Energiewende & linke Perspektiven

Die tatsächliche Mammut-Aufgabe Energiewende & linke Perspektiven

Der Energiesektor nimmt bekanntlich eine maßgebliche Rolle bei der Erderwärmung ein. Der Energiewende zu Regenerativen und einem neuen Energieversorgungssystem kommt daher ein entsprechend fundamentaler Platz im ökologischen Umbau zu.

Allerdings markiert dieser sowohl machtpolitisch wie ökologisch eine bislang nur radikal verkürzt dargestellte Herkules-Aufgabe. Und das betrifft sowohl die globale Auseinandersetzung mit dem – etwas salopp formuliert – „oberen einen Prozent“ der Profiteure klimaschädlicher Profitmacherei, als auch die tatsächlichen Klimabilanzen in der Energiewirtschaft. Denn, während einerseits die ungeheure Vermachtung des Energiesektors (der zudem auf das Engste mit dem Finanzsektor und Investmentfonds verflochten ist) den es umzuwälzen gilt, in den vermeintlichen kapitalistischen „Green New Deals“ systematisch aus dem Blick gerückt wird, werden andererseits die Effekte der projektierten Energiewende schöngerechnet. Als KOMintern fordern wir daher seit längerem auch verpflichtende Ökobilanzen des „ökologischen Rucksacks“ der real erwartbaren Umwelt- und Klimaeffekte öffentlicher und staatlicher Investitionen sowie des ökologischen Umbaus.

Die Energiewirtschaft als Machtwirtschaft

Dass wir im Kampf um eine energetische Transformation heute einer regelrechten Machtwirtschaft gegenüberstehen, hat das Gesamtkonglomerat im Blick am vielleicht bildhaft-eindringlichsten Franz Garnreiter nachgezeichnet: „Vor 200 Jahren, in der Frühzeit der Marktwirtschaft, bestand die Energiewirtschaft aus dem Mühlenbetreiber, der die Kraft bereitstellte, aus dem Köhler, der den Brennstoff Holzkohle herstellte, und aus dem Kutscher, der das Speditionsgewerbe betrieb. Damals hatten die Aktivitäten dieser Produzenten keine wesentlichen negativen Auswirkungen auf Umwelt und sozialen Zusammenhalt, jedenfalls keine überregionalen und über die Gegenwart hinaus reichenden. … Heute aber hat sich der Mühlenbetreiber zum Atomkraftwerk fortentwickelt, der Köhler zu den international tätigen und in allen Weltmeeren bohrenden Ölkonzernen und der Kutscher zum Konglomerat Autokonzerne, Flugzeugindustrie, internationaler Schiffsverkehr.“

„Green New Deal-“Versprechen vs. tatsächlicher Klimabilanzen

Angesichts der ökologischen und wirtschaftlichen Doppel- oder Zangenkrise des globalen Kapitalismus erscheint den Herrschenden heute vielfach das Versprechen eines Übergangs in einen „grünen Kapitalismus“, eines „Green New Deals“, als das umfassendste und schlüssigste Projekt um den Akkumulationsprozess auf Boden der Profit-Logik anzukurbeln. Dass die Regierungen weltweit gerade massive Konjunkturprogramme auflegen gehört freilich zum ABC der Wirtschaftspolitik. Dass diese zugleich kräftige Investitionen beinhalten, ebenfalls. Und dass die Schwerpunktsetzung des EU-Konjunkturprogramms auf ökologische Investitionen gelegt werden soll, klingt in dieser geschickt inszenierten Allgemeinheit löblich. Ob die konkreten Maßnahmen jedoch auch geeignet sind, den unumgänglichen, tiefgreifenden sozial-ökologischen Umbau der Wirtschaft und Gesellschaft ins Werk zu setzen, steht hingegen auf einem anderen Blatt. Zumal nicht nur der ökologische Nutzen vieler Projekte und Investitionen aus avancierterem, ökologischen Blickwinkel nach wie vor strittig sind, sondern die Ökobilanz zahlreicher Projekte realiter signifikant geringer ist, als auf den ersten Blick zu erwarten wäre. Allem voran aufgrund deren realen bzw. mitgeschleppten „ökologischen Rucksacks“.

Ein viel beredetes Beispiel dafür ist sicher die Klimabilanz der E-Autos, dessen werbeträchtiges Öko-Image „Null Emission“ natürlich blanker Unsinn ist. Die klimaschädlichen Emissionen der Elektro-Autos entstehen nur an anderer Stelle. Gleiches gilt vielfach für unmittelbare ökologische Schäden. Analoges gilt nun allerdings auch für die projektierte grüne Energiewende Österreichs und der EU. Die Notwendigkeit einer schnellstmöglichen Energiewende auf 100% erneuerbare Energie steht dahingehend freilich außer Frage. Die systematisch bornierten Verkürzungen der Problemlage lassen die in Angriff genommene Energiewende jedoch mit geradezu krampfhafter Blindheit hinsichtlich der ökologischen und globalen Gesamtzusammenhänge geschlagen erscheinen.

Derartige ökologische Effekte und die (zumindest teilweise) Aufwiegung durch den mit zu berücksichtigenden „ökologischen Rucksack“, existieren nämlich in allen Bereichen – bei weilen nicht nur in Bezug auf die E-Mobilität. Für den nötigen tiefgreifenden, radikalen Umbau unseres gesamten Wirtschaftssystems (einschließlich der fundamentalen Umstellung der energetischen Grundlagen, einer grundlegenden Mobilitätswende und einer öko-sozialen Neugestaltung der gesamten gesellschaftlichen Güter-, Infra- bis Wohnstruktur) braucht es denn auch sowohl zukunftstragfähiger Projekte wie deren ehrlicher Ökobilanz. Denn natürlich wird auch in Windrädern Stahl verbaut, erfordert die Herstellung von Sonnenkollektoren Energie, steigern ökologische Investitionen zunächst auch den Material-, Rohstoff- und Energieverbrauch.

Widersprüche der unumgänglichen grünen Energiewende und Folgerungen

Umso notwendiger ist es für einen tatsächlich sozial-ökologischen Umbau unserer Produktions- und Lebensweise auch, verpflichtende, valide Ökobilanzen zu erstellen, die den „Rucksack“ der Investitionen und der Umbauten mit zu berücksichtigen (was den ökologischen Nutzen vieler Projekte realiter signifikant verringert, teils auch ins Gegenteil verkehren kann).

Ebenso mit zu berücksichtigen in den Bilanzen sind vorübergehende resp. anfängliche Gegenläufigkeiten. Denn natürlich benötigen grüne Investitionen nicht nur ihrerseits einen teils zunächst vielfach sogar steigenden Ressourcenverbrauch, sondern können nötige ökologische Investitionen in der kurzen Frist auch punktuelle höhere CO2-Emission zeitigen, um diese in der langen Frist zu senken bzw. senken zu können. Ein Widerspruch, der in vielfacher Weise – wenn auch nicht bruchlos in gleicher Weise – den gesamten, unumgänglichen sozial-ökologischen Umbauprozess durchzieht. Damit reduzieren sich aber entsprechend auch die in der mittleren und langen Frist verbleibenden Ressourcenverfügbarkeiten und CO2-Budgets nochmals radikal. Oder anders gesagt:  Bedarf ein zukunftsfähiger ökologischer Umbau realiter bereits seinerseits eines beträchtlichen Teils des verbleibenden Treibhausgasbudgets und Ressourcenreserven, macht dies umso radikalere Reduktionen in allen anderen, sozusagen sekundären Bereichen gleichzeitig noch dringender.

Laut Studien zum „Mehrbedarf an Materialien“ für die Erneuerbaren (des Wissenschaftlichen Dienstes des deutschen Bundestags), insbesondere die kohlenstoffintensiven Werkstoffe Zement und Metall fressenden Windkraftanlagen und Sonnenkollektoren, gilt es für realistisch veranschlagte Klimabilanzen einzukalkulieren: „Für die Errichtung von Windkraft- und Photovoltaikanlagen ist ein Vielfaches der metallischen Rohstoffe erforderlich, die für Atomkraftwerke oder fossile Kraftwerke mit einer vergleichbaren Kapazität an Energie benötigt würden … die 15-fache Menge an Zement, 90 mal mehr Aluminium und das 50-Fache an Eisen, Kupfer und Glas.“  Dazu kommen noch technologisch unvermeidliche zusätzliche Bedarfe und damit einhergehend neu aufgeworfene Ressourcenprobleme – Stichworte:  Lithium, Kobalt, aber auch Graphit oder insbesondere Neodym und Dysprosium-Oxid und weitere Verbindungen und seltene Erden (beispielsweise für Permanentmagnete für Windkraftanlagen oder auch beispielsweise für Batterien). Dahingehend werfen allerdings nicht nur deren Vorkommen und Reichweite gravierende Probleme auf, sondern ebenso ihre vielfach mit immensen Aufwänden und ökologischen Schäden verbundenen Förderungen. Dazu werden die für eine grüne Energiewende benötigten, teils besonders energieintensiven Metalle, bis auf weiteres überwiegend mit fossiler Energie hergestellt, und verbraucht der Abbau der benötigten seltenen Erden viel Energie und Wasser – und erzeugt darüber hinaus sowohl eine Menge Abfall wie ökologische Schäden bis zu  regelrechten Verheerungen der Umwelt.

Oder wie Prof. Frank Melcher (Leiter des Lehrstuhls für Geologie und Lagerstättenlehre Montanuniversität Leoben, mit gleichzeitigem Schwerpunkt analytischem Herkunftsnachweises (Fingerprinting) mineralische Rohstoffe) den vorgeschossenen Ballast mit einbeziehend seinerseits unterstreicht: „Man darf dabei nicht vergessen, wie die grünen Technologien hergestellt werden. Für Wind-, Solarenergie, Elektromobilität usw. braucht man mineralische Rohstoffe, die bei der Förderung einen ökologischen Fußabdruck hinterlassen“ – um zu betonen, warum die meist sträflich verkürzt ventilierte grüne Energiewende, wenn der gesamte ökologischen Rucksack mitberücksichtig wird, nicht so „grün“ schillert, wie im Diskurs der herrschenden „Green New Deal“-Redebausteinen in ihren systematischen Problemverkürzungen dargestellt. „Der ökologische Fußabdruck findet dadurch woanders statt“ – so Frank Melcher fortfahrend. Das ist freilich mitnichten ein Plädoyer gegen die unumgängliche grüne Energiewende. Im Gegenteil. Der Blick auf den Gesamtzusammenhang soll vielmehr klar machen, vor welch riesigen globalen Herausforderung wir tatsächlich stehen. Ja, überschlagsmäßige Berechnungen der Montanuniversität alleine der anfallenden CO2-Emissionsmengen des Stahl- und Aluminiumbedarfs der mittels Windräder, Sonnenkollektoren usw. in Angriff genommenen Energiewende, lassen deren effektive Klimabilanz nochmals in kritischerem Licht erscheinen als gemeinhin im medialen Blick steht und umweltpolitisch transportiert wird. Man kann die dahingehenden Studien natürlich im Detail bezweifeln, aber der damit aufgeworfene Problemzusammenhang ist und bleibt allemal virulent.

Übrigens nicht weniger das Problem der meist taxfreien Prognosen, nicht nur den gegenwärtigen, sondern auch den künftigen Energieverbrauch (samt forcierter individualisierter E-Mobilität mit ihrem geschätzten Mehrbedarf an Strom von 25-30% zum heutigen Gesamtenergiebedarf) ohne irgendwelche Abstriche aus regenerativen Quellen produzieren und decken zu können. Die bis auf weiteres unbewältigten Probleme des größeren Flächenbedarfs, der sich zeitlich und räumlich komplexer gestaltenden Verfügbarkeit und bislang eingeschränkteren Speicherbarkeit müssen im hiesigen Zusammenhang zurückgestellt bleiben. Ebenso, dass wir von einer Energiewende auf 100% erneuerbare Energie selbst in den industriellen Kernländern noch meilenweit entfernt sind, ganz zu schweigen von den sogenannten kapitalistischen Peripherieländern, ja des globalen Energiesystems insgesamt.

Gesellschaftliche Dimension und soziale Aspekte einer linken Energiewende

Was wiederum die sozialen Aspekte und gesellschaftlichen Dimensionen einer linken Energiewende betrifft, sei neben der notwendigen gesellschaftlichen Aneignung des Energiesektors und der Beendigung der maßlosen gesellschaftlichen Subventionierung der Strom-Größtverbraucher, auf die dahingehenden Konzeptionen von Franz Garnreiter und Christian Zeller verwiesen. „In emanzipatorischer und ökosozialistischer Perspektive sollte eine Basisversorgung mit Energie Teil der allgemein zugänglichen gesellschaftlichen Infrastruktur sein.“ „Die Energieversorgung muss über ein neues soziales Tarifsystem erfolgen. Dieses bietet den Haushalten ein günstiges und sogar kostenloses Grundkontingent an privat verbrauchter Energie mit progressiv ansteigenden Tarifen bei höherem Verbrauch an.“ (Ch. Zeller)

Denn: „Wichtiger als der einfach Energiesteueraufschlag ist es, den Energiepreis aus dem Marktmechanismus herauszulösen und politisch festzulegen. Eine Energiesparpolitik passt dann gut zu einer linken Verteilungspolitik, wenn man für einen festgelegten Grundverbrauch Niedrigpreise einführt. Das wäre möglich beispielsweise

  • über ein Freimengen-Kontingent,
  • oder über gestaffelte Tarife, niedrig beginnend und stark steigen,
  • oder über die Rückgabe hoher Energiekosten etc.

Das notwendige Gegenstück zum konstengünstigen Grundverbrauch müssen entsprechend höhere und hohe Preise für Mehrverbrach sein. Statt einer einfachen Preiserhöhung geht es also hauptsächlich um ein ganz anders Preisgefüge.“ (F. Garnreiter)

Schluss

Freilich, die hier aufgeworfenen Probleme, Widersprüche und Zusammenhänge stellen sich (wenn auch nicht völlig invariant) auch in und unter sozialistischer Perspektive – und lassen sich sonach nur in der Einheit einer handlungsleitenden, revolutionären Theorie der Geschichte und Gesellschaft gepaart mit weiter zu vertiefenden Sachkenntnissen und tragfähigen Lösungsansätzen bewältigen. Dahingehend bedarf es also auch seitens der Linken weiterer Denkanstrengungen.

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