Von Miriam Fuhrmann & Mattias Muckenhuber, A&W-Blog
Die Diskussion rund um eine Kürzung der Sozialstaatsbeiträge (in der allgemeinen wirtschaftspolitischen Debatte bekannt unter dem verharmlosenden Begriff „Lohnnebenkosten“) ist derzeit präsenter denn je. Insbesondere seit dem Bekanntwerden des „Österreich-Plans“ von Bundeskanzler Karl Nehammer erhoffen sich Wirtschaftsverbände gewichtige Gewinnsteigerungen. Über die Kosten der Kürzungen und die Folgen für den Sozialstaat wird kaum gesprochen. Dabei sind diese nicht unerheblich: Fast 17 Milliarden Euro entgehen dem Staat, wenn man die durch Sozialbeitragskürzungen verursachten Mindereinnahmen von 2015 bis 2025 berücksichtigt. In einem Beitrag vom Mai 2023 wurden für den Zeitraum von 2017 bis 2023 noch 7,3 Milliarden Euro an Mindereinnahmen geschätzt. Aufgrund der Berücksichtigung weiterer Kürzungen der Lohnnebenkosten und der Lohnsteigerungen aufgrund der hohen Inflation ergibt sich somit ein wesentlich dramatischeres Gesamtbild.
„Lohnnebenkosten“ sind Beiträge zur Finanzierung des Sozialstaats
Die Finanzierung des österreichischen Sozialstaats ist im Wesentlichen auf drei Säulen gestellt. Neben dem Budget spielen die Arbeitnehmer:innen- und Dienstgeberabgaben eine bedeutende Rolle. Das sind einerseits die Einnahmen aus Sozialversicherungsbeiträgen der Arbeitnehmer:innen (rund 18 Prozent werden direkt vom Bruttogehalt abgezogen und unter anderem an die Sozialversicherung zur Finanzierung von Pensionen oder der Gesundheitsversorgung abgeführt) und andererseits die Einnahmen aus Beiträgen, die Arbeitgeber direkt für ihre Arbeitnehmer:innen abführen – die eben so harmlos und nebensächlich klingenden Lohnnebenkosten. Dabei handelt es sich aber nicht um ein Geschenk der Dienstgeber, sondern um essenzielle Lohnbestandteile. Die Einnahmen aus Arbeitgeberbeiträgen machen rund 36 Prozent der Finanzierung der Sozialschutzausgaben aus. Wird hier gekürzt, wirkt sich das also direkt auf das Niveau der Sozialleistungen aus – vor allem wenn die Kürzungen Mindereinnahmen in Milliardenhöhe verursachen.
Wirtschaftsvertreter:innen fordern aktuell weitere Einschnitte in die Sozialstaatsfinanzierung, erwähnen aber nicht, dass es in den letzten zehn Jahren bereits zu massiven Kürzungen kam. So betrug beispielsweise der Unfallversicherungsbeitrag 2014 noch 1,4 Prozent, mittlerweile sind es nur noch 1,1 Prozent. Der Zuschlag zum Insolvenz-Entgelt-Fonds, der ausstehende Gehälter von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern finanziert, wenn der Dienstgeber insolvent ist, betrug 2014 noch 0,55 Prozent, nun sind es nur noch 0,1 Prozent. Eine sehr risikoreiche Strategie, wenn man bedenkt, wie viele Insolvenzen seit der Covid-19-Pandemie verschleppt wurden und vermutlich in den nächsten Jahren schlagend werden. Die Signa-Pleite, die größte Pleite der Zweiten Republik, ist nur ein Beispiel dafür. Der Beitrag zum Familienlastenausgleichsfonds wurde von 4,5 Prozent auf nun nur noch 3,7 Prozent gesenkt. Und zuletzt wurde auch noch eine Reduktion des Arbeitgeberbeitrags zur Arbeitslosenversicherung von 3 Prozent auf 2,95 Prozent beschlossen.
Einnahmenentfall beträgt 2025 schon beinahe drei Milliarden Euro jährlich
Machten die Kosten der betrachteten Beitragskürzungen 2015 noch 200 Mio. Euro aus, so verfünfzehnfacht sich die Lücke, die durch die Kürzungen in die Finanzierung des Sozialstaats gerissen wird, innerhalb von zehn Jahren bis 2025 auf 2,8 Milliarden Euro – Tendenz steigend. Insgesamt ersparen sich die Unternehmen in diesem Zeitraum dabei rund 16,3 Milliarden Euro. Einerseits tragen die schrittweisen Kürzungen der Arbeitgeber-Sozialbeiträge zu diesem immer größer werdenden Einnahmenentfall bei. Andererseits basieren die Beiträge auf den Bruttogehältern der Arbeitnehmer:innen – darum wirkt sich bei steigenden Gehältern auch jeder einzelne Prozentpunkt der Kürzungen Jahr für Jahr immer stärker aus.
Das zuletzt aufgrund der enormen Teuerung hohe nominelle Lohnwachstum ist auch mit ein Grund, warum die neuen Berechnungen der Kosten von den ursprünglichen abweichen. Vergangene Berechnungen des WIFO und der Bundesregierung (in den Wirkungsorientierten Folgenabschätzungen) konnten das in ihren Prognosen noch nicht berücksichtigen (beziehungsweise wurden die Prognosen nur für wenige Jahre in die Zukunft erstellt und in unserer Darstellung mit dem letzten Wert fortgeschrieben). 2023 liegen die Mindereinnahmen auf Basis dieser Schätzungen „nur“ bei 1,9 Milliarden Euro. Bezieht man das stärkere nominelle Lohnwachstum mit ein, erhöht sich dieser Betrag auf fast 2,3 Milliarden Euro. Im Jahr 2025 betragen die Mindereinnahmen voraussichtlich bereits 2,8 Milliarden Euro.
Arbeitnehmer:innen profitieren nicht von „Lohnnebenkosten-Senkungen“
Das Versprechen, das mit diesen Kürzungen suggeriert wird, ist, dass am Ende für die Arbeitnehmer:innen automatisch mehr „netto vom brutto“ herausschaut. Ein fadenscheiniges Versprechen, denn die Sozialstaatsbeiträge werden nicht vom Bruttogehalt abgezogen, sondern auf das Bruttogehalt draufgeschlagen und direkt vom Dienstgeber an den Staat abgeführt. Werden die Beiträge gesenkt, so führt dies also zunächst nur zu einer Erhöhung der Gewinne auf Unternehmensseite. Ob diese dann weitergegeben werden oder nicht, hängt davon ab, ob die Arbeitgeber dazu bereit sind. Allerdings scheint eine Weitergabe laut wissenschaftlichen Studien eher unwahrscheinlich, wie dieser Beitrag von Oliver Picek sehr gut belegt. Und auch die letzten Lohnverhandlungen zeigen deutlich, gegen welche Widerstände von den Gewerkschaften jeder einzelne Prozentpunkt Lohnerhöhung erkämpft werden muss.
Wenige Konzerne erhalten den Löwenanteil der Ersparnis
Fast die Hälfte der Ersparnis geht an das Top 1 Prozent der Unternehmen. Die andere Hälfte teilen sich die restlichen 99 Prozent. Das zeigt eine ÖGB-Analyse auf Basis von AK-Berechnungen. Die großen Profiteure wären unter anderem Banken und Versicherungen, die auch schon die Gewinner der Teuerungskrise waren. Kleinbetriebe hingegen profitieren kaum. Insgesamt erhalten also sehr wenige große Unternehmen den Löwenanteil, sie sparen sich Millionen.
Dabei handelt es sich allerdings um Mindestwerte. Denn der Analyse liegen die Bruttoeinkommen aller bei der Sozialversicherung gemeldeten Beschäftigten zugrunde. Manche Unternehmen teilen sie auf mehrere „Dienstgeberkonten“ auf. Zusammengezählt stiege der Anteil des Top 1 Prozent sogar noch. Kleine Unternehmen haben allerdings kaum etwas davon. Ein kleines Unternehmen mit fünf Mitarbeiter:innen, die 3.500 Euro brutto im Monat verdienen, würde sich bei einer Kürzung der Lohnnebenkosten um einen Prozentpunkt 2.450 Euro jährlich sparen. Damit lässt sich eine zusätzliche Arbeitskraft nicht einmal einen Monat lang anstellen.
Statt weniger braucht es mehr Sozialstaat
Die Kosten steigen im Vergleich zum im letzten Jahr erschienenen Beitrag, das Resümee bleibt aber gleich. Statt weniger braucht es mehr Sozialstaat, denn dieser stellt das Vermögen der Vielen dar. Eine fortschreitende Aushöhlung des Sozialstaats hat verheerende Folgen für Österreich. Schon jetzt sehen wir, dass es in vielen Bereichen an der Finanzierung fehlt. Ob im Gesundheitsbereich, in der Pflege oder in der Bildung – überall wird mehr statt weniger Geld benötigt, um ein hohes sozialstaatliches Niveau auch für die Zukunft zu gewährleisten. Wer laufend die Finanzierungsbasis des Sozialstaats kürzt, bürdet die Kosten sukzessive den Einzelnen auf. Die sozialen Risiken – wie Arbeitslosigkeit, Krankheit, Pensionsvorsorge, aber auch Karenzen (sowohl Eltern- als auch Bildungskarenz) – werden individualisiert. Am Ende führt dies zu Gewinnsteigerungen bei Unternehmen, und das auf dem Rücken der Arbeitnehmer:innen, die ohnehin schon den größten Beitrag zu den österreichischen Staatseinnahmen leisten.