Erdoğans langer Arm in die NATO: justizieller Schlag gegen Grup Yorum in Deutschland

Die bekannte und beliebte türkischen Protestband „Grup Yorum“ ist seit langem auch in Westeuropa immer wieder Zielscheibe justizieller Verfolgungen und Angriffe im Auftrag des transatlantischen NATO-Partners Türkei. Diese, auch in unseren Breiten sehr populäre Stimme der linken Opposition in der Türkei,wird dabei – gleich dem seitens der Machthaber und Sicherheitsbehörden in der Türkei über sie verhängten Verdikt – taxfrei als Frontorganisation der DHKP-C eingestuft bzw. dieser zugerechnet. Unmittelbar nach erfolgreicher Premiere ihres Filmprojekts „Das Viertel / MAHALLE“ verhafteten die deutschen Behörden den Musiker der Band, Ihsan Cibelik, die Journalistin Özgül Emre sowie Serkan Küpeli. Der Despot in Ankara macht derweilen unter der Hand klar, dass er auch von Finnland und Schweden analoge Gegenleistungen für ihren NATO-Beitritt verlangt.

Die seit ihrer Gründung 1985 vom türkischen Staat verfolgte Protestband schafft es mit ihrer Musik und ihren politischen Songtexten zeit ihres Bestehens, breiteste Massen zu erreichen und ganze Stadien zu füllen. Daher ist sie dem türkischen Staat seit jeher ein Dorn im Auge. Immer wieder haben türkische Behörden deshalb Mitglieder der Gruppe verhaftet, eingesperrt und gefoltert. Auftritte und Alben wurden verboten und beständig versucht, die Band zu kriminalisieren. In gleicher Manier und Logik legten und legen europäische Behörden selbst noch die schlichte Organisierung bzw. Bewerbung von Konzerten der Musikgruppe Grup Yorum oder auch nur den Ticketverkauf als „Terrorismus-Unterstützung“ in der Türkei aus.

Neben Ihsan Cibelik, der in der Nacht zum Mittwoch vor seiner Wohnung in Bochum festgenommen wurde und bereits zur Vorführung vor einem Haftrichter des Bundesgerichtshof in Karlsruhe verbracht wurde, nahmen die deutschen Behörden auch die Journalistin Özgül Emre in Mannheim und Serkan Küpeli in Hamburg, begleitet von Hausdurchsuchungen, fest.

Dass dieser durchsichtige justizielle Schlag unmittelbar zum Start des sozialkritischen Filmprojekts „Das Viertel“, das vom Widerstand und der Mobilisierung eines Viertels in Istanbul gegen die Immobilienwirtschaft, internationale Finanzinvestoren und deren Geschäftspartnern handelt (welcher am Freitag auch in Wien gezeigt wird) ist mitnichten ein Zufall.

Ebenso wenig wie das darin mitschwingende willfährige Signal an Ankara im Zusammenhang mit Erdoğans Poker um den NATO-Beitritt Finnlands und Schwedens zufällig ist. Zur Aufnahme der beiden Nordländer, so der Präsident der faschistischen AKP/MHP-Regierungskoalition, habe er „keine positive Meinung“, weshalb die Türkei beim aktuellen NATO-Gipfel in Brüssel die Beitrittsgespräche auch noch torpedierte. Die neuen Beitrittskandidaten sind für Ankara nämlich „Gästehäuser für Terrororganisationen“. Sprich, so der schmutzig dahinterliegende Deal, wenn die NATO schon auf ihre Norderweiterung pocht, dann müssen Schweden und Finnland, sowie das transatlantische Bündnis als Ganzes, als Gegenleistung auch die Daumenschrauben gegen die türkische Linke sowie die kurdische Freiheitsbewegung anziehen und deren verbliebene Freiräume dichtmachen. Die jetzigen Verhaftungen, Razzien und absehbare Zunahme von Abschiebungen in die Folterkerker am Bosporus waren insofern vorhersehbar. Und auch dass wieder einmal Deutschland vorangeht und die erste Geige spielt überrascht nicht wirklich.

Lediglich die offene Unverfrorenheit der kaum mehr überbietbaren Heuchelei des westlichen Kriegsbündnis, das über seine Handlangerdienste hinaus auch den neuerlichen Kriegszug seines NATO-Partners gegen den Nordirak und Nordostsyrien, mit denen sich die Türkei auch Schritt für Schritt dauerhaft im Irakisch-Kurdistan festsetzt und neben Syrischem zusehends auch irakisches Territorium okkupiert, wortlos abnickte, vermag immer wieder zu verdutzen.

Bild: Premiere des Films im Pariser Le Grand Rex mit über 2.000 Gästen

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