Am Freitag, 23.9., findet unter dem Motto „#Energiewende für alle!“ auch österreichweit erneut der ‚weltweite Klimastreik‘ statt. Im auch von uns unterstützten „Klimaprotest“-Aufruf heißt es hierzu: „Teuerungswellen greifen um sich und unsere Strom- und Heizungsrechnungen steigen. Viele Menschen können sich das Leben kaum noch leisten, während klimaschädliche Unternehmen von der Krise profitieren und uns die Regierung im Stich lässt. Gleichzeitig werden die Folgen der Klimakrise immer extremer. So zahlen wir den Preis für die fossile Politik der letzten Jahrzehnte.“ Daher: „Komm mit auf die Straße – für eine soziale Bewältigung der Klima- und Energiekrise.“ Die sozial-ökologische Doppel- oder Zangenkrise ist, wie auch Sarah Nowak in ihrem Beitrag „Klimagerechtigkeit ein Gewerkschaftsthema“ gerade auf Arbeit&Wirtschaft-Blog darlegt, zugleich eine eminent bedeutungsschwere Frage der Gewerkschaftsbewegung.
Infos zu den einzelnen Demo-Treffpunkten
Klimagerechtigkeit – ein Gewerkschaftsthema
Sarah Nowak
Die Forderung nach der Verbindung von sozialen und ökologischen Kämpfen gibt es schon lange – und in der letzten Zeit fordert auch die Gewerkschaftsbewegung immer häufiger einen umfassenden sozial-ökologischen Kurswechsel ein. Die Klimakrise ist im Kern eine Gerechtigkeitskrise – und somit ein Arbeitnehmer:innenthema. Denn sowohl global als auch innerhalb Österreichs zeigt sich: Wer zur Klimakrise beiträgt und von deren Folgen betroffen ist, ist sozial höchst ungleich verteilt.
Klima- und Gewerkschaftspolitik im vermeintlichen Widerspruch
Die Dramatik der Klimakrise ist nichts Neues – beinahe täglich erreichen uns Schreckensmeldungen aus Österreich und verschiedensten Teilen der Welt sowie Warnungen von Wissenschafter:innen, die die Dringlichkeit des Handlungsbedarfs verdeutlichen. Dennoch hat sich die Gewerkschaftsbewegung in der Vergangenheit immer wieder schwergetan, klimapolitisch progressive Positionen einzunehmen, und ist klimapolitischen Maßnahmen in manchen Fällen mit Skepsis begegnet (Clar und Scherhaufer 2021). Das Dilemma ist nachvollziehbar: Sollten die Klimamaßnahmen in gewissen Branchen (z. B. Automobilität oder Flugverkehr) greifen, könnten viele Arbeitsplätze auf dem Spiel stehen. Zugleich ist die gewerkschaftliche Arbeit bei wachsender Wirtschaft einfacher – denn je größer der Kuchen, desto leichter ist es, zumindest einen Teil davon für die Arbeitnehmer:innen abzuzwacken. Diese Argumente greifen mittlerweile aber zu kurz. Forderungen nach einer sozial-ökologischen Transformation werden daher immer häufiger auch in der Gewerkschaftsbewegung erhoben.
Heinz Högelsberger zeigt in seinem Beitrag zu „Gewerkschaften, Wirtschaftswachstum und Klimakrise“, dass Arbeitnehmer:innen – im Gegensatz zu Kapital – nicht vom Anheizen der Klimakrise profitierten. Während die Treibhausgase stiegen, entwickelte sich demnach die Lohnquote – also der Anteil der Löhne und Gehälter am gesamtwirtschaftlichen Einkommen – in die andere Richtung. Es ist vielmehr das Gegenteil der Fall: Vulnerable Bevölkerungsgruppen, zu denen sehr viele Arbeitnehmer:innen zählen, sind sowohl global gesehen als auch innerhalb Österreichs überproportional von den Folgen der Klimakrise betroffen. Dieses Missverhältnis wird unter dem Begriff „Klima(un)gerechtigkeit“ behandelt.
Dimensionen von Klima(un)gerechtigkeit in Österreich
Klima(un)gerechtigkeit hat eine Reihe unterschiedlicher Dimensionen. Im Folgenden werden diese anhand des österreichischen Kontexts näher ausgeführt.
- Treibhausgasemissionen sind höchst ungleich verteilt
Wie eine Auswertung der österreichischen Konsumerhebung zeigt, sind die Emissionen in Österreich höchst ungleich verteilt: Während ein österreichischer Haushalt im untersten Einkommenszehntel jährlich 9,2 Tonnen CO2-Äquivalente verbraucht, ist es im obersten Zehntel mit 21 Tonnen mehr als doppelt so viel. Der Anstieg zeigt sich dabei in allen Konsumgruppen, wobei er in manchen Bereichen, z. B. bei „Wohnen“, „Mobilität“ und „sonstigen Gütern“ besonders drastisch ist. Dies ist zum Beispiel durch Luxuskonsum sowie eine größere Wohnfläche, steigende Pkw-Mobilität oder mehr Urlaubsreisen erklärbar.
Die Verringerung der ökonomischen Ungleichheit ist also eine zentrale Stellschraube im Kampf gegen die Klimakrise. Verschiedene Wissenschafter:innen kommen zu dem Schluss, dass wir uns Reichtum und den damit zusammenhängenden Überkonsum klimapolitisch einfach „nicht mehr leisten können“ (Theine und Taschwer 2021 oder auch Wiedmann et al. 2020; Jaccard et al. 2021) und plädieren daher für Umverteilung.
- Direkte Auswirkungen der Klimakrise betreffen vulnerable Bevölkerungsgruppen besonders stark
Die Folgen der Klimakrise sind bereits heute deutlich in Österreich spürbar und werden in Zukunft weiter zunehmen – Beispiele dafür sind die stärkeren und länger anhaltenden Hitzeperioden, häufigere Starkwetterereignisse, die Verschlimmerung von Allergien oder die Verbreitung von Infektionskrankheiten. Bestimmte Personengruppen leiden besonders unter diesen immer extremer werdenden Wetterphänomenen: Eine Studie im Auftrag des Bundesministeriums für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz nennt hier unter anderem ältere Menschen und Personen mit gesundheitlichen Belastungen, aber vor allem auch Personen mit geringem Einkommen, die sich viel weniger vor Extremwetterereignissen schützen können. Neben der dringend notwendigen vorsorgenden Klimapolitik sind daher auch sozial inklusive Anpassungsmaßnahmen unerlässlich, z. B. die flächendeckende Vermeidung von Hitzeinseln in der Stadtplanung.
- Klimaschutzmaßnahmen haben Verteilungswirkungen
Die bereits erwähnte Studie im Auftrag des Sozialministeriums befasst sich auch mit den sozialen Auswirkungen von derzeit bestehenden klimapolitischen Maßnahmen und zeigt, dass auch hier Personen, die spezifische Vulnerabilitätsmerkmale aufweisen, direkt oder indirekt durch bestimmte klimapolitische Maßnahmen schlechtergestellt werden. Zu den vulnerablen Bevölkerungsgruppen zählen zum Beispiel, Personen mit geringem Einkommen, Kleinkinder, ältere Menschen, Personen mit gesundheitlichen Belastungen, Frauen, Menschen mit Migrationshintergrund und Personen mit niedrigem Bildungsstand. Klassische Beispiele sind die Verschlechterung des Mobilitätszugangs aufgrund einer Preiserhöhung auf Treibstoffe (wir erinnern uns an die Gelbwesten-Proteste in Frankreich) oder die Verdrängung von Personen mit geringem Einkommen aus Wohnungen und Stadtvierteln, wenn infolge grundsätzlich sehr begrüßenswerter Maßnahmen wie thermischer Sanierungen oder Gebäudebegrünungen aus Profitinteresse die Mieten erhöht werden („Green Gentrification“). Weitere Beispiele für sozial exklusive klimapolitische Maßnahmen sind Förderungen, z. B. für private Photovoltaikanlagen oder E-Autos, da diese nur für Personen zugänglich sind, die über ausreichende finanzielle Mittel und den Zugang zu Förderinformationen verfügen. Besonders inklusive Maßnahmen sind gemäß der Studie hingegen jene, die zu universellen strukturellen Verbesserungen führen, wie beispielsweise der Ausbau und die Vergünstigung öffentlicher Verkehrsmittel.
In der Studie wird jedoch argumentiert, dass die mangelnde soziale Inklusion aber natürlich nicht zur pauschalen Abwehr von dringend notwendigen klimapolitischen Maßnahmen verwendet werden darf. Vielmehr muss bei deren Ausgestaltung auf die soziale Verträglichkeit geachtet sowie ein bunter Maßnahmenmix erstellt werden, in dem universellen und strukturellen Maßnahmen Vorrang gegeben wird. Außerdem lassen sich beispielsweise Förderungen für thermische Sanierungen inklusiver gestalten, indem ein besonderes Augenmerk auf Gemeinde- und Genossenschaftswohnungen gelegt wird und die Rechte von Mieter:innen gestärkt werden.
- Nichthandeln erzeugt hohe Kosten
Sollte es nicht gelingen, den Temperaturanstieg auf 1,5 bzw. maximal 2 Grad Celsius zu beschränken, kommen auf Österreich enorme Kosten zu: Zum einen entstehen Mehrausgaben für Anpassungsmaßnahmen und zur Behebung von klimawandelbedingten Schäden von mehreren Milliarden Euro jährlich (von immateriellen Schäden ganz abgesehen). Zudem ist Österreich derzeit weit davon entfernt, die verpflichtenden EU-Klimaziele bis 2030 zu erreichen, und läuft daher Gefahr, Kompensationszahlungen von bis zu 9,2 Milliarden Euro leisten zu müssen. Das sind Zusatzausgaben, die bereits in ihrer Entstehung höchst ungerecht sind und die außerdem von neoliberalen Politiker:innen als Argument für Sparmaßnahmen im Sozialstaat instrumentalisiert werden könnten.
- Globale Klimagerechtigkeit muss in den Fokus rücken
Klimagerechtigkeit ist vor allem auch eine Frage der globalen Gerechtigkeit: Ist der Verbrauch von Treibhausgasemissionen in Österreich schon sehr ungleich verteilt, sind diese Ungleichheiten global gesehen noch viel extremer. Die EU ist für ein Viertel des historischen Treibhausgasausstoßes verantwortlich, aber andere Länder, die wenig bis gar nichts zur Klimakrise beigetragen haben, kämpfen am meisten mit ihren Folgen. Österreich gehört als früh industrialisiertes und wohlhabendes Land in Relation zu seiner Bevölkerungsgröße zu den historisch gesehen größten Emittenten und hat – je nach Berechnungsmethode – derzeit nur mehr ein verbleibendes Emissionsbudget von maximal 700 Megatonnen CO2-Äquivalenten bzw. hat das dem Land zustehende Treibhausgasbudget sogar bereits überschritten. Auch die Menschen im untersten Einkommenszehntel in Österreich verbrauchen derzeit mehr, als langfristig mit den Klimazielen vereinbar wäre. Das hängt oft mit strukturellen Bedingungen zusammen, denn Menschen mit geringem Einkommen leben häufig in schlecht sanierten Wohnungen und haben dadurch zum Beispiel einen relativ hohen Energieverbrauch. Daher müssen Möglichkeiten geschaffen werden, sodass auch Personen mit geringem Einkommen Zugang zu klimaneutralem Wohnen und klimaneutraler Mobilität, nachhaltigen Lebensmitteln und einem ökologisch vertretbaren Arbeitsplatz haben. Darüber hinaus braucht es im Sinne der internationalen Solidarität eine ganzheitliche Umgestaltung der Lebens- und Wirtschaftsweise, um ein gutes Leben aller innerhalb der planetaren Grenzen zu ermöglichen. Dies bedeutet, sowohl die Grenzen des Wachstums ernst zu nehmen als auch den Begriff „Wohlstand“ neu zu definieren.
Und jetzt? Klimaschutz und Arbeitnehmer:innenthemen zusammendenken
Die Klimakrise ist eine Gerechtigkeitskrise und eine Krise des Kapitalismus – und daher auch im Herzen ein Arbeitnehmer:innenthema. Dieses Verständnis wird zunehmend auch in den Gewerkschaften geteilt, was sie – im Gegensatz zum historisch oft skeptischen Kurs – zu einer treibenden Kraft einer sozial-ökologischen Transformation in Österreich machen könnte. Dass ein tiefgreifender Wandel erfolgen muss, steht mittlerweile außer Frage – denn wie Katharina Bohnenberger und Jana Schultheiß in ihrem Beitrag im Buch „Klimasoziale Politik“ schreiben: Die Überschreitung des Treibhausgasbudgets wäre sowohl die gefährlichste als auch die ungerechteste Alternative. Daher muss es nun oberste Priorität sein, diesen überlebensnotwendigen Wandel im Sinne einer „Just Transition“ so sozial wie möglich zu gestalten.