Mit NATO-Projekt „Sky Shield“ in radioaktiv strahlende Trümmerlandschaften?

„Im Gleichschritt Marsch!“ – „Feuer frei!“: Als sich Verteidigungsministerin Klaudia Tanner im November letzten Jahres für eine Beteiligung Österreichs an der „European Sky Shield Initiative“ aussprach, blieben die öffentlichen Reaktionen noch eher verhalten. Dass der oliv-grüne Wehrsprecher David Stögmüller assistierend medial Habt-Acht stand, zeichnete aber schon die Marschrichtung der Regierung vor. Nun zur Chefsache von Leutnant a.D. Bundeskanzler Karl Nehammer und politischen Schreibtischfeldwebel Vizekanzler Werner Kogler erhoben, soll es zack zack gehen. Bereits am Freitag soll die Absichtserklärung der Regierung zum Beitritt unterzeichnet werden.

Befeuert durch den weitgehenden Allparteienkonsens der Aufrüstung wie die Aufstockung des heimischen Militäretats, der immer weiteren Integration Österreichs in die EU-Militärunion, sowie der seit dem Madrider NATO-Gipfel 2022 auch offiziellen neuen Kennzeichnung der EU als „einzigartiger und unentbehrlicher Partner für die NATO“, soll jetzt die nächste Etappe genommen werden.

Das von 17 Ländern (16 NATO-Mitgliedsländer und NATO-Beitrittskandidat Schweden) betriebene und euphemistisch als „Abwehrsystem“ firmierende „Sky Shield“-Projekt, stellt entgegen seiner verstellenden öffentlichen Darstellung einen fundamentalen Baustein eines militärisch-konfrontativen nuklearen Paradigmenwechsel dar. Denn das geplanten Luftabwehrsystem oder „Raketensystem“ der europäischen NATO-Länder (allerdings unter Zerwürfnissen und Nichtbeteiligung großer NATO- und EU-Länder wie Frankreich, Italien und Polen, aber auch etwa Spanien), soll unter militärischem Befehl des NATO-Oberkommandeur, dem sogenannten Saceur, auch einen „heißen“ Krieg mit Russland führbar machen – mit gezielten „Enthauptungsschlägen“ und dicht gestaffelter Ausschaltung von dessen „Zweitschlagskapazität“. Daran vermag auch das hinters Licht führende Gerede von einem ‚bloßen‘ „europäischen Raketenabwehrbündnis“ nichts zu ändern. Der Kommandant der österreichischen Luftstreitkräfte, Brigadier Gerfried Bromberger, nannte den Schritt in der ZIB II denn auch zu Recht eine „verteidigungspolitische [besser: militärische] Zeitenwende“ Österreichs.

„Sky Shield“: Idee des führbaren Atomkriegs reloaded

Mit diesem – einst schon in die Mottenkiste der Nuklearkriegs-Zocker verräumten – Unterminierungsvorhaben der ohnehin fragilen Balance des atomaren „Gleichgewichts des Schreckens“ im Sinne des „Wer als Erster schießt, stirbt als Zweiter“, wird nicht weniger als der Idee führbarer resp. geplanter Atomkriege wieder der Weg gebahnt. Denn mit der Idee bzw. dem Unterfangen einer mutmaßlichen Möglichkeit gezielter „Enthauptungsschläge“ gegen die politischen und militärischen Führungsstrukturen des Kontrahenten oder dem Glauben, die eigene Abwehr so dicht und präzise organisiert zu haben, dass man die Atomraketen des Gegners alle oder mindestens weitgehend abfangen kann, und damit eine Gegenwehr des Kontrahenten (weitgehend)  auszuschalten, kann sich nämlich die nämliche Seite in der Lage zu einem Atomkrieg wähnen.

Entsprechend enthielten übrigens bereits die von Russland am 17. Dezember 2021 geforderten Sicherheitsgarantien, neben dem weiteren Verzicht der NATO-Osterweiterung, den beiderseitigen Verzicht auf die Stationierung von Kurz- und Mittelstreckenraketen, die das Territorium der jeweils anderen Seite erreichen können und dergleichen. Die Antwort der NATO ist bekannt: das Militärbündnis stelle für Russland keine Bedrohung dar.

Dazu äußerte selbst der einstige US-Spitzendiplomat und stramme Kalte Krieger wie wirkmächtige Geostratege George F. Kennan – ehem. US-Botschafter in der Sowjetunion, US-Russlandexperte, Stratege der Containment-Politik und von Moskau schließlich als persona non grata ausgewiesen – (der die NATO-Osterweiterung schon von früh an für den „verhängnisvollste(n) Fehler amerikanischer Politik nach dem Ende des Kalten Kriegs“ hält) bereits vor Langem: In Moskau „ist man [wie er aus eigenen Missionen und intimen inneren Kenntnissen der US-Administration wusste: nicht ohne Grund, Anm.] wenig beeindruckt von den Beteuerungen, dass Amerika keine feindlichen Absichten hegt.“

ESSI (European Sky Shield Initiative) oder Scholz‘ens deutsche Ampelkoalition gegen Deutschlands frühere NATO-Generäle

Entsprechend plädierten denn auch noch im Jänner und Februar 2022 eine Reihe höchstrangiger ehemaliger NATO-Generäle des späteren „Sky Shield“-Anstoßlandes Deutschland unter der sozialdemokratisch geführten Ampel Olaf Scholz‘ – unter ihnen so bekannte Militärs wie General a.D. Klaus Naumann, Generalinspekteur der Bundeswehr (1991-1996) und Vorsitzender des NATO-Militärausschusses (1996-1999), Brigadegeneral a.D. Helmut Ganser, Abteilungsleiter Militärpolitik bei der deutschen NATO-Vertretung in Brüssel (2004-2008), oder Harald Kujat, ehemals Generalinspekteur der Bundeswehr und Luftwaffengeneral a.D. und Vorsitzender des NATO-Militärausschusses (2002-2005) – für dringende Verhandlungen. Prioritär müsse es in diesen über eine „Revitalisierung der europäischen Sicherheitsarchitektur“ sowie einen INF II-Vertrag über ein Verbot nuklearer Mittelstreckenwaffen und um dringende Verhandlungen über einen neuen ABM-Vertrag gehen.

Mit wehendem Sternenbanner sogar nochmals zurück hinter Ronald Reagan

Auch wenn es heute wenig opportun ist, ja für die transatlantischen Bellizisten beinahe schon an Blasphemie reicht daran zu erinnern, es waren US-Präsident George W. Bush, der den ABM-Vertrag (als Begrenzung der Defensivwaffen zur Vermeidung nuklearer Erstschlagsphantasien) 2001 einseitig aufkündigte, um freie Hand für ein weltumspannendes Raketenabwehrsystem zur Eindämmung der Zweitschlagskapazität zu bekommen. Und den Aufbau derartiger Raketenanlagen diesseits und jenseits des Atlantiks seit dem NATO-„Strategiekonzept 2010″ geradezu obsessiv (nicht zuletzt in Osteuropa) voranzutreiben. Denn der 1972 abgeschlossene ABM-Vertrag, heute beinahe gänzlich aus dem Diskurs elminiert, „sollte [gerade] verhindern, dass sich eine Seite durch den Aufbau eines flächendeckenden Rakentenabwehrsystems nahezu unverwundbar gemacht hätte – mit fatalen Folgen für das Prinzip der gesicherten gegenseitigen atomaren Abschreckung“, worauf vor kurzen mit Jochen Scholz, ehemals u.a. im NATO-Hauptquartier Alliierte Luftstreitkräfte tätig, abermals gerade wieder ein Militär gegen den Bellizismus der Leitmedien den Finger legen musste. Ja, so der deutsche Oberstleutnant a.D.: „Im Klartext bedeutet dies die Neutralisierung der russischen Zweitschlagskapazität und die Schaffung einer Option für den atomaren Erstschlag“ der NATO und des „Wertewestens“. Die Aufkündigung des INF-Vertrags im August 2019 wiederum (seinerzeit noch unisono als Irrsinn gegeißelt) – ebenfalls lange vor dem Ukraine-Krieg und gegen den ausdrücklichen Willen Moskaus –, erfolgte unter Donald Trumps „Make America Great Again“.  

Von ungeliebten Pershing II und Cruise Missiles zu wie Helden gefeierten Patriot und Arrow 3

Dabei verschwanden nach langem Kampf der Friedensbewegung, die Millionenmassen gegen die boden- und landgestützten Mittelstreckenraken und Marschflugkörper (mit 500 – 5.500 km Reichweite) mobilisierte, mit dem INF-Vertrag (1987) kurz darauf vertragsgetreu endlich die Anfang der 1980er Jahre stationierten Pershing II und Cruise Missiles Raketen aus Europa. Nun kehren sie – pikanterweise unter oliv-grüner Patronanz – und ergänzend zu den Nuklearwaffen Großbritanniens und Frankreichs, sowie den US-amerikanischen B61 Atombomben der „nuklearen Teilhabe“ auf deutschem, italienischem, holländischem oder auch belgischem Boden, als Patriot und Arrow 3 wieder zurück. Wolfgang Streeck hat recht: Während die Grünen noch Anstriche von Angst vor Atomkraft zeigen, „haben sie weit weniger Angst … wenn es um Atomwaffen geht.“

„Breschnew-Versteher“ Kreisky und die KSZE als „eigentliche Gefahr für die NATO“

Die SPÖ wiederum begnügt sich mit dem Lamento einer „fehlenden Einbindung“. Ein gleichfalls vielsagender Weg, bedenkt man, dass vorgestern vor exakt 50 Jahren das erste Treffen der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) stattfand, sowie Bruno Kreiskys damaliges Engagement. Entsprechend avancierte der damalige Bundeskanzler und SPÖ-Vorsitzende zwei Jahre später auch zu einem der prominenten Unterzeichnern der historischen Schlussakte von Helsinki. Öffentlich auch von Washington seitdem noch des längeren als „Herzstück“ der „europäischen Sicherheitsarchitektur“ hoch gerühmt, hielt das Strategiepapier der US-Defense Planning Guidance 1991/92 der „einzig verbliebenen Supermacht“ indessen bereits unverhohlen fest, dass die KSZE „die eigentliche Gefahr für die NATO“ und die westliche Führungsmacht jenseits des Atlantiks darstellt, weshalb die USA „darauf achten (müssen), dass es keine auf Europa zentrierte Sicherheitsvereinbarungen gibt, welche die NATO untergraben könnten.“ Entsprechend sondierte Washington schon im Februar 1990 – zeitgleich mit US-Außenminister James Bakers hoch und heilig getätigter Versicherung im Kreml, dass das westliche Militärbündnis seinen Einflussbereich „nicht einen Inch weiter nach Osten ausdehnen“ wird – erste Schritte einer NATO-Osterweiterung. Da es Tschechiens neuer Präsident Václav Havel diesbezüglich jedoch noch stärker mit der seinerzeit die öffentliche Debatte beherrschenden Aufwertung der KSZE und des 1972 begonnen Strebens nach einem kollektiven europäischen Sicherheitssystem, sowie der damals breiter ins Spiel gebrachten Auflösung „beider ‚militärischen Blöcke‘“, hielt, redete die US-Administration Tacheles mit ihm. „Wir hielten es für wichtig“, so der außenpolitische Referent der Administration George W. Bush sen., Robert L. Hutchings, „ihm auseinanderzusetzen, weshalb die Vereinigten Staaten nicht der Meinung waren, dass die KSZE die NATO als Instrument der europäischen Sicherheit ersetzen könnte.“

Neutralitätspolitisches Placebo für radioaktiv strahlende Trümmerlandschaften

„So kam, was nicht kommen musste. Die KSZE ist tot, der Nachfolgerin OSZE droht gleiches Schicksal, vollstreckt von denselben Akteuren“, wie es Dr. Arne Seifert, Botschafter a.D., in den 90er Jahren für die OSZE tätig und Senior Research Fellow am WeltTrends-Institut für Internationale Politik in Potsdam, gerade formulierte.

Vor diesem Hintergrund müsste die bevorstehende Weichenstellung dieser multipliziert explosiven wie aggressiv-militaristischen Einreihung und Integration Österreichs in die transatlantische Kriegsallianz des Westens für die Friedensbewegung, Gewerkschaften und Linke mehr als nur ein De ja vue sein. Auch wenn das schwarz-grüne Kabinett als Placebo den „neutralitätsrechtlichen Vorbehalt“ mit auf den Weg schicken will, nicht direkt an „militärischen Konflikten“ teilnehmen zu wollen. Am Charakter von „Sky Shield“ ändert dies ebenso wenig, wie es im Falle einer radioaktiv strahlenden Trümmerlandschaft hüben wie drüben irgendwie von Relevanz wäre. Denn wie es in einem bekannten Friedenslied der 1980er hinsichtlich eines Nuklearkriegs dazu pointiert hieß: „Europa hatte zweimal Krieg [gemeint sind natürlich die großen, heißen des 20. Jh., Anm.], der dritte wird der letzte sein ….“

Image Credit: CC by Morning Calm Weekly/US Army/Flickr.

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