„Ich schäme mich für die Staaten, die die Militärausgaben auf zwei Prozent anheben, sie sind verrückt!“ (Papst Franziskus)
Das weitere Hochdrehen der Eskalationsschraube um die Ukraine im neuen Ost-West-Konflikt öffnete vordergründig zugleich den Weg in eine neue Hochrüstungsspirale und regelrechte Dammbrüche einer weiteren Militarisierung des Westens. Die USA schraubten ihren Rüstungsetat gerade auf eine neue Rekordhöhe, Deutschland stockt seine Aufrüstung in bisher beispiellosem Umfang auf und bringt darüber hinaus zudem ein sogenanntes (Militarisierungs-)„Sondervermögen“ von 100 Mrd. Euro auf den Weg. Und auch Österreich packt die Gelegenheit der schon lange parteiübergreifend akkordierten Aufstockung des Heeresbudgets beim Schopf und steht vor einer rigorosen Erhöhung der Ausgaben für das Bundesheer.
Zur Frage der vermeintlichen „Zeitenwende“
Begleitend wurde von Kanzler Karl Nehammer noch eine Neutralitäts-Debatte losgetreten, die diese noch weiter aushöhlen und untergraben soll. Nachdem einige Falken der ÖVP daraufhin gleich allzu forsch einem NATO-Beitritt Österreichs das Wort redeten, wird öffentlich wieder etwas beschwichtigt. Genau parallel haben die EU-Staaten jedoch den Beschluss über neue militärische EU-Eingreiftruppe ab 2025 gefällt und Verteidigungsministerin Klaudia Tanner auf die Frage nach einer österreichischen Beteiligung mit brustgeschweltem Ton verkündet: „Selbstverständlich sind wir dabei“. Begründet wird die nun nochmals beschleunigte Forcierung einer EU-Militärunion vor der Hand zwar mit einer vermeintlichen „Zeitenwende“ seit „24. Februar“, die Diskussion und Planung des Aufbaus einer solchen Eingreiftruppe gibt es allerdings schon seit den 1990er Jahren (also seit einem Vierteljahrhundert vor der angeblich jetzt so brisanten „Zeitenwende“) und auch der „neue“ sogenannte „Strategische Kompass“ der EU ist bereits seit über einem halben Jahrzehnt in der „Globalstrategie“ 2016 niedergelegt – inklusive einem massiven Aufrüstungsprogramm der „militärischen Spitzenfähigkeiten“ für „das gesamte Spektrum an land-, luft-, weltraum- und seeischen Fähigkeiten“, wie es schon seinerzeit hieß.
Neutralität, EU-Militärunion und NATO
Dabei waren die Vereinbarkeit der immerwährenden Neutralität Österreichs und der EU seit je, und allerspätestens mit deren in den Maastrichter Verträgen grundgelegten Weg zur Militärunion (Stichwort: „Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik“, GASP), umstritten. (Ebenso wie die seitens Österreichs 1995 erfolgte Unterzeichnung des „Rahmendokuments“ der sogenannten NATO-„Partnership for Peace (PfP)“, die Einbeziehung der Alpenrepublik in den Euro-Atlantischen Partnerschaftsrats (EAPC) der NATO und die 1998 beschlossene Ausdehnung der Zusammenarbeit im Rahmen der NATO-PfP.) Der 1997 beschlossene Vertrag von Amsterdam beinhaltete dann bereits noch über Maastricht hinausgehende Festlegungen zur Militarisierung der Europäischen Union, die auf der Ratstagung in Köln und Helsinki 1999 noch weiter konkretisiert wurden – nämlich zur Schaffung „glaubwürdiger, verfügbarer und schlagkräftiger europäischer Streitkräfte“. 2003 legte die EU in ihrer Sicherheitsstrategie dann im diplomatisch verklausulierten Kriegseinsatz- und Kriegsgebiets-Sprech nieder, bei den „neuen Bedrohungen“, sprich: vitalen Interessen des europäisch-imperialen Union, „wird die erste Verteidigungslinie oftmals im Ausland liegen“. Die GASP und GSVP („Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik“) wurden aufgrund ihrer bisherigen Schwerfälligkeit schließlich (in Österreich in gemeinsamer Tatkraft von Schwarz-Rot-Blau-Grün) zur SSZ bzw. zu PESCO fortgetrieben, oder „weiterentwickelt“ wie es euphemistisch heißt. Im Dezember 2017 wurde so mit dem EU-Vertrag für die „Ständige Strukturierte Zusammenarbeit“ (SSZ, engl. PESCO) denn auch der offizielle Startschuss für eine forcierte Militärkooperation, der gemeinsamen Hochrüstung sowie gemeinsamer Kampfeinsätze gegeben und die EU als Europäische Kriegsunion endgültig auf den Weg gebracht und von Schwarz-Rot-Blau-Grün weiter betrieben. Ihr letztes Mosaiksteinchen findet die jahrzehntelange Aufbaugeschichte einer EU-Militärunion nun in den bis 2025 kampfbereit stehenden neuen Eingreiftruppen der Union.
Die „verrückte“ 2%-Marke, SSZ/PESCO und Österreich
Die aktuell in Diskussion stehende rigorose Erhöhung des wehrpolitischen Etats (im Falle des 2%-Ziels eine satte Verdreifachung) wiederum werden daher in Wirklichkeit auch einzig und allein fürs Publikum in einem Zusammenhang mit der Eskalation des Kriegs um die Ukraine gerückt und wurden schon mit Zustimmung des vormaligen SPÖ-Kanzlers Christian Kern sowie SP-Verteidigungsminister Hans-Peter Doskozil zur SSZ eingeleitet, von Türkis-Blau unter Sebastian Kurz dann expressis verbis im Regierungsprogramm verankert und im schwarz-grünen Koalitionsabkommen abermals schon mit Regierungsantritt paktiert.
Das bereits mit dem Regierungsprogramm staatsoffizielle Bekenntnis der sich gern als „Friedenspartei“ gerierenden Grünen zur neu etablierten EU-Militärunion SSZ oder PESCO, samt Aufstockung des Verteidigungsetats, war denn auch nur das Präludium zur jetzigen ungeschminkten Militarisierungsoffensive und fügen sich beide nahtlos in den tatsächlichen oliv-grünen Kurs ein.
„Schulterschluss“ für die Geldschleuse zur Militarisierung: 4 Mrd., 6 Mrd., 10 Mrd.
Diese EU-Militärunion beinhaltet nämlich zugleich auch die Verpflichtung einer „regelmäßigen“ Erhöhung des „Verteidigungsbudgets“ (oder genauer formuliert: der Militär- und Rüstungsausgaben). Anvisiert ist eine Erhöhung der Etats auf 2% des BIP analog der NATO-Bestimmungen, was in Österreich mit einem Verteidigungsbudget von 0,6% oder 2,7 Mrd. Euro grob eine satte Verdreifachung bedeuten würde. Zuletzt gegessen unter den Koalitionspartnern und der parlamentarischen Parteienlandschaft war in einem beschworenen „Schulterschluss für höheres Verteidigungsbudget“ jedenfalls schon einmal dessen rigorose Aufstockung. Sprachen Bundeskanzler Nehammer und Verteidigungsministerin Tanner zuletzt konkret bereits von einer Erhöhung auf 1% des BIP oder 4 Mrd. Euro, brachten Letztere und Generalstabschef Robert Brieger überhaupt eine stufenweise Aufstockung auf 1,5% des BIP oder 6 Mrd. pro Jahr (ab 2025) und einem zusätzlich 10 Mrd. Euro schweren Sonderbudget (unverfroren als „Neutralitätsfonds“ bezeichnet) in die Debatte.
EU-Militärunion & stille Entsorgung des Konsensprinzip
Parallel trachtet die EU sowohl mit der SSZ wie dem nunmehrigen Militarisierungsplan unter deutsch-französischer bzw. vorrangig deutscher Führung das Einstimmigkeitsprinzip in militärpolitischen Fragen und für Militäreinsätze zu unterlaufen – freilich mit gemeinsamen Verpflichtungen für die imperialen Interessen der Union: von der Bereitstellung von Truppen für Auslandseinsätze und an globalen EU-Militärmissionen (über die neue Eingreiftruppe hinaus z.B. im Rahmen der EU-Battlegroups) oder „substanzielle Unterstützung“ für EU-Einsätze zu leisten (via Personal – mit logistischen Assistenzaufgaben auch vor Ort am Kriegsgeschehen –, Material, Ausbildung, Infrastruktur „und Sonstigem“).
Des Pontifex Warnung vor Hochrüstung und einem „Dritten Weltkrieg auf Raten“
In der derzeitigen Kriegs- und Rüstungshysterie zunächst medial weitgehend unbeachtet, fällte Papst Franziskus ein vernichtendes Urteil über die Weichenstellungen auf nochmals multiplizierten Militarismus und Krieg – bis hin zur Gefahr eines abermaligen großen heißen Kriegs. „Ich schäme mich für die Staaten, die die Militärausgaben auf zwei Prozent anheben, sie sind verrückt! Die wahre Antwort besteht nicht in anderen Waffen, anderen Sanktionen, anderen politisch-militärischen Allianzen, sondern in einer anderen Einstellung, einer anderen Weise, eine bereits globalisierte Welt zu verwalten, darin, nicht die Zähne zu zeigen, sondern internationale Beziehungen zu knüpfen“, so der Pontifex gegen Aufrüstung, gegen den Kampf um imperialistische Vorherrschaft und um neue europäische und globale Sicherheitsarchitektur bemüht.
Und ließ, eingedenk der Bilder aus der Ukraine, auch an der Heuchelei und den doppelten Maßstäben des Westens, sowie dessen Geopolitik und Globalstrategie samt Inkaufnahme eines neuen Infernos kein gutes Haar: „Regionale Kriege hat es die ganze Zeit gegeben, hier und dort, wir befinden uns seit einer Weile in einem ‚Dritten Weltkrieg auf Raten‘, und nun stehen wir vor einer Dimension, die die gesamte Welt bedroht. Und das Grundproblem ist immer das gleiche: Die Welt wird weiterhin wie ein ‚Schachbrett‘ behandelt.“ Noch nie, so Kommentatoren, hat ein Papst derart deutlich gegen den Rüstungs- und Kriegswahn Stellung bezogen – was bei seinen „Schäfchen“, genauer gesagt: politischen Führungsfiguren in den Hauptstädten der westlichen Kernländer allerdings (freilich im Namen des „christlichen Abendlands“) auf taube Ohren stoßen dürfte.
Am Rande einer dritten „Ölkrise“?
Letzteres betrifft freilich auch Papst Franziskus‘ eindringliche Kritik am gezündeten und stetig verschärften „kommerziellen Äquivalent“ zu „Nuklearwaffen“ – dem Abklemmen Russlands vom internationalen Zahlungssystem SWIFT und verhängtem Sanktionsregime. Und während BeobachterInnen aufgrund des vom Westen entfesselten Wirtschaftskriegs gegen Russland eine dritte „Ölkrise“ nach 1973 und 1979/80 nicht mehr ausschließen,die (wie im übrigens auch die Sanktionen insgesamt) vor allem die EU rückwirkend treffen, (während die US-amerikanisch-russischen Handelsströme nahezu irrelevant sind und „God’s Own Country“ auch unabhängig von russischem Öl- und Gas ist), lullen sich die devoten Vasallen Washingtons von Brüssel bis Wien in ihrer geopolitischen Rolle der Juniorpartnerschaft Kalter Krieger 2.0. Was Wunder, dass Russland auf das verhängte, alle bisherigen vergleichbaren Sanktionen gegen Staaten übertreffendem Sanktionsregime sowie dem offenen Ziel das Land „zu ruinieren“ (Annalena Baerbock) mit Gegenreaktionen zu antworten sucht. Das aktuelle Dekret zur Umstellung des Zahlungssystem auf Rubel bedeutet allerdings zunächst nur, dass die weiterhin in Dollar oder Euro überwiesenen Zahlungen von der Gazprombank in Rubel konvertiert werden, was dessen Absturz jetzt einmal gebremst hat. Die Öl- und Gashandel sowie die Einhaltung der Lieferverpflichtungen funktionieren auch auf dieser Basis problemlos. Greenbacks oder das Petrodollarsystem braucht es dafür nicht. Was die Fahrt aufnehmende (im Grunde längst überfällige) Dedollarisierung längerfristig zeitigt und an Neuerungen hervorbringt, wird sich noch weisen. Ausgezogen den „russischen Bären“ zu erlegen, haben die USA und Europäische Union mit lautem Hurra! jedenfalls die Lunte am Pulverfass gezündet.
Gegenüber dieser schwarz-roten-blau-grünen imperialen Stahlhelm- und Kriegsphalanx halten wir es dahingehend denn doch im ökumenischen Sinne mit dem Pontifex: „Sie sind verrückt“ – „Diese Wirtschaft tötet“!