50 Jahre ist es her, dass der Club of Rome 1972 in seinem berühmten Bericht vor einer baldigen Erschöpfung der Rohstoffe, insbesondere des Erdöls, warnte. Der „Peak Oil“ hat sich durch die immer neue Entdeckung von Vorkommen und Ölfeldern sowie durch neue Erschließungsmethoden zeitlich bekanntlich ein Stück weit verschoben – wenn das „schwarze Gold“ auch in absehbarer Zeit erschöpft sein wird. Während es in den Medien aktuell vorrangig als Preistreiber der Spritrechnungen für Autofahrer verhandelt wird, toben um den fossilen Treibstoff der Weltwirtschaft im Hintergrund jedoch regelrechte Wirtschaftskriege. Den Ukraine-Konflikt eingeschlossen.
Die Erdölreserven, so zahlreiche Studien, reichen noch bis weit ins 21. Jahrhundert (die Prognosen variieren natürlich etwas, je nach zugrunde gelegtem jährlichen Verbrauch). Darin sind, neben den erheblichen Reserven der großen Ölförderländer (allem voran Saudi-Arabiens, Russlands und den USA), ebenso die Öl-Ressourcen vor der brasilianischen Küste, aus kanadischen Ölsänden, dem arktischen Meer oder der Tiefsee, sowie Ölvorkommen die nur per Fracking-Techniken gefördert werden können, einbezogen. Unendlich sind sie dennoch nicht – und auch immer schwerer förderbar.
Wobei es unter gleichzeitig unumgänglichem ökologischen Blickwinkel ohnehin nicht um die Frage der etwaig möglichen Langfristigkeit der Erwartungshorizonte für Rohöl gehen kann, sondern vielmehr darum, wie in einem klimapolitischen Umbau verhindert werden kann, dass Erdöl weiterhin wie bisher gefördert und verbrannt wird bzw. als Grundrohstoff der Chemieindustrie und chemischer Erzeugnisse dient.
Fossile Profite und Marktversagen
Zugleich zeigen sich am Beispiel Öl auch die Grenzen des aktuellen Weltwirtschaftssystems besonders deutlich. Dass „der Markt“ nicht sozial reguliert, ist eine Binsenweisheit. Aber eben genauso wenig ökologisch.
Ein ‚Marktversagen‘ das sich vor allem hinsichtlich des viel beredeten „Peak Oil“ eindringlich zeigt. Auch wenn man über die heutigen Reserven hinaus noch die weiteren (bislang noch nicht profitabel ausbeutbaren oder teils noch unentdeckten) Ressourcen in Rechnung stellt, bestimmen sich die Marktpreise des fossilen Schmiermittels des heutigen Wirtschaftssystems – neben den modifizierenden Politmechanismen des Öl-Markts – sichtlich anhand der aktuellen Angebots- und Nachfragerelationen bzw. Spekulationen auf kurze Frist. Entgegen des hoch gepriesenen Preismechanismus zeigen die Preise (auch bei Rohstoffen deren „Peak“ bereits überschritten ist) mitnichten Langfristerwartungen oder tendenzielle Erschöpfungen an.
Und dass die Ölmultis von ExxonMobil, über Chevron, Shell, BP, Total, Equinor, die teils namentlich weniger bekannten neuen Schieferölkonzerne des Shale Oil-Branche wie EQT, Cabot Oil & Gas, oder auch Altbekannte wie Aramco und die Golf-Staaten, trotz Klimakrise mit dem „schwarzen Gold“ nach wie vor Rekordgewinne einfahren, verdankt sich ebenfalls gerade deren Resistenz gegen den nötigen ökologischen Umbau unserer Wirtschaftssystems, dessen energetischer Grundlagen, einer unabdingbaren Mobilitätswende und einer öko-sozialen Neugestaltung der gesamten gesellschaftlichen Infra- bis Wohnstruktur.
Wirtschafts-, Öl-(&Gas-)Krieg & die geopolitischen Frontlinien der Gegenwart
Darüber hinaus, und darauf liegt hier der Fokus, zeichnet sich der Öl-Markt – über das konjunkturelle Auf und Ab und die Profitlogik hinaus – zudem als beinharter, geostrategischer Kampfplatz aus.
Einerseits in der jüngeren Zeit, neben den offensichtlichen militärischen Kriegsgängen ums Öl, etwa in der Auseinandersetzung der OPEC mit den US-Frackern von Schieferöl. Andererseits im gleichzeitig konvergenten Interesse allem voran der Öl-Supermacht Saudi-Arabien (und der Golfstaaten wie Kuweit oder auch der Vereinigten Arabische Emirate) mit dem US-Imperialismus gegen (die allesamt mit Sanktionen unterschiedlicher Art belegten Länder) Russland, Iran und Venezuela. Die ersten beiden markieren für das saudi-arabische Scheichtum dabei zugleich die Schutzmacht Syriens (sowie Moskau auch jene des Irans). Venezuela wiederum gilt Riad als innerer Gegenspieler in der OPEC und Koordinator der Nicht-Golf-OPEC-Staaten in Lateinamerika und Afrika. Zudem spielen für die Öl-Großmacht natürlich auch die Förder- und Lieferbegehrlichkeiten Libyens sowie die Position der westafrikanischen Hegemonialmacht Nigeria eine stete Rolle.
Gleichzeitig kann es dann, wie die jüngste Vergangenheit ebenso zeigte, auch schnell wieder zu Windungen und Wendungen im globalen Ölkampf kommen. So etwa hatte sich Riad in seinem 2014 aufgenommenem Kampf gegen die US-Frackingindustrie übernommen. Diese schickte sich seit der Forcierung des Frackings nach der Jahrhundertwende mehr und mehr an, die USA (mit John D. Rockefellers 1870 gegründeter Standard Oil und früh einsetzender Umstellung auf Erdöl als Primärenergie einst Weltmarktführer, seit Ende der 1960er Jahre allerdings Importland), wieder zum weltgrößten Erdölproduzenten werden zu lassen. Dem spielte nicht zuletzt das Öl-Preishoch der Jahre 2011 bis 2013 mit Preisspitzen über 100 Dollar pro Barrel in die Hände. 2014 durchbrach der Ölpreis erneut die 100-Dollar-Grenze, was – wenn wie angezogen freilich nicht den einzigen Grund bildend – wiederum die Saudis mit ihren unschlagbar günstigen Förderkosten gegen den Fracking-Boom auf den Plan rief. Zwar konnte es mit dem 2015 zeitweise auf unter 30 Dollar gedrückten Ölpreis ein Gros mittelständischer Fracking-Unternehmen der USA aus dem Welt-Öl-Markt drängen, aber den Primus-Schieferöl-Playern, die auch über die lukrativsten Claims in den wichtigsten Fördergebieten wie Texas und New Mexico herrschen, gelang es in Punkto Produktivität nachzuziehen und die an sich höheren Kosten der unkonventionellen Fracking-Fördertechnik spürbar zu senken. Und auf ewig ließen sich die sinkenden Einnahmen im Staatshaushalt des saudischen Herrscherhauses auch durch dessen riesige Petrodollar-Rücklagen und milliardenschweren Investmentgesellschaften nicht ausgleichen. Zumal die US-Fracker im globalen Ölkampf 2016/2017 schließlich ihrerseits zur Attacke übergingen (teils auch einfach um den Preis- und Profitverfall durch höhere Fördermengen zu kompensieren), den Öl-Markt fluteten und in der damit eröffneten zweiten Runde des Öl-Kriegs der OPEC Marktanteile abnahm. Daraufhin suchte Saudi-Arabien den Ausgleich mit Russland und drosselte das Öl-Kartell zusammen mit der Russischen Föderation als „OPEC plus“ wieder die Förderquote. In den Jahren vor Ausbruch der Corona- und Weltwirtschaftskrise 2018/19 stabilisierte sich der Ölpreis dann auf einem Niveau um die 50 bis meist 70 Dollar, um das er herumschwankte, bevor er mit dem Einbruch der Weltwirtschaft 2020 vorübergehend regelrecht abschmierte – um heute wieder im Höhenflug zu sein.
Die geopolitischen Dimensionen des Welt-Öl-Marktes reichen freilich bis ins Weltfinanzsystem. Bereits parallel mit dem Zusammenbruch des Bretton Woods Abkommen unter der Ägide der USA 1971 und 1973 und dem gleichzeitigen Wandel der US-Großmacht zum weltgrößten Ölimporteur 1973, galt es für den US-Imperialismus den Dollar als Welt-Leitwährung zu verteidigen oder unbeschadet zu halten. Entsprechend verhandelt die USA 1972 – 1974 mit Saudi-Arabien (der Nummer 1 des Welt-Öl-Marktes) das Petrodollar-System aus. Das saudische Scheichtum verpflichtet sich damals, Öl einzig in Greenbacks zu fakturieren und gegen Dollar zu verkaufen, die USA im Gegenzug, für den Fortbestand des wahhabitischen Regimes zu garantieren. Mit den jüngeren Machtverschiebungen am Ölkampfplatz haben sich allerdings auch die politischen Beziehungen etwas gelockert – ohne zu zerreißen. Jahrzehntelang war die US-Großmacht vom arabischen Öl abhängig (bekam umgekehrt aber auch stets immense Preisnachlässe), jetzt exportiert man wieder selber und ist auch seinerseits offensiv in den globalen Konkurrenzkampf um das „schwarze Gold“ eingetreten. Zwar ist Saudi-Arabien zurzeit noch der größte Ölexporteur, der weltgrößte Ölproduzent ist indessen jedoch bereits die USA (und liegen beide vor Russland). Länder die gegen die Dollar-Vormacht wiederum erwogen haben vom Petrodollar-Regime abzugehen, wie der Irak unter Saddam Hussein oder Libyen unter Muammar al-Gaddafi, wurden von den USA und ihren jeweiligen Allianzen aus dem Sattel und in Schutt und Asche gebombt, und bilden heute in Verheerungen versunkene „failed states“. Gegen unbotmäßige Störenfriede wie den Iran und Venezuela wiederum wurden scharfe Sanktionen verhängt. Wobei Caracas sich im Herbst 2018 tatsächlich aus der Dollarbindung gelöst hat, was – obwohl Venezuela aus mehrerlei Gründen aktuell nur für 2% des weltweit geförderten Öl‘s steht –, seitens der USA zu einem aus Washington orchestrierten Putschversuch und einer „Regime Change-“Operation 2019/2020 geführt hat.
Mit dem aktuell bis zur offenen Eskalation angeheizten Ukraine-Konflikt könnte es den US-Frackern wiederum gelingen, den europäischen Markt ein Stück weit umzuwälzen und dem Schieferöl ganz neue Marktanteile zu eröffnen. Die US Öl-Lobbyisten haben mit Konkurrenz-Ansage an Russland schon mal erklärt: „Amerika ist in der Lage, bei jeder Energieunterbrechung für Stabilität zu sorgen.“ Direkter noch, so die deutsche „Tagesschau“: „US-Präsident Joe Biden hatte bei einem Treffen mit Bundeskanzler Olaf Scholz jüngst deutlich gemacht, dass ein russischer Einmarsch in die Ukraine das Aus für die bereits fertiggestellte Leitung bedeuten würde.“ Die US-Frackingindustrie scharrt denn auch schon in den Startlöchern. Und die EU-Kommission ist unter dieser Propagandaparole in ihrem hektischen Treiben in Hinterzimmern und diplomatischen Wirtschaftsmissionen darauf und dran auch bei Öl (wie auch Gas), in zumindest neuem Ausmaß, transatlantisch ein- und umzuschwenken.
Im unmittelbarsten Fokus steht mit der vorläufig bis auf Weiteres gestoppten Inbetriebnahme von Nordstream 2, die den USA von Anbeginn an – unter anderem mit der Beschuldigung an ihre Unterstützer, damit die US-Sanktionen gegen Russland zu hintertreiben – ein Dorn im Auge war, freilich zunächst die Umwälzung des Erdgasgeschäfts. Hatte EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Junker um US-Zölle auf Autos abzuwenden schon 2018 Subventionen für LNG-Terminals und Förderung des Imports von US-Schiefergas abgenickt, so hat seine Nachfolgerin Ursula von der Leyen nun eine bezugspolitische geostrategische Erdgaswende angekündigt. Damit würde sich die EU zwar in einen noch stärkeren Vasallenstatus gegenüber den USA begeben, aber „Uncle Sam“ die gesuchten neuen Export- und Profitmöglichkeiten für seine überquellende Schiefergasproduktion eröffnen. 1982 von der Sowjetunion als Gaswirtschafts-Weltführer abgelöst, errang die USA durch ihre Fracking-Verfahren 2009 auch in Punkto Erdgas die Position des weltgrößten Erdgasförderers wieder zurück. Allerdings ohne ausreichende Absatzmärkte für dieses extrem umweltverschmutzend gewonnene und teurere Fracking-Gas, das zum Export – anders als Pipelinegas – erst komprimiert und verflüssigt und in Spezialterminals auf Spezialtankschiffe verladen und auf ebensolchen Spezialterminals entladen bzw. wieder entspannt werden muss bevor es in die Rohrnetze eingespeist werden kann. Wie dem auch immer. In und mit dem Ukraine-Konflikt als Katalysator wurde jedenfalls eine strategische Wende Europas im Wirtschafts-, Öl- und Gaskrieg eingeläutet. Seine sozialen, ökologischen und zivilisatorischen Gestehungskosten zu tragen, sind wir auserkoren, solange wir dem Treiben kein Ende bereiten.