COP 28: Blitzstart im medialen Blitzlichtgewitter ersetzt mitnichten Klimagerechtigkeit

Die COP 28 hat mit einer Überraschung begonnen. Bereits zu Beginn der UN-Weltklimakonferenz gelang es den auf der COP 27 gegen den langjährigen Widerstand der entwickelten kapitalistischen Staaten auf den Weg gebrachten Klimaschäden-Kompensationsfonds zu bestätigen. Um sich hinsichtlich des inszenierten medialen Hypes über den Blitzstart in Dubai mittels des – ja in der Tat längst überfälligen – „Loss and Damage“(„Verlust und Schaden“)-Fonds nicht in die Irre führen zu lassen, gilt es allerdings sich das Gesamtfeld der historischen Verantwortung, der Klimaschulden, der Finanzierungsdimensionen und des Kompensationsfonds, samt dessen Dubaier Architektur, nochmals eingehender anzuschauen. Denn, so auch der renommierte Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber als gewohnt rühmliche Ausnahme in der gestrigen ZIB2: Bejubelt wird ein 200-Millionen-Dollar-Entschädigungsfonds, „dabei liegen die wahren Kosten 1.000-fach höher“.

Das „halbhistorische“ Klimagerechtigkeits-Konzept der UN-Umweltkonferenzen

Gehen wir das Feld der Klimaschulden und -Kompensationen also nochmals systematisch Schritt für Schritt an und wählen als Schuhlöffel des Einstiegs zunächst einmal das übliche „halbhistorische“ Klimagerechtigkeits-Konzept. Die entwickelten kapitalistischen Länder sind bekanntlich nicht nur die historischen Hauptverursacher der Klimakrise, sondern haben die „atmosphärische Allmende“ (Gemeingut) auch seit dem ersten ausführlichen IPCC-Report 1990, seit welchem die katastrophale Klimakrise als weltweit unbestreitbar bekannt gilt (weshalb das Jahr 1990 für die verbleibenden CO2-Budgets auch als Bezugsjahr vereinbart wurde), unbeeindruckt als „ihre“ CO2-Müllkippe zum Schaden der anderen verwendet.

„CO2-Restbudgets“ und die Klimaschulden der Kernländer des Metropolenkapitalismus

Rechnet man das globale CO2-Restbudget, entsprechend dem Prinzip einer globalen Klimagerechtigkeit sowie des menschenrechtlichen Prinzips auf Gleichbehandlung jedes Erdenbürgers, entlang dieses „halbhistorischen“ Ansatzes länderbezogener CO2-Bilanzen ab 1990, haben etwa die USA ihr gesamtes CO2-Rest-Budget bereits 1999 komplett aufgebraucht (und überziehen, wie die andere Kernländer des Metropolenkapitalismus, dieses schon seit Jahren bzw. teils seit Jahrzehnten), während Indiens CO2-Rest-Budget (Stand heute) erst in den 2080er-Jahren aufgebraucht sein wird.

Nochmals historisch wirklichkeitsnäher und drastischer

Ja, setzt man – realgeschichtlich näher – mit den nationalen Emissionsbudgets, wie jüngst etwa Andrew Fanning und Jason Hickel in ihrer neuen Studie, geschichtlich früher ein, verschiebt sich die anteilige atmosphärische CO2-Vermüllung durch die einzelnen Länder nochmals drastisch weiter zuungunsten des entwickelten Globalen Nordens. Die beiden Wissenschaftler zeigen anhand der Emissionen sowie eingerechneter Bevölkerungsentwicklungen mit Basisjahr 1960, dass die Länder des Globalen Nordens ihren aliquoten Anteil entlang des Pariser 1,5-Grad-Ziels im Durchschnitt schon 1986 aufgebraucht haben und die seitherigen knapp vier Jahrzehnte bereits die CO2-Budgests des Rests der Welt nutzen. In diesem historisch wirklichkeitsnäheren Bild aber, hat Indien gerade einmal 15% seines ihm zustehenden CO2-Budgets aufgebraucht, selbst China steht mit Bezugsjahr 1960 erst bei 58% des dem Land zustehenden Emissions-Budgets. Ginge man geschichtlich noch weiter zurück, verschöben sich die Verhältnisse (sowie Klimaschulden!) nur noch einen abermaligen Riesenschritt weiter zu Ungunsten der entwickelten Industrieländer. Da der anthropogene Klimawandel indes erst seit 1990 als weltweit unbestreitbar bekannt gilt, hat man sich als allseits akzeptierte Nomenklatur denn auch auf (erst) dieses als Bezugsjahr geeinigt. Gleichviel vermag ein tieferer Blick in die Geschichte zumindest den überbordenden propagandistischen Zeigefinger auf die großen Entwicklungsländer schlagartig zu relativieren und deren realen Anteil am Klimawandel richtig einzuordnen.

Des Westens reale Billionen-Schulden

Da mögen politischen Figuren der G7 oder Brüssels und Konsorten noch so lachhaft-hochmütige Töne anschlagen, sie verfehlen nicht nur mit Karacho ihre selbstgesteckten klimapolitischen Ziele, sondern stehen mit ihren (z.T. langjährigen) Überziehungen ihrer eigenen CO2-Budgets, selbst im Rahmen eines „halbhistorischen“ Klimagerechtigkeits-Konzepts, vielmehr in einer immensen, unabgegoltenen internationalen CO2-Ausgleichsschuld. Und zwar, je nach konkretem Bezifferungsmodell pro Tonne CO2-Überziehung variierend, hätten alleine die USA etwa nach Josef Stiglitz und anderen bereits zur COP27 eine akkumulierte Klimaschuld zwischen 7 bis 11,2 Billionen Dollar und eine jährlich zu leistende Ausgleichsrate von rund 270 bis 450 Milliarden Dollar. Deutschlands akkumulierte Klimaschuld, dessen länderbezogenes CO2-Budget immerhin ebenfalls seit 2005 vollständig aufgebraucht ist, beliefe sich in entsprechend veranschlagten Werten auf rund 790 Milliarden bis 1,3 Billionen Dollar. Zöge man das für 1 Tonne CO2-Überziehung nochmals viel höher angesetzte Modell des deutschen Umweltbundesamts (!) heran, wiese Berlin eine akkumulierte Klimaschuld von knapp 2,3 Billionen Dollar und eine jährlich zu leistende Ausgleichsrate von rund 125 Milliarden Dollar auf.

Oder in historisch leicht erweiterter Periode des IWF: 140 Billionen Dollar Schulden

Ja, der Internationale Währungsfonds (IWF) etwa, wahrlich keine Institution der peripheren Länder und des Globalen Südens, veranschlagt diese Klimaschulden des Westens für die Periode von 1960 (also gleichfalls drei Jahrzehnte über den üblichen halbhistorischen Ansatz zurück- und ein Jahrzehnt vorausrechnend) bis 2035 mit 140 Billionen Dollar – sprich: 140.000 Milliarden Greenbacks. Mit Sonntagsreden, punktuellen Katastrophenhilfen und freiwilligen Selbstverpflichtungen sowie dem jetzigen „Loss and Damage“(„Verlust und Schaden“)-Fonds kann es denn auch beiweilen nicht sein Bewenden haben. Zumal selbst gegenwärtig die ärmsten 50% der Weltbevölkerung lediglich 12% der weltweiten Emissionen verursachen.

Das Wahre ist das Ganze (Hegel)

Bezieht man also die höchst ungleiche Verantwortung für den Klimawandel sowie zudem die regional unterschiedlichen sozial-ökologischen Betroffenheiten und Konsequenzen an Verlusten, Verheerungen und Schäden mit hinzu – die nötigen Mittel des Umbaus auch der peripheren Länder noch gar nicht mitveranschlagt –, wird die zu verantwortende ökologische Schuld des westlichen Metropolenkapitalismus zumindest in ersten Ansätzen in ihrer ganzen Dimension deutlich. Ein entfaltetes politisches Konzept der Klimaschulden beinhaltet neben den Verpflichtungen zur rigorosen Emissionsreduktion der hochindustrialisierten Länder und eines Ausgleichs der Anpassungsmaßnahmen in den armen Ländern, denn auch eine Deckung der von den Klimakillern verursachten und hervorgerufenen „Verluste und Schäden“ und transparent nachvollziehbare „Reparationszahlungen“. Und diesbezüglich geht es um ganz andere Dimensionen als die gemeinhin diskutierten Brosamen des „kollektiven Westens“ oder „Nordens“.

Der „Loss and Damage“-Fonds der COP28: Freiwillige ‚Brosamen für die Welt‘ unter dem Dach der Weltbank

Vor diesem Hintergrund werden auch der groteske Peanuts-Charakter der von den USA oder Japan auf der Weltklimakonferenz verkündeten Bereitstellung von 25 Millionen bzw. 10 Millionen – nicht Milliarden – Dollar für den neuen „Loss and Damage“-Fonds augenscheinlich. Diese ‚Brosamen für die Welt‘ – und das gilt auch für Deutschlands oder Großbritanniens Zusagen – für den beiher seit 1991 (sprich seit über 30 Jahren) von einer Allianz kleiner Inselstaaten vehement eingeforderten Fonds auch nur den sprichwörtlichen Tropfen auf den heißen Stein zu nennen, wäre entgegen der euphorischen medialenBerichterstattung wohl schon eine maßlose Übertreibung. Mit diesen Peanuts-Zusagen mögen zwar die Aufbau- und Verwaltungskosten des Fonds gedeckt sein, und damit die ewige Blockade der entwickelten kapitalistischen Länder formal gebrochen sein, aber ohne halbwegs gerechten Mechanismus und ausreichende Finanzmittel (und die stehen in den Sternen) bleibt er ein Papiertiger. Zumal die Verluste und Schäden des Globalen Südens Hunderte Milliarden Dollar im Jahr betragen (werden) und der Finanzarchitektur des Fonds ebenso jede Verbindlichkeit fehlt wie er vorerst von der Weltbank (und damit unter Federführung der USA und imperialistischen Kernländer) verwaltet wird, anstatt unter dem Dach der UNO zu stehen.

Der weitere Finanzierungsbedarf eines globalen klimapolitischen Umbaus und einer weltweiten Dekarbonisierung

Um allerdings ebenso den erforderlichen klimapolitischen Umbau der Industrie und Landwirtschaft in den peripheren Ländern zu bewerkstelligen, geht es zu alledem nochmals um ganz andere Dimensionen als bspw. im bereits länger ins Leben gerufenen, notorisch säumigen 100-Milliarden-Dollar Klimaschutzfonds von Cancún (der COP16 2010) veranschlagt, der in Form eines Fahrplans erstmalig bereits auf der COP13 in Bali 2007 beschlossen wurde. Aber selbst diese angesichts der global notwendigen Finanzdimension geradezu lächerlichen 100 Milliarden Dollar des „Green Climate Fund“ zur Klimaanpassung, die die Industrieländer und reichen Verursacherstaaten seinerzeit ab dem künftigen Jahrzehnt dem Globalen Süden versprachen bzw. zusagten und seit 2020 jährlich einzahlen sollten, kamen bisher noch nie zustande. Dazu kommt, dass dessen spärliche Dotierung sich bislang zudem nicht zuletzt aus einer Reihe trickreicher Umwidmungen alter Entwicklungshilfegelder, privater Investitionen und entsprechend etikettierter Kredite speist. Zur erforderlichen Transformation der Industrie, Landwirtschaft, Infrastruktur und Energiewende wiederum sind etwa laut Studien der UNCTAD (UN-Welthandels- und Entwicklungskonferenz) alleine bis 2030 entsprechende jährliche Investitionen in einer Größenordnung von 2 bis 2,7 Billionen Dollar nötig – die freilich nur in internationaler Kooperation, Technologietransfers, Mittelaufbringung und Schuldenerlässen etc. gestemmt werden können.

Schuldenkrise und nötige „Haircuts“ im Klimawandel

Was letzteres, die Schuldenlast des Globalen Südens und dessen daraus resultierenden verengte Handlungsspielräumebetrifft: Die Verschuldung der sogenannten 148 Low- und Middle Income Countries (also der, gemessen am Pro-Kopf-Einkommen, Länder niedrigen und mittleren Einkommens) hat einen neuen Höhepunkt erreicht. 135 der 148 LIC und MIC-Länder wiesen laut Schuldenreport schon zur COP27 „mindestens einen Schuldenindikator [Anm.: öffentliche Schulden, Auslandsschulden, Schulden in Relation zum BIP, Einnahmenstruktur] im kritischen Bereich“ auf. D.h.: stehen vor oder inmitten drastischer staatlicher Einschnitte, sozialer Katastrophen oder überhaupt vor einer Staatspleite. Angesichts dieser Zuspitzung warnen mittlerweile sogar der Internationale Währungsfonds und die Weltbank vor einem multiplen Kollaps und plädiert denn auch die UNCTAD nachdrücklich dafür, die peripheren Länder aus der Schuldenfalle zu befreien und die weltwirtschaftlichen Spielregeln überhaupt umzuschreiben, um dem Globalen Süden sozial-ökologische Spielräume zu eröffnen. Denn diese regelrechte Schuldknechtschaft, deren Schuldendienst heute vielfach rund 10% des BIP der LIC und MIC-Staaten ausmacht, lastet wie ein neuer oder moderner Zehent auf den Ländern des Globalen Südens. Und diese Tributzahlungen und der damit einhergehende Werttransfer an die Weltfinanzzentren fällt aufgrund der ohnehin schon vertrackten Lage und Armut sowie des erforderlichen klimapolitischen Umbaus und der nötigen radikalen Anpassungsmaßnahmen an nicht mehr vermeidbaren Folgen des Klimawandels nochmals besonders ins Gewicht. Dazu rattern begleitend die Zinsen für Staatsanleihen hinauf und gesellen sich für jene, die das Geld am dringendsten brauchen, fette Risikoaufschläge für Staatsanleihen hinzu.

Indes brächte allein die Streichung der unrechtmäßigen Schulden dem Globalen Süden jährlich rund 300 Milliarden Dollar ein, wie der jüngst erschiene öffentliche Brief von über 150 internationalen ÖkonomInnen und PolitexpertInnen für eine einschneidende Kehrtwende vorrechnet. Dem allen zum Trotz „wird ein Großteil der ohnehin zu knappen Klimahilfen“, wie Tomasz Konicz schon vor längerem kritisch hervorstrich, „in Form von Krediten geleistet, mit denen die Schuldenlast in der Peripherie weiter ansteigt, während Investmentgesellschaften wie BlackRock – mit Investments von mehr als 10 Billionen Dollar der weltweit größte Vermögensverwalter – sich weiterhin weigern, einem substanziellen Schuldenerlass zuzustimmen.“ Denn, wie es ein BlackRock Manager unverhohlen auf den Punkt brachte: „Wenn man in der Finanzbranche von Klimarisiken spricht, meint man nicht das Risiko für den Planeten, sondern das Risiko für das eigene Portfolio.“

Öko-soziale Finanzierung unter linker Perspektive

Eine solche Kehrtwende reiht sich wiederum nahtlos in die Forderung unter linker Perspektive ein, die Finanzierung des ökologischen Umbaus und der Dekarbonisierung sowie die Ausstattung der Fonds (bzw. eines im Grunde nötigen noch wesentlich größeren globalen Klimafonds unter demokratisch ausgestalteter Kontrolle bzw. unter UN-Dach) aus progressiven Millionärs- und Milliardärs-Steuern auf extremen Reichtum, Vermögen, Konzern- und Finanzprofite sowie Managementeinkommen zu speisen. Und beispielsweise gängige Berechnungen progressiver Steuern auf extremen Reichtum, beginnend mit zwei Prozent, würden mit jährlich globalen 2,5 bis 3,6 Billionen Dollar allein ihrerseits schon die veranschlagten Größenordnungen der UNCTAD decken und überflügeln.

Aufrüstungstsunami vs. Klimagerechtigkeis-Finanzierung

Die UNCTAD beziffert die nötigen Beträge umgelegt auf die Weltwirtschaftsleistung übrigens mit jährlich etwa 1 bis 2 Prozent des weltweiten BIP, was im BIP-starken „Kollektiven Westen“ schon allein äquivalent zu seinen Rüstungsausgaben „finanziert“ wäre. Sosind die Rüstungsausgaben dem letzten SIPRI-Bericht auf einen neuen historischen Höchststand von unfassbaren 2,24 Billionen Dollar, sprich: 2.240 Milliarden Dollar gestiegen. Für mehr als die Hälfte davon, 55% oder 1.238 Milliarden Dollar, zeichnet allein die NATO verantwortlich. Dazu gesellen sich noch 16% der Welt-Rüstungsausgaben der NATO-Kooperationsländer (Japan, Südkorea, bis zu dessen Beitritt fällt auch Schwedens Etat noch unter diese Kategorie, Australien, Israel etc.). Auf Russland entfallen (Stand Frühjahr 2023) 4%, auf China 13%. Bezieht man seitherige Brandherde, verkündete Auf- und Nachrüstungspläne und den Umstand, dass wir uns heute realiter „an der Schwelle des Übergangs vom neuen globalen Wettrüsten zum Rüstungstsunami“ (Ingar Solty) befinden noch mit ein, wird die monetäre Fehlleitung nur umso schreiender. Oder, um es abschließend nochmals plastisch an einer Gegenüberstellung des US-Militäretats und dem US-Beitrag in den „Loss and Damage“-Fonds maximal durchsichtig zu machen: 877 Milliarden Dollar contra 25 Millionen Greenbacks. ‚Die Menschheit‘ rüstet sich dergestalt auch unter klima- und umweltpolitischen Blickwinkel schlicht zu Tode. Bei radikaler Abrüstung indes ließe sich ohne viel Federlesen sogar leicht das Doppelte der von der UNCTA bezifferten Beträge aufbringen.

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