Es hat nach Eskalation des Ukraine-Konflikts und Beginn des Kriegsgeschehens nicht lange gedauert und war zu erwarten: kurzzeitig wurde wieder einmal offen zum Garaus gegen die österreichische Neutralität geblasen. Dazu war man sich bis in die Spitzen des politischen Establishments auch geschichtlicher Uminterpretationen nicht zu blöde. An oberster Stelle natürlich das Narrativ, die Neutralität Österreich sei bloß ein historisch „aufgezwungenes“ Oktroy.
Im Anschluss ruderte man öffentlich wieder etwas zurück, um sich im Rahmen der EU – vom NATO-Gipfel in Madrid gerade als „einzigartiger und unentbehrlicher Partner für die NATO“ gekennzeichnet – dafür nochmals umso stärker ins westliche Militärbündnisgeflecht einzugliedern. Umso nötiger denn auch ein korrigierender Blick zurück in die Geschichte, Bedeutung und Motive der österreichischen Neutralität, sowie ihrer erreichten Aushöhlung und ihre Zukunftsperspektive zu werfen. Und desto brennender auch die gemeinsame heurige Neutralitätsdemo am 26.10.:
Mittwoch 26.10.
Vormittag: Infostände Maria-Theresien-Platz, Bellaria und Burgtheater
14.30 Uhr Sammlung an den Infoständen (zugleich Abmarschplätze)
15.00 Uhr Kundgebung vorm Parlament/Ring
Geschichte, Bedeutung, Motive
Die mit den Stimmen der ÖVP, SPÖ und KPÖ 1955 beschlossene österreichische Neutralität – einzig, auch das zur Erinnerung, der FPÖ-Vorläufer VdU stimmte dagegen –, entsprang mitnichten nur einem taktischen Kalkül, um den Abzug der alliierten Truppen zu erreichen (seither symbolisch im Bild des letzten Jeeps verdichtet), sondern verdankt sich zugleich der historischen Einsicht, sich nicht neuerlich bzw. nie wieder in die Gravitationsfelder konkurrierender Großmachtpolitiken zu begeben. Entsprechend führte der damalige ÖVP Bundeskanzler Julius Raab in der Nationalratssitzung zum Neutralitäts-Beschluss auch in bemerkenswerten und heute geradezu denkwürdigen Worten aus: „Unsere Neutralität ist keine provisorische, widerrufliche Beschränkung unserer Souveränität, die wir etwa unter dem Zwang der Verhältnisse widerstrebend auf uns genommen haben, sondern die Basis für eine Außenpolitik, die unserer Heimat und unserem Volk für alle Zukunft Frieden und Wohlstand gewährleisten soll.“ Mit der Neutralitätserklärung, so Raab weiter, beginne eine neue Epoche, die Österreich mit dem aufrichtigen Willen beschreite, um durch die Neutralität und eine Neutralitätspolitik „nicht nur uns und unseren Nachbarstaaten, sondern darüber hinaus der ganzen Welt zu nützen.” Dieser Bedeutung und Motivlage nach noch frischer Erinnerung der Verheerungen und schuldhaften Verbrechen der zweimaligen Juniorpartnerschaft in den beiden Weltkriegen um Großmachtsinteressen wurde auch im Zuge des Bundesgesetzes mit dem man zehn Jahre später den 26. Oktober zum Nationalfeiertag erklärte, noch einmal ausdrücklich unterstrichen: Das Neutralitätsgesetz bilde die Grundlage dafür, „für alle Zukunft und unter allen Umständen die Unabhängigkeit zu wahren” und einen „wertvollen Beitrag zum Frieden in der Welt leisten zu können.”
Frühe Ursprünge: Heinrich Lammasch und die „norische Republik“
Entgegen dem gängigen Narrativ ist der Gedanke einer Österreichischen Neutralität auch kein bloßes Kind des Kalten Krieges, sondern geht auf den widersprüchlich-konservativen Geist des großen Völkerrechtlers und Kriegsgegners Heinrich Lammasch (1853 – 1920) zurück, der bereits in seiner Abhandlung „Die norische Republik“ im Frühjahr 1919 für ein unabhängiges, in den Völkerbund eingebundenes Österreich mit neutralem Status nach Schweizer Vorbild eintrat. Was, nebenbei bemerkt, zudem den heute allenthalben geflissentlich unterschlagen Umstand der österreichischen Neutralitätserklärung nach „Muster der Schweiz“ ins Licht rücken sollte, dass die auf dem Wiener Kongress von 1815 garantierte Schweizer Neutralität nicht einmal mit den wildesten Verrenkungen einfach in das Prokrustesbett des Ost-West-Konflikts des 20. Jahrhunderts gepresst werden kann. Doch zurück zu Lammasch. Bereits seinerseits zugleich die Puffer- und Brücken- wie Vermittlungsfunktion der Neutralität mit herausstellend, betonte er damit über die heutige verengte Debatte schon 1919 deren doppelten Gesichtspunkt: „So würde die Aufrichtung einer neutralisierten norischen Republik nicht nur dem Wohle Österreichs selbst und der Erhaltung des europäischen Friedens, sondern auch dem Wohle der Nachbarstaaten dienen.“ Der reaktionäre Flügel der österreichischen Bourgeoisie und namhafte Kreise der hiesigen Parteienlandschaft haben mit Lammasch und seinem Denken freilich nie etwas anzufangen gewusst. Über eine unauffällige Statue im Arkadenhof der Uni Wien, die man im Vorbeigehen vielleicht einmal schulterzuckend zur Kenntnis nahm, hinaus, hat er es in deren Köpfen denn auch kaum gebracht.
Diese Kräfte versuchen seit den weltpolitischen Umbrüche 1989/91 denn auch vielmehr stetig die österreichische Neutralität zur Disposition zu stellen bzw. nach Kräften auszuhöhlen. Und sind auf ihrem Kriegspfad und Schwenk auf eine forcierte imperialistische Außenpolitik auch schon sehr weit vorangeschritten. Und das betrifft beileibe nicht nur maßgebliche Kreise der ÖVP – beginnend mit Alois Mock und Andreas Kohl –, sondern ebenso sehr Spitzen und Regierungsverantwortliche der SPÖ und der Grünen.
Neutralität, EU-Militärunion, NATO und Frage einer vermeintlichen „Zeitenwende“
Dabei waren die Vereinbarkeit der immerwährenden Neutralität Österreichs und der EU seit je, und allerspätestens mit deren in den Maastrichter Verträgen grundgelegten Weg zur Militärunion (Stichwort: „Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik“, GASP), umstritten. (Ebenso wie die seitens Österreichs 1995 erfolgte Unterzeichnung des „Rahmendokuments“ der sogenannten NATO-„Partnership for Peace (PfP)“, die Einbeziehung der Alpenrepublik in den Euro-Atlantischen Partnerschaftsrats (EAPC) der NATO und die 1998 beschlossene Ausdehnung der Zusammenarbeit im Rahmen der NATO-PfP.) Der 1997 beschlossene Vertrag von Amsterdam beinhaltete dann bereits noch über Maastricht hinausgehende Festlegungen zur Militarisierung der Europäischen Union, die auf der Ratstagung in Köln und Helsinki 1999 noch weiter konkretisiert wurden – nämlich zur Schaffung „glaubwürdiger, verfügbarer und schlagkräftiger europäischer Streitkräfte“. 2003 legte die EU in ihrer Sicherheitsstrategie dann im diplomatisch verklausulierten Kriegseinsatz- und Kriegsgebiets-Sprech nieder, bei den „neuen Bedrohungen“, sprich: vitalen Interessen des europäisch-imperialen Union, „wird die erste Verteidigungslinie oftmals im Ausland liegen“. Die GASP und GSVP („Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik“) wurden aufgrund ihrer bisherigen Schwerfälligkeit schließlich (in Österreich in gemeinsamer Tatkraft von Schwarz-Rot-Blau-Grün) zur SSZ bzw. zu PESCO fortgetrieben, oder „weiterentwickelt“ wie es euphemistisch heißt. Im Dezember 2017 wurde so mit dem EU-Vertrag für die „Ständige Strukturierte Zusammenarbeit“ (SSZ, engl. PESCO) denn auch der offizielle Startschuss für eine forcierte Militärkooperation, der gemeinsamen Hochrüstung sowie gemeinsamer Kampfeinsätze gegeben und die EU als Europäische Kriegsunion endgültig auf den Weg gebracht und von Schwarz-Rot-Blau-Grün weiter betrieben. Ihr letztes Mosaiksteinchen findet die jahrzehntelange Aufbaugeschichte einer EU-Militärunion nun in den bis 2025 kampfbereit stehenden neuen Eingreiftruppen der Union, zu der aus Österreich mit brustgeschweltem Ton verlautete: „Selbstverständlich sind wir dabei“. Begründet wird die nun nochmals beschleunigte Forcierung einer EU-Kriegsunion fürs Publikum zwar mit einer vermeintlichen „Zeitenwende“ seit „24. Februar“, die Diskussion und Planung des Aufbaus einer solchen Eingreiftruppe gibt es allerdings schon seit den 1990er Jahren (also seit einem Vierteljahrhundert vor der angeblich jetzt so brisanten „Zeitenwende“) und auch der „neue“ sogenannte „Strategische Kompass“ der EU ist bereits seit über einem halben Jahrzehnt in der „Globalstrategie“ 2016 niedergelegt – inklusive einem massiven Aufrüstungsprogramm der „militärischen Spitzenfähigkeiten“ für „das gesamte Spektrum an land-, luft-, weltraum- und seeischen Fähigkeiten“, wie es schon seinerzeit hieß.
Verteidigung und Zukunftsperspektiven
Man muss aus linker Perspektive auch nicht den Verklärungen der Hochzeit der österreichischen Neutralitätspolitik und Entspannungspolitik der „Ära Kreisky“ aufsitzen oder die Möglichkeiten einer aktiven Neutralitätspolitik und absehbaren Zukunftsperspektiven in schillerndsten, unrealistischen Farben malen, um Österreichs Einbindung in den vom Westen ausgerufenen und mit dem Ukraine-Krieg, aber auch der forcierten US-Konfrontation mit Pekingnun weiter eskalierten „Neuen Kalten Krieg“ gegen die ‚antagonistischen‘ „systemische Rivalen“ (China und Russland) sowie geopolitische Auseinandersetzung mit unbotmäßigen Ländern und eine forciert imperialistische Positionierung im Nord-Süd-Konflikt abzulehnen. Mit ihrer Abschaffung brächen jedoch allemal auch die letzten noch verbliebenen Dämme gegen die vorbehaltslose Einbeziehung Österreichs in die imperialistische Globalstrategie des Westens auf allen Fronten, samt Integration in die NATO- und/oder eine Euroarmee und wäre jeder auch nur Hauch des Gedankens einer Vermittlerrolle Österreichs in der Welt bereits im Ansatz obsolet. Dagegen vermögen auch die holen öffentlichen Beschwichtigung nicht hinwegzutäuschen.
*Nein zu einer neuen Rüstungsspirale!
*Für einen neuen Friedensprozess in Europa unter Einschluss aller beteiligten Akteure!
*Militärblöcke spalten – Neutralität verbindet!
*Hochrüstung und Militär verunmöglichen auch das Erreichen der Klimaziele!