Pendlerpauschale und Verkehrswende

Für eine tiefgreifende sozial-ökologische Reform des Pendlerpauschale und Verkehrswende des Berufsverkehrs

Mit-Hauptpreistreiber des drückenden aktuellen Inflationsschubs bilden die Spritpreise. Diesel und Superbenzin sind im Höhenflug. Der Dieselpreis ist überhaupt auf ein Allzeithoch geklettert, wenn aufgrund des längst anachronistischen umwelt- und gesundheitsschädlichen Relikts des Dieselprivilegs noch billiger als in anderen EU-Ländern.

Entsprechende Rekordgewinne verzeichnen aktuell auch die Ölmultis und Energiekonzerne von ExxonMobil, über Chevron, Shell, BP, Total, Equinor, Eni bis zur OMV – ohne selbst an die Kandare genommen zu werden. Gleichzeitig ist es ökologisch unabdingbar den Autoverkehr drastisch zu reduzieren und dringend eine tiefgreifende Verkehrswende auf die Spur zu bringen. Und entgegen Bund und Ländern, dem Gros des Parteienspektrums und der Phalanx von Wirtschaftsvertretern bis zu den Autofahrer-Clubs braucht es eine solche auch für den Pendelverkehr.

Allerdings mangelt es auf Regierungs- und Länderebene nicht nur an entsprechenden Alternativkonzepten, in einer seltsamen Parallelwelt verblieb in der aktuellen Steuerreform des türkis-grünen Kabinetts in diesem Zusammenhang auch das Instrument des Pendlerpauschales, ohne zielstrebig sozial-ökologisch reformiert und ausgestaltet zu werden.

Automobilität und Berufsverkehr & Kostenstruktur

Ein Auto zu besitzen und damit die immer entgrenzteren Arbeitswege (mit zu gegenüber früher immer längeren Anfahrtszeiten zum Betrieb) und flexibilisierten Arbeitszeiten zu bewerkstelligen und zu bewältigen ist in vielen Regionen Österreichs (mangels entsprechendem öffentlichen Verkehr) nach wie vor notwendig. Vielfach auch in den Städten des Landes und aus den Stadtrandgebieten. Immerhin rund 60% der 3,8 Millionen Beschäftigten im Land sind unmittelbar Pendler, die ihren Arbeitsweg zu 70% mit dem Auto bewältigen oder zurücklegen. Ein Zweit- oder Drittauto hingegen ist in den allermeisten Fällen unnötig und gehörte in diesen Fällen aus ökologischem Blickwinkel dann auch höher besteuert. Die anfallenden Kosten eines (bislang vielfach auch notwendigen) Autos wiederum entspringen allem voran dessen Wertverlust, durch Versicherung, Reparatur sowie Abgaben. Die Spritkosten ihrerseits liegen bei etwa 11% der monatlichen Gesamtkosten der Automobilität. Für Pendler, je nach Arbeitsweg, natürlich um dessen jeweiligen Faktor höher. Gleichzeitig ist es klimapolitisch unabdingbar, den Autoverkehr drastisch zu reduzieren und eine tiefgreifende ökologische Verkehrswende einzuleiten.

Öko-soziales Marktversagen

Zugleich zeigen sich am Beispiel Öl auch die Grenzen des aktuellen Weltwirtschaftssystems besonders deutlich. Dass „der Markt“ nicht sozial reguliert, ist eine Binsenweisheit. Der Öl-Markt zeichnet sich – über das konjunkturelle Auf und Ab und die Profitlogik hinaus – zudem als beinharter, geostrategischer Kampfplatz aus. Einerseits etwa in der Auseinandersetzung der OPEC mit den US-Frackern von Schieferöl. Andererseits im gleichzeitig konvergenten Interesse allem voran der Öl-Supermacht Saudi-Arabien (und der Golfstaaten wie Kuweit oder auch der Vereinigten Arabische Emirate) mit dem US-Imperialismus gegen (die allesamt mit Sanktionen unterschiedlicher Art belegten Länder) Russland, Iran und Venezuela. Die ersten beiden markieren für das saudi-arabische Scheichtum dabei zugleich die Schutzmacht Syriens (sowie Erstere auch jene des Irans). Venezuela wiederum gilt Riad als innerer Gegenspieler in der OPEC und Koordinator der Nicht-Golf-OPEC-Staaten in Lateinamerika und Afrika. Zudem spielen für die Öl-Großmacht natürlich auch die Förder- und Lieferbegehrlichkeiten Libyens sowie die Position der westafrikanischen Hegemonialmacht Nigeria eine stete Rolle. Gleichzeitig kann es dann, wie die jüngste Vergangenheit ebenso zeigte, auch schnell wieder zu einer Wende „OPEC plus“ kommen. Mit dem aktuell bis zur Eskalation angeheizten Ukraine-Konflikt könnte es den US-Frackern wiederum gelingen, den europäischen Markt ein Stück weit umzuwälzen und dem Schieferöl ganz neue Marktanteile zu eröffnen. Die US Öl-Lobbyisten haben mit Konkurrenz-Ansage an Russland schon mal erklärt: „Amerika ist in der Lage, bei jeder Energieunterbrechung für Stabilität zu sorgen.“ Und die EU-Kommission ist unter dieser Propagandaparole in ihrem hektischen Treiben in Hinterzimmern und diplomatischen Wirtschaftsmissionen darauf und dran auch bei Öl (und Gas), in zumindest neuem Ausmaß, transatlantisch ein- und umzuschwenken.

Vor allem aber zeigt sich das Marktversagen hinsichtlich des viel beredeten „Peak Oil“.Auch wenn man über die heutigen Reserven hinaus noch die weiteren (bislang noch nicht profitabel ausbeutbaren oder noch unentdeckten) Ressourcen in Rechnung stellt, bestimmen sich die Marktpreise des fossilen Schmiermittels des heutigen Wirtschaftssystems – neben den modifizierenden Politmechanismen des Öl-Markts –sichtlich anhand der aktuellen Angebots- und Nachfragerelationen bzw. Spekulationen auf kurze Frist.Entgegen des hoch gepriesenen Preismechanismus zeigen die Preise (auch bei Rohstoffen deren „Peak“ bereits überschritten ist) mitnichten Langfristerwartungen oder tendenzielle Erschöpfungen an. Wobei es aus ökologischem Blickwinkel ohnehin nicht um die Frage der etwaig möglichen Langfristigkeit der Erwartungshorizonte für Rohöl gehen kann, sondern vielmehr darum, wie in einem klimapolitischen Umbau verhindert werden kann, dass Erdöl weiterhin wie bisher gefördert und verbrannt wird bzw. als Grundrohstoff der Chemieindustrie und chemischer Erzeugnisse dient.

Ausbau, Zugang und Abstimmung des öffentlichen Verkehrs

Das dahingehend gegenwärtig als Leuchtturmprojekt verkaufte 1-2-3 Ticket oder jetzt Klimaticket greift dafür allerdings viel zu kurz und wird auch einen ökologisch signifikant geringeren Nutzen zeitigen als gemeinhin suggeriert und politisch hinaustrompetet. Natürlich ist die Tarif-Senkung und -Vereinheitlichung aus sozialen Gesichtspunkten sowie als Hin zu einer nachhaltigen Mobilität mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu begrüßen. Aber für eine tatsächliche Verkehrswende vom motorisierten Individualverkehr zu den Öffis, ist nicht einzig der Preis entscheidend, sondern nicht minder der Zugang zum öffentlichen Verkehr, dessen Qualitätsstandards und Komfort, sowie ein integraler Taktfahrplan (der in den letzten Jahren aufgrund politisch verschobener Schwerpunkte mehr und mehr geschliffen wurde).

Ohne rigorosen Ausbau des öffentlichen Verkehrs in der Fläche, eines breiten umgebungsnahen Zugangs samt Anbindungen an die Bahnhöfe (mittels entsprechender Parkplätze und/oder öffentlicher Shuttledienste) und einem massiven Gegensteuern gegen die bereits jetzt bis zum Bersten ausgelasteten bzw. vielfach bereits überlasteten Hauptachsen zu den Haupt-Berufsverkehrs- und Pendelzeiten, wird eine ökologische Verkehrswende daher schlicht nicht zu haben sein. Unter klimapolitischer Perspektive nicht minder essentiell in diesem Kontext ist zudem, wo sinnvoll möglich, ernsthaft eine Regionalisierung der Wirtschaft und Wirtschaftskreisläufe anzugehen und voranzutreiben.

Das Mindeste an Sofortmaßnahme ist selbstredend aber einmal ein sofortiger Preisstopp im gesamten öffentlichen Personennah- und Pendelverkehr.

Sozial-ausgleichende Umwandlung des Pendlerpauschales in Richtung einkommensunabhängigen, kilometerabhängigen Absetzbetrag 

Für die Überbrückung, bis zur beständigen Realisierung dieser Mobilitätswende, und für etwaige verbleibende Randbereiche, für die es aus beruflichen Gründen weiterhin notwendig sein mag, ein Auto zu besitzen, ist in sozial-ökologischer Perspektive auch das Pendlerpauschale zielstrebig wirksam zu machen.

Das bisherige Pendlerpauschale als Steuerfreibetrag ist freilich sozial höchst ungerecht. Wer für einen niedrig bezahlten Arbeitsplatz pendeln muss, bekommt fast nichts. Wer viel verdient, bekommt vielfach fast die gesamten Kosten ersetzt.

Um diese Bevorzugung der Besserverdienenden an einem exemplarischen Beispiel der AK Niederösterreich in den Blick zu bringen: „So kostet[e] etwa [bis dato] eine Jahreskarte für die öffentlichen Verkehrsmittel für die Strecke St. Pölten – Wien 1.480 Euro, egal ob man viel verdient oder wenig. Mit einem Einkommen von 1.200 Euro brutto im Monat bekommt man durch das Pendlerpauschale aber nur 290 Euro im Jahr zurück, bei einem Einkommen von 6.000 Euro oder mehr sind es immerhin 1.140 Euro.“ Daher fordern Arbeiterkammer und Gewerkschaften auch schon des Längeren zu Recht die Umwandlung des Pendlerpauschales in Richtung einkommensunabhängigen kilometerabhängen Absetzbetrag.

Zielstrebige sozial-ökologisch Reformierung und Ausgestaltung des Pendlerpauschales

Gleichzeitig gilt es jedoch, das Pendlerpauschale nicht nur umgehend sozial auszutarieren, sondern auch mit ökologischen Parametern zu verkoppeln bzw. an umweltpolitische Kriterien zu binden.

Etwa indem man für besonders große, schwere, jeder vernünftigen Aerodynamik spottende Wagentypen (wie etwa die viel beredeten SUVs) ein Malussystem implementiert (was in seiner prohibitiven Wirkung allerdings eine noch stärkere Bedeutung des individuellen Einkommens und der persönlichen Situiertheit zeitigen würde) oder sie ab einer bestimmten umweltzerstörerischen Dimension – im Vergleich zu kleineren, leichteren und weniger Emission (aber auch Feinstaub) verursachende Pkw –  als Luxusgut ganz aus dem Pendlerpauschalesystem herausnimmt.

Oder indem man die Anbindung an ein (allerdings tatsächliches) regional zumutbares öffentliches Verkehrssystem mit inkludiert. Also dass das Pendlerpauschale bis zur Anbindung an das öffentliche Verkehrsnetz (samt geeigneten, attraktiven und kostenlosen öffentlichen Park-and-Ride Anlagen und preisgewichtetem öffentlichen Verkehrsticket) voll greift und danach ebenfalls mit einem Malus belegt wird oder für die Reststrecke gleichfalls um das dann allerdings nur anteilige Pendlerpauschale fällt. 

Kommunale und/oder regionale Shuttledienste, Rufbusse, Sammeltaxis

Um die individual-motorisierte Anfahrtsnotwendigkeiten (selbiges gilt natürlich auch für die Rückfahrten) überhaupt zu reduzieren, wäre zudem auch ein System kommunaler und/oder regionaler Shuttledienste, Rufbusse oder Sammeltaxis zu etablieren.

Eine sozial-ökologische Verkehrswende hat sämtliche Ebenen der Gebietskörperschaften miteinzubeziehen und stellt sich als Aufgabe auch den Gemeinden (sowie Bezirken bzw. an kommunale und/oder regionale Kooperationen).

Erhöhung des Besetzungsgrades im Berufsverkehr

Eine weitere Möglichkeit der Reduzierung des Individualverkehrs wäre natürlich auch ein Bonussystem für Fahrgemeinschaften, um eine Erhöhung des Besetzungsgrads zu erreichen. Gerade Arbeitswege werden besonders häufig alleine zurückgelegt. Schon ein/e tägliche/r MitfahrerIn würde den Berufsverkehr in diesen Fällen jeweils um 50% senken – und zwar unmittelbar.

Arbeitszeitverkürzung – auch ein ökologisch probates Sofortinstrument

Entsprechendes gilt auch für eine ohnedies dringend gebotene Arbeitszeitverkürzung auf eine 32-Stunden-Woche mit individuellem Recht auf eine 4-Tage-Woche. Wird letzteres gewählt, reduziert auch dies den Berufsverkehr des jeweiligen Beschäftigten mit sofortiger Wirkung um 20% (und in vielen Sparten, je nach Arbeitsplatz, auch insgesamt).

Profite für obligatorische öffentliche Verkehrsanschlüsse heranziehen

Dazu kommt: Von den Arbeitsleistungen der Beschäftigten profitieren die Unternehmen. Die Arbeit ihrer Beschäftigten ist die Quelle ihrer Gewinne. Darum wäre es im Grunde auch nur recht und billig, die Kosten der Arbeitswege über eine Abgabe der Unternehmen mit bevorzugten öffentlichen Verkehrsanschlüssen zu finanzieren und für Industrieparks, Industriegebiete und ähnlichem auch obligatorisch vorzuschreiben.

Entsprechende Ausgestaltung des Finanzausgleichs

Da die unterschiedlichen Maßnahmen teils in die Zuständigkeiten verschiedener Gebietskörperschaften fallen (das Pendlerpauschale etwa ist bundesgesetzlich geregelt), gilt es freilich etwaige damit einhergehende Missverhältnisse über den Finanzausgleich zu regeln.

Ein einfach leicht oder punktuell kaschiertes „Weiter so“, weist demgegenüber keine tragfähige, gangbare Alternative. Angesichts des voranschreitenden Klimadesasters braucht es vielmehr einer zügigen und radikal Umsteuerung. In eine solche linke Strategie passt es zugleich auch gut hinein, die Profiteure des Öl- und Treibstoffpreisschubs stärker an die Kandare zu nehmen und zugleich den Rohstoffspekulationen einen möglichst weitgehenden Riegel vorschieben.

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