Die UNO, internationale Hilfsorganisationen und das UN-Welternährungsprogramm schlagen Alarm: die aktuelle Getreidekrise und heraufziehende Nahrungsmittelknappheit könnten weltweit 1,4 Milliarden Menschen in die Hungersnot, Millionen darunter direkt in den Hungertod reißen. Eine Entwicklung vor der die genannten Institutionen schon seit Beginn der Wirtschafts- und Coronakrise nachdrücklich warnen, bisher aber selbst mit ihren drastischen Worten zur dramatischen Lage kein Gehör im Westen fanden. Dieses fanden sie erst, seit der Welthunger jüngst zynisch zu einem weiteren Mosaikstein der westlichen Kriegsideologie gegen Russland aufmunitioniert wurde, während einem knappen Dutzend größerer Warnaufrufe seit März 2020 (!) bisher keinerlei Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit und der Geberländer geschenkt wurde. Dabei stiegen die Getreidepreise schon letzten Herbst – lange vor dem Ukraine-Krieg – spekulationsgetrieben auf ein historisches Rekordhoch, das vor allem die global Ärmeren betrifft. Parallel steigerten die Agro-Milliardäre ihr Vermögen allein in den letzten zwei Jahren nach aktuellem Oxfam-Bericht um 383 Milliarden Dollar (45%) – die größte Lebensmittelpreisexplosion seit Beginn der UN-Aufzeichnungen diesen März noch völlig unberücksichtigt. Dazu gesellen sich klimabedingte Hitzewellen und Dürren die zu beträchtlichen Ernteausfällen, zumal in Hunger-Hotspots, führen, verstopfte bzw. zusammengebrochene Lieferketten, emporgekletterte Transportpreise und seit Ende Februar auch der Ukraine-Krieg. Mit zudem aktuell bis zu 440 Euro pro Tonne am europäischen Terminmarkt (nach jahrzehntelangem Preis von gut 100 Euro pro Tonne) droht ein nicht minder verlogenes wie tödliches Spiel mit der Geisel einer globalen Hungerkatastrophe.
Schon aktuell stirbt in den Krisenregionen alle 48 Sekunden ein Mensch an den Folgen von Hunger und Unterernährung und nimmt die Zahl der von Unterernährung und akuter Hungersnot Betroffenen seit 2020 rapide zu. Und während 2015 die UN-Generalversammlung noch als Ziel formuliert hatte, bis zum Jahr 2030 den Hunger auszurotten, stehen wir seit den jüngsten Krisenjahren vor einer weiteren, dramatischen Zunahme. Wobei, Getreide und darunter auch Weizen sind auf der Welt auch aktuell nicht im Alltagssinne knapp. Entsprechend hat sich auchdie Weltgetreideproduktion bzw. Ernte seit Anfang der 1960er Jahre mit über +230% mehr als verdoppelt. Stephan Kaufmann hat sich in einem sehr lesenswerten nd-Beitrag vor kurzem dahingehend detaillierter der globalen Getreidekrise gewidmet und zitiert in diesem Zusammenhang zunächst die US-Agrarökonomin Sarah Taber: „Es wird derzeit geschätzt, dass durch den Krieg etwa sieben Millionen Tonnen Weizen ausfallen.“ Die globale Produktion betrug im vergangenen Jahr allerdings 778 Millionen Tonnen. „Der kriegsbedingte Ausfall entspricht also nur 0,9 Prozent der Weltproduktion.“ Die heurige Produktionsmenge dürfte – trotz Krieg, die Ausfälle aus Russland und der Ukraine sind in der FAO-Prognose schon eingerechnet – sogar auf 784 Millionen Tonnen steigen. Rein mengenmäßig ist Weizen also mitnichten knapp und liegt die Welternährung schon gar nicht in Putins Händen und Ermessen, wiewohl Russland und die Ukraine natürlich maßgebliche Getreideexporteure sind. Ebenso wenig übrigens wie in jenen des ebenfalls an den Pranger gestellten Indien, der zweitgrößte Getreideproduzent der Welt, der jedoch auch in der Vergangenheit Weizen nur zum geringeren exportiert hat, sondern im Gegenteil vielfach vielmehr selbst auf dem Weltmarkt zukaufte.
Das im kriegspropagandistischen Dauerfeuer ratternde und niederprasselnde Narrativ, Russland würde – ja könne alleine überhaupt auch nur – eine globale Nahrungsmittelkrise auslösen wiederum, ist völliger Humbug. Entsprungen fanatisierten Propagandagehirnen des westlichen ideologischen Generalstabs. Laut Schreibtisch-Feldwebelin Annalena Baerbock habe „Russland sich [überhaupt] entschieden, den Krieg gegen die Ukraine als Kornkrieg gegen viele Staaten der Welt insbesondere in Afrika auszuweiten“. Dass die Afrikanische Union dies gänzlich anders sieht und stattdessen die Aufhebung der tödlichen Sanktionen des Westens fordert, tut für die verlängerte Hand der „Falken“ Washingtons im deutschen Außenministerium dabei nichts zur Sache.
Gleichzeitig decken sich, wie schon andeutungsweise erkennbar, die Weizenproduktion der Länder und deren Rolle als Exporteure jedoch nicht, da ein Großteil der Getreideproduktion traditionell zur Deckung des eigenen Bedarfs dient – zumal in Ländern mit stark gewachsener Bevölkerung wie Indien oder China. Das bildet aufgrund der extremen Hitzewelle und Ernteausfällen auch den Hintergrund für die Exportbeschränkungen Indiens. Noch Anfang des Jahres war Neu Dehli von einer Rekordernte von rund 111 Millionen Tonnen Weizen ausgegangen, musste im Mai die Prognose allerdings auf 95 Millionen Tonnen herunterschrauben und verkündete Exportbeschränkungen. Zwar kommt Indien, zur Gewährleistung der Nahrungsmittelsicherheit und aus Angst vor Versorgungsengpässen im Inneren nun selbst hamsternd, ungebrochen seinen abgeschlossenen Lieferverpflichtungen in der Höhe von etwa 4,5 Millionen Tonnen nach, fällt aber als gedachter Ausgleichsexporteur zur Linderung der globalen Getreidekrise weitgehend aus. Ähnliches galt den Terminbörsen für Agrargüter bis vor kurzem auch für das von einer Dürre geplagten Argentinien, dem weltweit 10. größten Weizenproduzenten und 6. größten globalen Exporteur. Allerdings ließ Buenos Aires gerade mit einem Weizenexport-Rekord von mehr 12,7 Millionen Tonnen im ersten Halbjahr (Dezember 2021 bis Mai 2022), gegenüber 6,9 Millionen Tonnen im Vorjahresvergleich, und kräftigen Steigerung seiner Lieferungen nach Afrika aufhorchen. Vergleichbar dürfte auch die erstarkte Ernte Südafrikas zur Kompensation des Bedarfs in Nord- und Ostafrika, dem Nahen Osten oder auch Indonesien beitragen.
Größter Weizenproduzent der Welt ist (die Mitgliedsstaaten zusammengenommen) die EU, gefolgt von China (das als Einzelland an der Spitze steht) und Indien. Danach folgen Russland, die USA, Australien, die Ukraine, Pakistan, Kanada und Argentinien. Da Weizen wie gesagt aber stärker als andere Produkte zur inneren Bedarfsdeckung gebraucht wird, stimmen Produktionsvolumen und Exportrang naturgemäß nicht einfach überein. Der in den letzten Jahren größte Nahrungsgetreideexporteur ist denn auch Russland, gefolgt von der EU, Kanada, den USA, der Ukraine und Argentinien. Deutschland, obwohl sogar eine noch höhere Flächenproduktivität wie die USA oder Kanada aufweisend, spielt aufgrund seines Agro-Modells für die Welternährung nur eine untergeordnetere Bedeutung. Zwar ist auch das Land der „Kriegs-Ampel“ Getreide- und Weizengroßproduzent, allerdings dient nur ein Viertel der rund 22 Millionen Tonnen Weizen der menschlichen Ernährung. Ein eklatantes Drittel der deutschen Weizenproduktion dagegen dient vielmehr der Verfütterung an Masttiere. Das gilt allerdings EU weit, in der bloße 23% der Getreideproduktion für Nahrungszwecke vorgesehen sind, wohingegen alleine heuer 39 Millionen Tonnen Weizen und insgesamt 159 Millionen Getreide als Viehfutter Verwendung finden werden.
Dass sich selbst die zeitweilig erreichte Reduzierung des globalen Hungers nur zu einem geringen Teil auf das Konto westlicher Staaten verbuchen lässt, zeigt schlagartig auch ein nochmals anderer Blick auf die Entwicklung. Laut Angaben der Weltbank hat die Volksrepublik China in den letzten Jahrzehnten an die 800 Millionen ChinesInnen aus extremer Armut befreit. Und während der Anteil an Unterernährten in der Volksrepublik nach Daten des Welthungerindex im Jahr 2000 bei noch 10% (oder damals knapp 130 Millionen Menschen) lag, gilt Unterernährung in China seit Ende 2021 de facto als überwunden.
Obschon Asien so in der Weltgetreideproduktion im letzten halben Jahrhundert einerseits aufgeholt hat, bedarf es des Gros, zumal begleitet vom Bevölkerungswachstum, doch zur Eigenversorgung. Überschussproduzenten sind demgegenüber vor allem Europa, noch viel ausgeprägter freilich die USA und Kanada. Das war, trotz der „Kornkammer“ Ukraine, beiher schon historisch ein auszeichnendes Merkmal der nordamerikanischen Staaten, wurden Getreideengpässe und Ernteausfälle der Sowjetunion überwiegend durch Zukauf von Weizen aus den USA und Kanada kompensiert. Parallel fungierten die USA seit jeher zugleich als einer der größten Weizenexporteure nach China und Indien. Dazu kommt: Das mit dem „Zerfall“ der Sowjetunion einhergehende wirtschaftliche Desaster, das in der Ukraine nochmals härter als in jedem anderen Staat aus der „Erbmasse“ der UdSSR durchschlug, betraf auch die landwirtschaftliche Produktion. Erst 2016 gelang es der Russischen Föderation und der Ukraine wieder, ihre Getreideproduktion zu stabilisieren und auch den Export massiv anzukurbeln. Entsprechen verwundert es auch nicht, dass die – in der Öffentlichkeit kaum beachteten – Getreidespeicher der USA und Kanadas mit über 44 Millionen Tonnen Weizen aktuell proppenvoll sind und die globalen Lagerbestände selbst unter Herausrechnung des Ausfalls der russischen und ukrainischen Bestände nach wie vor eigentlich deutlich über der kritischen Grenze liegen.
Freilich stecken aufgrund des Krieges in der Ukraine (die ihren Getreideexport traditionell zu über 90% per Verschiffung abwickelt) grob 22 Millionen Tonnen fest, die die weltweite Versorgungslage mit Weizen aktuell unbestreitbar verschärfen und die Preisexplosion auf den Märkten für Agrargüter nochmals befeuern. Gleichzeitig exportiert Russland seinesteils, heute wie skizziert wieder Großexporteur von Weizen und wichtigster Exporteur von Nahrungsgetreide, dieses weiterhin und hat seit Jahresbeginn fast 29 Millionen Tonnen – vorrangig an Länder des Nahen Osten und Nordafrikas – ausgeführt. Anvisiert sind nach einer nur geringfügig unter der Rekordernte von 2020 liegenden Erntemenge Getreideausfuhren von rund 50 Millionen Tonnen. Aus reinem Versorgungsmaßstab wäre ExpertInnen zufolge beiher bei dieser Ausfuhrmenge (zusammen mit den (Über-)Kompensationen aus Südamerika und Südafrika) ukrainisches Getreide zum Ausgleich der weltweiten Exportausfälle gar nicht nötig – was als Konflikt-Variante aber nicht einmal aus Moskau antönt. Dieses versprach den Vereinten Nationen sowie der Afrikanischen Union vielmehr gerade sich für eine „Überwindung der Lebensmittelkrise“ sowohl durch russische wie ukrainische Weizenlieferungen stark zu machen.
Ein handfestes Problem in dieser Hinsicht bereiten allerdings die Sanktionen. Zwar ist richtig, dass russische Getreide- und Düngemittelexporte formell von den US- und EU-Sanktionen ausgenommen sind. Aber, worauf auch Jörg Kronauer zu Recht verweist: „Die Finanz- und Transportsanktionen gegen Russland bestehen fort, was das Bezahlen und das Liefern von Getreide und Düngemitteln massiv verkompliziert. Hinzu kommt: Das westliche Sanktionsregime ist derart undurchsichtig, dass viele lieber die Finger von Russlandgeschäften mit unklaren Folgen für ihren Absatz im Westen lassen.“ Dazu gesellen sich aber auch Unwägbarkeiten für Russland, auf die wiederum jüngst Reinhard Lauterbach hinwies: Nämlich das Risiko, „dass die Erlöse im westlichen Bankensystem beschlagnahmt“ werden.
Was wiederum die Blockadeproblematik der Häfen zur Verschiffung des Getreides anbelangt, beschuldigen sich die Kontrahenten Russland und die Ukraine gegenseitig der Verminung, durch die der internationale Schiffsverkehr zum Erliegen gebracht wurde. Der Kreml jedenfalls hat sich bereit erklärt, unter der Voraussetzung, dass die Ukraine die von ihr im Asowschen Meer verlegten Seeminen wieder entfernt, aktiv an der Öffnung eines Korridors zum Export ukrainischen Getreides mitzuwirken und Kiew bereits mehrfach zur Entminung seiner Küstenstreifen aufgefordert – was der ukrainische Generalstab jedoch als zusätzliches Einfallstor für russische Streitkräfte mit Argwöhnen betrachtet. Für eine Reihe Häfen müsste zudem die vom ukrainischen Infrastrukturministerium am 28. April verfügte Schließung aufgehoben werden.
Und während die mediale Welt unter dem Blickwinkel einer globalen Hungersnot gebannt und im Kriegsfokus auf die Auseinandersetzung um fünf, sechs Häfen am Schwarzen bzw. Asowschen Meer blickt, bleiben sämtliche tieferen, elementareren Ursachen der Welternährungskrise sowie Ausgleichsoptionen außen vor. Allem voran natürlich das Geschäftsmodell der Agro-Konzerne, ihrer Handelsströme und die vor allem das Millionenheer der global Armen zu Hunger und Unterernährung zwingende „Knappheit aus Bezahlbarkeit“ aufgrund der zudem hochgradig spekulationsgetriebenen Preisregulierung über Terminmärkte, die die Jahrzehnte bei gut 100 Euro pro Tonne liegenden Preise bzw. schon mit der Krise auf 240 Euro emporgeklettert auf aktuell über 400 Euro pro Tonne explodieren ließen. Ein Fußpunkt dem sich zuletzt, freilich ohne Ross und Reiter zu nennen, – etwa anhand Ägyptens, dem weltweit größten Weizenimporteur – selbst der ORF anzutippen genötigt sah.
Aber während sich UN-Generalsekretär António Guterres seit Wochen um eine Lösung der Versorgungskrise bemüht, konterkarieren die Sanktionskrieger und heißen KriegerInnen des Westens in unsäglicher Opferbereitschaft von Millionen Menschenleben sämtliche Bemühungen der Vereinten Nationen, die globale Getreideversorgung unter normalisierender Reintegration der russischen und ukrainischen Getreidelieferungen in den Weltmarkt wieder halbwegs ins Lot zu kriegen. Dass dies für Guterres auch – zumindest partielle – Sanktionsaufhebungen beinhaltet, wie von Russland gefordert, lässt er schon daran durchblicken, dass er in diesem Zusammenhang etwa die Aufhebung der vom Westen verhängten Sanktionen gegen belorussische Düngemittel einfordert. Und hinsichtlich des Beharren Moskaus, sowie der überwältigenden Mehrheit der betroffenen Länder, auf Zugeständnisse beider Seiten, fordert auch Guterres einen „guten Willen auf allen Seiten“ ein. Jedenfalls, so die Meinung des UN-Generalsekretärs: „Es gibt keine erfolgreiche Lösung für die Nahrungsmittelkrise, ohne die ukrainische Nahrungsmittelproduktion und ebenso die Nahrungs- und Düngemittel, die von Russland und Belarus hergestellt werden, in die Weltmärkte zu reintegrieren.“ (Hervorhebungen KOMintern)
Während die Vereinten Nationen wider den kriegsgetriebenen Stacheln des Westens löckend, zur Abwendung einer Hungerkatastrophe den Ausbruch aus der verheerenden Kriegslogik einmahnen, und Moskau wieder den Weg „für einen Getreideexport ohne Hemmnisse“ eröffnen wollen – und das beinhaltet auch für Moskau explizit sowohl russisches wie ukrainisches Getreide –, brachte die EU gerade ein weiteres Sanktionspaket auf den Weg und zetert geradezu manisch hysterisch gegen den Iwan. Was die „westliche Wertegemeinschaft“ in ihrem Sanktionskrieg dabei geflissentlich unter den Tisch fallen lässt ist jedoch: Wer Russland mit einem noch nie dagewesenen Sanktionswahn „ruinieren“ will (Annalena Baerbock), geht sehenden Auges und buchstäblich über Leichen. Der Blutgeruch des ideologischen Generalstabs und der SchreibtischtäterInnen der westlichen Globalstrategie um die Welthegemonie stinkt entgegen ihres notorisch guten Gewissens und der humanitären Beschmückung fürs Publikum bis zum Himmel. Gleichzeitig gibt es zarte Anzeichen, dass nicht im Chor der Sanktionskrieger mitbrüllende Akteure (und das ist übrigens die überwältigende Mehrheit der Staatengemeinschaft, die mitnichten der Westen bildet) erste Bewegung in die Sache gebracht haben.