In regelmäßigen Abständen wird in Österreich über eine Senkung der „Lohnnebenkosten“ diskutiert. Arbeitgebervertreter und Lobbyagenturen nutzen jede Situation, um diese Forderung zu platzieren. Dabei wird eine Erhöhung der Beschäftigung, des Wirtschaftswachstums und der Einkommen sowie der Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der heimischen Wirtschaft ins Treffen geführt. Was sind die sogenannten „Lohnnebenkosten“ und wieso soll deren Senkung den allgemeinen Wohlstand erhöhen? Das Gegenteil ist der Fall: Eine solche Maßnahme bringt den Arbeitnehmer:innen gar nichts, sondern gefährdet ihre soziale Sicherheit.
Keine einheitliche Definition – Sozialstaatsbeiträge jedenfalls relevant
Schon der Begriff „Lohnnebenkosten“ selbst muss hinterfragt werden. Was hier als Nebensache bezeichnet wird, sind in Wirklichkeit wichtige Sozialstaatsbeiträge, aus denen Kernleistungen unseres Sozialwesens finanziert werden. Für die internationale Wettbewerbsfähigkeit sind diese nicht relevant, sondern vielmehr die (Gesamt-)Arbeitskosten in Relation zur Produktivität und damit die Lohnstückkosten – und diese sind in Österreich besser als in vielen anderen wettbewerbsstarken Ländern.
Was in der Debatte unter Lohnnebenkosten verstanden wird, ist höchst unterschiedlich (mehr dazu unten). International üblich ist die Trennung in direkte und indirekte Arbeitskosten (= Lohnnebenkosten). Letzteren werden dabei jene Kosten zugeordnet, die zusätzlich zum Bruttolohn anfallen. Im Wesentlichen handelt es sich dabei um die Sozialbeiträge der Arbeitgeber. Diese umfassen zum einen die Unfall-, Kranken-, Arbeitslosen und Pensionsversicherung. Zum anderen zählen dazu der Dienstgeberbeitrag zum Familienlastenausgleichsfonds (FLAF), mit dem die wichtigsten Familienleistungen (Familienbeihilfe, Kinderbetreuungsgeld, Schülerfreifahrt, Schulbücher etc.) finanziert werden, den Beitrag zum Insolvenzausfallsgeldfonds (IESG), der die Entgeltfortzahlung für Arbeitnehmer:innen im Fall von Unternehmensinsolvenz gewährleistet, die Wohnbauförderung und die Kommunalsteuer, die die wichtigste Finanzierungsgrundlage der Gemeinden (Kindergärten, lokaler öffentlicher Verkehr u. a.) darstellt.
Diese Arbeitgeberbeiträge sind daher ganz zentral zur Finanzierung des Sozialsystems, das den Arbeitnehmer:innen zugutekommt. Sie dienen zur Pensionsfinanzierung, fließen in das Gesundheitssystem oder kommen über die Familienbeihilfen Familien zugute. Es ist also keineswegs so, dass Lohnnebenkosten Einkommen schmälern würden. Sie finanzieren vielmehr Einkommen wie die Pensionen, Familienbeilhilfen etc.
Diese Abbildung gibt einen Überblick über die genannten Sozialstaatsbeiträge und ihre Funktionen:
Zusätzlich werden häufig auch lohnbezogene Abgaben und Aufwendungen für Aus- und Weiterbildung in die Definition einbezogen.
Markante Kürzungen bereits in den letzten Jahren
Bereits in den letzten Jahren wurden Sozialstaatsbeiträge markant gekürzt: Der FLAF-Beitrag wurde im Zuge eines Arbeitsmarktpakets ab 2016 um 0,4 Prozentpunkte und um weitere 0,2 Prozentpunkte ab 2018 gesenkt. Ebenfalls 2016 wurde der IESG-Beitrag um 0,1 Prozentpunkte verringert und dann 2022 auf 0,1% halbiert. 2007 lag dieser noch bei 0,7%. Mit 1.1.2019 wurde der Unfallversicherungs- (UV)-Beitrag-Beitrag von 1,3 auf 1,2 % gesenkt, nachdem er schon 2014 von 1,4% auf 1,3% reduziert wurde. Das zog beträchtliche Kosten nach sich:
• IESG-Senkung (um 0,2%): in Summe rund 230 Millionen Euro jährlich
• Senkung des FLAF-Beitragssatzes: rund 800 Millionen Euro jährlich
• UV-Beitragssenkung um 0,1% rund 130 Millionen Euro
Das bedeutete spürbare und nachhaltige Auswirkungen für die Finanzierung des Sozialstaates: So schrieb der FLAF 2017 und 2018 nicht die ursprünglich erwarteten Überschüsse, sondern Defizite in 3-stelliger Millionenhöhe. Dieses Loch musste aus allgemeinen Steuermitteln abgedeckt werden.
Die Senkung des UV-Beitrages verhindert die Eindämmung der arbeitsbedingten Belastungen als Präventivaufgabe der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt (AUVA). Zudem läuft der gesetzliche Kostenersatz, den die AUVA an die Österreichische Gesundheitskasse (ÖGK) für die Versorgung von Arbeitsunfällen überweist, ab 2023 aus, eine Nachfolgeregelung gibt es noch nicht. Das steht völlig im Widerspruch zur Ausweitung der Aufgaben der ÖGK (Hospiz- und Palliativversorgung, höhere gesetzlich vorgegebene Zahlungen an private Krankenanstalten). Aber insbesondere die Unfallversicherung selbst kann keine weitere Beitragskürzung hinnehmen. Berufskrankheiten, für die die Unfallversicherung zuständig ist, sind völlig untererfasst, und die Liste an anerkannten Berufskrankheiten wurde jahrzehntelang nicht adaptiert. Diese spiegeln daher nicht mehr die heutige Arbeitswelt wider.
Sozialstaatsbeiträge kürzen: Themenverfehlung bei Teuerung – bringt auch kaum Beschäftigung
Die Senkung der Sozialstaatsbeiträge als Maßnahme gegen die Teuerungen ins Spiel zu bringen, ist eine Themenverfehlung. Denn die Reduktion der genannten Beiträge entlastet unmittelbar nur die Unternehmen. Für die Arbeitnehmer:innen, für die es immer schwieriger wird, Miete, Lebensmittel, Strom und Sprit zu zahlen, bewirkt das keine Erleichterung, sondern gefährdet ihre soziale Sicherheit. Die empirischen Befunde zeigen zudem keine oder oft nur kurzfristig wirksame Beschäftigungseffekte, die in keinem adäquaten Verhältnis zu den Kosten stehen. Das zeigt ein 2017 veröffentlichter Bericht von Eurofound, der Europäischen Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen. Eine 2020 veröffentlichte WIFO-Studie bestätigt diese Erkenntnis.
In beiden Studien wird jedoch die gezielte Senkung von Arbeitgeberkosten für bestimmte Gruppen von Arbeitnehmer:innen, die besondere Schwierigkeiten haben, Beschäftigung zu finden, als sinnvoll eingestuft. Dies wurde in Österreich für ältere Arbeitnehmer:innen umgesetzt: Für Beschäftigte ab 60 Jahren fällt der Beitrag zur Unfallversicherung ebenso weg wie der Dienstgeberbeitrag zum FLAF (insgesamt minus 5,1 Prozentpunkte). Die Arbeitslosenversicherungspflicht endet mit 63 Jahren und auch der IESG-Zuschlag ist nur bis zu diesem Alter zu entrichten (insgesamt minus 8,2 Prozentpunkte).
Vermeintlicher Gewinn kostet Arbeitnehmer:innen viel
Die Senkung der Sozialstaatsbeiträge als Win-win-Maßnahme darzustellen, ist klassisch neoliberale Kommunikation: Maßnahmen, die nur einer bestimmten Gruppe zugutekommen – in diesem Fall den Unternehmen –, werden so dargestellt, als wären sie im Allgemeininteresse. Neoliberale und ihre PR-Agenturen sind Meister darin, Maßnahmen, bei denen die Mehrheit der Bevölkerung verlieren würde, so darzustellen, als würden sie gewinnen. So wird suggeriert, dass eine Senkung der Sozialstaatsbeiträge die Nettoeinkommen der Arbeitnehmer:innen erhöhen würde. Das Gegenteil ist der Fall: Eine Senkung der Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung bzw. der Entgeltfortzahlung schadet Arbeitnehmer:innen.
Selten haben jene, die die „Lohnnebenkosten“ senken wollen, gesagt, welche der finanzierten Leistungen sie streichen oder kürzen wollen. Dann würde sich nämlich herausstellen, dass die Senkung der Sozialstaatsbeiträge ihre Kosten hat. Die Arbeitgeber würden sich etwas ersparen, während Leistungen für die Arbeitnehmer:innen unterfinanziert oder reduziert würden.
Hohe Produktivität im Verhältnis zu den Kosten – das entscheidet über die Wettbewerbsfähigkeit
Über die Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens oder eines Standortes entscheiden entgegen der Rhetorik der Arbeitgeberseite nicht die Sozialstaatsbeiträge und auch nicht die Arbeitskosten insgesamt, sondern, wie viel Produktivität ein Unternehmen zu diesen Kosten bekommt. Man muss den Kosten je Arbeitsstunde den Wert gegenüberstellen, der in der Stunde geschaffen wird. Das bildet sich in den Lohnstückkosten ab – und hier liegt Österreich im EU-Vergleich insbesondere im produzierenden Bereich sehr gut. Dieser Befund wurde bereits 2017 in einer vom Beirat für Wirtschafts- und Sozialfragen beim WIFO beauftragten Studie festgestellt und mit aktuelleren Daten in der oben angeführten neueren WIFO-Studie bestätigt.
In der Sachgütererzeugung, die wegen ihrer Exportorientierung starkem Wettbewerb ausgesetzt ist, liegen die Lohnstückkosten sogar günstiger als im EU-Durchschnitt. Höhere Arbeitskosten werden durch höhere Wertschöpfung finanziert.
Zudem konkurrieren die Betriebe der österreichischen Wirtschaft im internationalen Wettbewerb mit der hohen Qualität der Produkte und Dienstleistungen durch Facharbeit und hochwertige Produktionsverfahren – und nicht über niedrige Lohnkosten oder schlechte Sozial- und Umweltstandards.
Produktivität entsteht nicht nur unmittelbar am Arbeitsplatz
Von Arbeitgeberseite wird gerne eine sehr breite Definition verwendet, in der alles, was nicht direkter Anwesenheit am Arbeitsplatz zuzuordnen ist („Anwesenheitslohn“), als Nebenkosten definiert wird. Dabei werden bezahlter Urlaub, bezahlter Krankenstand, in Extremfällen auch Feiertage sowie Abwesenheiten und Kosten für Aus- und Weiterbildungen den Nebenkosten zugeordnet.
Diese Betrachtung ist sehr in Frage zu stellen. Zwar ist das Einrechnen von Aus- und Weiterbildungen international durchaus üblich, diese Maßnahmen dienen jedoch offensichtlich dem Erhalt und der Steigerung der Produktivität und haben somit den Charakter von Investitionen.
Bezahlter Urlaub und Feiertage dienen wiederum der Reproduktion und sind ebenso unverzichtbar, damit Menschen dauerhaft in ihrer Arbeit produktiv und auch kreativ sein können. Relativ absurd ist, das 13. und 14. Monatsgehalt als Nebenkosten zu qualifizieren. Dieser wichtige Lohnbestandteil ist in den Kollektivverträgen verankert und Teil des für die Arbeitsleistung zustehenden Entgelts.
Spielraum für Teuerungsausgleich und höhere Sozialleistungen nicht verschenken
Aktuell verzeichnen wir markante Preissteigerungen bei Energie und Lebensmitteln, bei Mieten gab es schon in den letzten Jahren massive Anstiege. Insbesondere in den Bereichen Wohnen, Energie und Gastronomie verzeichnen Unternehmen zugleich Übergewinne und es droht eine Gewinn-Preisspirale. Die Senkung der Sozialstaatsbeiträge geht unmittelbar an die Unternehmen, zahlen müssen sie aber die Arbeitnehmer:innen, deren soziale Ansprüche in der Finanzierung gefährdet sind.
Das Gebot der Stunde ist, jene Menschen zu entlasten, die am meisten unter den Preissteigerungen leiden, anstatt Unternehmen mit der Gießkanne Abgaben-Geschenke zu machen und dabei die Spielräume für wichtige Maßnahmen einzuengen. ÖGB und AK haben dazu bereits eine Reihe an Vorschlägen gemacht.
Das Problem der Teuerung ist vordringlich und muss unmittelbar bearbeitet werden. Eine Diskussion über eine Steuerstrukturreform mit einem höheren Beitrag von Vermögen ist sinnvoll. In dem Zusammenhang kann auch eine breitere Sozialstaatsfinanzierung, die über die Lohnsumme hinausgeht, umgesetzt werden.
Artikel von Sybille Pirklbauer und David Mum aus dem A&W-Blog