigungen steckt – nicht wenige Antipoden des Westens sind nicht minder undemokratisch und oftmals unsozial wie ihr westliches Gegenüber. Vielmehr muss aufgezeigt werden, wie selektiv, instrumentell und manipulativ hier die schlimmsten Reaktionäre als Kämpfer für Demokratie und Freiheit inszeniert werden. Soziale Verbesserungen und demokratische Errungenschaften waren stets das Ergebnis und die Erfolge einer starken ArbeiterInnenklasse und subalterner Bewegungen, die dafür kämpfte. Dass deren VertreterInnen weltweit zu Zehntausenden in Gefängnissen einsitzen und von pro-westlichen Regimen Hand in Hand mit paramilitärischen Verbänden gejagt und hingemordert werden, interessiert und tangiert das politische Establishment diverser Couleurs und ihre Leit-Medien, gelinde gesagt, kaum. Vermeintliche Heilsbringer und „Helden“ „des Westens“, wie Nawalny, Pratassewitsch und Jimmy Lai sind hingegen Apologeten eines weiteren Backlashs,den in erster Linie die arbeitenden Menschen, Minderheiten und traditionell zu Sündenböcken Erkorene des Landes zu spüren bekommen werden. Gerade GewerkschafterInnen, Linke und AntifaschistInnen sollten sich denn auch genau anschauen, mit wem sie in welchen Chor einstimmen und mit wem sie sich da vielfach in wessen Interesse gemein machen.

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