Deutsch-französische EU-Initiative
Von Steffen Stierle
Junge Welt, 20.5.2020
Die am Montag präsentierten Vorschläge von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron sorgen für Aufregung. 500 Milliarden Euro sollen zum Wiederaufbau in besonders hart von der Coronapandemie betroffene Regionen und Branchen fließen. Und zwar durch eine Verschuldung des EU-Haushalts, für die wiederum die Mitgliedstaaten geradestehen müssen. Von Eurobonds bis Transferunion – man könnte viele Begriffe anführen, die hierzulande in bürgerlichen Kreisen das Zeug zum Unwort des Jahrzehnts haben.
Macrons Zustimmung überrascht nicht: Die politische Elite Frankreichs will das wirtschaftsstarke Deutschland schon lange in die Pflicht nehmen, der EU mehr Kraft zu verleihen, um sie als Vehikel zur Durchsetzung französischer Interessen in der Welt tauglicher zu machen. Wenn aber die deutsche Regierung solche Vorschläge mit einbringt, muss die Lage ernst sein. Dann ist der Euro nach Einschätzung der herrschenden Klassen wirklich in Gefahr. Noch schlimmer als eine Schuldenunion mit Griechen, Italienern und anderen »Faulenzern« ist für sie die Aussicht auf einen Kollaps der Währungsunion.
Schließlich ist die Euro-Zone für die Interessen des deutschen Kapitals maßgeschneidert: Die binnenmarktorientierten Südländer stehen unter permanentem Anpassungs-, also Kürzungs- und Privatisierungsdruck. Der Osten ist in einer Wettbewerbssituation gefangen, die ihn dauerhaft in untergeordneter Rolle in die Wertschöpfungsketten des deutschen Kapitals einbindet. Und die hiesigen Exporteure bekommen auf dem Weltmarkt entscheidende Vorteile durch eine strukturelle Unterbewertung. Die BRD steht im Zentrum des EU-Imperiums und profitiert wie kein anderer Staat von dessen Existenz. Um dieses System zu erhalten, muss im Zweifelsfall Geld in die Hand genommen werden. Den Applaus von links und eine leichte Entspannung bei den Beliebtheitswerten in der Peripherie des Imperiums nimmt man auch gerne mit.
Die kleineren Staaten im Norden der EU verfolgen allerdings international weit weniger ambitionierte Ziele. Die Niederlande, Österreich und Co. haben keine wirtschafts- und geopolitischen Weltmachtpläne, sondern ein simples Interesse, vom gemeinsamen Markt zu profitieren. Die EU soll möglichst wenig kosten und möglichst viel einbringen. Finanztransfers in den Süden kommen für die Regierungen dieser Staaten nicht in Frage. »Hilfe« für Spanien und Italien soll es bestenfalls in Form von Krediten geben. Der Widerstand gegen die deutsch-französische Initiative formiert sich bereits.