Das Maraş-Massaker vom 24.12.1978
Das Alevitentum begann sich im 13. Jdt. zu organisieren und zu institutionalisieren – wird aber in der Türkei bis heute nicht als eigenständige Religion anerkannt. Dementsprechend sahen sich die AlevitInnen – seit einer berühmt-berüchtigten Fatwa des 16. Jhdts. „als die minderwertigsten Menschen, die es überhaupt gibt“ bezeichnet – zeit ihrer Geschichte blutigen Massakern und Pogromen ausgesetzt. Eine Kette an Gemetzel, die sich in der jüngeren türkischen Geschichte vom Dersim-Massaker 1938 mit seinen über 120.000 Hingemordeten, über das sich heute jährende Massaker von Maraş 1978, über jene von Corum 1980, Sivas 1993, bis zu Gazi 1995 zieht.
Auf den Tag genau vor 42 Jahren, am 19. Dezember 1978, begann in Maraş – mit Höhepunkt am 24.12. –eines jener Massaker gegen die AlevitInnen, dem wir heute gedenken. Das vom türkischen Staat, paramilitärischen Kräften orchestrierte und zusammen mit einem aufgestachelten Mob begangene Gemetzel dauerte bis zum 26. Dezember. 102 AlevitInnen wurden in diesem eine Woche andauernden Massaker viehisch hingemordert und massakriert. Ihr Vermögen beschlagnahmt, ihre Häuser und Geschäfte in Brand gesteckt und zerstört. Schwangeren Frauen wurden in diesem bestialischen Treiben ihre Kinder aus dem Leib geschnitten. Viele Einzelheiten des damaligen Verbrechens sind an Grausamkeit kaum zu überbieten.
In welche Kontinuitätslinie sich das Massaker von Maraş dabei bis in das heutige, faschistische AKP/MHP-Regime der Türkei einordnet, zeigt nicht nur dessen eigene brachiale Unterdrückungs- und Verfolgungspolitik gegen das Alevitentum, sondern bewies im Februar dieses Frühjahrs auch nochmals die skandalöse Begnadigung von Ahmet Turan Kılıç, eines der Drahtzieher und Täter des späteren Sivas-Massakers. Der Aleviten-Schlächter Kılıç wurde später wegen des Massenmordes zunächst zum Tode verurteilt und seine Strafe nach der Abschaffung der Todesstrafe in lebenslängliche Haft umgewandelt. Im Frühjahr hat ihn Erdoğan begnadigt. Während gegen die linke, kurdische, gewerkschaftliche und demokratische, sowie nicht zuletzt alevitische Opposition ungebrochen eine regelrechte Hexenjagd durchs Land am Bosporus rollt, lebt der Sivas-Schlächter wieder auf freiem Fuß. Eine offene Verhöhnung der alevitischen Opfer sämtlicher Pogrome und Massaker sowie zugleich politisches Kalkül Erdoğans um seinen bröselnden reaktionären Herrschaftsblock zu kitten.
Das Roboski-Massaker vom 28.12.2011
Desselben gedenken wir heute dem Massaker von Roboski am 28.12. 2011, in welchem die türkische Luftwaffe 34 junge kurdische Zivilisten, darunter 18 Kinder, das jüngste gerade einmal 12 Jahre alt, zerbombte. Wie kein anderes Land stehen die Türkei und Kurden-Schlächter Erdoğan für die Diskriminierung, Verfolgung, Unterdrückung und Vernichtung der KurdInnen. Mit Beihilfe der Informationen einer US-amerikanischen Drohne über Bewegungen am türkisch-irakischen Grenzgebiet die seitens der USA an den NATO-Partner übermittelt wurden, nahmen türkische Kampfjets unmittelbar Kurs auf zivile DorfbewohnerInnen, die auf Eseln Waren transportierten, und fackelten nicht lange. Obwohl sich umgehend herausstellte, dass es sich bei den Ermordeten um eine Gruppe junger Zivilisten handelte die vom Grenzhandel lebten, lehnte das AKP-Regime jede Entschuldigung für das Massaker ab und strengte stattdessen vielmehr immer weitere Prozesse gegen die Angehörigen der Opfer an.
Der prominenteste Angehörige ist sicherlich der spätere HDP-Abgeordneten Ferhat Encü. Dieser verlor durch den Luftangriff seinen Bruder und zahlreiche weitere Verwandte. Nach dem Bombardement brach er sein Studium ab und ging in die Politik. Für die linke, pro-kurdische Demokratische Partei der Völker (HDP) zog er 2015 ins türkische Parlament ein. Im November 2016 wurde er dann wie so viele andere wegen angeblicher »Unterstützung des Terrorismus« verhaftet, nach drei Monaten freigelassen, um dann im Februar 2017 erneut festgenommen zu werden. Im Februar 2018 wurde ihm – wie zahlreichen anderen HDP-ParlamentarierInnen – sein Abgeordnetenmandat aberkannt. Erst im Juni 2019 wurde er schließlich aus der Haft entlassen. Die Opfer von Roboski sind von uns jedoch ebenso wenig vergessen wie jene von Maraş.
Das Gefängnis-Massaker vom 12.12.2000
Und wir gedenken am ebenfalls heutigen Jahrestag nachdrücklich den Gefängnis-Massakern von 2000. Heute vor genau 20 Jahren, am 19. Dezember 2000 stürmten auf Befehl der türkischen Regierung Ecevit Polizeieinheiten die türkischen Gefängnisse, um den Hungerstreik linker, revolutionärer, politischer Gefangener gegen ihre Verlegung in die berüchtigten Typ-F-Isolationsgefängnisse zu brechen. Die brutalen türkischen Gefängnisbedingungen der 90er Jahre sind ebenso berüchtigt, wie die Typ-F Isolationshaft, von Menschenrechtsorganisationen als „weiße Folter“ bezeichnet. 28 linke, politische Insassen und Revolutionäre fielen der Polizeibrutalität direkt zum Opfer, Dutzende weitere wurden verletzt. Zahlreiche Überlebende des Gefängnissturms wurden im Anschluss schwer misshandelt und gefoltert. Selbst eine vom türkischen Justizministerium berufene Expertenkommission prangerte »schwere Übergriffe« der Sicherheitskräfte an – ohne dass allerdings je Verantwortliche oder Täter dafür zur Rechenschaft gezogen wurden.
Seit Sommer 1916 hat der „neue Sultan vom Bosporus“ bekanntlich einen Ausnahmezustand über das Land verhängt und Oppositionelle sämtlicher Couleurs, allen voran jedoch die linke, pro-kurdische und revolutionäre Opposition für vogelfrei erklärt. Seither entfesselte das faschistische AKP/MHP-Regime sowohl im Landesinneren wie auf ausländischen Territorien zahlreiche schmutzige Kriege und fegt eine Massenverhaftungswelle nach der anderen durchs Land. Die Situation in den völlig überfüllten türkischen Gefängnissen wiederum, ist heute vergleichbar brutal, menschunwürdig und durch Willkürgewalt gekennzeichnet wie in den 1990er Jahren. Gerade in jüngster Zeit gab es abermals breit angelegte Razzien und Beschlagnahmungen von Büchern, Briefen sowie selbstverfassten Texten. Und während angesichts der Corona-Pandemie, in denen sich die Gefängnisse weltweit zu Epizentren der Ansteckung entwickelten, Zig-Tausende Gewalttäter, Schwerkriminelle und Faschisten wegen drohender Lebensgefahr aus den bis zum Bersten gefüllten Gefängnissen entlassen wurden, blieben die politischen Gefangenen weiterhin eingekerkert. Verschärft umrigorose Sperren der Gemeinschaftseinrichtungen, Verbot sozialer Aktivitäten und von Familienbesuchen. Wie viele Gefangene sich seither mit dem Covid-Virus infiziert haben und dem Tod überlassen wurden, kann in seiner ganzen Tragweite nicht einmal geschätzt werden. Seit Ende November findet in den türkischen Haftanstalten daher erneut ein (rollierender) Hungerstreik zahlreicher politischer Gefangenen gegen Isolation, für medizinische Versorgung und die Einhaltung ihrer Grundrechte statt.
Und so wie wir keinesfalls zulassen werden, dass die Opfer des Gefängnissturms vor 20 Jahren vergessen werden, sondern wir aus tiefsten Herzen und innerer Überzeugung ihr Andenken in Ehre halten werden, so unterstützten wir auch die seitherigen Hungerstreiks, Gefängnis-Widerstände und solidarisieren uns mit dem aktuellen Kampf der politischen Gefangenen um ihre Grundrechte und Freiheit.
Wir werden weder vergessen, noch zurückweichen – sondern den Kampf um unsere Freiheit und Selbstbestimmung solange führen, bis alle Unterdrückungs- und Ausbeutungsverhältnisse umgestaltet, umgeworfen sind! Und dann tatsächlich das Wort Goethes zugleich in der Realität seine Entsprechung finden können wird: „Edel sei der Mensch, hilfreich und gut!“