„Bezahlt wird nicht!“ – wohnt Dario Fo heute in Deutschland resp. Großbritannien?

Vor dem Hintergrund des durch den Metropolenkapitalismus und die EU brausenden Inflations-Tsunamis entzündete sich nach Großbritannien nun auch in Deutschland eine Zahlungsboykott-Kampagne gegen die horrenden Energiepreise – die sich gerade öffentlich vorstellte. Beide eher unorthodoxen Antworten auf die zunehmende soziale Misere weisen dabei (wie wir bereits anlässlich der „Don’t Pay“-Kampagne in GB anzogen) auf das einst äußerste populäre, aber auch hart in die Mangel genommene Bühnenstück des Literaturnobelpreisträgers Dario Fo „Bezahlt wird nicht!“ zurück.

Die erdrückende Inflationswelle frisst europaweit regelrecht die Löhne, Gehälter, Transferleistungen und Pensionen sowie hart ersparten Rücklagen der Arbeitenden und Familien mit niedrigem und mittlerem Einkommen auf. Die Bevölkerungen ächzen quer durch den Kontinent um noch über die Runden zu kommen. Die Union ist in die tiefste soziale Krise seit ihrem Bestehen gerutscht. Und anders als in der Hochinflationszeit der 1970er hinken die Löhne und Gehälter heutzutage der Teuerung hilflos hinterher. Dieser Misere haben auch die zurückliegenden Lohn-Runden kaum bis keine Abhilfe geschaffen. Der „Heiße Herbst“ erwies sich Euro-Land weit gesehen vielmehr als sozialpartnerschaftliche „heiße Luft“.

Da es den Gewerkschaften überwiegend nicht gelungen ist, entsprechende Löhne und ein leistbares Leben für alle zu erringen, geschweige denn gar eine soziale Wende zu erkämpfen, bleibt vielen Arbeitenden und einfach EU-BürgerInnen – im hiesigen Kontext überspitzt in Szene gesetzt – ihrem Dafürhalten kaum noch viel mehr übrig, als sich in ihrer sozialen Not wieder einmal am äußerst populären Theaterstück des Nobelpreisträgers Dario Fo „Bezahlt wird nicht!“ („Non si paga!“) zu inspirieren.

Das Stück entstand im Sommer 1974 als Antwort auf die zunehmende soziale Misere und hohen Lebenshaltungskosten: Eines Tages ziehen die Kunden in „Non si paga!“ in kostenfreier „Selbstbedienung“ unter der Losung „Bezahlt wird nicht!“ einfach an den Supermarktkassen vorbei und zahlen nicht mehr. In Fo’s unnachahmlichem Stil und seiner Pointensicherheit überzeugen die Frauen im Stück schließlich ihre in Bezug auf die Formen des Klassenkampfs – für Fo – gleichsam traditioneller geprägten Männer von der neuen Taktik im Klassenkampf bzw. dem „Wert dieser neuen Form des Streiks“.

Fo wurde daraufhin wegen Anstiftung zur „Plünderung“ angezeigt, mehrmals auf offener Bühne verhaftet, erntete jahrelanges Auftrittsverbot im Fernsehen und wurde von Washington bis 1984 mit einem Einreiseverbot in die USA belegt. Dabei unterstrich der Schriftsteller selbst im Vorwort: „Wir sind überzeugt, dass im Gelächter, im Grotesken der Satire, der höchste Ausdruck des Zweifels liegt, die wichtigste Hilfe der Vernunft.“ „Deshalb haben wir als Mittel und Instrument unserer Arbeit als Theatermacher im Dienst des Klassenkampfs die Farce gewählt.“

Gleichsam konkrete, organisierte Gestalt angenommen hat Dario Fo’s Bühnenstück des „sozialen Ungehorsams“ gleichviel zunächst zwei Jahre später in den Stadtrand-Ghettos der italienischen Städte, in denen die Bewohner aus Protest ihre Zahlungen für Strom, Gas und Miete einstellten und die Realität die Bühne mit der Erfindung des „Einkaufs zu angemessenen Preisen“ einholte.

In Großbritannien und nun auch Deutschland wiederum soll „No si paga!“ aufgrund der drastischen, massenhaften Energiearmut heute sozusagen in Form der „Don’t Pay“- bzw. „Wir zahlen nicht“-Kampagne ihre Renaissance feiern. Das Ziel beider Kampagnen ist, dass zunächst jeweils eine Million Menschen ihre Bereitschaft zum Boykott deklarieren, um einen hinreichenden Schutzschirm gegen Energiesperren und Abschaltungen zu bilden sowie für entsprechenden politischen Druck zu sorgen. Bei Erreichen der Zielzahl, so Lisa Mittendrein in ihrer näheren Ausleuchtung der Kampagnenverfasstheit schon seinerzeit, „rufen die Initiator:innen auch tatsächlich dazu auf, die Rechnungen nicht zu bezahlen. Denn in der Masse liegt Sicherheit: Wollen die Energieanbieter den Boykottierenden die Versorgung abdrehen, müssen sie abertausende Kund:innen kontaktieren. Sie müssen Fristen setzen, Zahlungspläne vorschlagen, gerichtliche Befugnisse beantragen. … Im Endeffekt soll der Boykott die Regierung zwingen, mit den Energieanbietern zu verhandeln und die Preise auf ein gerechtes Niveau zu senken.“ Und auch die als Stuss von Truss jüngst auf den Weg gebrachten unzureichenden Ausgleichs-Peanuts und Ankündigung einer vermeintlichen “Energiepreisgarantie” konnten den Zuspruch bislang nicht mindern. Und die ersten kleinen Zugeständnisse werden von „Don’t Pay“ zurecht als erste kleine Zugeständnisse gegenüber der Dynamik der Kampagne verbucht sowie als „Schwindel“ bewertet.

Allerdings kennt Großbritannien, worauf natürlich auch Mittendrein verwies, auch ein konkretes, erfolgreiches eigenes „Bezahlt wird nicht!“-Vorbild im Geiste Fo’s. „Eines der Vorbilder von Don’t pay ist die Kampagne gegen die ungerechte ‚Poll tax‘ in den 1980ern und 90ern – eine für alle Brit:innen gleich hohe Kopfsteuer, unabhängig von Einkommen und Reichtum“, so nochmals die Autorin. „Nach Jahren neoliberaler Reformen brachte diese ungerechte neue Steuer das Fass zum überlaufen. 17 Millionen Menschen weigerten sich, sie zu zahlen, es gab Massenproteste und eine breite lokale Organisierung. Die Bewegung gewann, die Steuer wurde abgeschafft, Thatcher ging.“

Hinsichtlich der deutschen Kampagne erläutert Lena Deich des Näheren, sollen in einem ersten Schritt nur noch 15 Cent pro Kilowattstunde gezahlt werden. Passiert nichts, „gehen wir einen Schritt weiter und stellen“ in kollektiver solidarischer Antwort auf die individuell unter die Räder Geratenen und breiten sozialen Lebensinteressen „die Abschlagszahlungen komplett ein“.

1997, sprich vor annähernd genau einem Vierteljahrhundert, verlieh die Schwedische Akademie Dario Fo den Literaturnobelpreis, allerdings ohne sein Kulturschaffen „im Dienst des Klassenkampfs“ zu erwähnen, welches durch ihre „neue revolutionäre Kunst“ das Proletariat darin zu unterstützen sucht, „sein Klassenbewusstsein zu entwickeln“. „Bezahlt wird nicht!“ war zugleich ein Stück gegen die immer stärkere Integration der KPI ins System (Stichwort: „Eurokommunismus“ und „historischer Kompromiss“ unter Berlinguer), in dessen Zuge sich diese scharf von der außerparlamentarischen Linken, rebellischen Bewegungen und Aktionen des zivilen Ungehorsams abgrenzte, einem sakrosankten Legalismus huldigte, und Fo selbst sich schließlich von ihr abwendete. Während der große Anarchist, Literat und Spielmann, der seine „Arbeit immer in den Dienst der Klassenbewegung stellen“ wollte, wie er betonte, 2016 verstarb, könnte seinem Stück „Bezahlt wird nicht!“ auf den Bühnen der Theater und als Graswurzelbewegung im realen Leben ein unvorhergesehenes Revival bevorstehen.

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