Unsoziale Inflation & gewerkschaftliche Perspektiven

Auf Platz 1 der größten und dringlichsten Probleme in Österreich steht für die Mehrheit im Land Umfragen zufolge nach wie vor die anhaltende Inflationswelle. Mit 7,8% lag diese auch im Vorjahr deutlich über dem EU-Durchschnitt und (nach den 8,6% 2022) ungebrochen in Höhen wie letztmals in der Hochinflationszeit der 1970er Jahre. Und die Teuerung in Österreich bleibt den Prognosen zufolge auch im heurigen Jahr doppelt so hoch wie im EU-Schnitt.

Das ‚Versagen‘ der Regierung die Inflationen mit effektiven und sozial zielgerichteten Maßnahmen einzudämmen ist offensichtlich. Bei einer deutlich niedrigeren Inflationsrate wie namentlich in Belgien oder in Italien hätten sich die Menschen in Österreich, wie das Momentum Institut vorrechnet, im Vorjahr im Schnitt 1.757 bzw. 1.666 Euro gespart. Aber auch die Gewerkschaften haben trotz vereinzelten, punktuellen Aufbäumens und Mobilisierens in ihrer letztlich einzementierten „sozialpartnerschaftlichen“ Orientierung und lohnpolitischen Leitlinie die Feuerprobe nicht bestanden. Mit den mauen Lohnabschlüssen, teils und zuletzt vermehrt sogar unter der rollierenden Inflationsrate, der zurückliegenden KV-Runden, erlitten die Beschäftigten im Land – zumal noch in Niedriglohnbranchen – auf breiter Front weitere Reallohn- und Kaufkraftverluste.

Und – so wäre noch zu ergänzen: Da Inflation prinzipiell kein monetäres Phänomen allein ist, ist die rein geldtechnische Komponente der Inflation immer auch mit dem sozialökonomischen Effekt einer Umverteilung von Einkommen, Vermögen und Wohlstand verbunden, und charakterisiert also eine sekundäre Ausbeutung.

Dabei begleitet das Inflationsthema und der Kampf gegen die Teuerung die Gewerkschafts- und Arbeiter:innbewegung schon seit ihren Anfängen. Bereits in seinen 1865 in London gehaltenen Vorträgen „Lohn, Preis und Profit“ in Sondersitzungen der I. Internationale ein Jahr nach deren Gründung, widmete sich etwa Marx der zentralen Frage des konsequenten gewerkschaftlichen Kampfes gegen die Inflation.

Marxens Vortrag, in welchem, wie er in einem Brief an Engels schrieb, in „verhältnismäßig populärer Form viel Neues aus meinem Buch vorweggenommen ist“ – gemeint war der zwei Jahre darauf, 1867, erschiene 1. Band des „Kapitals“ – erschien dann allerdings erst 1898 als englischsprachige Schrift „Value, Price and Profit“, bevor das veröffentlichte Referat auch in Deutsch unter dem besagten Titel „Lohn, Preis und Profit“ Karriere in der ArbeiterInnen- und Gewerkschaftsbewegung machte.

Darin räumte Marx schon zu seiner Zeit gründlich mit mancher heute noch lebenden ökonomischen Mär auf. Nicht zuletzt des ökonomischen Unsinns einer angeblichen „Lohn-Preis-Spirale“, die in unterschiedlichen Varianten gleichwohl nach wie vor ihr Unwesen treiben. Zu Recht notierten Ansgar Knolle-Grothusen et al. denn jüngst auch: „Die These von der Lohn-Preis-Spirale gehört zu den am wenigsten reflektierten Vorstellungen zeitgenössischer Ökonomen und Politiker, vertreten von den Wirtschaftswissenschaftlern der Europäischen Zentralbank bis hin zu denen der Regierungen, der Wirtschaftsforschungsinstitute und der Wirtschaftsmedien.“ Und darüber hinaus – mindestens als Elefant im Raum.

Die Härte des Lohnstreits resultiert, wie Marx in „Lohn, Preis und Profit“ zeigt, aus dem Widerspruchsverhältnis der Lohnrate zur Profitrate, deren Rückgang das Kapital mit aller Macht zu verhindern trachtet. Dass Lohnsteigerungen indes zwingend einen Anstieg der Preise nach sich ziehen müssten, zumal in einer produktivitätsbedingt wachsenden Wirtschaft, ist hingegen schlicht Humbug. Zum einen funktioniert der Kapitalismus, wie auch die Geschichte zeigt, durchaus mit unterschiedlichen Einkommensverteilungen (Profitquoten zu Lohnquoten). Zum anderen sind in einer produktivitätsbedingt wachsenden Wirtschaft, rein ökonomisch, kräftig steigende Löhne sogar „vereinbar mit konstanten oder steigenden Gewinnen“, wie Klaus Müller gegen die Abstrusität dieses zwar längst widerlegten, aber zur Hegemoniestiftung unverzichtbaren Unfugs der herrschenden Ökonomik und Kapitalistik süffisant unterstreicht.

Dies sei dem ÖGB zumal heutzutage ins Stammbuch diktiert, wo die Löhne und Gehälter, anders als in der Hochinflationszeit der 1970er Jahre, der Teuerung schon des Längeren deutlich hinterherhinken. Die Ergebnisse der Lohnkämpfe waren und sind denn auch mehr denn je eine Frage der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse, der Konfliktbereitschaft in konsequenter Mobilisierung und Einbeziehung der Beschäftigten bzw. deren Selbstermächtigung, sowie der gewerkschaftlichen Kampfformen.

In einem Land in dem Arbeitskämpfe weitgehend „sozialpartnerschaftlich“ stillgelegt sind, Streiks als beinahe verpönt gelten oder mit Begriffen wie „Katastrophe“ und „Sensation“ assoziiert sind und statistisch gewöhnlich gleichsam in Sekunden und Minuten pro Jahr gezählt werden, kann die Bedeutung konsequenter Gewerkschaftspolitik und autonomer gewerkschaftlicher Strategiebildung einzig entlang der Arbeits- und Lebensinteressen der Massen folglich gar nicht hoch genug veranschlagt werden. Zum einen, um überhaupt eine tatsächliche Abgeltung der Inflation zu erstreiten, Reallohnerhöhungen durchzusetzen und eine Sicherung der Kaufkraft zu erwirken. Zum anderen aber auch, damit sich die Arbeitenden in ihrer Selbsttätigkeit ihrer Kraft zu erreichbaren Erfolgen und über mögliche Verschiebungen der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse bewusst werden und in ihrem Kampf eine gesellschaftliche Wende einleiten.

Oder in den Worten Marxens: „Würden sie [die Arbeitenden, Anm.] in ihren tagtäglichen Zusammenstößen mit dem Kapital feige nachgeben, sie würden sich selbst unweigerlich der Fähigkeit berauben, irgendeine umfassendere Bewegung ins Werk zu setzen“. Dahingehend braucht es allerdings eine Stärkung der gewerkschaftlichen Motoren des Interessenskampfes und eine neue Perspektive von Unten.

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