Die Schnellbahnlinie S45 oder: Der halbherzige Umgang mit den Öffis in Wien

von Heinz Högelsberger

Während die öffentliche Diskussion noch von der „Evaluierung“ der ASFINAG-Projekte im Auftrag von Umweltministerin Gewessler bestimmt wird, schafft die Stadt Wien mit den ersten Schritten des Baubeginns der Stadtstraße bereits Fakten in Beton. Parallel versuchen SPÖ, ÖVP, FPÖ und Team HC gerade die Abhaltung einer Bürger*innenversammlung zum Thema Stadtstrasse zu hintertreiben und zu verhindern. Aus diesem Anlass nachstehend ein äußerst instruktiver Beitrag von Heinz Högelsberger (Abteilung Umwelt und Verkehr der AK Wien) vom Blog „Selbstbestimmtes Österreich“ zur Causa.

Zur Geschichte der Vorortelinie

Die Vorortelinie, die Heiligenstadt und Hütteldorf über Hernals und Ottakring verbindet, war als Teil des Wiener Stadtbahnsystems konzipiert.  Sie weist stellenweise den Charakter einer Gebirgsbahn auf und verfügt über vier Tunnels. 1898 wurde sie nach viereinhalb Jahren Bauzeit eröffnet.

Die Vorortelinie war dabei lange Jahre für den Güterverkehr bedeutender als für den Personenverkehr. So wurde damit das Wilhelminenspital mit Kohle versorgt und es gab Gleisanschlüsse zu den Unternehmen Julius Meinl, Österreichische Tabakregie und Manner. Das Fahrgastaufkommen war eher gering, sodass die Strecke 1925 – im Gegensatz zum restlichen Stadtbahnnetz – nicht von der Gemeinde Wien übernommen wurde. Vor und nach dem Zweiten Weltkrieg wurde sporadisch Bäderzüge geführt. In den 1950er-Jahren wurde der Personenverkehr gänzlich eingestellt, doch die Forderungen nach einer Wiederinbetriebnahme verstummten nie.

Es sollte bis 1979 dauern, dass Stadt Wien und ÖBB die Integration der Vorortelinie in das Schnellbahnnetz beschlossen. Die Stationen wurden renoviert, die Strecke elektrifiziert und wieder zweigleisig ausgebaut. Diese Arbeiten dauerten übrigens länger, als die ursprüngliche Errichtung, sodass die sogenannte S45 erst 1987 zwischen Heiligenstadt und Hütteldorf in Betrieb ging. Die Verlängerung der S45 zur S- und U-Bahn-Station Wien Handelskai im Jahr 1996 und die Verknüpfung mit der U3 in Ottakring (1998) führten zu einem massiven Anstieg der Fahrgastzahlen, weshalb der Takt kontinuierlich verdichtet wurde.

Schnellbahnring um Wien

Fast so alt wie die Forderung nach der Inbetriebnahme der Vororteline ist auch das Konzept des Schnellbahnringes um Wien. Wie folgende Grafik zeigt, könnten Züge über die Vorortelinie (Heiligenstadt bis Penzing), über die Verbindungsbahn (Penzing – Meidling) und die Donauländebahn (West-Ost-Verbindung im Süden des Stadtgebiets) verkehren, um über die Donauuferbahn (entlang des rechten Donauufers) wieder nach Heiligenstadt zu führen. Nachdem die im Zweiten Weltkrieg zerstörte Winterhafenbrücke 2008 wiedererrichtet wurde, war das letzte „missing link“ für diesen Schnellbahnring geschlossen. Denn diese Brücke verbindet den Hafen Freudenau über den Donaukanal mit der Donauländebahn. Eine andere Variante solch eines S-Bahnringes würde über Haltestelle Simmering zum Praterkai verlaufen.

Obwohl der Wiener Gemeinderat 2018 einstimmig für die Umsetzung von Teilen des Ring votierte, wurde von offizieller Seite das Projekt Schnellbahnring nie ernsthaft vorangetrieben. Das kann daran liegen, dass es in Konkurrenz zu einem anderen Konzept steht: ÖBB und Stadt Wien verfolgen nämlich die Idee einer „zweiten Stammstrecke“ (die ursprüngliche ist die Schnellbahntrasse von Floridsdorf nach Meiding). Dies zweite Transversale soll auf der alten Westbahnstrecke bis Hütteldorf verlaufen, dann auf der Verbindungsbahn weiter nach Meidling führen und auf der Strecke der S80 Richtung Flugfeld Aspern führen.

Was steht im alten Wiener Masterplan Verkehr?

Im Masterplan Verkehr 2003 bzw. dessen Fortschreibung aus dem Jahr 2008 waren schon eine Reihe von Öffi-Projekten vorgesehen, die in gewisser Zusammenhang als Alternative zur Lobau-Autobahn gelten könnten, aber immer noch nicht umgesetzt wurden:

  • Verlängerung S45 vom Handelskai zum Praterkai, sowie Errichtung der Station Unterdöbling: Die Station Unterdöbling würde die S45 mit einer Straßenbahnlinie (37) und zwei Buslinien verknüpfen. Mit der Verlängerung der S45 entlang der Donau könnten Umsteigeverbindungen zur U1, U2 und S 80 ermöglicht werden. Auch die AK Wien fordert diese Erweiterung. Keines der beiden Bauvorhaben wurde verwirklicht.
  • Ausbau des Marchegger Astes (Elektrifizierung, zweigleisiger Ausbau): Diese Strecke wird tatsächlich ausgebaut. Allerdings fährt die S 80 gerade einmal im Halbstundentakt. Ein weiterer Wermutstropfen: Die beiden Stationen Lobau und Hausfeldstraße (Anbindung an U2 und Straßenbahn 26) wurden inzwischen geschlossen.
  • Verknüpfung der Ostbahn (nördlicher Ast) mit der Linie 26 (Gewerbepark Stadlau): Auf dem erwähnten Streckenteil fährt zwischen Erzherzog-Karlstraße und Gerasdorf überhaupt kein Nahverkehr. Es exisitieren auch keine Stationen. Dadurch gibt es weder an die Straßenbahn, noch an die Gewerbebiete Kagran (z.B. IKEA Nord) und Stadlau eine Schnellbahnanbindung.
  • S7-Verlängerung über Wolfsthal nach Bratislava: Diese wird wohl nie gebaut werden.
  • Straßenbahnlinie von Floridsdorf über Zentrum Kagran bis Eßling/Groß Enzersdorf: Seit vielen Jahren endet die Straßenbahnlinie 25 in Aspern.
  • Errichtung der Straßenbahnlinie 27 Großjedlersdorf – Siemensstraße – Kagran: Diese Bim gibt es nicht. Das soll sich ab 2023 ändern.
  • Verlängerung der Straßenbahn bis Schwechat: Auch über diese Linie wird seit vielen Jahren diskutiert. Der Umsetzungshorizont ist unbekannt.

Fazit:

Nicht nur die Lobau-Autobahn hat eine unendliche Geschichte, sondern auch deren Alternativen. Hier rächt sich, dass sich die Wiener Stadtverwaltung seit Jahrzehnten auf den kostspieligen U-Bahnausbau konzentriert und die Verkehrsmittel Straßen- und Schnellbahn vernachlässigt. Diese werden aber bei der Bekämpfung der Klimakrise immer wichtiger werden.

Foto: Tokfo, Wikimedia Commons(CC BY 2.0)

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