Wirtschaftssanktionen und Embargos sind eine uralte, schon aus der Antike bekannte Waffe. Nach dem anfänglichen, aktuell enthusiastischen Hurra!, wir werden „Stück für Stück die industrielle Basis Russlands abtragen“ (Ursula von der Leyen), „den Kollaps der russischen Wirtschaft“ herbeiführen (Bruno Le Maire) bzw. kurz und bündig „Russland ruinieren“ (Annalena Baerbock), macht sich seit jüngstem Unruhe breit. Zumal einerseits immer ersichtlicher wird, dass selbst die „noch nie dagewesenen“ Sanktionspakete das Kriegsgeschehen mitnichten gestoppt haben (wie man zu Beginn der Wirtschaftskriegsmaßnahmen als offizielles Ziel noch vorschob) und sich andererseits immer spürbarer als Bumerang erweisen.
Dabei sind Wirtschaftssanktionenein zugleich gut untersuchtes Instrument. Entsprechend unaufgeregt konstatierte denn auch Peter Fischer, Chef-Ökonom der großbürgerlichen Neuen Züricher Zeitung, schon vor längerem nüchtern: ‚Sanktionen haben in der Vergangenheit noch nirgends auf der Welt etwas bewirkt. Außer dass man dadurch Mauern für Gespräche und Verhandlungen weiter erhöht hat.‘
Das bevorzugte Kampfmittel der Transatlantiker – Wirtschaftssanktionen und Embargos näher betrachtet
Das bestätigt auch das Ergebnis der umfangreichen Studie des Peterson Institute for International Economics, das Sanktionen aus 100 Jahren in über 100 Ländern untersucht hat und resümierte, dass Wirtschaftssanktionen und Embargos durchgängig ungeeignet waren, die damit ins Visier genommen außenpolitischen Ziele zu erwirken (außer gegen kleine Länder – wie der Erdrosselung der sandinistischen Revolution per wirtschaftlichem Todesstoß und einer systematischen Verminung der Häfen über die 1980er Jahre – und bei gemeinhin bescheidenen Sanktionszielen partieller Kursänderungen). Getroffen haben sie zudem allen voran die Bevölkerungen, die einfachen Leute und insbesondere nochmals Frauen und Kleinkinder. Beispielhaft hierfür, auch was die desaströsen sozialen und humanitären Folgen betrifft, können etwa das US-Sanktionsregime gegen den Iran seit 1979 (gegen das nach mutwilliger Aufkündigung des Atomabkommens durch Washington selbst die EU 2018 noch opponierte und sich 2019 mit Instex vollmundig daran machte, ein eigenes Zahlungsvehikel zu etablieren zu versuchen um die US-Sanktionen zu unterlaufen) oder das mörderische amerikanisch-britische Sanktionsregime gegen den Irak 1990 bis 2003 (dem mehr als eine halbe Million Kinder zum Opfer gefallen sind) stehen. Aber auch die Sanktionen gegen Nordkorea, Belarus, den Sudan oder Venezuela und viele weitere Washington aus diesem oder jenem Interesse, geopolitischem Blickwinkel unliebsame oder den USA einfach nur ungenügend kooperative Staaten (die Liste ließe sich noch ganze Absätze füllend weiterführen) verfehlten überwiegend ihren offiziell verkündeten, vorgeblichen oder wirklichen Zweck, forderten allerdings ungeheure Opfer in den Bevölkerungen der betroffenen Staaten und lasteten bzw. lasten wie ein Alp auf deren Gesellschaften. Der ehemalige bedeutende US-Diplomat Thomas Shannon Jr. hat ihre Wirkung gar mit „den Brandbomben auf Dresden und Tokio“ verglichen.
Und auch die kubanische Revolution und die rote Insel vor den Toren Washingtons ließ sich durch das mittlerweile seit genau 60 Jahren verhängte bzw. in Kraft getretene und immer weiter ausgebaute und verschärfte Embargo der Yankees nicht in die Knie zwingen (obschon die US-Blockadepolitik das Land gerade schwer in der Mangel hat, wogegen die Linke noch vor Jahren solidarisch mit Havanna aufgestanden wäre), während die 1998 von Washington losgetretenen Strafzollschlachten und der Handelskrieg gegen China vorläufig überhaupt in einem für die US-Wirtschaft teuren Desaster mündeten. Gleichviel haben sich die kaum mehr überschaubaren Wirtschaftssanktionen, von A wie Afghanistan bis Z wie Zimbabwe, seit den 1990er Jahren zu einem bevorzugten Kampfmittel der US-Administration zur Durchsetzungen ihrer globalen Interessen entwickelt. Es liegt noch keine 2 Jahre zurück, da haben selbst 24 der 27 EU-Staaten noch förmlich Protest gegen die, wie sich das außenpolitische grüne Urgestein Deutschlands Jürgen Trittin äußerte, „wirtschaftliche Kriegserklärung“ des Washingtoner Sanktions-Amoklaufs gegen den transatlantischen, europäischen Verbündeten eingelegt.
Als „friedenspolitische Sanktionsstrategie“ getarnte Wirtschaftskriege
Schon die angezogenen Beispiele zeigen die immer wiederkehrende Falschmünzerei im Begriff. Genauso wie das aktuell strapazierte Narrativ einer angeblich beabsichtigten Austrocknung der russischen Rüstungsindustrie und Waffenressourcen durch das Sanktionsregime gegen Moskau in die Irre führt. Die westlichen Wirtschaftskrieger von Washington über Brüssel bis Berlin und Wien sind vielmehr fest entschlossen Russland in einem geopolitischen Wirtschaftskrieg als solches „zu ruinieren“. Und zwar: What ever it takes. „Die geopolitische Sanktionsstrategie nimmt den russischen Angriff zwar zum Ausgangspunkt, ihr Ziel ist allerdings in Kontinuität mit ihrer geopolitischen Eskalationspolitik die Ausschaltung Russlands als eigenständigen geopolitischen Akteur“, wie der Ökonom Joachim Becker in einer prinzipiellen Unterscheidung „geopolitischer“ von „friedenspolitischen Sanktionen“ jüngst schrieb. „Eine friedenspolitische Sanktionsstrategie“, so Becker den grundlegenden Unterschied beider grundsätzlich pointierend „hat keine geopolitischen Ambitionen … Ihr geht es darum militärische Aktivitäten … zu erschweren und zu einer möglichst baldigen politischen Konfliktlösung beizutragen.“
Entgegen dem medial kolportierten Narrativ, haben schon zu Beginn des Sanktionsreigens internationalen ÖkonomInnen und Militär-Experten darauf hingewiesen, dass Moskau militärisch in Wirklichkeit weitgehend autark vom Westen ist. So findet sich Russland (nach den USA zweitgrößter Rüstungsexporteur) auf dem weltweiten SIPRI Waffenimport-Ranking denn auch erst auf Platz 53 und erreicht das Volumen seiner diesbezüglichen Importe nur 0,7% seiner dahingehenden Exporte. Die freilich darunterfallenden viel zitierten Hochtechnologie-Komponenten für hypermoderne Waffensysteme wiederum, spielen für die konventionellen Gefechte und Waffengattungen in der Ukraine nur eine völlig untergeordnete Rolle. Zudem können diese zwischenzeitlich zum Teil auch in viel höherem Grad als noch vor Jahren im Inland selbst hergestellt werden, auf Boden weiterentwickelten herkömmlichem Technologiestands substituiert oder mannigfach auch aus alternativen Exportländern bezogen werden. Ganz davon abgesehen, dass Militärs für derartige Waffengattungen kaum Hi-Tech-Chips der letzten Generation nutzen, sondern lieber langjährig erprobte, die es dafür auch tun, gut erprobt und kostengünstiger sind. Allenfalls etwa für moderne Zielerfassungs- und Zielverfolgungssysteme bedarf es in Russland rarer, moderner Halbleiter. Aber auch derartige Chips lassen sich ohne Greenbacks und Euros erwerben oder brutalisieren das Kriegsgeschehen nochmals. Für die Sanktionspakete eine angeblich damit beabsichtigte Austrocknung des Waffennachschubs Moskaus ins Feld zu führen, ist jedenfalls Irreführung. Russland produziert seine Waffen für konventionelle Gefechte autark (von der Extraktion der Rohstoffe, über die Stahlproduktion und Vorprodukte, seiner Rüstungsindustrie und militärischen Zurverfügungstellung) und bezahlt die russischen Rüstungsbetriebe und in der Produktionskette beteiligten Betriebe für staatliche Aufträge und Nachschub ebenso seit eh und je in Rubel wie seine Soldaten in eigener Währung. Devisen oder Greenbacks sind dafür ebenso wenig nötig, wie großartige Importe aus dem Westen. Und den Fachleuten (sowohl Militärs, wie außenpolitischen Thinktanks und Ökonomen) ist das auch bekannt, weshalb sich auch vor allem das politische Personal über den bisher nicht versiegenden militärischen Nachschub Russlands medial gelegentlich verwundert zeigt oder tatsächlich wundert – was noch viel schlimmer wäre.
Bis alles in Trümmern liegt
Fürs Publikum spielt man zwar auf einer doppelten Klaviatur, aber das wirkliche Ziel des Sanktions-Amoklaufs wird wie in der Einleitung ausgeführt gleichzeitig auch relativ unverfroren eingestanden. Allerdings: die EU hat sich mit ihren Sanktionen schlicht verzockt und in eine Sackgasse manövriert. Da mag sich EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen noch so sehr brüsten, dass es die „massivsten“ und „präzisesten“ Sanktionen sind, die Brüssel je verhängt hat. „Massiv“ sind sie in der Tat. Der Ökonom Nicholas Mulder (u.a. Autor des Buchs The Economic Weapon: The Rise of Sanctions as a Tool of Modern War) schrieb auf der Seite des IWF gerade: „Seit 1930 ist kein Land derart umfassend vom globalen Handel ausgeschlossen worden“ und konstatiert unter dem Titel „Wirtschaftssanktionen führen zu größeren globalen Schocks als je zuvor und sind leichter zu umgehen“: „Die Sanktionen [gegen Moskau] führen in Kombination mit den globalen Lieferkettenproblemen und Materialmängeln zu einem einzigartigen wirtschaftlichen Schock.“ Von Mulder ließe sich überhaupt einiges zur Problematik, Zerstörungskraft, möglichen Eskalationsdynamik und Ambivalenz von Sanktionen lernen, das über den Horizont der heutigen WirtschaftskriegerInnen hinausgeht. Wie dem auch immer. „Massiv“ jedenfalls sind sie unbestritten. Wäre Donald Trump noch im Amt, würde er, wohl ausnahmsweise richtiger Weise, twittern: „Sie sind massiv, sehr massiv, die Massivsten.“ Und würde seinerseits wie am Independence Day 2019 im Anschluss höchst wahrscheinlich die USA rühmen: „Unsere Nation ist stark. Sie ist jetzt am Stärksten“. Freilich als der rechte Clown noch als Zirkusdirektor der Vereinigten Staaten amtierte, schlug die Welt außerhalb der USA noch die Hände vorm Gesicht zusammen, bevor sich nun auch Brüssel seine notorische Realitätsverweigerung und sein Credo zu eigen machte: „Wirtschaftskriege sind gut und leicht zu gewinnen.“ Wobei, dieses Trumpsche „leicht“ aus dem Frühjahr würde man vermutlich nicht mehr so brustgeschwellt aussprechen, wie man auch die betonte Treffsicherheit der „Sanktions-Präzisionswaffen“ des Frühjahrs 2022 heute gezwungener Maßen eingemottet hat. Ihre Zielgenauigkeit lässt dann doch erheblich zu wünschen übrig und auch ihr Rückstoß war heftiger als gedacht. In einem Punkt hatte von der Leyen jedoch noch unfreiwillig recht: „Die Sanktion beißen ganz hart, das merkt man“. Es fragt sich nur wen? – frägt sich bereits selbst der britische Economist?
Auf den Weg in den globalen Wirtschaftskrieg und eigenen Kollaps?
Die USA befinden sich nach zwei Quartalen Abschwung (-1,6% im ersten und nochmals -0.9% im zweiten) schon in einer Rezession, Deutschland ist geradewegs auf den Weg in eine solche und auch andere selbstherrliche Wirtschaftskriegerstehen unmittelbar davor, wobei Japan ohnehin schon seit 2019 wiedermal in die Rezession abgerutscht ist. Der Chef-Ökonom des Internationale Bankeninstituts IIF, Robin Brooks, hält diese ökonomischen Verwerfungen unsere Breiten betreffend nicht nur für eine kurzfristige Delle in der Konjunkturentwicklung Europas, sondern prognostiziert als Kehrseite des losgetretenen Wirtschaftskriegs einen „erdbebenartigen Schock für die Eurozone“. Und während man im Februar und März noch wähnte, den Wirtschaftskrieg gegen den Iwan, dessen Wirtschaftskraft bei nur „7,2% der amerikanischen Wirtschaftsleistung“ liegt (wie Ökonomen dem Sanktions-Amoklauf noch befeuerten), leicht zu gewinnen, haben der IWF und die russische Zentralbank ihr Wirtschaftsprognosen für Russland gerade nach oben revidiert und rechnet die US-Investmentbank J. P. Morgan überhaupt nur noch mit einem russischen Wirtschafts-Minus im Jahresverlauf von 3,5%. Wie dem auch immer, die westliche Absicht die russische Wirtschaft in den Kollaps zu treiben erweist sich nicht nur als Flop, sondern als regelrechter Bumerang, der zugleich die Inflation auf Kosten unserer Löhne und Gehälter auf ein 50 Jahre Rekordhoch explodieren ließ. Als ob dem nicht genug, diskutieren die Falken Washingtons und Brüssels öffentlich bereits einen weiteren geopolitischen Wirtschaftskrieg. Und zwar gegen das Reich der Mitte, aufgrund der durch Pelosi selbstbefeuerten, aufgeheizten Situation um Taiwan. China wäre allerdings ein nochmals ganz anderes Kaliber als Russland. Hat sich der Westen schon beim widerständiger als gedachten Russland verzockt, ginge es in einem Wirtschaftskrieg gegen China nicht mehr „nur“ um Energie, Rohstoffe, (von Getreideausfuhren abgesehen) periphere Lieferketten und einen überschaubaren Absatzmarkt, sondern ums Eingemachte. Stephan Kaufmann ist zuzustimmen: „Die Folge wäre daher wohl ein inflationärer Schock, gegen den die aktuellen Inflationsraten harmlos aussähen.“