Zaghafter Generalstreik in Italien

Italien und die italienischen Gewerkschaften haben wahrlich schon bessere Zeiten gesehen. Und das beiweilen nicht bloß, weil die Covid-19-Pandemie in Europa Anfang Februar 2020 in Italien ihren Ausgang nahm und Bergamo seinerzeit zum traurigen Epizentrum des Massensterbens avancierte. Das Land, offiziell immerhin Mitglied der G7-Staaten, stagniert (nicht zuletzt aufgrund der für die römische Wirtschaft desaströsen Euro-Einführung) seit 20 Jahren vor sich hin und befindet sich in einer regelrechten Erosion der sozialen Verhältnisse.   

2018 intervenierten die EU-Kommission und die EZB unter dem damaligen EZB-Präsidenten und jetzigen italienischen Premier Mario Draghi gegen eine stärkere staatliche Wirtschaftspolitik sowie geplante Einführung einer Mindestsicherung im Land. Der IWF konstatierte parallel jedoch seinerseits bereits: „Das reale persönliche Einkommen ist auf dem Niveau von vor zwei Jahrzehnten, die Arbeitslosigkeit liegt im Berichtszeitraum bei um die zehn Prozent, und die Lebensbedingungen für Menschen mittleren Alters und jüngere Generationen sind erodiert.“ Und mit der Corona- und Wirtschaftskrise ist es im Anschluss weiter rapide bergab gegangen.

Italien, so strich Maurizio Landini, Generalsekretär der CGIL, in diesem Zusammenhang gerade heraus, ist das einzige Land EU-Europas, in dem die Löhne heute unter dem Niveau von 1990 liegen. Nicht viel besser schaut es bei den mauen Pensionen aus. Dazu explodieren aktuell die Lebenserhaltungskosten und sind die Strom- und Gaskosten überhaupt auf ein historisches Rekordniveau geklettert. Die Arbeitslosigkeit wiederum liegt selbst nach offiziellen Statistiken bei 9,4%. Zudem stellen unglaubliche 85% der neuen Arbeitsverträge des letzten Jahres prekäre Beschäftigungsverhältnisse dar und zeichnen für junge ItalienerInnen – klassenanalytisch schlampig gesprochen – einen Weg vom klassischen Proletariat ins Prekariat vor.

Vor diesem Hintergrund drängen die Gewerkschaften des Landes im Budget für 2022 auch auf finanzielle Ausgleichsmaßnahmen und Umverteilungen von oben nach unten. Zumal sich der Vermögensbesitz des italienischen Vermögensadels, also der reichsten 0,01% des Landes, im selben Zeitraum glatt verdreifacht hat.

Entsprechend, sowie auch unter immer stärkerem Druck der Arbeitenden und Basisgewerkschaften stehend, riefen die einst kämpferische und kampfstarke – mittlerweile aber auf einen sozialpartnerschaftlichen Kurs eingeschwenkte – CGIL (Confederazione Generale Italiano del Lavoro) und die UIL (Unione Italiana del Lavoro) diesen Donnerstag auch zum ersten Generalstreik seit 2014 auf (ausgenommen der Gesundheitsbereich und öffentliche Personenverkehr sowie die Schulen). Der dritte große italienische Gewerkschaftsverband, die CISL (Confederazione Italiana Sindacati Lavoratori) hingegen hält an der „Burgfriedenspolitik“ des im September von Draghi und dem Chef des Industriellenverbands Confindustria, Carlo Bonomi, auf den Weg gebrachten „Pakt für Arbeit und Sicherheit“ mit der Regierung und dem Kapital fest. Die zentralen Streikkundgebungen fanden in Rom, Mailand, Bari, Palermo, sowie Cagliari statt.

Gleichzeitig galt der Generalstreik Kräften wie dem Gewerkschaftsbund Si-Cobas oder der kommunistischen Online-Plattform „Contropiano“ in seiner ganzen Anlage schon im Vorfeld als „zaghaft und widersprüchlich“ und kritisierte Letztere zudem den fehlenden Widerstand gegen den „proeuropäischen Draghismus“, sprich: die Unterordnung Italiens unter das für das Land ökonomisch fatale Euro-Regime. Denn mit der Euro-Währungsunion hielt zugleich ein tiefgehender nationaler wirtschafts-, konjunktur- und beschäftigungspolitischer Kompetenzwegfall Einzug, mit dem die wesentlichen wirtschaftspolitischen Ausgleichsmechanismen nicht mehr existieren und der Neoliberalismus sozusagen zum supranational verfestigten Staatsgrundgesetz erhoben wurde, der Europa in die soziale und politische Zerreißprobe führte.

Sollte es den Gewerkschaften mit ihrem Streik und Manifestationen sowie der darüber hinaus notwendigen Aufrechterhaltung von Kampfmaßnahmen nicht gelingen, noch gravierende Veränderungen im Haushaltsentwurf für 2022 zu erzwingen, gälte es den Arbeitskampf zusammen mit den vielen, teils auch kampfstarken Basisgewerkschaften des Landes auszuweiten und zu verschärfen. Andernfalls bliebe den Arbeitenden Italiens und einfachen ItalienerInnen nicht viel mehr, als sich in ihrer sozialen Not wieder einmal am äußerst populären Theaterstück des Nobelpreisträgers Dario Fo „Bezahlt wird nicht!“ („Non si paga!“) zu inspirieren. Das Stück entstand 1974 als Antwort auf die zunehmende soziale Misere: Eines Tages ziehen die Kunden in „Non si paga!“ in kostenfreier „Selbstbedienung“ einfach an den Supermarktkassen vorbei und zahlen nicht mehr. Fo wurde daraufhin wegen Anstiftung zur „Plünderung“ angezeigt, mehrmals auf offener Bühne verhaft, erntete jahrelanges Auftrittsverboten im Fernsehen und wurde von Washington bis 1984 mit einem Einreiseverbot in die USA belegt. Dabei unterstrich der Schriftsteller selbst im Vorwort: „Wir sind überzeugt, dass im Gelächter, im Grotesken der Satire, der höchste Ausdruck des Zweifels liegt, die wichtigste Hilfe der Vernunft.“ „Deshalb haben wir als Mittel und Instrument unserer Arbeit als Theatermacher im Dienst des Klassenkampfs die Farce gewählt.“ 1997 verlieh ihm die Schwedische Akademie den Literaturnobelpreis, allerdings ohne sein Kulturschaffen „im Dienst des Klassenkampfs“ zu erwähnen, welches durch ihre „neue revolutionäre Kunst“ das Proletariat darin zu unterstützen sucht, „sein Klassenbewusstsein zu entwickeln“. „Bezahlt wird nicht!“ war zugleich ein Stück gegen die immer stärkere Integration der KPI ins System, in dessen Zuge sich diese scharf von der außerparlamentarischen Linken, rebellischen Bewegungen und Aktionen des zivilen Ungehorsams abgrenzte, einem sakrosankten Legalismus huldigte, und Fo selbst sich schließlich von ihr abwendete.

Foto: CGIL

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