Löhne & Gehälter: Heißer Herbst statt heiße Luft


Pünktlich zur heute (nach den Forderungsübergaben am 19.9) vor dem Hintergrund der Energiepreisexplosion und galoppierenden Inflation meldeten sich die Tage die Schaumbremser zu Wort. Das WIFO rechnet währenddessen mit dem größten Reallohnverlust seit den Anfängen der Zweiten Republik. Und da die anteiligen Ausgaben für Nahrungsmittel, Güter des täglichen Bedarfs, Energie und Wohnen einkommensdifferent unterschiedlich sind, fallen die Reallohnverluste für NiedriglöhnerInnen und Beschäftigtenhaushalte mit niedrigem und mittlerem Einkommen noch höher aus. Immer mehr Beschäftigte können ihren Lebensalltag resp. die Aufrechterhaltung ihres Lebensstandards nicht mehr aus dem Einkommen bestreiten, sondern müssen dafür auf Rücklagen zurückgreifen, ja sich zunehmend sogar zusätzlich verschulden. Österreichs börsennotierte Unternehmen, bereits 2021 Rekordgewinne einstreichend, schütteten jüngst demgegenüber gerade Rekorddividenden aus und werden auch heuer nahtlos an die rekordhohen Gewinnausschüttungen von 2021 anknüpfen.

„Um die extrem hohe Inflation bekämpfen zu können, werden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer eine Zeitlang Reallohnverluste akzeptieren müssen“, resümierte Der Standard jüngst sein Interview mit dem Chefökonom der Europäischen Zentralbank, Philip Lane. Die „Löhne werden mit der Inflation nicht Schritt halten können“, so der EZB-Ökonom kategorisch. Schuld dafür seien zum einen die galoppierenden Energiepreise. Und in der Tat markiert die Energiepreisexplosion den Hauptpreistreiber der Profit- und geostrategisch getriebenen Inflation. In Österreich zeichnen die steigenden Energiepreise und hochgeschraubten Gewinnmargen der Energieversorger für zwei Drittel bis zu drei Viertel der seit Generationen nicht mehr gekannten Rekordinflation verantwortlich. Mit hinzu „knallt jeder noch selbst was darauf“, wie es der Marktforscher Andreas Kreutzer unlängst plastisch formulierte. Das sowie die Ursachen der angezogenen Energiepreise scheinen dem EZB-Volkswirten fremd oder nebensächlich. Er konstatiert einfach: „Wir werden heuer etwa fünf Prozent des BIP im Euroraum für den Nettoimport von Energie ausgeben. Früher war das ungefähr ein Prozent.“ Und verfügt: „Das werden wir kollektiv ertragen müssen. Der Lebensstandard wird sich wegen der Energierechnungen verschlechtern. Das macht die Menschen ärmer.“ Warum „wir“ das „kollektiv ertragen müss(t)en“ scheint ihm dabei weder näher begründenswert, noch überhaupt eines weiteren Wortes wert, sondern eine schlichte Selbstverständlichkeit. Wenngleich sich das eigentlich mitnichten von selbst versteht. Dass die Gewinnausschüttungen 2021 europaweit um rund 202 Milliarden Euro auf schwindelerregende 1,3 Billionen Euro kletterten, spielt im Denk-Credo des EZB-Chef-Ökonomen lohnpolitisch keine Rolle. Vielmehr bemüht er zum anderen die längst widerlegte, aber im Katechismus der bürgerlichen Ökonomie dessen ungeachtet nach wie vor als fester Bestandteil vermeintlicher ökonomischer Weltweisheiten verankerte sogenannte Lohn-Preis-Spirale. Folge dessen brauche es denn auch ein „Gleichgewicht“, sprich: wenn auch freilich etwas größere Lohnerhöhungen als im Vorjahr, so doch „moderate Lohnabschlüsse“, wie schon Wirtschaftsminister Martin Kocher einmahnte.

Parallel wird das Umfeld der Herbst-KV-Auseinandersetzungen noch durch das Polit-Brimborium der teil-automatischen Abschaffung der Kalten Progression durch die Regierung flankiert. Einmal davon abgesehen, dass diese in die bevorstehenden Lohnauseinandersetzung miteinzupreisen ein durchschaubarer Coup wäre, wird der geschätzte realen Bruttolohnverlust von fast vier Prozent auch durch die einkommensteuerlichen Maßnahmen der Regierung netto mitnichten wettgemacht. Diese spielen sich für die Masse der Beschäftigten zudem im Bereich von Peanuts ab. Das Momentum-Institut hat deren Effekte (in ihrer konkreten Ausgestaltung) denn zwischenzeitlich auch genauer durchgerechnet. Um die als „Meilenstein“ gefeierte Abschaffung der Kalten Progression denn auch einmal in realen Einkommens-Euros nachvollziehbar zu machen: 80% der Entlastung fließen in die oberen Einkommensgruppen der ohnehin Begüterten, denen 492 Euro pro Kopf mehr per annum bleibt. Im Bereich der mittleren Einkommen sind mit 312 Euro pro Kopf bereits deutliche Abstriche zu verzeichnen. Und im untersten Fünftel der Einkommenshaushalte bringt die hoch gepriesene Abschaffung der Kalten Progression pro Kopf schon nur mehr 84 Euro im Jahr oder maue 7 Euro im Monat.

Um den Druck zu erhöhen haben die Gewerkschaften unter der Losung „Preise runter!“ und einem ergänzenden „Löhne rauf!“ zum Auftakt der Herbst-Lohnrunden erstmals seit dem Protest gegen den 12-Stunden-Tag 2018 wieder zu österreichweiten Demonstrationen aufgerufen. Und die Arbeitenden erwarten und benötigen auch Reallohnzuwächse und die Sicherung ihrer Kaufkraft, zumal die Teuerungswelle im Herbst und Winter noch weiter anziehen wird. Diese zu erringen ist heute mehr denn je eine Frage der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse, der Konfliktbereitschaft sowie der gewerkschaftlichen Auseinandersetzung und ihrer Kampfformen (in zugleich branchenübergreifender solidarischer Perspektive). Und gerade den MetallerInnen in ihrer Rolle als Lokomotive des österreichischen „Leit“-KV kommt abermals eine Schlüsselrolle zu, weit über die Branche selbst hinaus, nicht zuletzt auch für die ohnehin hinterherhinkenden Niedriglohnbereiche. Parallel ist mit den streikstarken EisenbahnerInnen zugleich auch das zweite gewerkschaftliche Zugpferd im Feld und mit der Sozialbranche der wohl dynamischste Sektor der letzten Jahre. Damit fällt diesen und insbesondere den Metallern aktuell eine gleichzeitig nochmals gesteigerte Verantwortung für die Arbeits- und Lebensinteressen aller Beschäftigten im Land zu. Und das heißt ebenso: Auf vor die Werkstore! In Kürze stößt mit dem Handel zugleich noch die beschäftigungsstärkste Branche hinzu. Dazu stehen zeitgleich auch eine Reihe weiterer Sektoren in KV-Auseinandersetzungen. Darunter demnächst auch die Beamten, die objektiv eigentlich kampfstark wären. Das oft kolportierte, angebliche Streikverbot im öffentlichen Dienst war schon immer eine Mär und allerspätestens mit dem ersten Bereinigungsgesetz des Streikpatents von 1914 (BGBL I 191 / 1999) auch formell explizit aufgehoben. Dazu greift hier auch die viel beschworene internationale Konkurrenzfähigkeit nicht. Und mögen die Löhne in Osteuropa, Asien oder Afrika auch deutlich niedriger sein, eine Auslagerung von Staatstätigkeiten oder Behördenwege über die nächste Gemeinde oder den nächsten Bezirk hinaus droht ebenso nicht. Damit lässt sich eine Kampfgemeinschaft der potentesten Branchengewerkschaften und beschäftigungsstärksten Sektoren erreichen, die deren und aller Schlagkraft nochmals ungemein zu steigern befähig wäre. Dazu ist es allerdings notwendig die Auseinandersetzung nicht bloß in und für ausgewählte Schlüsselbranchen zu führen, sondern den Lohnkonflikt branchenübergreifend geeint zu führen – mit dem Ziel eines für alle geltenden Gesamtergebnisses!

In ausnehmenden Hochinflationszeiten wie diesen ist es zur Abgeltung der Teuerung und Sicherung der Lohneinkommen vor ihrer drohenden, sofortigen neuerlichen Entwertung aufgrund der Preislawinen natürlich Erwägungen wert, ob man die Löhne vorübergehend nicht in verdichteteren Laufzeiten, etwa halbjährlich verhandelt, noch viel stärker auf kräftige Fixbeiträge denn Prozentpunkte orientiert, oder prozentuale Abschlüsse mit der Teuerungswelle kommunizierend konzipiert (also bei beispielsweise 4%iger Lohnerhöhung mit Monats- oder Quartalsevaluierungen verflechtet, sprich: bei 9% Inflation 13% Lohn- und Gehaltserhöhung, bei 12%iger Teuerung 16% …). Wie dem auch immer. Die Inflation riss im September erstmals die 10%-Marke und lag mit 10,5% auf einem Allzeithoch seit Sommer 1952, also seit 70 Jahren. Was es braucht ist denn auch allemal ein tatsächlich „heißer Herbst“ statt heißer Luft und gewohnter fauler Kompromisse.

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