CO2-Steuern & das ökologische Desaster des Zertifikate-System der österreichischen und EU-Klimapolitik

Die CO2-Bepreisung ist dieser Tage wieder ein Thema ersten Ranges. Allerdings nur in Form einer allgemeinen CO2-Steuer, die die eigentlichen, wirtschaftlichen Klimakiller überhaupt nicht trifft.

Denn die eigentlichen, wirtschaftlichen Verursacher der Klimakrise fallen im System der EU-Klimapolitik in eine eigene, gesonderte Rubrik. Für die Groß- und Größtverbraucher bzw. CO2-Emittenten, wie die Energiewirtschaft (Strom, Öl), energieintensiven Branchen der Großindustrie (insbesondere Stahl, Metallerzeugung, Chemie, Papier) und die Luftfahrt gilt das 2005 eingeführt Zertifikatesystem (ETS = Emission Trading System) – das EU-weit rund 11.000 Großemittenten umfasst. In Österreich etwa die Voestalpine, die OMV, die Energieerzeuger oder Austrian Airlines – wobei die Betreiber von Industrieanlagen fast 100% Gratis-Zuteilungen erhalten.

Ursprünglich kam dem Konzept des Zertifikatehandels im Rahmen des Kyoto-Protokolls von 1997 bloß eine ergänzende Rolle in spezifischen Kontexten zu. In der EU wurde diese eigentlich ergänzende Rolle des Zerifikatehandels mit den Richtlinien von 2003 bzw. 2005 dann allerdings zum zentralen Instrument ihrer Klimapolitik erhoben, welches in Österreich und Deutschland rund die Hälfte des CO2-Ausstoßes umgreift und EU-weit rund 45% der Gesamtemission erfasst.

Der Markt, so das konzeptionelle Credodes Zertifikatensystems, würde die Emissionen schon regeln. Wird nur die Anzahl der jährlich ausgegebenen Zertifikate kontinuierlich verkleinert, wird sich auch die Gesamtemission im Ausmaß der klimapolitischen Zielstellungen stetig verringern.

Der überwiegende Teil der CO2-Zertifikate wird dabei öffentlich bzw. staatlich kostenlos abgegeben und verteilt. Über die ungleichen Entwicklungen bildet sich dennoch ein Markt und Marktpreis heraus. Denn, so der hinter dem ETS der EU stehende Grundgedanke, es wird nach Ausgabe einerseits Emittenten geben, die etwa wegen Produktionsausdehnungen zusätzliche Zertifikate benötigen, während andere Zertifikateinhaber, die z.B. auf emissionsärmere Verfahren und Produkte wechseln, dadurch überschüssige Zertifikate abgeben können. Sprich: Hat ein Unternehmen oder Konzern zu wenige bzw. zu viele Zertifikate (etwa wegen Konjunkturflaute, technischen Neuerungen etc.), kann dieses oder dieser die fehlenden bzw. überschüssigen Zertifikate auf einem Sekundärmarkt nachkaufen bzw. verkaufen. Mit der immer knapperen Zertifikate-Zuteilung werden diese auf dem Sekundärmarkt zu immer höheren Preisen gehandelt. Damit sollte sich über marktwirtschaftliche Prozesse Zug um Zug eine den klimapolitischen Zielen entsprechende Absenkung des CO2-Ausstoßes der großen Klimakiller einstellen.

Gedacht war bei Installierung des Systems, dass sich der Preis pro Tonne CO2 Emissionsrecht bei etwa 30 Euro/Tonne CO2 einstellt und von da ab kontinuierlich ansteigen sollte. Das war ein Preis (samt miteinkalkuliertem stetigen weiteren Preisanstieg), von dem man sich einen dauerhaften Anreiz für emissionssparende Investitionen versprach. Diese für 2008 (!) veranschlagten (und in den Folgejahren einer beständigen Erhöhung unterliegende) Emissions-Berechtigungen von 30 Euro pro Tonne CO2 wurden jedoch – von der Industrie als unzumutbares Allzeithoch beklagt –, erstmals im Sommer des Vorjahres 2020 erreicht.

Mit der tiefen Wirtschaftskrise 2008ff sowie der mit ihr einhergehenden Deindustrialisierung in den überwiegenden EU-Ländern sackte der Preis vielmehr steil ab und schmolz auf zunächst mickrige rund 5 Euro pro Tonne CO2 zusammen. Zu diesem konjunkturellen Grund gesellten (und gesellen) sich aber noch zwei weitere zentrale Gründe des völlig ungenügenden Funktionierens des ETS hinzu. Zum einen wurden auf Druck der Industrievertreter und Lobbyisten von Anfang an viel zu viele und weit mehr als benötigte Zertifikate ausgegeben. Zum anderen wurde mit dem CDM (Clean-Development-Mechanism) zudem ein internationales Zertifikate-Erzeugungssystem eingeführt – dessen Einzelfunktionsweise wir für den hiesigen Zweck zurückgestellt lassen können –, das die Situation noch drastisch verschärfte und verschärft (sowie zugleich ein weiteres, riesiges wie lukratives Feld für Finanzanlagen sowie einschlägige Branchen eröffnete)und immer weitere Überschuss-Zertifikate in den Markt spült.

All dies führt bereits 2009 zu einem bis heute anhaltenden horrenden Zertifikateüberschuss, mit dem als weiteren Rucksack das ETS nur eine äußerst miserable Emissions-Reduktionswirkung erzielen konnte und in seinem Marktregulierungsansatz vollends ins klimapolitische Desaster führt. Der viel gepriesene Markt und seine Profit-Logik hatten sichtlich anderes zu tun, als der Klimakrise zu begegnen oder diese zumindest einzuhegen.

So baute sich bis 2013 ein Zertifikateüberschuss von etwa 2 Milliarden Tonnen CO2 auf, was in etwa der damaligen Gesamtemission in der EU entsprach. Entsprechend entwickelte sich damals eine EU-weite Initiative, um von diesem Überschuss zumindest einen beträchtlicheren Teil (konkret 900 Millionen Tonnen) einzuziehen und für ungültig (bzw. nicht verlängerbar) zu erklären.

Das entsprach im Übrigen auch dem ursprünglichen Gedanken, dass nicht benötigte Zertifikate mit Ablauf des Jahres ihre Gültigkeit verlieren.Eine Konzeption, die allerdings ebenso den Lobbyisten zum Opfer gefallen ist, wie die Stilllegung selbst nur des Teilüberschusses von 900 Millionen Tonnen CO2 vor knapp einem Jahrzehnt an den Stimmen des politischen Personals der EU und ihrer Mitgliedsländer scheiterte.

Stattdessen wurde ein ebenso ineffektives wie kompliziertes Verfahren mit Teillöschungen, Einschränkungen der Neuausgaben und Übertragungen auf spätere Jahre entwickelt bzw. Überschüsse in der Marktstabilitätsreserve (MSR) „geparkt“. Das Konzept einer einfachen Löschung bzw. Stilllegung überschüssiger Zertifikate hingegen wurde von den Großemittenten erfolgreich torpediert.

Seither ist es auch zu keinem weiteren, vergleichbaren Stilllegungs-Vorstoß mehr gekommen, obwohl der aktuelle Zertifikateüberschuss erneut bei 1,63 Milliarden Tonnen CO2 liegt.Das ist heute sogar etwas mehr als ein Jahresbedarf der ETS-Anlagen in der EU für deren Gesamtemission.  

Das zeigt auf: Einzig über marktkonforme Lenkungsinstrumente und marktwirtschaftliche Regulierungen auf Boden des „Spiels der Preise“ ist dem Klimawandel nicht beizukommen. Schon deshalb nicht, weil Preise das Problem nicht bei den Wurzeln packen. So kann es für ein Unternehmen durchaus lukrativer sein, Zertifikate einzupreisen, anstatt technische Neuerungen einzuführen. Beispielsweise wenn solche für das Unternehmen teurer wären als die anfallende CO2-Bepreisung. Um dem Klimawandel beizukommen, braucht es mithin schon eine radikalere Orientierung, die auch vor den Gesetzen des Marktes nicht Halt macht, sondern vielmehr die notwendigen Brüche mit marktwirtschaftlichen Regeln vollzieht. Denn ohne massive (staatliche) Eingriffe in das Wirtschaftsgeschehen resp. gesellschaftliche Planung wird sich das menschliche Naturverhältnis nicht ins Lot bringen lassen.

Ein erster, bescheidener – aber dringlicher – Schritt im Kampf um eine sozial-ökologische Wende wäre es allerdings allemal, zumindest die Löschung des CO2-Zertifikateüberschusses auf die tagespolitische Agenda zu setzen und in eins damit die weitergehenden politischen Schritte hinsichtlich der eigentlichen, wirtschaftlichen Verursacher der Klimakrise zu setzen.

Der Beitrag stützt sich – da es hier nicht um kleinkarierter Originalität, sondern um der Sache zu tun ist – in seinen grundlegenden Gelenkstellen und zusammenfassend pointierten Ausführungen, explizit auf die instruktiven Veröffentlichungen von Franz Garnreiter zur Thematik; sie aktualisierend, hier und dort erweiternd und neu fruchtbar zu machen trachtend.

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