Zum dritten Jahrestag der Rojava-Revolution“, am 20. Juli 2015, kam es in Suruç (kurdisch Pirsus) zu einem heimtückischen, blutigen Selbstmordanschlag auf die Föderation der Sozialistischen Jugendvereine (SGDF).
33 hauptsächlich junge Sozialistinnen und Sozialisten fielen dem Bombenattentat zum Opfer. 104 weitere wurden bei diesem dreckigen Anschlag – teils schwer – verletzt.
Der Bombenanschlag richtete sich ganz gezielt gegen die mehreren hundert jungen AktivistInnen der SGDF, die sich im Garten des Amara-Kulturzentrums zu einer Pressekonferenz versammelt hatten. Im Anschluss daran wollten sie im Rahmen der Kampagne „Wir haben Kobanê gemeinsam verteidigt – wir werden es gemeinsam wieder aufbauen!“ als Solidaritätsbrigaden über die nahe gelegene Grenze zur humanitären Hilfe und zum Wiederaufbau der symbolträchtigen Stadt aufbrechen.
Die Stadt an der türkischen Grenzregion wurde bekanntlich nach Monaten des heroischen Widerstands und erbitterten Kampfs der YPG und YPJ zusammen mit ihren kommunistischen Verbündeten aus der Türkei, nicht zuletzt aus den Reihen der MLKP-KKÖ, der TKP/ML-TIKKO und der BÖG, im Herbst 2014 und Jänner 2015 in erbittertem Kampfe zurückerobert und befreit.
Wäre die Stadt gefallen, und noch Mitte Oktober 2014 standen die Kämpfe auf des Messers Schneide, wäre die Katastrophe vorprogrammiert gewesen und Kobanê sowie das revolutionäre Rojava-Projekt in der Region unter dem Kalifat der schwarzen Fahne in Blut ertränkt worden. Letztlich aber gelang es den VerteidigerInnen Kobanês in opferreichen Häuserkämpfen und harten Gefechten um Straßenzüge und Stadtviertel sowie endgültigen Durchbrechung des Daesch-Belagerungsrings die schwarze Fahne des IS hinwegzufegen und auf dem an die Stadt angrenzenden Hügel als Zeichen ihres errungenen Sieges Ende Jänner 2015 wieder das Banner des Fortschritts in den Boden zu pflanzen.
Die in dieser monatelangen Schlacht völlig zu Recht zum Symbol der Unbeugsamkeit des Selbstbestimmungskampfes wie Widerstands gegen den IS-Terror aufgestiegene Stadt war im Tribut des Kampfs um Kobanê aber auch großflächig zerstört. Entsprechend mangelte es an fast allem: von ausreichender Elektrizität bis zur Wasserversorgung. Daher lag nach der Hinwegfegung der schwarzen Fahne des IS, denn auch in der aktiven Hilfsarbeit des Wiederaufbaus der zu 80% zerstörten Stadt eines der zentralen Gebote praktischer Solidarität.
Eine Solidarität, die nicht nur die – von der Türkei nach Kräften mit Waffen, Geld, logistischer Unterstützung und Rückzugsräumen unterstützten – Kalifat-Krieger des IS und andere djihadistische Gruppen in Blut ertränken wollen. Der heimtückische Anschlag von Suruç reiht sich gleichzeitig nahtlos in das dreckige Zusammenspiel Ankaras mit den Djihadisten diverser Couleurs ein, welches parallel mittels staatlicher Repressionen und mediale Hetze unentwegt versuchte, die Solidaritätsarbeit mit Rojava mit allen Mitteln zu be- und verhindern.
Das Massaker von Suruç markiert zugleich den Startschuss im für die Türkei neuralgischen Jahr 2015 zu Erdoğans Eskalations-Politik. Das AKP-Regime – im Inneren bereits damals im Stile eines Putschmilitärs regierend – jagte das Land weiter in einen regelrechten militant nationalistisch-chauvinistischen Taumel, erklärte der kurdischen Freiheitsbewegung und revolutionären Linken den Krieg und entfachte eine Kasakade schmutziger Waffengänge und Militäroffensiven gegen die südostanatolischen kurdischen Provinzen im Land, gegen Rojava, sowie gegen die PKK und die Medya-Verteidigungsgebiete.
Der „Palast“ und die jetzige faschistische AKP/MHP-Koalition am Bosporus machen bis heute umstandslos einzig den „IS“ für das Massaker verantwortlich. Vieles liegt jedoch bis heute noch im Dunkeln. Allem voran die Frage der Hintermänner und die tatsächlich Rolle Ankaras – einmal ganz abgesehen vom systematisch aufgeheizten politischen Klima (das im Zusammenhang der türkischen Präsidentschafts- und Parlamentswahlen drei Jahre später in Suruç zu einem weiteren Blutbad durch schwer bewaffnete AKP-Anhänger führte). Denn in der seit 6 Jahren verschleppten nähren Aufklärung des Anschlags, deutet einiges darauf hin, dass auch das Regime selbst seine Finger mit im Spiel hatte. So hat sich die ansonsten großzügig jedes noch so dreckige Verbrechen für sich reklamierende Terrororganisation Daesch frappierender Weise nie zu dem Anschlag bekannt. Die beiden Selbstmordattentäter – so viel ist bekannt – gehörten selbst gleichwohl einer Islamistengruppe aus der südostanatolischen Provinz Adıyaman (kurdisch Semsûr) an. Ebenso gewiss ist, dass die nach ihrem Anführer als „Dokumanciler“ genannte Gruppe mit Wissen der örtlichen türkischen Sicherheitskräfte Anhänger rekrutiert und sie zur Ausbildung in ihrem Mörderhandwerk in syrische IS-Camps geschickt hatte. Sowie, dass der türkische Geheimdienst MIT bereits mindestens drei Wochen vor dem Anschlag von entsprechenden Plänen des IS wusste, ohne die zuständigen Sicherheitskräfte zu informieren. Ein später verhafteter mutmaßlicher Tatbeteiligter wiederum entpuppte sich danach seinerseits überhaupt als Mitglied der AKP-Jugendorganisation.
Anstatt Licht in den Anschlag zuzulassen, zieht das faschistische AKP/MHP-Regime in seinem Racherausch ob der Niederlage in Kobanê jedoch vielmehr selbst noch gegen Opfer justiziell zu Felde. Gerade jüngst inszenierte die Polit-Justiz am Bosporus etwa gegen den Überlebenden der SGDF Uğur Ok einen Schauprozess. 8 Überlebende des Massakers schmachten – unbeachtet von der Weltöffentlichkeit – überhaupt ihrerseits in den Kerkern der Türkei. Gegen die Anwälte und Familien rollen drakonische Hexenjagden. Parallel dazu eröffnete Ankara eben seine Kobanê Rache-Prozess-Farce gegen 108 führende HDP-Mitglieder, weil sie im Herbst 2014 Partei für die kurdischen Verteidigungskräfte Kobanês gegen die Mörderbanden des IS ergriffen.
Unsere Bestürzung und Wut über diesen blutigen Anschlag und seine politische Einbettung sind auch nach 6 Jahren nicht verflogen, zumal die Opfer dieses abscheulichen Massakers in der breiten Öffentlichkeit bis heute nicht die ihnen gebührende Aufmerksamkeit erfuhren. Als der norwegische Faschist Anders Breivik vier Jahre zuvor sein blutiges Massaker unter den TeilnehmerInnen des Jugendlagers der norwegischen Sozialdemokratie auf der Insel Utoya anrichtete, ging völlig zu Rechte quer durch Europa ein Aufschrei, sowie eine authentische Woge des Entsetzens und Welle der Solidaritätsbekundungen durch die Medien. Den Aufschrei über das Selbstmordattentat an den revolutionär gesinnten AktivistInnen der SGDF, das 33 Tote forderte, liegt aufgrund der politischen Gestricktheit der medialen Berichterstattung demgegenüber weiterhin beinahe ausschließlich in unseren Händen.
Umso inniger gedenken wir ihrer aber unsererseits: Ehre ihrem Andenken!
Und umso nachdrücklicher fordern wir am heutigen 6. Jahrestag des mörderischen Anschlags zusammen mit der SGDF, Verbündeten und anderen: „Gerechtigkeit für Suruç, Gerechtigkeit für alle!“
Hoch die internationale Solidarität!