Karl Ochsner, Präsident der Industriellenvereinigung NÖ und Teil des sozialreaktionären Stoßtrupps der heimischen Wirtschaftsvertreter, hat in einem Punkt recht: Arbeitszeitpolitik umfasst in ihren Dimensionen sowohl die Wochen- (als auch Tages-), Jahres- und Lebensarbeitszeit. An seinem und IV-Generalsekretär Christian Neumayers absonderlichen Vorstoß einer 41-Stunden-Wochen (zumal noch ohne Lohnausgleich), sind die Wogen schon völlig zu Recht hochgegangen. Daher begleitend eine über die Froschperspektive der beiden Wirtschaftsverbändler hinausgehende, historische Bemerkung zu den angeblich überbordenden Feiertagen im Land.
Entgegen dem unterschwelligen Zerrbild über den Kapitalismus: Mit seiner Durchsetzung ging geschichtlich zunächst eine gewaltige Ausdehnung der Arbeitszeit einher. Um 1800 herrschten in England und vergleichbaren Ländern durchschnittliche tägliche Arbeitszeiten von 10 -12 Stunden, bei einer 6-Tage-Woche ohne Urlaub – bis die organisierte Arbeiterbewegung in ihren Kämpfen peu à peu gesellschaftliche Arbeitszeitverkürzungen durchsetzte. Ein englischer Bauer um 1300 zum Vergleich, musste indes lediglich ungefähr 1.500 Stunden im Jahr arbeiten. Und damit schon seinerzeit erklecklich weniger als ein/e heutige/r Normalarbeitende/r in Österreich nach zwei Jahrhunderten harten Arbeitszeitverkürzungskämpfen und heutigem technologischem Niveau vor bzw. bereits am Beginn der vierten industriellen Revolution mit eine Jahresarbeitszeit von immer noch 1.725 Stunden.
Immerhin, John Maynard Keynes, der wirkmächtige Ökonom und „Arzt am Krankenbett des Kapitalismus“, prognostizierte bereits 1930, dass wir dank des technischen Fortschritts im Jahre 2030 wohl nur mehr 3 Stunden am Tag arbeiten müssen. Bill Gates wiederum sieht uns aufgrund der Entwicklung der KI aktuell in einer „Gesellschaft“ landen, „in der man nur drei Tage die Woche arbeiten muss“. Jamie Dimon, CEO des „Wall Street“-Premiumgeldhauses GPMorgan Chase, ist da mit „wahrscheinlich dreieinhalb Tagen“ eine Spur zurückhaltender. Das intime verschmitzte Lächeln über den platten ökonomischen Analphabetismus eines Karl Ochsner oder Christoph Neumayer dürfte ihnen allerdings gemeinsam sein, wenn auch interessenpolitisch durchsichtig und nachvollziehbar.
Zudem, und darauf soll im Zusammenhang der Debatte hier der Finger gelegt werden, strotzte der mittelalterliche Kalender noch vor Feiertagen. Rund 1/3 des Jahres war von Feiertagen geprägt. In Spanien sollen es sogar fünf Monate gewesen sein.
An der Wiege des Kapitalismus und dem Vorabend der industriellen Revolution versucht Joseph II. – der erste aufgeklärte Habsburger-Monarch –, die Anzahl der Feiertrage drastisch zu verringern, indem er alle Festspiele und Feierlichkeiten auf einen Tag, den zweiten Sonntag nach Ostern legte.
Das bürgerliche Frankreich führte 1793 einen republikanischen Kalender ein, der nicht nur eine neue Ära zum Ausdruck bringen und die Spuren des Christentums ausmerzen sollte, sondern auch, um 90 Feiertage abzuschaffen.
Beides stieß auf erbitterten Widerstand und allerorten auf zivilem Ungehorsam. Um sich an der Macht halten zu können und beliebt zu bleiben, sah sich Napoleon zehn Jahre später denn auch gezwungen, wieder den alten Kalender einzuführen.
Heute lamentieren Figuren wie Ochsner und Neumayer in der Absicht den einen oder anderen abzuschaffen über ohnedies bloße 13 Feiertage im Jahr – und versuchen in einer historischen Zäsur die mit der ersten Normierung der Arbeitszeit in England durch das Fabrikgesetz von 1833 einsetzende, knapp 200jährige Geschichte der Arbeitszeitverkürzung umzukehren. Und mit dem 12-Stunden-Tag und der steten Anhebung des Pensionsantrittsalters hatten wir auch schon die ersten Backlash‘ zu verzeichnen. Umso mehr gilt es nicht nur diesen dreisten, neuerlichen Angriff gewerkschaftlich entschieden abzuwehren und zurückzuschmettern, sondern darüber hinaus den feststeckenden Kampf für eine gesellschaftliche Arbeitszeitverkürzung in all ihren Dimensionen – als Verkürzung der Wochen-, Tages-, Jahres- und Lebensarbeitszeit – endlich offensiv aufzunehmen und die Froschgesänge der Industrie im massenhaften Erschallen der Kampflieder der Arbeiter:innen- und Gewerkschaftsbewegung zu ersticken.