Mit dem Massaker an der Grenze Marokkos zur spanischen Enklave Melilla durch die berüchtigte Guardia Civil Spaniens und die marokkanische Gendarmeriesowie den anschließenden Glückwünschen des spanischen Ministerpräsidenten Pedro Sánchez wurden abermals wie durch ein Brennglas die erschütternden humanitären Abgründe der EU offenbar.
Freitag, 1.7., 13:00
Spanische Botschaft in Wien, Argentinierstraße 34, 1040 Wien
Zwar wurde das Mittelmeer schon seit Langem in ein regelrechtes Massengrab der EU-Festung Europa verwandelt und die Außengrenzen der EU mit einem tiefgestaffelten Stacheldrahtsystem gegen Schutzsuchende versehen. Aber nur selten zeigte sich die Fratze der EU so direkt wie im brutalen und mörderischen Einsatz der der Sicherheitskräfte letzten Freitag, den Grenzübertritt in die Festung Europa mit aller Gewalt zu verhindern. Zugleich drängt sich aus vielerlei Indizien der Eindruck auf, dass die Spuren des Blutbads so schnell wie möglich beseitigt werden sollen.
Der spanische Ministerpräsident Pedro Sánchez sprach im Anschluss an das Massaker sogar allen Ernstes von einem „gewalttätigen Überfall auf die territoriale Integrität unseres Landes“, der in „koordinierter Zusammenarbeit“ gemeinsam von der marokkanischen Polizei und spanischen Kräften „abgewehrt“ worden sei und dankte dem marokkanischen Königreich Mohammed VI. für die „außerordentlich gute Arbeit“. Verantwortlich, so der Sonnyboy der europäischen Sozialdemokratie in Madrid, seien nicht die rücksichtslose Gewalt oder das EU-Festungsregime, sondern die „Menschenhändlermafia“. Dementsprechend, so der sozialdemokratische Regierungschef in Madrid, „habe ich meine Solidarität zum Ausdruck gebracht und die außerordentliche Arbeit der Sicherheitskräfte und der Behörden unseres Landes gewürdigt.“
In diesem unsäglichen Zynismus spiegelt sich wie durch einen Brennspiegel auch die „neue Phase“ in den Beziehungen Spaniens zu Marokko, die im Frühjahr aufgeschlagen wurde. Ihr erstes Opfer wurde die Frente Polisario in der Westsahara. Denn in eins damit wurde das Selbstbestimmungsrecht der Sahrauis, der letzten Kolonie Afrikas, nun auch von dessen ehemaliger Kolonialmacht Spanien quasi offiziell ad acta gelegt und die Westsahara dem marokkanischen Expansionismus übergegeben. Dass wiederum Algerien auf diesen Schacher wie in tiefsten Kolonialzeiten Sanktionen gegen Madrid verhängte, findet sich in unseren Medien nur insofern und insoweit es Gaslieferungen berührt. Ansonsten putzt man die dreckige von Brüssel und den Hauptstädten der „EU Wertegemeinschaft“ (mit)getragene „neue Marokko-Politik“ vorrangig schön auf.
Linke Kräfte Spaniens geißeln daher auch den Umstand, dass Madrid im Chor der NATO im Namen des oder zumindest unter dem Label des Selbstbestimmungsrechts der Ukraine einerseits Waffen an die Ukraine liefert, das Selbstbestimmungsrecht der Sahauris bzw. der Westsahara allerdings gerade dem Schwenk zu Marokko geopfert hat.Dabei ist deren Selbstbestimmungsrecht auf der internationalen Bühne spätestens seit der UN-Generalversammlung 1965 virulent, die Spanien seinerzeit aufforderte die Westsahara in die Unabhängigkeit zu entlassen. Die Westsahara betreffend, bis 1975 Kolonie des faschistischen Spaniens und danach weitgehend von Marokko besetzt, sollte man zumindest im Hinterkopf haben – ohne dies hier weiter zu vertiefen –, verfügt über ungeheure Vorräte, wenn nicht gar weltweit größten Vorkommen, an qualitativ hochwertigem und im Tagebau abbaubaren Phosphat. Dass dies die diesen Mittwoch und Donnerstag in Madrid unter dem Titel der „Verteidigung der Souveränität“ (der Mitgliedsstaaten) tagende NATO nicht weiter anficht, braucht wohl keine näheren Ausführungen. Viel zynischer noch, die „Verteidigung der Souveränität“ beinhaltet dabei vielmehr erstmals explizit auch die spanischen Exklaven Melilla und Ceuta in Marokko, die bisher zwar schon der EU angehören, nicht aber als NATO-Territorium galten. Denn, so das NATO-Strategiepapier: „Wir stehen vor sehr großen Bedrohungen unserer Südflanke, die unsere Souveränität gefährden, in Form der politischen, nicht zu akzeptierenden Nutzung von Energie und der irregulären Migration.“
Die spanischen Menschenrechtsorganisationen und spanische Linke reagierte durch die Reihen empört und mit Protest auf das Massaker, die zahlreichen zusätzlichen Schwerverletzten, die menschenverachtenden Bilder aus Marokko – die von den Einsatzkräften aufeinandergetürmte und umstellte Tote, Schwerverletzte, konvulsiv Zuckende und Röchelnde zeigen –, und die ungeheuerliche Erklärung wie Glückwünsche von Pedro Sánchez an die Schlächter von Melilla. Zudem belegen Videos und Fotos, dass die spanische Polizei auch Flüchtlinge, denen es gelungen war auf spanisches Territorium der Enklave Melilla zu gelangen, gewaltsam und schlechthin völkerrechtswidrig wieder auf marokkanisches Territorium zurückverfrachtet hat, oder genauer: die bereits blutenden und verletzten Schutzsuchenden mit Schlagstöcken retour prügelten.
Den Präzedenzfall dieser Form der Türsteherdienste für die EU und der mit brachialer Brutalität vollzogenen „Pushbacks“ hat Brüssel einst mit dem Flüchtlingsdeal mit der Türkei unter Erdoğan geschaffen und seither peu á peu mit zahlreichen Migrationsabkommen wie eben auch jenem mit Mohammed VI. ausgeweitet.
Die Linke Spaniens fordert daher auch eine sofortige unabhängige Untersuchung und lückenlose Aufklärung des Massakers, rückt das Migrationsabkommen mit Marokko und die „neue Marokko Politik“ in den Fokus und fordert vielfach, dass die Verantwortlichen vor Gericht gestellt werden.
So auch wir, weshalb wir auch in Österreich für diesen Freitag, 1.7., 13.00 Uhr, zur Protestkundgebung vor der Spanischen Botschaft in Wien, Argentinierstraße 34, 1040 Wien aufrufen! Mit Redebeiträgen u.a. von SOS Balkanroute, Ankommen in Wien,…