Gestern prognostizierte WIFO-Chef Gabriel Felbermayr in den heimischen Medien für heuer den größten Reallohnverlust in der Geschichte der Zweiten Republik und korrigierte die Inflationserwartung für dieses Jahr auf knappe 8% (genauer: 7,8%) nach oben. Heute zeigte er sich auf internationalem Parkett in einem Spiegel-Interview mit dem bisherigen Sanktionsregime gegen Russland unzufrieden und sprach sich für weitere rigorose Verschärfungen aus. Frei nach dem Motto: „Whatever it takes“ – denn Felbermayer ist im (Wirtschafts-)Kriegszusammenhang um die hegemoniale Vorherrschaft des Westens alles andere denn ein unbeschriebenes Blatt.
Bereits im Februar 2021, also Monate vor der akuten Eskalation um die Ukraine und ein sattes Jahr vor dem Ukraine-Krieg, kritisierte Felbermayr – damals seines Zeichens noch Präsident des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel – im Sinne der geopolitischen Globalstrategie des Westens um seine Vorherrschaft im Deutschlandfunk die seines Erachtens viel zu lasche Russlandpolitik der EU: „Die Ziele, die wir gegenüber Russland haben, sind ja sehr große. Wir wollen ja nicht weniger als einen Regimewandel in Russland, das ist sehr schwer zu erreichen mit wirtschaftlichem Druck.“ Das war, um diesen Offenbarungseid des Ökonomieschreibtisch-Feldwebels einzuordnen, über ein Jahr vor Joe Bidens Warschau-Rede und dessen Kriegszielausgabe eines „Regime Change“ in Moskau am 26. März 2022.
Und schon in seinem FAZ-Beitrag „Die Logik des Wirtschaftskriegs“ zu Beginn der Sanktionen sprach er offen von einem „Wirtschaftskrieg“ und diesem auch unverhohlen das Wort und deklinierte dem bourgeoisen Lesepublikum eindringlich dessen „Kriegslogik“. „Der Wirtschaftskrieg folgt im Grundsatz einer Kriegslogik. RusslandsWirtschaft zum Kollaps zu bringen bedeutet, sich Russland als Ganzes zum Feind zu nehmen.“ Das für‘s Publikum gedachte Beiwerk, dass der präzedenzlose Sanktionswahnsinn und immer irrer forcierte Wirtschaftskrieg gegen Moskau dieses zur Einstellung der Kampfhandlungen oder Schwächung seiner Kriegsfähigkeit zwingen sollte, findet sich im Beitrag denn auch nur mehr als randständige Pflichtübung im Nebensatz.
Der seither entfachte Wirtschaftskrieg entwickelt sich währenddessen allerdings mehr und mehr zum Fiasko. Das betrifft selbst noch den geballten Angriff der westlichen Weltfinanzzentren auf den Rubel und das Einfrieren der russischen Notenbankreserven. Nach einer kurzzeitigen Talfahrt des Rubels auf die Hälfte seines Außenwerts ist er inzwischen wie ein Phönix aus der Asche aufgestiegen und hat gegenüber dem US-Dollar in der Zwischenzeit sogar um gut 40% gegenüber Jahresanfang aufgewertet. Entgegen dem westlichen Finanzkriegsziel, die russische Währung in Klimpergeld zu stampfen, zeichnet er aufgrund seiner steten Aufwertung seit Anfang April heute vielmehr sogar als die weltweit stärkste Währung 2022.
Und darin, dass auf eine angebliche Austrocknung der russischen Rüstungsindustrie und Waffenressourcen durch das Sanktionsgeflecht nur noch in zunehmend floskelhafterer Weise das Wort fällt, bricht sich schlicht der Umstand Bahn, dass Moskau diesbezüglich weitgehend autark vom Westen ist. So findet sich Russland auf dem weltweiten SIPRI Waffenimport-Ranking denn auch erst auf Platz 53 und erreicht das Volumen seiner diesbezüglichen Importe nur 0,7% seiner dahingehenden Exporte. Die freilich darunterfallenden viel zitierten Hochtechnologie-Komponenten für hypermoderne Waffensysteme wiederum, spielen für die konventionellen Gefechte und Waffengattungen in der Ukraine nur eine untergeordnete Rolle. Zudem können diese zwischenzeitlich zum Teil auch in viel höherem Grad als noch vor Jahren im Inland selbst hergestellt werden, auf Boden weiterentwickelten herkömmlichem Technologiestands substituiert oder mannigfach auch aus alternativen Exportländern bezogen werden. Für den Sanktionswahn eine angeblich damit beabsichtigte Austrocknung des Waffennachschubs Moskaus ins Feld zu führen, ist jedenfalls Irreführung.
Allerdings erweist sich der entfesselte Wirtschaftskrieg demgegenüber als immer stärkerer Bumerang und schlägt mit zunehmender Wucht auf die soziale Lage, Arbeits- und Lebensverhältnisse der Massen in Europa und der Welt zurück – was von Figuren wie Felbermayr freilich billigend in Kauf genommen wird. Denn: „Selbst wenn der heiße Krieg in der Ukraine endet, bleiben ein neuer Kalter Krieg und damit eine systemische Bedrohung für EU und NATO“ postuliert der „Regime-Changer“ an der Spitze des WIFO für sein Kriegsgetrommel bis zum Endsieg. „Moskau schlägt sich weit besser als gedacht“, ärgert er sich im heutigen Spiegel-Interview. Und so gälte es im Kampf um die hegemoniale Vorherrschaft des Westens für die Massen halt den Gürtel noch enger zu schnallen und die Sanktionspolitik weiter zu verschärfen sowie noch zusätzlich an der Eskalationsschraube zu drehen.