Brauwirtschaft-KV: im Jahrtausende alten Gewerbe vorm Streik

Nicht so im Fokus wie andere, größere Branchen hakt es auch in den KV-Verhandlungen der Brauwirtschaft gewaltig. Das „Angebot“ Brauereien eines Fixbetrags von 100 Euro und eine Einmalzahlung von 300 Euro ist ein schlechter Witz. Auf der morgigen, vierten Verhandlungsrunde fallen die Würfel über Abschluss oder Einleitung von Arbeitskampfmaßnahmen und Warnstreiks Anfang nächster Woche.

Die Jahrtausende alte Brauereiarbeit

Dabei ist die Arbeit in gewerbsmäßigen Brauereien schon seit mindestens 3.500 v.u.Z. verbürgt, wie archäologische Belege (etwa die Ausgrabungen der bisher ältesten Brauerei in Hierakonpolis, einem zentralen Handels- und Industriezentrum im Alten Ägypten) erweisen. Eine Reihe Indizien verweisen auf noch viel frühere Zeit – samt Professionalisierung, Innovationen der brotbasierten Brautechnik Ägyptens sowie auch einem frühen Exporthandel. Aber auch etwa das babylonische Reich kannte Großbrauereien mit Dutzenden Arbeitern und Arbeiterinnen.

Kulturgeschichtliche Anfänge

Denn Bier war in der einen oder anderen Form bereits seit etwa 8.000 Jahren ein Bestandteil der Ernährung. Dessen frühen kulturgeschichtlich bierartigen Anfangspunkte weisen nicht nur auf Ägypten oder Mesopotamien zurück, sondern ebenso auf das prähistorische China und Japan oder auch die östlichen Subsaharazonen sowie Südamerika zurück (wenn in diesen Regionen auch vielfach auf Reis-, Mais-, Mainok-, Hirse-, oder Sorghumgrundlage)  – bevor die verschlungene Geschichte des heutigen Biers zum erneuten globalen Getränk ihre Wege ging. In unseren Gefilden, also nördlich der Alpen, treten die ersten vergorenen Getränke auf Getreidegrundlage, beiher später, etwa ab 5.000 v.u.Z., auf.

Erste überlieferte Arbeitskämpfe der Weltgeschichte und Kämpfe um den Gerstensaft

Entsprechend weit reichen neben den ersten aktiven Arbeitskämpfen der Lohnarbeiterschaft gleichzeitig auch die Kämpfe um den Gerstensaft zurück. Der erste überlieferte Streik der Weltgeschichte datiert in diesen Zusammenhang ebenfalls ins Alte Ägypten. 1155 v.u.Z. legten die thebanischen Nekropolenarbeiter in der Regierungszeit des Pharao Ramses III. als Antwort auf die staatlichen Einschnitte ihre Arbeit nieder. Bis sie nach einem achttägigen Streik selbst den „Gottkönig“ Ramses III. in die Knie zwangen und ihre Forderungen durchsetzten. Und aus zeitlich einem halben Jahrhundert davor (um 1200 v.u.Z.) ist wiederum ein Schreiben eines Angestellten aus dem altägyptischen Deir el-Medinha erhalten geblieben, der sich darin bei seinem Vorgesetzten über seinen Lohn beschwert, der nicht für’s Bier reicht. Aber auch im noch früheren babylonischen Kodex Hammurapi (etwa 1800 v.u.Z.) finden sich dahingehende Widerspiegelungen. So etwa eine „Bierpreisbindung“ im Verhältnis zum Monatslohn eines Bauern.

Die österreichische Arbeiterbewegung und der Kampf um den Bierpreis

Der Kampf um Brot und Bier durchzog daraufhin die Geschichte und ging in unterschiedlichsten Formen und Etappen weiter, nicht zuletzt auch auf dem Kampfplatz auf österreichischem Boden. So bildeten denn überbordende Erhöhungen der Lebensmittelpreise im 19. Jahrhundert den häufigsten Anlass für lautstarke Proteste. „Eine sehr alte und in ganz Europa verbreitet Form des Protestes war die Katzenmusik“, die der ehem. Stadtschreiber von Linz, Thomas Karny sehr lebendig beschreibt: „Mit allerlei lärmerzeugenden Geräten wie Schaufeln, Töpfen, Kesseln, Blechbüchsen und ähnlichem ausgestattet, zogen Bevölkerungsgruppen auf die Straße, um dort ein lautstarkes Protestkonzert zu veranstalten.“

Als 1871 der Bierpreis erhöht wurde, protestierten am 7. November etwa 500 Arbeiter vor dem Steyrer Rathaus erfolgreich gegen einen Preisanstieg des Gerstensaftes. 1873 brach dann die „Gründerkrise“ genannte, große Weltwirtschaftskrise aus, die eine lange, schwere Depression nach sich zog. Die akute Krise dauerte rund sieben Jahre und schwelte insgesamt bis in die Mitte der 1890er Jahre. Für die Massen bedeutete sie vor allem Entlassungswellen, Lebensmittelverknappung, „eingefrorene“ Löhne, den Verlust unzähliger Einlagen kleiner Sparer … Der „Gründerkrach“ löste damals zugleich eine Welle von Selbstmorden aus. Gleichzeitig markierte die Weltwirtschaftskrise von 1873 das Ende des Kapitalismus der freien Konkurrenz und förderte mit ihren Konzentrations- und Zentralisationsprozessen sowie einer Palette neuer technischer Innovationen die Herausbildung des Monopolkapitalismus. Vor diesem Hintergrund dehnten sich die Bierpreisdemonstrationen 1874 auch auf weitere Städte aus.

Der größte Bierpreiskampf dieser Jahre fand Ende August, Anfang September 1875 erneut in Steyr statt. In tagelangen Unruhen forderte man von den Gasthausbesitzern die Senkung des Bierpreises. Mit lautstarken Protesten vor den Wirtshäusern, Katzenmusik und weiteren Protestformen, die sich über mehrere Tage hinzogen, „konnten die Gastwirte tatsächlich zum Einlenken bewogen werden“, so Karny.

Konsummittel, Kulturgetränk, Rauschmittel und Lebensstil im Zeitalter der Industrialisierung

Bier war seinerzeit sowohl ein traditionelles Konsummittel (das Wasser war über Jahrhunderte vielfach ungenießbar, Wein stärker ein Produkt für die Oberschichten) wie auch ein Genussmittel (und das einzige den Massen verfügbare alkoholische Getränk, das in vielen Regionen wie etwa Skandinavien oder Russland in direkterer Konkurrenz zum Schnaps als zu Wein stand). Für viele Arbeitende hatte das gemeinsame Bier nach einem schweren Arbeitstag, also in kollektiver Trinkpraxis, zudem einen ebenso starken sozialkulturellen Hintergrund und war das Wirtshaus ein Ort der Geselligkeit. Vergleichbar den Café-Häusern und Weinschenken der Oberschichten. Zudem nutzten zahlreiche Stammgäste die Bierstube gleichsam als Wohnzimmerersatz, denn zahlreiche Wohnungen verfügten zunächst noch über keine Aufenthaltsräume wie wir sie heute kennen. Im Zeitalter der Industrialisierung wurde das Wirtshaus dann geradezu zum Zentrum der spärlichen arbeitsfreien Zeit (veränderte sich als Institution aber auch strukturell von seinen vormodernen Formen, was hier jedoch zu weit führen würde), wo man Freunde und Kollegen treffen oder sich politisch betätigen konnte. Bier war entsprechend fester Bestandteil der Alltagskost (und so auch Nährstofflieferant). Allerdings, während der weibliche Konsum des Gerstensaftes und das Aufsuchen von Gaststätten oder Schenken durch Frauen zunächst (mindestens in den städtischen Metropolen) nicht als anstößig angesehen wurde, änderte sich dies im Verlauf des 18. Jahrhunderts. Bier wandelte sich damit mehr und mehr vom Volks- zum Männergetränk und die Wirtshäuser zur ausschließlichen patriarchalen Domäne der Männer. Gleichzeitig entwickelten sich im 19. Jahrhundert jedoch auch immer weitere Gaststätteneigenheiten, etwa die Biergartenkultur, die die Biergärten und Wirtshäuser vor dem Entstehen der modernen Vergnügungsindustrie zu den – abgesehen von Jahrmärkten u.ä. – nahezu einzigen massenhaften Treffpunkten machten.

Die Entstehung der europäischen und später globalen Brauindustrie im Zeichen der Industrialisierung

Mit der Eindämmung der Klosterbrauereien im Zuge der bürgerlichen Revolutionen und Industrialisierung Europas revolutionierte sich gleichzeitig die Bierproduktion zum Brauereigewerbe. „Noch um 1700“, so die Kulturwissenschaftler Gunther Hirschfelder und Manuel Trummer, „stammte die Hälfte des in Europa produzierten Bieres aus weitgehend nicht kommerziell betriebener Heimbrauerei. Im Verlauf des 18. und 19. Jahrhunderts entstand daraus eine professionalisierte Bierindustrie, auf deren Fundament später der globale Biermarkt entstehen sollte.“ 

Die Renaissance des Biers nach Prohibition und Faschismus

Nach 1945 erlebte das Bier dann nach seiner vorübergehenden Rationierung auf niedrigem Niveau im Nazi-Faschismus seine große Renaissance, brachte die europäische Bier vs. Wein Kulturscheide ins Wanken und ging (erneut) um die Welt. Zudem weitete sich mit der allmählichen Verbesserung der gesellschaftlichen Stellung der Frauen, der Studentenbewegung 1968 und der Öffnung der Universitäten für Arbeiterkinder der Kreis seiner KonsumentInnen merklich aus.

Allerdings, eines blieb in dieser wechselvollen Geschichte unverändert: Wie schon vor Jahrtausenden haben die Beschäftigten der Brauindustrie selbst auch heute noch hart um Lohn und Brot zu ringen. Sollten sich die Unternehmervertreter in der morgigen Verhandlungsrunde nicht deutlich bewegen folgen am kommenden Montag erste Warnstreiks.

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