Klimakrise: Das Kippen des planetaren Klimas und seiner Kippelemente

Um zu vermeiden, dass die Klimakrise in eine Klimakatastrophe umschlägt, muss verhindert werden, dass Kippelemente des Erdsystems weiter destabilisiert werden und schließlich kippen. Denn dann droht die Klimaerhitzung durch selbstverstärkende Prozesse zum Selbstläufer zu werden und ihre Auswirkungen vollkommen außer Kontrolle zu geraten.

Selbstverstärkende Effekte und Verselbständigung

Kippelemente umfassen Eiskörper, Luft- und Meeresströmungssysteme sowie Ökosysteme von überregionaler Bedeutung[1]. Als überregionale Größen haben Kippelemente entscheidende Auswirkungen auf die ökologische und klimatische Beschaffenheit unseres Planeten. Gleichzeitig seht ihr Zustand in engem Verhältnis mit den klimatischen Bedingungen. Sind sie durch die Erderhitzung nahe an einen Schwellenwert (Kipppunkt) gebracht, können sie bereits durch kleine Störungen in einen qualitativ neuen Zustand versetzt werden, in dem sie dann verharren – z.B. die Verdrängung der Nordischen Nadelwälder durch Busch- und Graslandschaften, die Zerstörung von Korallenriffen oder die Austrocknung des Nordamerikanischen Südwestens. Bereits einzelne überschrittene Kipppunkte haben weitreichende Umweltauswirkungen und gefährden die Lebensgrundlage vieler Menschen. Durch Wechselwirkungen zwischen Kipppunkten können sogenannte Kippkaskaden ausgelöst werden, Rückkopplungsprozesse, die zum Kippen weiterer Erdsysteme führen. Dies würde uns in eine neue Heißzeit katapultieren und die Grundlagen menschlicher Zivilisation, wie wir sie kennen, vernichten.

Kippelemente in Bewegung

Das schnelle Abschmelzen des arktischen Meereises trägt dazu bei, dass die Temperaturen in den hohen nördlichen Breiten etwa doppelt so schnell steigen wie im globalen Durchschnitt. Grund dafür ist u.a. die verringerte Reflexion der Sonnenstrahlung, die mit dem Rückgang heller Eisoberflächen und der Zunahme wärmespeichernder dunkler Wasseroberflächen zusammenhängt (Albedo Effekt).

Als Starkwindband trennt der Jet Stream in der Nordhalbkugel nicht nur die kalten Luftmassen der Arktis von den gemäßigteren im Süden sondern verschiebt auch die Luftmassen in östlicher Richtung. Er ist damit die Ausgangslage für die Entstehung von Hoch- und Tiefdruckgebieten, die das regionale Wetter stark prägen. Die Verlangsamung bzw. das Einrasten seiner wellenförmigen Luftmassenbewegung verursacht regionale Großwetterlagen, die sich über Wochen nicht auflösen und anhaltendes Extremwetter (Kälte- und Hitzewellen, Überflutungen und Dürren) verursachen.

Rund 40 % der vom Menschen verursachten CO2-Emissionen wurden bisher von den Weltmeeren aufgenommen, großteils von Algen zum Wachstum genutzt und nach dem Absterben durch Absinken in der Tiefsee gespeichert. Die CO2-Aufnahme der Weltmeere führt allerdings zu dessen Versauerung, was nicht nur kalkskelettbildende Lebewesen (z.B. Korallen) gefährdet sondern gemeinsam mit der Erwärmung sowie häufiger auftretender Sauerstoffarmut die Funktion der Weltmeere als marine biologische Kohlenstoffpumpe einschränkt.

In den arktischen Perma- und Dauerfrostböden Sibiriens und Nordamerikas sind riesige, über viele Jahrtausende eingelagerte Mengen an Kohlendioxid und Methan gespeichert. Allein in den obersten drei Metern um die tausend Milliarden Tonnen Kohlenstoff. Durch Auftauen werden diese Treibhausgase freigesetzt und sorgen für zusätzliche Erhitzung unseres Klimas. Kohlenstoffzersetzende Mikroorganismen beschleunigen durch Wärmeerzeugung das Auftauen und die Zersetzung des Bodens weiter.

Niedrige Wolken bedecken ungefähr ein Viertel der Ozeane und reflektieren dadurch 30 bis 70 Prozent der Sonnenstrahlung, die sonst durch die dunklen Wellen der Weltmeere aufgenommen und diese erwärmen würde. Dadurch wird auch das Entstehen von Wasserdampf, dem wichtigsten natürlichen Treibhausgas verringert. Ab einem Anstieg der weltweiten Durchschnittstemperatur von ca. + 4°C in Kombination mit der CO2-Konzentration in der Atmosphäre nimmt die Wolkenbildung allerdings ab. Das führt zu einer Erwärmung der Ozeane und zunehmender Wasserdampfbildung. Ab einer Treibhausgaskonzentration von geschätzten 1.200 ppm (1.200 Treibhausgasmolekülen pro Million Molekülen trockener Luft) könnte die niedrige Wolkendecke komplett verschwinden und einen zusätzlichen Erwärmungsschub von + 8°C auf + 12°C zur Folge haben. Die für diesen Kipppunkt ausschlaggebende Treibhausgaskonzentration würde sich grob aus der aktuellen Ansammlung in der Atmosphäre plus der in den Perma- und Dauerfrostböden gespeicherten Treibhausgase ergeben.

Wechselwirkungen und Kippkaskaden

Eine unlängst erschiene Studie[2] hat das Risiko von Klima-Domino Effekten untersucht und die Wechselwirkung zwischen dem Grönland-Eispanzer, dem Westantarktischen Eisschild, der Atlantischen Thermohalinen Zirkulation und dem Amazonas Regenwald beleuchtet. Die beiden Eisschilde sind in diesem Zusammenhang Ausgangspunkt für Kippkaskaden und befinden sich aktuell schon in Gefahr ihre Kipppunkte überschritten zu haben. Durch steigenden Süßwassereinfluss infolge des abschmelzenden Grönlandeisschilds verringert sich beispielsweise die Umwälzungsströmung des Atlantiks. Dadurch vermindern sich der Kältetransport in südliche sowie der Wärmetransport in die nördliche Halbkugel. Die verringerte oder gar zusammenbrechende Umwälzströmung kühlt die Nordhalbkugel, hat somit einen stabilisierenden Effekt auf das Grönlandeisschild, allerdings durch zusätzliche Erhitzung der Südhalbkugel einen destabilisierenden Effekt auf das Westantarktische Eisschild. Das Grönlandeisschild und das Westantarktische Eisschild destabilisieren sich durch den Anstieg des Meeresspiegels wechselseitig.

Was nun?

Viele Kippelemente sind bereits destabilisiert, einige wie das Westantarktische Eisschild dürften bereits kollabiert sein. Es ist daher dringend erforderlich, die leeren Klimaschutzversprechen und schwammigen Absichtserklärungen hinter uns zu lassen und schnellstens konkrete, den Notwendigkeiten entsprechend umfangreiche Taten folgen zu lassen, sprich den Energieverbrauch drastisch zu senken. Dazu werden tiefgreifende gesellschaftliche Veränderungen notwendig sein, aber auch individuelle Verhaltensänderungen. Technologisch kann das Problem nicht gelöst werden, wie auch die IEA in ihrem aktuellen Bericht indirekt eingesteht.[3] Die jüngst oft und gerne verwendeten Hinweise auf den Carbon Majors Report[4], wonach 71 % der industriellen Treibhausgasemissionen von nur 100 Konzernen verursacht wurden trägt wenig zur Lösung der Problematik bei bzw. dürften sie auf einem grundlegenden Miss- oder Unverständnis der Aussage des Reports beruhen. Es handelt sich hier ausschließlich um Energiekonzerne und fossile Energieträger. 90 % der den 100 Konzernen zugerechneten THG-Emissionen entstehen in der Verwendung der von ihnen verkauften Produkte (Kohle, Öl, Gas, Bitumen) – das ist ihr Geschäftsmodell und Profit, darum haben sie auch kein Interesse an Klimaschutz. D.h. aber auch, dass 90 % dieser THG-Emissionen zur Gewinnung und Verarbeitung anderer Rohstoffe, zur Produktion um zum Transport von Maschinen und Konsumgütern, zur Errichtung von Gebäuden, zur Strom-, Wärme- und Kälteerzeugung, für Mobilität etc. verwendet werden.


[1] https://www.pik-potsdam.de/de/produkte/infothek/kippelemente/kippelemente

[2] https://www.pik-potsdam.de/de/aktuelles/nachrichten/risikoanalyse-von-klima-domino-effekten-kippelemente-koennen-sich-gegenseitig-destabilisieren

[3] https://www.iea.org/reports/net-zero-by-2050. Vgl. u.a. S 16.

[4] https://www.cdp.net/en/articles/media/new-report-shows-just-100-companies-are-source-of-over-70-of-emissions

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