A Gulasch und a Seidl Bier

In der bekannten Liedzeile „A Gulasch und a Seidl Bier“ – natürlich inklusive Kaisersemmel – als „Lebenselexier“, spiegelt sich unausdrücklich viel mehr als die Komposition eines bloßen Hits. Der populäre Zweizeiler bringt zugleich Ansprüche und Wegmarken einer über 200jährigen Theorie- und Kampftradition der Arbeitenden und werktätigen Volksschichten auf den Punkt, der es sich angesichts der grassierenden Inflation zu erinnern und vergegenwärtigen lohnt.   

Die Französische Revolution und der Kampf um den politisch regulierten Brotpreis sowie die staatliche Regie in der Versorgungsfrage

In der Französischen Revolution 1789 trat unter deren Losungen „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ an ihrem linken, vorwärtstreibenden Flügel zugleich erstmals die Forderung nach der politischen Regulierung des Brotpreises, synonym für die Preisgestaltung der Grundnahrungsmittel unter staatlicher Regie sowie die bewusste Politisierung der Versorgungsfrage auf. Darin bricht sich, zur Linderung der unmittelbaren Not, zugleich ein Verständnis von Ungleichheit und Gleichheit Bahn, das über die Forderung nach gleichen Rechten und Gleichheit vor dem Staat hinausweist. Nicht nur die juristische Ungleichheit, wenngleich ein Markstein der Geschichte, gilt es zu überwinden, sondern ebenso die soziale Ungleichheit aufzuheben bzw. mindestens staatlich regulierend für eine menschenwürdige Existenz aller Sorge zu tragen.

Mehr noch: In Jean Mesliers (einem frühen gedanklichen Vorläufer des Pariser Umwälzungen) Konkretisierung, die Gleichheit durch eine allgemeine Hebung und Verallgemeinerung der Bedürfnisse in Angriff zu nehmen, steckte bereits die in der Französischen Revolution von den Enragés (der radikalsten linken Sektion der Pariser Bevölkerung) unter Anführung von Leclerc undLepeletier entfaltete Perspektive der Gleichheit des Genusses. Ein Novum in der Geschichte, das von den Enragésnoch um das verbriefte Recht auf ein gutes Leben erweitert wurde.

Jacques Roux, der führende Kopf der Enragés, der Wütenden und Zornigen, schrieb in seinem „Manifest der Enragés“: „Die Freiheit ist ein leeres Gespenst, wenn eine Menschenklasse eine andere verhungern lässt, die Gleichheit ist ein leeres Gespenst, wenn die Reichen durch das Monopol über Leben und Tod der Armen verfügen.“

Und Félix Lepeletier erklärte 1793 vor dem Konvent: „Es genügt nicht, dass die Französische Republik auf Gleichheit gegründet ist. Es müssen darüber hinaus die Gesetze und die Sitten in glücklicher Eintracht danach streben, die Ungleichheit im Genuss zum Schwinden zu bringen, es muss allen Franzosen ein glückliches Leben gesichert werden.“

Im September 1793 unterstrich die Sektion der Sansculotten, zugleich die zweite Seite der Medaille – die Einkommen miteinbeziehend – wiederrum: „Die Republik muss jedem die Mittel sichern, sich die zur Stillung der Grundbedürfnisse notwendigen Einkünfte zu sichern.“

In Paris selbst war Fleisch besserer Qualität am Vorabend der Revolution vorrangig den vornehmen Pariser Haushalten vorbehalten, während für das Volk weitgehend nur mindere Fleischware mit Knochen, Schlachtabfällen sowie Innereien erschwinglich waren. An Milchprodukten wie Käse oder Buttermangelte es den unteren Klassen und Schichten damals ebenso wie an Gemüse. Hauptnahrungsmittel war (ergänzt um je dieses oder jenes) im wesentlichen Brot. Und dessen Preis galoppierte den städtischen Volksmassen immer rasanter davon. Pariser Bauarbeiter etwa mussten unmittelbar vor der Revolution 90% und mehr ihres Lohns nur für den Brotbedarf ihrer Familie aufwenden. Dazu gesellten sich noch immense spezifisch regionale und lokale Versorgungsprobleme quer durchs Land.

Entsprechend forderten die Enragés denn auch verbindliche Höchstpreise für Lebensmittel, die Beschlagnahmung von Getreidevorräten, die staatliche Kontrolle des Getreidehandels, eine entschiedene Unterbindung von Schiebern, Spekulanten, Wucherern, des Schwarzhandels und der Korruption, sowie konsequente Inangriffnahme der Versorgungsschwierigkeiten.

Unter dem Druck der Sansculotten sowie auch aus jakobinischem politischen Verstand wurde im revolutionären Frankreich folglich eine allgemeine Preiskontrolle und die Lebensmittelversorgung unter staatlicher Regie eingeführt und etabliert. Dies komprimiert in Erinnerung rufend, zeichnet die Historikerin Susanne Petersen deren Eckpunkte nach: „Im September 1792 wurden Getreidebestandszählungen und -requirierungen angeordnet … Im Mai 1793 leitete dann das 1. Getreidemaximum – wie halbherzig auch immer – eine Politik des Dirigismus ein, die für die Jakobinerherrschaft später als typisch gelten sollte: Einrichtung von Vorratsmagazinen (9. August 1793), Getreidebestandszählungen, national-einheitliche Getreidehöchstpreise (11. 9. 1793), Allgemeines Maximum (29. 9. 1793) mit seinem komplizierten System von variablen Höchstpreisen für die notwendigsten Bedarfsgüter …, Einrichtung einer nationalen Lebensmittelkommission, die sich zu Versorgungszentrale des Landes entwickelte, die Durchführung des Maximums kontrollierte, Getreideerträge koordinierte, Versorgung von benachteiligten Regionen … mitbetreute.“

„Nach dem Sturz Robespierres und der Konsolidierung der bürgerlichen Herrschaft“, so Susanne Petersen die Folgen der späteren Niederschlagung der Jakobiner sowie der ‚Revolution in der Revolution‘ ebenfalls noch mit in den Blick bringend, „machten die Thermidorianer [Anm.: am 9. Thermidor des neuen Revolutionskalenders (27. Juli 1794) stürzte der Konvent Robespierre] schon wenige Monate später mit dem Dirigismus und dem Allgemeinen Maximum Schluss, und die Pariser Sansculotten erlebten einen der schlimmsten Hungerwinter.“ Das Recht auf das tägliche Brot und eine menschenwürdige Existenz wurden zugunsten der bürgerlichen Markt- und Profitlogik wieder kassiert und rückgängig gemacht.

Die Enragés waren zu dieser Zeit bereits verfolgt und verboten, ebenso die Frauenklubs, eine treibende Kraft in den Auseinandersetzungen, und auch die Hébertisten schon weitgehend ausgeschaltet und reihenweise aufs Schafott gewandert. Mit der Beendigung der erkämpften Preiskontrolle, Rationierung und Versorgungsfrage unter staatlicher Regie explodierten die Preise für Lebensmittel wieder, brachen die Versorgungsschwierigkeiten wieder aus, darbten die Volksmassen erneut dahin und lebten von Neuem die Schiebereien, Spekulationen, der Wucher und Schwarzhandel sowie die Korruption wieder auf.

Gerade auch das Verbot der Frauenklubs spielte diesbezüglich eine nicht deutlich genug zu unterstreichende Bedeutung. Denn, wie es in der „Proletenpassion“ der Politband „Schmetterlinge“ dazu richtig hieß: „Auf den Markt ging Marianne“. Bzw. in ihrer unübertrefflichen Weise mit Blick auf das Ganze der Markt- und Versorgungsverhältnisse: „… mit der Tasche und der Kanne, kann nichts kaufen, kann nur suchen, denn die hohen Preise können nur die reichen Bürger brennen für das Brot und für den Kuchen. Marianne kann gut kochen, Suppen aus Karnickelknochen, doch auch Knochen gibt’s nicht hier…“ Da es zumeist Frauen waren, die die unmittelbare Verantwortung für die Ernährung der Familienmitglieder trugen, prägten auch sie das Bild auf den Märkten oder vor den Bäckereien bzw. im tagtäglichen oft stundenlangen Anstehen um Brot und Grundnahrungsmittel. Dabei lernten sich unzählige Pariserinnen näher kennen, tauschten sich über die Ursachen, Urheber und Verantwortlichen der Misere aus, nahmen eine besonders aktive Rolle bei Protesten und Tumulten, schritten zur Tat, sorgten für eine gewisse selbstorganisierte Ordnung der familialen Versorgungslage und organisierten sich in den Frauenklubs bzw. entspannen sich vielschichtige Beziehungen zu diesen.

Die österreichische Arbeiterbewegung und der Kampf um den Bierpreis

Der Kampf ums Brot und Seidl Bier ging aber ungebrochen weiter, nicht zuletzt auch auf dem Kampfplatz auf österreichischem Boden. So bildeten denn überbordende Erhöhungen der Lebensmittelpreise im 19. Jahrhundert den häufigsten Anlass für lautstarke Proteste. „Eine sehr alte und in ganz Europa verbreitet Form des Protestes war die Katzenmusik“, die der ehem. Stadtschreiber von Linz, Thomas Karny immer wieder sehr lebendig beschreibt: „Mit allerlei lärmerzeugenden Geräten wie Schaufeln, Töpfen, Kesseln, Blechbüchsen und ähnlichem ausgestattet, zogen Bevölkerungsgruppen auf die Straße, um dort ein lautstarkes Protestkonzert zu veranstalten.“

Als 1871 der Bierpreis erhöht wurde, protestierten am 7. November etwa 500 Arbeiter vor dem Steyrer Rathaus erfolgreich gegen einen Preisanstieg des Gerstensaftes. 1873 brach dann die „Gründerkrise“ genannte, große Weltwirtschaftskrise aus, die eine lange, schwere Depression nach sich zog. Die akute Krise dauerte rund sieben Jahre und schwelte insgesamt bis in die Mitte der 1890er Jahre. Für die Massen bedeutete sie vor allem Entlassungswellen, Lebensmittelverknappung, „eingefrorene“ Löhne, den Verlust unzähliger Einlagen kleiner Sparer … Der „Gründerkrach“ löste damals zugleich eine Welle von Selbstmorden aus. Gleichzeitig markierte die Weltwirtschaftskrise von 1873 das Ende des Kapitalismus der freien Konkurrenz und förderte mit ihren Konzentrations- und Zentralisationsprozessen sowie einer Palette neuer technischer Innovationen die Herausbildung des Monopolkapitalismus. Vor diesem Hintergrund dehnten sich die Bierpreisdemonstrationen 1874 auch auf weitere Städte aus.

Der größte Bierpreiskampf dieser Jahre fand Ende August, Anfang September 1875 erneut in Steyr statt. In tagelangen Unruhen forderte man von den Gasthausbesitzern die Senkung des Bierpreises. Mit lautstarken Protesten vor den Wirtshäusern, Katzenmusik und weiteren Protestformen, die sich über mehrere Tage hinzogen, „konnten die Gastwirte tatsächlich zum Einlenken bewogen werden“, so nochmals Karny.

Bier war seinerzeit sowohl ein traditionelles Konsummittel (das Wasser war über Jahrhunderte vielfach ungenießbar, Wein stärker ein Produkt für die Oberschichten) wie ein auch ein Genussmittel (und das einzige den Massen verfügbare alkoholische Getränk, das in vielen Regionen wie etwa Skandinavien oder Russland in direkterer Konkurrenz zum Schnaps als zu Wein stand). Für viele Arbeitende hatte das gemeinsame Bier nach einem schweren Arbeitstag, also in kollektiver Trinkpraxis, zudem einen ebenso starken sozialkulturellen Hintergrund und war das Wirtshaus ein Ort der Geselligkeit. Vergleichbar den Café-Häusern und Weinschenken der Oberschichten. Zudem nutzten zahlreiche Stammgäste die Bierstube gleichsam als Wohnzimmerersatz, denn zahlreiche Wohnungen verfügten zunächst noch über keine Aufenthaltsräume wie wir sie heute kennen. Im Zeitalter der Industrialisierung wurde das Wirtshaus dann geradezu zum Zentrum der spärlichen arbeitsfreien Zeit (veränderte sich als Institution aber auch strukturell von seinen vormodernen Formen, was hier jedoch zu weit führen würde), wo man Freunde und Kollegen treffen oder sich politisch betätigen konnte. Bier war entsprechend fester Bestandteil der Alltagskost (und so auch Nährstofflieferant). Allerdings, während der weibliche Konsum des Gerstensaftes und das Aufsuchen von Gaststätten oder Schenken durch Frauen zunächst (mindestens in den städtischen Metropolen) nicht als anstößig angesehen wurde, änderte sich dies im Verlauf des 18. Jahrhunderts. Bier wandelte sich damit mehr und mehr vom Volks- zum Männergetränk und die Wirtshäuser zur ausschließlichen patriarchalen Domäne der Männer. Gleichzeitig entwickelten sich im 19. Jahrhundert jedoch auch immer weitere Gaststätteneigenheiten, etwa die Biergartenkultur, die die Biergärten und Wirtshäuser vor dem Entstehen der modernen Vergnügungsindustrie zu den – abgesehen von Jahrmärkten u.ä. – nahezu einzigen massenhaften Treffpunkten machten.  

Katzenmusik 4.0

Natürlich war und ist dieser tradierte Bierkonsum auch ambivalent (Stichwort: Alkoholismus und Trunksucht). Die Bierpreiskämpfe waren indes vorrangig Ausdruck des Kampfes um eine, wenn nicht Gleichheit des Genusses, so doch um sozialkulturelle Bedürfnisse und sublimere Genussansprüche der Arbeitenden und Volksmassen. Die Liedzeile „A Gulasch und a Seidl Bier / Des is a Lebenselexier …“ kann denn auch durchaus als zeitgenössische Chiffre für Tiefenebenen der Geschichte „von unten“ und musikalisch-lyrischer Ausdruck „unserer Bedürfnisse und Genüsse“ an die Gesellschaft (Marx) gelesen werden. Zumal die Kämpfe um den Preis für Brot, Bier und die Ingredienzien eines guten Gulaschs mit der mit Wucht zurückgekehrten Inflation heute wieder mit neuem Gewicht aufgeworfen sind. Entzündeten sich hieran wie gesehen geschichtlich auch in Europa Kämpfe, Revolten und Krawalle sowie politische Regulierungen der Lebensmittelpreise, herrschen heute noch der verbale Unmut und das Placebo einer „Inflationskommission“ vor. Höchste Zeit den Herrschenden mit Katzenmusik zu begegnen.

Bild: Gourmandise (CC BY-NC-ND 2.0)

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