Frontlücke – Was erlauben Japan?

Die EU hat sich gerade darauf verständigt, das achte Sanktionspaket gegen Russland auf den Weg zu bringen. Für Moskau soll hinkünftig insbesondere für keinen Tropfen Öl, kein Gramm Kohle und keinen Kubikmeter Gas mehr der Rubel rollen.

Freilich, so die „FAZ“ Klartext sprechend: „Die Loslösung vom russischen Gas geht nicht ohne Wohlstandsverluste – so ist das im Krieg“ bzw. „Wirtschaftskrieg“. Und so gelten Brüssel auch die Engmaschigkeit und möglichste Lückenlosigkeit des neuen wirtschaftlichen und diplomatischen Eisernen Vorhangs auch als Prüfstein des angeblichen gerade ausgefochten manichäischen Weltenkampf ‚des Guten‘ gegen die ‚säkulare Inkarnation des Bösen‘. Mit Nachdruck werden begleitend denn auch Nibelungenschwüre und -Bekenntnisse gefordert und die Bevölkerungen der Union darauf eingestellt, dass ihnen die bellizistische „Zeitenwende“ tiefgreifende Einschnitte in ihren Lebensstandards abverlangen wird.

Allerdings, während dem medialen Tunnelblick kein Bröckeln und keine Lücke an der Heimatfront entgeht, wird öffentlich geflissentlich verschwiegen, dass selbst die G7-Großmacht Japan den Sanktionsamoklauf gegen Russland nicht ungeteilt mitträgt. Denn Tokio „hat den Erdgassektor des Landes“, wie german-foreign-policy jüngst herausstrich, „dezidiert aus dem Wirtschaftskrieg gegen Moskau ausgeklammert; japanische Konzerne halten ihre Beteiligungen an russischen Förderprojekten aufrecht – unter anderem am Flüssiggasprojekt Sachalin II.“ Nippons Konzerne „beteiligen sich“ selbst ungeachtet russischer per Dekret erlassener Umstrukturierungen der Betreiberfirma „weiter an Sachalin II – auch, um Japan für die Zukunft kontinuierliche Lieferungen zu sichern“.

Die russische Regierung, so Lucas Zeise zur juristischen Neukonstruktion des Betreiberkonsortiums unter Führung Gazproms, „hatte im Juni angekündigt, dass alle Anteile an der Betreibergesellschaft Sachalin 2 auf eine neue Gesellschaft nach russischem Recht und Sitz in Russland übertragen werden müssen.“ Sämtliche ausländische Anteilseigner müssen sich um das Recht auf eine Beteiligung am des neustrukturierten Betreiberkonsortiums neu bewerben. „Das bisherige Betreiberkonsortium residierte rechtlich auf der Steueroase der Bermudas. Es bestand aus der russischen Staatsgesellschaft Gazprom (50 Prozent plus eine Aktie), den beiden traditionsreichen japanischen Handelshäusern Mitsui & Co. (12,5 Prozent) und Mitsubishi Corp. (10 Prozent) sowie dem derzeit drittgrößten Ölkonzern der Welt Shell (27,5 Prozent). Shell hat bereits im Februar, als die USA und ihre Verbündeten die massive Ausweitung der Sanktionen gegen Russland beschlossen hatten, den Ausstieg aus dem Projekt Sachalin 2 angekündigt. Der Shell-Anteil steht seitdem zum Verkauf.“ Neben Shell hat sich auf Druck des verhängten Sanktionsregime der USA, G7 und EU auch Exxon Mobil aus seinen Öl- und Gas-Projekten (Sachalin I) in Russland zurückgezogen. Ebenso Total aus dem ebenfalls an der Nordküste gelegenen „Arctic LNG 2“. Nicht so allerdings Nippons große Handelshäuser und Energieversorgen, die ihre Gas-Lieferverträge zu meist langen Laufzeiten von 10 bis 20 Jahren verlängert haben.

Die russische Seite gewährt diese Lieferungen, wie berichtet wird, zu unveränderten, also vergleichsweise überaus günstigen Konditionen, „während … die EU vor einem möglicherweise dramatischen Erdgasmangel steh(t).“ Natürlich eingedenk der Sonderfaktoren Japan betreffend, sei gleichwohl zumindest auf den Umstand hingewissen: die Inflation liegt im „Land der aufgehenden Sonne“ entgegen der Teuerungswellen in den transatlantischen Industriestaaten bei lediglich knapp 3%. Sachalin II ist nach Eigenangaben eines der weltgrößten, „exportorientierten“ Öl- und Gasprojekte für das schwarze Gold und verflüssigtes Erdgas (LNG). Für ein derartiges geopolitisch-energetisches Hasardspiel wie es die EU betreibt war – mit klammheimlichen Placet der USA und anderen G7-Staaten – nicht einmal der reaktionäre, stramm pro-westliche Premier Fumio Kishida mit ins Boot zu holen. Und anders als von Brüssel und Washington mit geschwungener moralinsaurer Keule getrommelt, so die „FAZ“, „verfolgt Japan … auch keine mittelfristigen Pläne, um sich vom Gas aus Russland zu lösen“.

Übrigens eben so wenig wie sich Frankreich Kopfzerbrechen um den Nachschub an Brennelementen für seine Atomstromer bereiten muss. Auch die dafür aus Russland stammenden speziellen Uran-Lieferungen sind – öffentlich nicht so gern bekannt gesehen, aber EU-toleriert und mit US-Verständnis – aus den Sanktionen ausgenommen. Nun, so könnte man argumentieren: das betrifft aber nur ein kleines Segment. Allerdings eines von dem aufgrund der nicht unmittelbaren Substituierbarkeit immerhin Frankreichs Energieversorgung als ganze abhängt – die natürlich nicht ewig aus deutscher Verstromung abgefedert werden kann.

Allerdings: während die Falken in Brüssel und der EU bereits am nächsten Sanktionspaket schnüren und um Lücken im verhängten neuen Eisernen Vorhang feilschen, bröckelt im Hintergrund mehr und mehr die Einheit in der Union. Denn zum einen haben die immer weiter verschärften Sanktionen mitnichten das Kriegsgeschehen gestoppt, zum anderen erweisen sie sich zunehmend als Bumerang. Zugleich gerät die Lage in verschiedenen Hinsichten immer unkalkulierbarer aus den Fugen und eskaliert die militärische Gefahr zusehends bis an die Schwelle eines neuen großen heißen Kriegs. Nichts desto trotz zeigen sich die europäischen Schreibtisch-FeldwebelInnen wild entschlossen nochmals weitere Strafmaßnahmen nachzuschieben.

Aber, was erlauben Japan? Was ist nur aus dem Geist der Samurai geworden, die einst in ritueller Treuebekundung geradezu emblematisch für die Tugend der massenhaften Selbstaufopferung wie auch Opferung der Massen standen. Dieser scheint heute stärker noch in Brüsseler Figuren wie von der Leyen, Borrell und Konsorten fortzuleben, als in Tokio. Bis zum letzten Atemzug resp. bis alles in Trümmern liegt.

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