Umfragen zufolge sprechen sich deutliche 82% der Beschäftigten für eine weitgehende, sowie vielfach radikale Verkürzung der Wochenarbeitszeit aus. Und zwar in einem Korridor zwischen 35 bis 25 Stunden – sprich: bis zu Forderung nach einer neuen „Kurzen Vollzeit“. Auf nicht mindere Begeisterung stößt nach einem halben Jahrhundert der 40-Stunden & 5-Tage-Woche der Ruf nach einer 4-Tage-Woche. Und in der Tat ist in jüngerer Zeit nach längerer Schlummerphase wieder etwas Bewegung in die Forderung nach einer Arbeitszeitverkürzung gekommen. Allerdings, ohne diese gewerkschaftlich wirklich offensiv und kämpferisch aufzunehmen.
Recht weit über die hohle „Aufforderung“ der AK an Arbeits- und Wirtschaftsminister Kocher, ein neues Arbeitszeitgesetz Richtung „gesunder Vollzeit“ unter „Einbindung aller Sozialpartner“ auf den Weg zu bringen, und diversen Resolutionen als „höchster gewerkschaftlicher Kampfform“ des ÖGB, ist die Auseinandersetzung um eine Neuvermessung der Arbeit allerdings (noch) nicht hinausgegangen. Für einen solchen Kurswechsel und einen Übergang zu einer Offensive in Sachen Arbeitszeitverkürzung braucht es denn auch unabdingbar eine Stärkung der kämpferischen Motoren in Gewerkschaften und AK wie KOMintern.
Marx betrachtete die zu seiner Zeit errungene 10-Stunden-Bill in England, wie bereits mehrfach hervorgehoben, als einen „Sieg der politischen Ökonomie der arbeitenden Klassen“ und charakterisierte den damals im Fokus der unmittelbaren sozialen Forderungen stehenden 8-Stunden-Tag als die „bescheidene Magna Charta“ der Arbeitenden. 150 Jahre später wäre für ihn wohl die „Kurze Vollzeit“ für alle und gesamthafte Verkürzung der Wochen-, Tages-, Jahres- und Lebensarbeitszeit ein solch neuer Sieg der Arbeitenden und Gewerkschaften.
Denn entgegen manchem stumpfsinnigen Gerede, stellt die Arbeitswelt unverändert nicht nur den kompaktesten Block unseres Lebensalltags dar, sondern drückt auch unserer übrigen Lebenszeit immer stärker ihren Stempel auf: Von der ausufernden Verfügbarkeit unserer Arbeit, über die Intensivierung der Arbeitsprozesse und Arbeitsverdichtung, bis zu gegenüber früher längeren Anfahrtszeiten zum Betrieb. Mit all den damit einhergehenden physischen und psychischen Belastungen und Folgen: Stress, Überarbeitung, Burn-Out und anderen stressbedingten Erkrankungen, steigendem Arbeitsunfallrisiko, akutem privaten Zeitmangel, zunehmender Unvereinbarkeit von Beruf und Privatem und fehlender ausreichender Erholung. Demgemäß gab zuletzt auch jede/r dritte Beschäftigte der Umfrage an, sich nicht vorstellen zu können seinen/ihren aktuellen Job bis zur Pension ausüben zu können. Entsprechend schreien die Verhältnisse denn auch geradezu nach einer Wende in Richtung „kurzer Vollzeit“ für alle sowie diesbezüglich in die Offensive zu gehen.
Erfolgreiche Beispiel und die Erfahrungsschatz Island
Zumal auch die wissenschaftlichen Evaluierungen vereinzelter Beispiele einer verkürzten Arbeitswoche bzw. einer Arbeitszeitverkürzung deren positiven Effekte belegen. Neben einzelnen Experimenten in Österreich wie in einem Hotel, im Marketing-Bereich oder in einem Elektrotechnikbetrieb und Anlagenbauer, gibt es natürlich einschlägige Erfahrungen aus dem Langzeitprojekt der schwedischen Stadt Kiruna sowie insbesondere aus Island, wie der deutsche Gewerkschaftsreferent Marcus Schwarzbach unlängst herausgestellt hat. „Was möglich ist, zeigt sich in Island. Auf Druck der Gewerkschaften wurde 2015 das weltweit größte Experiment zur Arbeitszeitverkürzung gestartet. Vier Jahre lang haben 2.500 Beschäftigte verkürzt bei vollem Lohn gearbeitet. Die abschließende Studie zeigt, dass der Versuch einer Arbeitszeitverkürzung im Öffentlichen Dienst ein überwältigender Erfolg war … Der Versuch war so erfolgreich, dass die Arbeitszeitregelungen in Island generell geändert wurden, jetzt haben 86 Prozent der dortigen Beschäftigten eine Arbeitszeitverkürzung oder die Möglichkeit dazu bekommen.“
Die historische Eroberung eines effektiven Freizeitbereichs & die tiefgreifende Umwälzung des Rhythmus Arbeit-Freizeit
Mit der historischen Durchsetzung des 8-Stunden-Tages 1919 in revolutionsschwangerer Zeit avancierte die Forderung nach der 40-Stunden-Woche sowie nach 5 statt 6 Tagen Arbeit zum neuen gewerkschaftlichen Kampfziel.
Diesbezüglich handelte es sich freilich nicht „nur“ um eine Beschränkung der Arbeitszeit, sondern – vielmehr noch darüber hinaus – um die historische Eroberung eines effektiven Nichtarbeitsbereichs und der Aufschließung frei verfügbarer Zeit jenseits der bloß physischen und mentalen Regeneration (oder bloßen Reproduktion der Ware Arbeitskraft).
Mit der 40-Stunden-Woche sowie der 4. und später 5. Urlaubswoche (oder in anderen Worten: Verkürzung der Jahresarbeitszeit) in den 1970ern gewannen die Arbeitenden einen neuen Raum privat nutzbarer Zeit und kam es zu entscheidenden Veränderungen im Rhythmus Arbeit–Freizeit und tiefgreifenden kulturellen Umwälzungen des Lebensrhythmus der Arbeitenden sowie – freilich auch zwiespältigen – Wandel der Alltagskultur, Lebensstile und sozialen Verhältnisse.
Die 4. und 5. Urlaubswoche etwa, brachte zusammen mit steigenden Einkommen bspw. eine einschneidende Veränderung des Urlaubs. Allen voran die nun erst massenhaft üblichen Urlaubsreisen, den Tourismus ins Ausland und wandelte die Ferienreisen vom Privilegium einer Minderheit und Sozialprestige zu einer Massenerscheinung.
Mehr noch: Mit dem erfolgreichen Kampf um die 40-Stunden-/5- Tage Woche bei vollem Lohnausgleich entstand erst das freie Wochenende wie wir es (mit Einschränkungen) kennen – anstatt des bloßen freien Sonntags. Und damit, neben dem familiären Wochenend-Ausflug, neue Formen außerfamiliärer und außerhäuslicher Kontakte, der Geselligkeit und der Freizeitgestaltung sowie Aufstieg einer neuen Massenkultur. Bis hin zum verallgemeinerten Saturday Night Fever, Schüben in der Konzert- und Festival-Kultur oder im Breitensport, aber auch der ehrenamtlichen Tätigkeit sowie in freiwilligen Hilfsorganisationen, bis hin zum erweiterten Raum für politisches Engagement u.v.m.
5 Jahrzehnte 40/h-Woche – 4 Jahrzehnte Papiertiger 35/h-Woche
Seit 1975, also seit knapp 5 Jahrzehnten, kam es zu keiner weiteren umfassenden und generellen Arbeitszeitverkürzung mehr. Zwar konnten seither in verschiedenen Branchen kollektivvertragliche Arbeitszeitverkürzungen durchgesetzt werden. Von einer flächendeckenden Arbeitszeitverkürzung oder gar Einführung einer gesetzlichen 35-Stunden-Woche als erstem und überfälligem Schritt einer weitreichenden Arbeitszeitverkürzung auf 30 Stunden, sind wir nichts desto trotz meilenweit entfernt.
Die gesetzliche Regelarbeitszeit liegt unverändert bei 40 Wochenstunden. Die seit 1983 von ÖGB und AK vielfach geforderte 35-Stunden-Woche ist auch nach über vier Jahrzehnten nicht durchgesetzt. Damals wurde diese bereits als (Produktivitäts-)Abgeltung der Effektivierungen der 1970er Jahre (!) gefordert. Heute begründet sie sich dahingehend, wie der weitere Schritt in Richtung einer neuen „kurzen Vollzeit“ für alle und 4-Tage-Woche, ökonomisch natürlich in nochmals drastisch gestiegenem Ausmaß aus der enormen seitherigen Produktivitätssteigerung, die sich in diesen 50 Jahren pro geleistete Arbeitsstunde verdoppelt hat, während sich bei der gesetzlichen Arbeitszeit nichts getan hat.
Industrie 4.0 durch Arbeitszeitverkürzung auffangen!
Parallel schreitet unter dem Schlagwort „Industrie 4.0“ die Digitalisierung der Arbeit voran: Mit ihren tiefgreifenden Umbrüchen in der Arbeitswelt, weiterer Arbeitsintensivierung, steigendem Leistungsdruck und massiven Rationalisierungen, die viele der heutigen Arbeitsplätze und Berufe drastisch bedrohen und allemal das gesellschaftlich notwendige Arbeitsvolumen senken. So wenig die Gewerkschaften bislang über zulängliche Strategien zu den tiefgreifenden Umbrüchen und Strukturverschiebungen in der Arbeitswelt, massiven Arbeitsverdichtungen und Rationalisierungen verfügen, so unabweisbar ist: gerade Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich ist eine Mindestantwort. Dabei stehen wir erst am Beginn der technologischen Umwälzung. Zwar hält die Digitalisierung bereits immer weiteren Einzug in Industrie, Dienstleistungssektor und Arbeitswelt, aber bislang noch mehr in Form von Elementen – dafür jedoch mit bislang unbekannter Geschwindigkeit. „Wer erwartet hat“, so nochmals der deutsche Gewerkschaftsreferent und ‚Digitalisierungs-‘Autor Marcus Schwarzbach unlängst treffend, „dass eine Industrie 4.0 an einem festen Stichtag umgesetzt wird, sieht sich enttäuscht. Die Umsetzung erfolgt in den Betrieben schrittweise, etwa für einzelne Produktionsstraßen oder in Verwaltungsbereichen“ – und/resp. mitzunehmenden Tempo, wie zu ergänzen wäre.
Wende einleiten: Für eine Neuvermessung der Arbeit & Offensive zu einer gesellschaftlichen Wende
Arbeitszeitfragen sind, wie schon die beginnende Gewerkschaftsbewegung wusste, keine ‚versachlicht‘ vom Statistischen Zentralamt aus- oder errechenbare Fragen oder am „Grünen Tisch“ festlegbare, sondern entscheiden sich letztlich anhand der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse, unsere Konfliktbereitschaft und der gewerkschaftlichen Kampfformen. Eine Offensive bei der Arbeitszeitverkürzung könnte denn auch eine gesellschaftliche Wende eröffnen. Eine Wende, in der sich die Zurückdrängung der Arbeitslosigkeit sowie der sie begleitenden Armut mit einer Verschiebung der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse und des Zugewinns an emanzipatorischer Lebensqualität verbindet. So ist eine radikale Arbeitszeitverkürzung und gesellschaftliche Umverteilung auf alle Arbeitssuchenden auch zu verstehen: Als sowohl beschäftigungspolitischer Hebel, wie als (übers finanzielle Konsumniveau hinausgehende) Aneignung der Produktivitätssteigerung seitens der Arbeitenden auch in Form von mehr freier Zeit: fürs Private, für Muße, Genuss und Selbstentfaltung. Sowie als Verschiebung der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse.
Last but not least würde eine radikale Arbeitszeitverkürzung auch das Ungleichgewicht zwischen den Geschlechtern reduzieren: Sie ermöglicht es Frauen, leichter aus den mannigfach erzwungenen flexiblen Arbeitszeiten und „Zwangs-“ Teilzeit mit zu wenig Lohn für ein selbständiges Leben in Vollzeitbeschäftigung auszubrechen, während männliche Beschäftigte wiederum mehr Zeit hätten, um ihren Teil an Haushalt und Kinderbetreuung zu übernehmen.
Nach Jahrzehnten eines gesetzlich-allgemeinen Arbeitszeitverkürzungsstillstands, einer kontinuierlich absackenden Lohnquote und des in Hochinflationszeit nochmals zusätzlich befeuerten Reallohnverlusts, des zunehmenden Arbeitsdrucks, sowie einer verfestigten Arbeitslosigkeit bedarf es dringendst einer radikalen Arbeitszeitverkürzung und gesellschaftlichen Umverteilung auf alle im Land!
Daher fordern wir:
- Sofortige Durchsetzung der längst überfälligen 35-Stunden-Woche bei vollem Lohn- und Personalausgleich sowie begleitender Arbeitszeitregelungen!
- Die weitreichende Arbeitszeitverkürzung auf eine allgemeine und flächendeckende 30-Stunden-Woche – mit Recht auf die 4-Tage-Woche! (Für Rund-um-die-Uhr-Dienste sowie kontinuierliche Produktion im Schichtbetrieb würde dies statt 8-Stunden also 6-Stunden-Schichten bedeuten.)
- Begleitmaßnahmen, um weitere Arbeitszeitverdichtung durch unternehmerische Kompensierungsversuche zu verhindern!
- Maßnahmen zum Abbau chronischer Überstunden!
- Die flächendeckende 6. Urlaubswoche für alle Beschäftigten!
Um eine solche neue „Kurze Vollzeit“ als neuem Normalarbeitstag durchzusetzen, braucht es allerdings einen konsequenten Kampf der Gewerkschaften und einer unabdingbaren Stärkung von KOMintern als Motor des Gewerkschaftskampfs!
Eine grundlegende Neuvermessung der Arbeit heißt zugleich; die gesellschaftliche Arbeitszeitverkürzung in all ihren Dimensionen – im Sinne der einer gesamthaften Verkürzung der Wochen-, Tages-, Jahres- und Lebensarbeitszeit – offensiv auf die Agenda zu setzen!