Zweite Streikwelle im Sozial- und Gesundheitsbereich
Nachdem auch die 6. KV-Runde im Kampf um eine Arbeitszeitverkürzung ergebnislos verlief, treten die Beschäftigten im privaten Sozial- und Pflegebereich – nach den Streiks der Vorwoche – jetzt am 26. und 27.2. in eine 2. Streikwelle und dehnen den Arbeitskampf aus. Damit bilden die KollegInnen der Sozialbranche aktuell die VorreiterInnen und gewerkschaftliche Speerspitze des Kampfes um die 35-Stunden-Woche. Ein Kampf der allerdings alle Beschäftigten und Branchen angeht. Gefragt ist daher jetzt über die Branche hinaus, die konsequente Solidarität und Aktivität der gesamten Gewerkschaftsbewegung.
Der Widersinn der Kapitallogik:
Während auf der einen Seite die Arbeitslosigkeit im Land in den letzten Jahren auf neue Rekordhöhen kletterte und auch im Aufschwung verfestigt bleibt, steigt auf der anderen Seite der Leistungsdruck auf die Beschäftigten und bürdet man ihnen Millionen von Überstunden auf. Beides spiegelt indes nur kapitalistische Kehrseiten ein und derselben Medaille. Und beidem lässt sich ohne einer weitreichenden Arbeitszeitverkürzung und einer gesellschaftlichen Umverteilung auf alle nicht beikommen.
Die Arbeitswelt stellt nicht nur schon gegenwärtig den kompaktesten Block unseres Lebensalltags dar, sondern drückt auch unserer übrigen Lebenszeit immer stärker ihren Stempel auf:
Von der ausufernden Verfügbarkeit unserer Arbeit, über die Intensivierung der Arbeitsprozesse und Arbeitsverdichtung, bis zu gegenüber früher längeren Anfahrtszeiten zum Betrieb. Mit all den damit einhergehenden physischen und psychischen Belastungen und Folgen: Stress, Überarbeitung, Burn-Out und anderen stressbedingten Erkrankungen, steigendem Arbeitsunfallrisiko, akutem privaten Zeitmangel, zunehmender Unvereinbarkeit von Beruf und Privatem und fehlender ausreichender Erholung.
Das gleichzeitige strukturell verfestigte Arbeitslosenheer bedeutet wiederum nicht „nur“, dass hunderttausende Werktätige ungebrochen erwerbslos sind, gerade noch so über die Runden kommen, in entwürdigenden Abhängigkeiten stehen und vielfältig von gesellschaftlicher Teilhabe ausgeschlossen sind. Sondern es schlägt auch mit seinen Begleiterscheinungen mit voller Wucht zu Buche und lässt die Normalarbeitsverhältnisse weiter erodieren und zerbröseln. Mit der Folge sich auf breiter Front durchsetzender Prekarisierungen und „Zwangs-“ Teilzeitbeschäftigung, massivem Lohndruck und Lohndumping, der Aushöhlung erkämpfter sozialer Rechte und einer Ausweitung des Niedriglohnsektors. Ein allseits zunehmender Druck auf die Arbeitsverhältnisse, der den Wirtschaftsvertretern zugleich als Hebel zu noch entgrenzteren Jobformen und weiteren Flexibilisierungen dient.
Die 255 Millionen geleisteten Überstunden im Jahr verdeutlichen diesen Umstand wohl am Augenfälligsten. Allein deren Abbau brächte – konservativ gerechnet – gut 50.000 Arbeitsplätze, anderen Studien zufolge sogar ein Vielfaches.
4,5 Jahrzehnte 40/h-Woche – 3,5 Jahrzehnte Papiertiger 35/h-Woche
Seit 1975, also viereinhalb Jahrzehnte, kam es zu keiner weiteren umfassenden und generellen Arbeitszeitverkürzung mehr. Zwar konnten seither in verschiedenen Branchen kollektivvertragliche Arbeitszeitverkürzungen durchgesetzt werden. Von einer flächendeckenden Arbeitszeitverkürzung oder gar Einführung einer gesetzlichen 35-Stunden-Woche als erstem und überfälligem Schritt einer weitreichenden Arbeitszeitverkürzung auf 30 Stunden, sind wir nichts desto trotz meilenweit entfernt.
Die gesetzliche Regelarbeitszeit liegt unverändert bei 40 Wochenstunden. Die seit 1983 von ÖGB und AK vielfach geforderte 35-Stunden-Woche ist auch nach bald vier Jahrzehnten nicht durchgesetzt. Damals wurde diese bereits als (Produktivitäts-)Abgeltung der Effektivierungen der 1970er Jahre (!) gefordert. Heute begründet sie sich, wie der weitere Schritt in Richtung einer weitreichenderen Arbeitszeitverkürzung auf 30 Stunden, ökonomisch schon alleine aus der enormen Produktivitätssteigerung der letzten zweienhalb Jahrzehnte (allein 1996 bis 2016: + 32,2%).
Mehr Freizeit – mehr Arbeitsplätze!
Aber abgesehen von ritualisierten Resolutionen und Absichtserklärungen seitens ÖGB und AK harrt sie weiterhin ihrer Erkämpfung. Erst seit kurzem kommt wieder etwas Bewegung in die Sache: Die 35-Std.-Woche wird, wenigstens in progressiven Teilbereichen der Gewerkschaft, wieder zum Bestandteil konkreter gewerkschaftlicher Forderung in KV-Auseinandersetzungen und Kampagnen.
Das ist auch dringend geboten, denn allein die Durchsetzung der 35-Stunden-Woche bei vollem Lohn- und Personalausgleich brächte gut 130.000 – 180.000 zusätzliche Arbeitsplätze und würde zusammen mit einem Überstundenabbau bis zu über 230.000 Arbeitslose wieder in Broterwerb und Arbeit setzen. Mit einer 30-Stunden-Woche ließe sich im Folgeschritt dann überhaupt eine Wende einleiten!
Industrie 4.0 durch Arbeitszeitverkürzung auffangen!
Parallel schreitet unter dem Schlagwort „Industrie 4.0“ die Digitalisierung der Arbeit voran: Mit ihren tiefgreifenden Umbrüchen in der Arbeitswelt, weiterer Arbeitsintensivierung, steigendem Leistungsdruck und massiven Rationalisierungen, die viele der heutigen Arbeitsplätze und Berufe drastisch bedrohen.
Wende einleiten: Für eine Neuvermessung der Arbeit!
Eine Wende, in der sich die Zurückdrängung der Arbeitslosigkeit sowie der sie begleitenden Armut mit einer Verschiebung der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse und des Zugewinns an emanzipatorischer Lebensqualität verbindet. So ist eine radikale Arbeitszeitverkürzung und gesellschaftliche Umverteilung auf alle Arbeitssuchenden auch zu verstehen: Als sowohl beschäftigungspolitischer Hebel, wie als (über eine rein monetäre Konsumpartizipation hinausgehende) Aneignung der Produktivitätssteigerung seitens der Arbeitenden auch in Form von mehr freier Zeit: fürs Private, für Muße, Genuss und Selbstentfaltung.
Last but not least würde eine radikale Arbeitszeitverkürzung auch das Ungleichgewicht zwischen den Geschlechtern reduzieren: Sie ermöglicht es Frauen, leichter aus den mannigfach erzwungenen flexiblen Arbeitszeiten und „Zwangs-“ Teilzeit mit zu wenig Lohn für ein selbständiges Leben in Vollzeitbeschäftigung auszubrechen, während männliche Beschäftigte wiederum mehr Zeit hätten, um ihren Teil an Haushalt und Kinderbetreuung zu übernehmen.
Ist Arbeitszeitverkürzung überhaupt möglich?
Entgegen den üblichen Froschperspektiven ist es keine Frage, ob Arbeitszeitverkürzung möglich sei: Gesamtgesellschaftlich findet sie nämlich in Form anwachsender Massenarbeitslosigkeit bereits faktisch statt.
Aufgrund der gesteigerten, schneller als die Produktion wachsenden, Produktivität, werden für die Produktion derselben Menge an Gütern und Dienstleistungen immer weniger Arbeitskräfte benötigt – also weniger gesellschaftlich erforderliche Arbeitszeit aufgewandt. Bei einer gegebenen Menge an Produkten bedeutet dies, dass die Werktätigen entweder kürzer arbeiten können oder ein zunehmender Teil der vorhandenen Arbeitskräfte für die Verwertung des Kapitals überflüssig wird.
Was nichts anderes als eine Arbeitszeitverkürzung im gesellschaftlichen Maßstab bedeutet. Allerdings auf Kosten sowohl der Arbeitenden wie dem damit einhergehenden Heer an Arbeitslosen, und ohne jedweden Lohnausgleich.
Wir fordern:
Nach Jahrzehnten eines gesetzlich-allgemeinen Arbeitszeitverkürzungsstillstands, einer kontinuierlich absackenden Lohnquote, des zunehmenden Arbeitsdrucks sowie einer explodierten Arbeitslosigkeit bedarf es dringendst einer radikalen Arbeitszeitverkürzung und gesellschaftlichen Umverteilung auf alle im Land!
• Für die längst überfällige Durchsetzung der 35-Stunden-Woche bei vollem Lohn- und Personalausgleich sowie begleitender Arbeitszeitregelungen!
• Für eine weitreichende Arbeitszeitverkürzung auf eine allgemeine und flächendeckende 30-Stunden-Woche!
• Für Maßnahmen zum Abbau chronischer Überstunden!
• Für eine flächendeckende Einführung der 6. Urlaubs-woche für alle unselbständig Beschäftigten!
• Klassenkämpferischer Widerstand gegen die Angriffe der Reichen, Industriellen und Banken!
• Zurück zu einer konsequenten Auseinandersetzung für eine (gesetzliche) umfassende und generelle Arbeitszeitverkürzung, anstatt des Abtausches gegen Lohnerhöhungen (sog. „Freizeitoption“)!
• Volle Solidarität und aktive Unterstützung des Kampfes der Beschäftigten im privaten Sozial- und Pflegebereich um die 35-Stunden-Woche!
• Offensiver und konsequenter Kampf der Gewerkschaften für eine radikale Arbeitszeitverkürzung in allen Branchen!