I can‘t breathe

Am morgigen 25.5. jährt sich die öffentliche Ermordung des Afroamerikaners George Floyd durch den uniformierten Rassisten Derek Chauvin. „I can’t breathe“ („Ich kann nicht atmen“) waren bekanntlich die letzten Worte Floyds, bevor er das Bewusstsein und sein Leben verlor.

Der gewaltsame Tod von George Floyd und die erschütternden Bilder, wie er über acht Minuten verzweifelt um sein Überleben ringt, haben in unmittelbarem Anschluss die größten landesweiten Proteste in den USA seit Jahrzehnten ausgelöst und in den Juni-Wochen 2020 zur (teils globalen) Bewegung „Black Lives Matter“ („Das Leben Schwarzer zählt“) geführt. „Ich kann nicht atmen“ wurde zu einer Parole der antirassistischen Protestbewegung in den USA und rund um den Erdball. Auch in Wien gingen am 4. Juni rund 50.000, vorwiegend junge Menschen, auf die Straße.

Am heutigen Vortag des Jahrestages seiner Ermordung erfolgte in London ein Attentat auf die bekannte, führende britische „Black Lives Matter“-Aktivistin Sasha Johnson. Die 27jährige schwebt in Lebensgefahr und liegt zurzeit mit Kopfschussverletzungen in einem Krankenhaus. Der genaue Tathergang und die Umstände sind aktuell noch Gegenstand der Ermittlungen. Ihre Partei Take the Initiative („Ergreife die Initiative“) teilte auf Twitter jedoch mit: „Die Attacke ereignete sich in den frühen Morgenstunden, in der Folge zahlreicher Morddrohungen“.

Das Floyd bis zu dessen Ableben neuneinhalb Minuten in den Nacken gedrückte Knie des Polizisten Derek Chauvin, brachte das Fass und die aufgestaute Frustration der AfroamerikanerInnen und breiter Bevölkerungskreise endgültig zum Überlaufen. Struktureller Rassismus, erodierende Arbeits- und Lebensverhältnisse, überbordende Kriegsmacht, Dominanz in der Finanzwelt, IT- und Digital-Aufsteiger bei gleichzeitig regelrechtem Untergang der traditionellen Industrie, kulturimperialistischer Popanz und ein sexistisch wie rassistisch blamiertes Hollywood, können die Fassade des failed states, des gescheiterten Staates USA seit einiger Zeit weder nach innen noch nach außen verdecken. Zivilisatorischer Verfall und klassische Kennzeichen von gesellschaftlicher Unterentwicklung wie Analphabetismus, Hunger, Obdachlosigkeit, Erwerbsarmut (working poor), marode Infrastruktur, fehlende Gesundheitsversorgung etc. nehmen in den USA immer weiter zu. Entsprechend und nochmals befeuert durch den „Irren im Weißen Haus“, entwickelten sich die USA denn auch einerseits zum Langzeit-Epizentrum der Corona-Pandemie und starben andererseits zudem Afroamerikaner im ersten Hotspot, in New York, sechsmal häufiger als Weiße. Der amerikanische Traum ist für den überwiegenden Teil der Menschen im Land ein realer Alptraum, von dem Medien-, Kultur- und Sportindustrie kaum mehr ablenken können.

Daran wird auch die Ablösung der ebenso reaktionären wie bizarren Figur Donald Trump an der Spitze der USA durch den strammen Parteirechten der Demokraten Joe Biden nichts fundamental-systemisches ändern. Freilich ging mit der Neubesetzung des Weißen Hauses mehrheitlich auch ein Seufzer der Erleichterung einher. Aber dem Übelstand und den Problemen der Führungsmacht des Metropolenkapitalismus, sowie den von der absteigenden Weltmacht ausgehenden geopolitischen und militärischen Gefahren wird auch das neue Duo Biden-Harris an der Staatsspitze von  God’s Own Country nicht – salopp formuliert – Abhilfe verschaffen. Und dies gilt nicht zuletzt auch für die im Amerika Washingtons herrschende White Supremacy.  Dazu sind weder Joe Biden, der seit seinem Einzug in den Senat 1972 fünf Jahrzehnte konsequent auf Seiten des rechten Parteiflügels der Demokraten agierte und einer der wichtigsten politischen Verbündeten des berüchtigten Rassisten und republikanischen Senators Strom Thurmond war, noch seine beileibe jeder Empathie mit schwarzen Unterschichten unverdächtige Vize Kamala Harris prädestiniert resp. willens – wie Letztere als Generalstaatsanwältin in Kalifornien zur Genüge für das weiße Establishment ihrer Partei und der WallStreet unter Beweis gestellt hat. Natürlich zieht mit ihnen aus vielerlei Gründen wieder eine neue Sprache und ein präsidialerer Diskurs ein, der sich wohltuend vom offenen Rassismus eines Donald Trumps und dessen bis ins faschistoide gehendem „Law & Order“ unterscheidet. Aber um den historisch tief verwurzelten und gesellschaftlich wie strukturell fest eingeschriebenen Rassismus in den USA zu überwinden, bräuchte es denn auch tiefgreifender sowie einschneidender Umwälzungen der Verhältnisse.

Das zeigte, vielleicht noch eindrücklicher, schon die Amtsperiode Barack Obamas 2009 bis 2017 als erster schwarzer Präsident auf. Analoges fördert, wenn auch unter anderer Perspektive, die aktuelle personelle Besetzung in der EU zu Tage. Mit Ursula von der Leyen als EU-Kommissions-Präsidentin, Christine Lagarde als EZB-Chefin und Angela Merkel als Bundeskanzlerin Deutschlands, liegen die drei wichtigsten Funktion der EU mittlerweile in Frauenhand. Eine „Feminisierung“ der Politik bzw. der Arbeits- und Lebensverhältnisse, gar Überwindung der herrschenden patriarchalen Verhältnisse  haben diese Neubesetzungen indes nicht zur Folge. Die stärkere Diversität der personellen Zusammensetzung der Eliten darf nicht mit der Emanzipation der Subalternen, Aufhebung rassistisch und patriarchal geprägter Klassenverhältnisse oder gesellschaftlichen Überwindung der Exklusion Marginalisierter verwechselt werden.

Gleichwohl ist es natürlich nicht belanglos, dass die Geschworenen in Ohio Derek Chauvin jüngst  einstimmig in allen Anklagepunkten für schuldig befunden haben. Ebenso, wie der vereitelte Coup der Polizeibruderschaft in Philadelphia gegen die Wiederwahl des (u.a. für das weitere Schicksal Mumia Abu-Jamals mitverantwortlich zeichnenden) Bezirksstaatsanwalt Lawrence Krasner – wenngleich auf dessen „Reformprozess“ auch deutlich der tief wurzelnde justizielle Ballast der US-Justiz lastet.

Zu Recht begrüßte „Black Lives Matter“ in den USA denn auch einerseits den Umstand, dass mit dem Expolizisten Chauvin auch einmal ein Cop zur Verantwortung gezogen wurde, betonte aber zugleich: „Dies ist kein Beweis dafür, dass das System funktioniert“ – wie Kommentatoren eilfertig weismachen wollten. „Es ist ein Beweis dafür, wie kaputt es ist. Weil wir so viel Zeit und Aufmerksamkeit gebraucht haben. Solange wir keine Welt haben, in der unsere Gemeinschaften angstfrei leben können, wird es keine Gerechtigkeit geben.“ Bis es soweit ist das zeigen auch die nach George Floyds gewaltsamen Tod unvermindert anhaltenden rassistischen Polizeigewalttaten, wird es noch eines langen Kampfabschnitts sowie eines festen Schulterschlusses der antirassistischen und antifaschistischen Bewegungen und der revolutionären ArbeiterInnenbewegung bedürfen.

Am 25.05 findet um 18.30 Uhr (Platz der Menschenrechte/Wien) eine Gedenkundgebung zum Todestag von George Floyd statt.

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