Zum Weltfriedenstag 2022

Kundgebung zum Weltfriedenstag: Gewerkschaften gegen Krieg!

Donnerstag, 1. September, 17:30, Schwedenplatz / Ecke Laurenzerberg (NATO Verbindungsbüro), Wien

Die Geschichtsforschung kennt seit dem Jahr 3.600 v.u.Z. und damit Klassenspaltung der menschlichen Gesellschaften rund 15.000 Kriege. Der heurige Antikriegstag steht – zumindest im Westen und Europa – im Zeichen des Kriegsgeschehens in der Ukraine. In anderen Weltregionen stehen, von den „Qualitätsmedien“ weitestgehend großzügig ausgeblendet, freilich andere Kriege und Konfliktherde im Zentrum.

Etwa der seit 26. März 2015 mit dem Siegel der „westlichen Wertegemeinschaft“ zertifizierte „vergessene Langzeitkrieg“ einer von den USA und Großbritannien militärisch und logistisch aktiv unterstützten Militärkoalition unter Führung Saudi-Arabiens im Jemen, in dem UN-Angaben zufolge bereits mindestens 380.000 JemenitInnen getötet wurden – und in dessen Wirren seit Jahren sogar noch mehr Menschen an Hunger als an den steten Gemetzel sterben. Die zusätzlich noch um das von Riad verhängte alles umfassende Embargo über den Jemen verheerte Lage, gilt der UNO denn auch als die „größte humanitäre Katastrophe unserer Zeit“. Oder die seit Jahren anhaltenden Militäroffensiven der NATO-Macht Türkei gegen die kurdische Selbstverwaltung in Nord- und Ostsyrien sowie kurdische Gebiete im Nordirak, samt Okkupation syrischen und zusehends auch irakischen Territoriums, mit ihren ethnischen Säuberungen und großangelegten bevölkerungspolitischen Neuordnungen. Freilich, mit dem von den Bellizisten wahnhaften Hochdrehen der Eskalationsschraube im Ukrainekrieg, aber auch dem permanenten Zündeln am Pulverfass Taiwan, wankt die Welt am Rande eines neuen großen heißen Krieges dahin. Anstelle der unerträglichen Selbstgerechtigkeit wie alle Dämme brechenden Kriegshysterie des Westens und des Kriegsgetrommels täte gerade heute ein ungetrübter Blick Not. Oder wie zur gegenwärtigen politischen Lage selbst der Doyen der US-Außenpolitik und Langzeit-Falke Henry Kissinger im „Wall Street Journal“ jüngst konstatierte: „Wir stehen am Rande eines selbst verschuldeten [großen] Krieges mit Russland und China“.

Der Historiker Stefan Bollinger schreibt in seinem kürzlich erschienen Buch zum Ukrainekrieg: „Wir stehen offenbar am oder wohl doch schon mitten im Beginn eines neuen imperialen oder imperialistischen Zeitalters. Die Karten sind neu zu mischen, und es wird Sieger und Besiegte geben, noch mehr aber Opfer.“ Und fährt in sachlich-analytischer, statt in stereotyper Russophobie und antirussischer Hysterie fort: „So sehr der Krieg in der Ukraine bewegt und die Menschen leiden – er ist nur ein Krieg von vielen. Die Ukraine ist nicht das erste Schlachtfeld in der Auseinandersetzung um die Vormacht in der Welt. Er wird auch nicht der letzte sein (immer vorausgesetzt, dass es dort nicht zum Äußersten kommt!).“

Denn – um Bollingers letzten Halbsatz gleich eingangs aufzunehmen – so nahe am Rande eines neuen großen heißen Kriegs standen wir schon lange nicht mehr. Die „Doomsday Clock“, die „Weltuntergangsuhr“ des Bulletin of the Atomic Scientists steht heute auf 100 Sekunden vor 12.00 Uhr und veranschaulicht damit die atomare Gratwanderung auf der die Welt aktuell balanciert. Ähnlich sieht es selbst eine ganze Riege höchstrangiger Ex-Militärs, US-Militärs und langjähriger Thinktank-Galionsfiguren und Strategen des westlichen Establishments. Ihre Stimmen verhallen allerdings nahezu im Kriegsgetrommel der politischen Führungs-Figuren des westlichen Metropolenkapitalismus. „Russland“, so tönt es vielmehr seit der Warschau-Rede Bidens, muss „auf dem Schlachtfeld geschlagen“, „Putin gestürzt“ werden. What ever it takes. Gegen dieses Wolfsgeheul der apokalyptischen Reiter des Westens kommen nicht einmal mehr die Mahnungen eines Henry Kissingersoder des langjährigen militärischen Beraters Angela Merkels, Brigadegeneral a.D. Erich Vad, durch. „Wir stehen am Rande eines Krieges mit Russland und China in Fragen, die wir zum Teil selbst verursacht haben, ohne eine Vorstellung davon zu haben, wie das Ganze enden wird oder wozu es führen soll“, schüttelt sogar der vielfache Feldherr des States Department (von Vietnam bis Indonesien), sowie Drahtzieher und Unterstützer diverser Militärputsche in Lateinamerika (darunter nicht zuletzt jenen Pinochets gegen die Volksfront-Regierung in Chile 1973) nur mehr verächtlich den Kopf über die heutigen Bellizisten an den politischen Hebeln der Macht und in den Redaktionsstuben der Medien. „Wenn wir den Dritten Weltkrieg nicht wollen, müssen wir früher oder später aus dieser militärischen Eskalationslogik raus und Verhandlungen aufnehmen“, so vielleicht noch eindringlicher der einstige oberste Militärberater Deutschlands angesichts des grassierenden Kriegswahns in Berlin, Washington, Brüssel, London und deren östliche Vasallenstaaten.

Aber als ob die Eskalationsschraube im Weltordnungskrieg um die Ukraine nicht schon bis ans Bersten gedreht wurde und es nicht mehr als genügend kriegerische Brandherde auf dem Globus gäbe, zeigt sich die bis ins Unerträgliche verklärte Biden-Administration über den von geopolitischen Think Tanks der USA zunehmend als großer Hebel gegen China diskutierten Taiwan-Konflikt in ihrem Kampf um die globale Vorherrschaft auch Richtung des Reichs der Mitte wild entschlossen die Welt noch weiter an den Rand eines großen Knalls zu führen. Ob diesem beharrlichen Zündeln an der Lunte des nächsten Pulverfasses – von Pelosis Besuch in Taipeh über die ständigen Seemanöver der US-Navy gemäß dem strategischen Eskalationsdrehbuch aus Graham Allisons vieldiskutiertem Buch „Bestimmt zum Krieg“ – wird selbst Kreisen der Führung der US-Streitkräfte sowie den Schlapphüten Langleys zunehmend mulmig. Derweil haben, weitgehend unter dem Radar der Mainstream-Medien, die geradezu manisch russophobe deutsche Außenministerin Annalena Baerbock und der französische Staatschef Emmanuel Macron nach dem Entzug der weltpolitischen Richtlinienkompetenz durch Bamako, das Streichholz auch in Mali nochmals gegen Moskaus Einfluss entzündet.

John Mearsheimer (einer der prominentesten Politologen aus dem US-Establishment) hat den zynischen Charakter des per immer forcierterer Waffenlieferungen des „kollektiven Westens“ an die Ukraine befeuerten Stellvertreter- und Zermürbungs-Kriegs gegen Moskau bekanntlich sarkastisch auf den Punkt gebracht: „Wir [Washington] haben beschlossen, dass wir Russland in der Ukraine besiegen werden. (…) Man könnte argumentieren, dass der Westen, insbesondere die Vereinigten Staaten, bereit sind, diesen Krieg bis zum letzten Ukrainer zu führen.“ Kann sein, dass dem in absehbarer Zeit der nächste Stellvertreter-Krieg „bis zum letzten Taiwanesen“ gegen Peking folgt.

Dass die Weltordnungsmacht USA in den 245 Jahren ihrer Existenz (1776 – 2021) nur 16 Jahre nicht (!) im Krieg war – 229 Jahre hingegen mehr oder weniger durchgängig in Eroberungs- oder Angriffskriegen engagiert – wird im grassierenden Kriegsdelirium dabei ebenso der Amnesieüberantwortet, wie das alleine seit 2001 geführte Dutzend verheerender Kriege der exzeptionellen Weltmacht Nummer 1. Sei es der vor einem Jahr mit einem Fiasko und einer panischen Flucht der Supermacht, ihrer Vasallen und Helfershelfer beendete 20jährige Afghanistan-Krieg, oder die anderen von den USA zusammen mit ihren jeweiligen willfährigen Koalitionspartner (darunter auch die Ukraine) geführten mörderischen „Nation-Building“-Kriege wie 2003 gegen den Irak (mit bis zu 1 Million Opfer), 2011 gegen Libyen oder in zweimaliger Intervention Somalia, die allesamt „Failed States“, Tod, Leid, verwüstete Länder, Armut, Hunger und ein humanitäres wie politisches Desaster hinterlassen haben, oder die von Washington darüber hinaus geführten Militäroperationen Ländern wie Syrien, Uganda, Liberia, Haiti und dem Nahen Osten.

Aber anstatt den neuen Anforderungen des entbrannten Weltordnungskriegs adäquat zu begegnen, haben selbst zahlreiche Linke und ehemalige Freunde die Seite der Barrikade gewechselt, jedwedes analytische und differenzierte Denken über Bord geworfen, ihre Nachdenklichkeit entsorgt und sich vor den Karren der imperialistischen Globalstrategie und Geschichtsumschreibung des Westens spannen lassen, akklamieren vielfach geradezu euphorisch Hochrüstung, Waffenlieferungen gegen den Iwan, den neuen Rüstungswettlauf und den Umbau der EU in eine schlagkräftige Militärunion. Dass von den weltweiten Rüstungsausgaben von bereits jüngst irrsinnigen fast 2 Billionen Dollar schon bisher alleine 1.102 Mrd. oder 56% auf das Konto der NATO-Staaten für den Kampf um ihre globale Vorherrschaft gehen, wird dabei geflissentlich ausgeblendet. 301 Mrd. Dollar davon entfielen auf die europäischen NATO-Mächte. Das ist das Fünf- bzw. Achtzehnfache (!) der 61,7 Mrd. Dollar betragenden russischen Militärausgaben. Und die NATO und befreundeten Groß- und Regionalmächte nutzen den seit Monaten entfachten Rüstungsreflex im Zusammenhang des Ukrainekriegs zu einer noch nie dagewesenen weiteren Hochrüstung. Japan verzeichnet die höchsten Militärausgaben seiner Geschichte und auch Australien rüstet entschlossen auf. Die USA wiederum haben ihren Rüstungsetat gerade auf sagenhafte 782 Mrd. Dollar geschraubt. In der gegenwärtigen Zäsur brechen alle Dämme gegen eine neue Hochrüstungsspirale. Auch in Europa.

Dass die jetzige EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen schon als deutsche Verteidigungsministerin auf dem ersten Höhepunkt der Ukraine-Krise 2015 gegen Russland meinte „Is Germany ready to lead? Meine Antwort: Ja, wir sind bereit“, dürfte für wenig Überraschung sorgen. Selbes gilt jedoch nicht minder auch für die Mehrheits-Sozialdemokratie „mit ihrer“, schon von Sebastian Haffner konstatierten, „ewigen Russophobie und ihrem ewigen Westdrall“, ganz zu schweigen von den oliv-grünen Transatlantikern und Schreibtisch-FeldwebelInnen – von Oskar Lafontaine prononciert aber nicht zu Unrecht als „verlängerte Arm der USA im Bundestag“ und, wie sich ergänzen ließe, den europäischen Parlamenten insgesamt tituliert.

Dementsprechend bleibt es auch einer Figur wie Annalena Baerbock vorbehalten, unermüdlich die „Kriegsmüdigkeit“ an der Heimatfront anzuprangern,wo es doch darum gehe „Russland zu ruinieren“. Allerdings: die EU hat sich mit ihren verharmlosend als Sanktionen firmierenden geopolitischem Wirtschaftskrieg schlicht verzockt und in eine Sackgasse manövriert. In einem Punkt freilich hat von der Leyen allerdings unfreiwillig recht: „Die Sanktion beißen ganz hart, das merkt man“. Es fragt sich nur wen? – fragte sich unlängst bereits selbst der britische Economist. Die Sanktionspakete haben offensichtlich nicht nur das Kriegsgeschehen nicht gestoppt, geschweige denn in geopolitischer Absicht die russische Wirtschaft in den Kollaps getrieben, sondern erweisen sich mehr und mehr als Flop, ja als regelrechter Bumerang, der zugleich die Inflation auf Kosten unserer Löhne und Gehälter auf seit Generationen nicht mehr gekannte Rekordhöhen explodieren ließ. Ein Umstand denn sich dieser Tage auch die Ökonomin Helen Thompson in der Financial Times einzugestehen gezwungen sah – angefangen von der Energiekrise, der verzweifelten Versuche diese einzudämmen, der katastrophalen globalen Folgen … Das nach extremer Hitzewelle nun von den schlimmsten Überflutungen seit Jahrzehnten geschüttelte Pakistan etwa, konnte im Frühsommer keine einzige LNG-Ausschreibung abschließen, da die EU dem Süden jetzt auch noch vielfach das Flüssiggas vor der Nase weg kauft. Und während Brüssel, Berlin, Paris und London den Wirtschaftskrieg weiter zu verschärfen gedenken, schreitet mit Siebenmeilenstiefeln eine neue weltpolitische Aufspaltung des Globus voran, stehen die Welt, Europa und Gesellschaften bereits in der Zerreißprobe und bröckelt es allen Durchhalteparolen gegen die „Kriegsmüdigkeit“ zum Trotz an den „Heimatfronten“. Selbst in den USA, sehen im Unterschied zur Biden-Harris Administration und den Falken im Pentagon einer jüngsten Gallup-Umfrage zufolge, nur noch 1% der US-AmerikanerInnen im „Erzfeind“ Russland eines der zehn größten Problemeder Vereinigten Staaten. Der „Neue Kalte Krieg“ und dessen tendieren im großen Knall zu enden, fordert, zumal von Linken, den Gewerkschaften und der Friedensbewegung, denn auch klare Kante zu zeigen, will sie nicht in den schäbigen Fußstapfen eines Friedrich Austerlitz‘ und Hugo Haase von heute waten.

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