Zur unvermutet bevorstehenden Renaissance der Steuerreform – ist sie denn wirklich „grün“?

Mit dem „Ja“ der Grünen zur Weiterführung der Koalition nach der taktischen Rochade Kurz-Schallenberg, bemühen sich die oliven Führungsfiguren, diese nicht zuletzt mit der „sozial-ökologischen Steuerreform“ des türkis-grünen Kabinetts zu rechtfertigen. Aber wie ist diese in ihren bisher aufgrund der Regierungskrise zurückgestellten Aspekten überhaupt nochmals abschließend einzuschätzen?

 CO2-Steuer – miserabel, unzureichend und unsozial

Zunächst von annährend zwei Dutzend Finanzminister am Rande der Tagung von Weltbank und Internationalem Währungsfonds im Frühjahr 2019 ins Zentrum gehievt, steht auch für die Grünen die CO2-Bepreisung – als marktkonforme End-of-the-pipe-Maßnahme – im Fokus ihrer Klimapolitik.

Und unzweifelhaft sind (Lenkungs-)Steuern auf Treibhausgas-Emissionen ein Beitrag zur Klimapolitik. Allerdings sind CO2-Steuern ein ebenso höchst unzureichendes Lenkungsinstrument, wie sozial (gelinde gesagt) kritisch – wenn sie nicht mit einem stark einkommensabhängigen Rückzahlungsbonus gekoppelt sind. Denn als allgemeine Steuer, die alle formal gleich trifft, belastet sie zunächst vor allem die Armen, einfachen Arbeiterhaushalte und die breite Bevölkerungsmehrheit, während sie von den Reichen (mit weit höherem ökologischen Fußabdruck) leicht aus der Portokasse beglichen werden kann. In dieser Form würde sie also die ohnehin bereits immer stärker auseinanderklaffende Einkommensverteilung weiter verschärfen. Im sozusagen Nullsummenspiel viel zu niedrig bemessener Bepreisungen verzahnt mit nur moderat konzipierten sozialen Ausgleichszahlungen wiederum, verfehlen sie weitgehend ihre gepriesene Lenkungswirkung sowie die ‚sozialen Treffsicherheiten‘ des Ausgleichsbonus. Und genau beiderlei ist auch von der türkis-grünen sogenannten „sozial-ökologischen Steuerreform“ zu konstatieren (mit ihrer einerseits viel zu zaghaften CO2-Bepreisung von 30 Euro pro Tonne und spiegelbildlich viel zu moderaten, sowie regional ausgestaltetem CO2-Rückzahlungsbonus von 100 über 133 und 167 auf max. 200 Euro).

Zudem nimmt die CO2-Steuer die eigentlichen, wirtschaftlichen Verursacher der Klimakrise und Klimakiller mit keinem Cent ins Visier. Denn diese eigentlichen, wirtschaftlichen Verursacher der Klimakrise fallen im System der EU-Klimapolitik in eine eigene, gesonderte Rubrik. Für die Groß- und Größtverbraucher bzw. CO2-Emittenten, wie die Energiewirtschaft (Strom, Öl), energieintensiven Branchen der Großindustrie (insbesondere Stahl, Metallerzeugung, Chemie, Papier) und die Luftfahrt gilt das 2005 eingeführt Zertifikatesystem (ETS = Emission Trading System) – das EU-weit rund 11.000 Großemittenten umfasst. In Österreich etwa die Voestalpine, die OMV, die Energieerzeuger oder Austrian Airlines – wobei die Betreiber von Industrieanlagen fast 100% Gratis-Zuteilungen erhalten.

Schon diese wenigen Eingangsanmerkungen sollen andeuten, dass CO2-Steuern ein sehr zwieschlächtiges Instrument sind und eine vorrangige Konzentration auf sie auch ökologisch in die Irre führt. Denn auch klimapolitisch muss ein gesellschaftlich viel weitergehender Weg eingeschlagen werden. Schweden bspw. hat bereits seit 1991 eine CO2-Steuer. Wie Analysen der OECD allerdings zeigen, führt diese jedoch lediglich zu einer Emissionsreduktion von 3%. Was nochmals drastisch aufzeigt: Einzig über marktkonforme Lenkungsinstrumente und ein marktwirtschaftliche Regulierungen auf Boden des „Spiels der Preise“, ist dem Klimawandel nicht beizukommen. Dafür braucht es schon eine radikalere Orientierung, die auch vor den Gesetzen des Marktes nicht Halt macht, sondern vielmehr die notwendigen Brüche mit marktwirtschaftlichen Regeln vollzieht. Denn ohne massive (staatliche) Eingriffe in das Wirtschaftsgeschehen resp. gesellschaftliche Planung, wird sich das menschliche Naturverhältnis nicht ins Lot bringen lassen.

Verfehlter wie mauer Ökobonus & fehlende Alternativen

Dazu kommt in der vorliegenden türkis-grünen Steuerreform noch hinzu:  Da sich der vorgesehene CO2-Bonusausschließlich auf den Verkehr, nicht aber etwa auf das Heizen resp. die Wärmeerzeugung bezieht, involviert das Konzept schon im Ansatz soziale Ungerechtigkeiten zusätzlicher Art. Etwa, da Mieter im mehrgeschossigen Wohnbau, im Unterschied zu VerkehrsteilnehmerInnen, schlicht keinerlei Alternativen haben. Ihre einzige Reaktionsmöglichkeit ist, entweder irgendwo anders einzusparen oder die kalte Jahreszeit in ihren vier Wänden eingehüllt in dicke Pullover abzusitzen. Denn über die Heizanlage bestimmt – anders als in Eigenheimen – der Vermieter. Die MieterInnen selbst können weder am Heizsystem, noch an den hohen Kosten durch Öl- und Gasheizungen etwas ändern. Gelten für Einkommensschwächere schon generell andere Reaktionsweisen auf Preiserhöhungen wie für Begüterte und Reiche (Stichwort: unterschiedliche Preiselastizitäten von Reichen und Einkommensschwächeren/Armen bzw. das mögliche Konterkarien von Preiseffekten durch Einkommenseffekte – um den Voodoo-Ökonomen der Grünen verständlich zu bleiben), verschärft sich diese Problemlage mit fehlenden Alternativen oder Substitutionsmöglichkeiten nochmals zusätzlich gravierend. Insofern fordern denn auch viele Stellen seit Debattenbeginn ergänzend zum Ökobonus die Vermieter in die Pflicht zu nehmen. Was nicht nur sozial naheliegend wäre, sondern auch ökologisch, weil die Lenkungsanreize der CO2-Steuer damit an die eigentliche Adresse adressiert wäre.

Ökowahnsinn Dieselprivileg

Mit der gleichzeitigen Aufrechterhaltung des Dieselprivilegs wiederum, bleiben nicht nur die katastrophalen klimaschädlichen Privilegien der Landwirtschaft (begünstigter fossiler Diesel für Traktoren) und der Frächter unangetastet, sondern bleibt auch der Tanktourismus des Schwerverkehrs aufrecht. Da Diesel in Österreich damit billiger als in den Nachbarländern bleibt, wird auch diesem unsäglichen Tanktourismus aus dem grenznahen Bereich und den vorzugsweisen Transitrouten des LKW-Verkehrs durch die Alpenrepublik kein Riegel vorgeschoben. Im Gegenteil, die Aufrechterhaltung des Dieselprivilegs befeuert vielmehr beides weiter und lenkt so den Schwerverkehr weiterhin auf Österreich, in dem sich die internationalen Fuhrparks ihre Flotten (mit einem Fassungsvermögen von schnell 800 Litern bis zu 1.500 Liter pro LKW) für Transporte diverser Destinationen auf- und volltanken. Die in Österreich zurückgelegten Strecken über die sich die LKW-Kolonnen dafür wälzen, sind in diesem Zusammenhang nur massenhafte, kraftstoffpreisgetriebene Zusatzkilometer. Parallel gelten die damit einhergehenden CO2-Äquivalente andererseits jedoch als rein österreichische und schlagen so zugleich auf die heimische CO2-Bilanz.

Unausgegorenes, Skurrilitäten und ernsthafte Problemlagen

Die unausgegorene Konzeptualisierung der regionalen Ausgestaltung des CO-Bonus im beispielsweisen Zusammenhang Wiens, als einziger Stadt im Land, wo nur die niedrigste Stufe des Klimabonus, 100 Euro, ausbezahlt werden wird, sorgte schon die letzten Tage für massive Irritationen. Zumal diese ebenso billige wie untragbare Abspeisung immerhin mehr als ein Fünftel der BewohnerInnen Österreichs betrifft. Näher besehen, treibt diese Kategorisierung noch weitere Blüten. Nicht nur, dass sie keinen Unterschied zwischen Innenstadt und Stadtrandlage macht, an den Stadtgrenzen ufert das Ganze geradezu in regelrechte Absurditäten aus. So etwa an den – ihrem behördlichen Wohnsitz nach – vielfach gleichermaßen von NiederösterreicherInnen wie von ihren Wiener Nachbarn ums Eck genutzten Haltestellen. Mögen Letztere auch sagen wir eine Viertelstunde und erstere bloße 5 Minuten Wegzeit haben, so fällt der Bonus für erstere kraft Postadresse dennoch geringer aus. Noch skurriler gestaltet sich die Lage an manchen Straßen, an denen die Häuser auf der einen Seite im Raum Wien liegen, jene auf der gegenüberliegenden Straßenseite zu Niederösterreich gehören. Beim Straßenfest und an der Bushaltestelle im alltäglichen nachbarschaftlichen Tratsch, werden für sie zugleich unterschiedlichen CO2-Ausgleichszahlungen schlagend.

Zugleich ist damit dem Umstand Tür und Tor geöffnet, dass PendlerInnen trotz unzumutbarer Öffi-Verbindungen nur den reduzierten Bonus bekommen. Bei langen Pendeldistanzen, wie AK und Gewerkschaften hervorstreichen, ist aber auch der höchste Bonus zu wenig, weil die tatsächlichen Kosten deutlich höher liegen.

Die seltsame Parallelwelt der Pendlerpauschaule

In gleichzeitig seltsamer Parallelwelt bleibt in alledem das Instrument der Pendlerpauschale, ohne zielstrebig sozial-ökologisch reformiert zu werden. Das bisherige Pendlerpauschale als Steuerfreibetrag ist freilich sozial höchst ungerecht. Wer für einen niedrig bezahlten Arbeitsplatz pendeln muss, bekommt fast nichts. Wer viel verdient, bekommt vielfach fast die gesamten Kosten ersetzt. Um diese Bevorzugung der Besserverdienenden an einem exemplarischen Beispiel der AK Niederösterreich in den Blick zu bringen: „So kostet[e] etwa [bis dato] eine Jahreskarte für die öffentlichen Verkehrsmittel für die Strecke St. Pölten  – Wien 1.480 Euro, egal ob man viel verdient oder wenig. Mit einem Einkommen von 1.200 Euro brutto im Monat bekommt man durch das Pendlerpauschale aber nur 290 Euro im Jahr zurück, bei einem Einkommen von 6.000 Euro oder mehr sind es immerhin 1.140 Euro.“  Daher fordern Arbeiterkammer und Gewerkschaften auch schon des Längeren die Umwandlung des Pendlerpauschales in Richtung einkommensunabhängigen kilometerabhängen Absetzbetrag. Gleichzeitig ließe sich das Pendlerpauschale mit wenig Phantasie auch leicht an ökologische Voraussetzungen und Kriterien koppeln und mit diesen verkoppeln.

Das 1-2-3 Ticket Gewesslers

Aber auch das 1-2-3 Ticket oder jetzt Klimaticket wird einen ökologisch signifikant geringeren Nutzen zeitigen, also gemeinhin suggeriert und politisch hinaustrompetet.Natürlich ist die Tarif-Senkung und -Vereinheitlichung aus sozialen Gesichtspunkten sowie als Hin zu einer nachhaltigen Mobilität mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu begrüßen. Aber für eine tatsächliche Verkehrswende vom motorisierten Individualverkehr zu den Öffis, ist nicht einzig der Preis entscheidend, sondern nicht minder der Zugang zum öffentlichen Verkehr, dessen Qualitätsstandards sowie ein integraler Taktfahrplan(der in den letzten Jahren aufgrund politisch verschobener Schwerpunkte mehr und mehr geschliffen wurde).Ohne rigorosen Ausbau des öffentlichen Verkehrs in der Fläche, eines breiten umgebungsnahen Zugangs samt Anbindungen an die Bahnhöfe (mittels entsprechender Parkplätze und/oder öffentlicher Shuttledienste) und einem massiven Gegensteuern gegen die bereits jetzt bis zum bersten ausgelasteten bzw. vielfach bereits überlasteten Hauptachsen zu den Haupt-Pendelzeiten,wird eine ökologische Verkehrswende daher schlicht nicht zu haben sein. Unter klimapolitischer Perspektive nicht minder essentiell in diesem Kontext ist zudem, wo sinnvoll möglich, ernsthaft eine Regionalisierung der Wirtschaft und Wirtschaftskreisläufe anzugehen und  voranzutreiben.

Last but not least – der Kinderbonus

Bleibt lediglich noch nachzutragen, der Familienbonus – einst sozialpolitisch quer durch die Bank als unsoziale türkis-blaue Neuerung und Bevorzugung wie weitere Privilegierung der Besserverdienendenin harscher Kritik stehend –, wird nun auch seitens der Grünen als elementarer Teil einer „historischen“ Steuerreform mit Lobeshymnen bedacht. Dabei reißt er die Schere zwischen Kindern aus wohlhabenden und aus einkommensschwachen Familien nochmals weiter auf. Vom türkis-blauen Kinderbonus (der den bis dahin geltenden Kinderfreibetrag von 440 Euro sowie die steuerlich absetzbaren Kinderbetreuungskosten von bis zu 2.300 Euro ersetzte), profitierten einzig Besserverdienende. Weniger Verdiende können naturgemäß steuerlich weniger absetzen. Und das unterste Einkommensdrittel der unter 1.250 Euro Verdienenden, kann gar nichts absetzen und schaute schlicht durch die Finger, da der Kurz–Strache‘sche „Familienbonus Plus“ nicht negativsteuerfähig ist.

Nun wird der Familienbonus mit Juli nächsten Jahres von 1.500 Euro pro Kind im Jahr auf 2.000 Euro angehoben. Was auch insofern interessant ist, als bisher sowohl im türkis-blauen wie danach ebenso im türkis-grünen Regierungsübereinkommen jeweils ein Erhöhung um 250 Euro vorgesehen war, mit der Aussöhnung der Grünen mit dem Familienbonus diese nun aber glatt verdoppelt wurde. Zwar wird auch der Kindermehrbetrag für Geringverdienende von 250 auf 450 Euro pro Kind und Jahr angehoben, aber damit nicht einmal halb so stark wie der Familienbonus, wodurch sich als Effekt auch die Kluft zwischen Kindern aus einkommensstarken und einkommensschwachen Familien abermals weiter zugunsten der Kinder aus begüteterem Hause verschärft. Zudem verbleiben auch unter grüner Ägide der Sozialagenden der Regierung rund 180.000 Kinder, die weder vom Familienbonus noch vom Kindermehrbetrag profitieren.

Resümee

Insgesamt, so muss man eine ‚sozial-ökologische 5‘ erteilen, steigert die Steuerreform die relative Belastung der einfachen Beschäftigtenhaushalte, führt zu weiteren Ungleichheiten, wirkt in Richtung weiterer Zersiedelung sowie einer Subventionierung von verkehrsinduzierenden Eigenheimen und ermangelt in ihrem primär marktförmigen Lenkungsinstrument über den sogenannten Preis-Mechanismus nicht nur (fast) sämtlicher, unabdingbaren ordnungspolitischen Maßnahmen  – vom unumgänglichen, dringend erforderlichen tiefgreifenden Umbau unserer gesamten gesellschaftlichen Produktions- und Lebensweise ganz zu schweigen, um den Klimaumbruch zumindest noch einzugrenzen.

Foto: Alpha Stock Images, Nick Youngson (CC BY-SA 3.0)

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