Neo-osmanischer NATO-Krieg gegen Kurdistan und kurdischen Freiheitskampf

Seit Montag bombardieren Kampfjets der Türkei in ihrer „Operation Winteradler“ genannten Militäroffensive die Kurdengebiete im Nordirak. Neben den massiven Luftschlägen und dem unentwegten Bombenhagel fliegen Drohnen gezielte Mordanschläge. Mit im türkischen Feuer stehen zahlreiche Siedlungsgebiete. Aus anderen Weltregionen würden die Medien in Eilmeldungen berichten: heftige Luftschläge, aus Hubschrauber abgesetzte Luftlandetruppen, vorrückende Bodentruppen, türkische Sondereinheiten samt pro-türkischen Paramilitärs, Kriegsverbrechen, Einsatz chemischer Kampfstoffe, zerbombte kurdische Wohngebiete, tote ZivilistInnen …Nicht so freilich, wenn ein NATO-Partner ins Gefecht zieht und es zudem noch gegen die kurdische Freiheitsbewegung geht. Dabei beabsichtigt der Schlächter am Bosporus mit der gestarteten Luft- und Bodenoffensive nach eigenen Worten nicht weniger als die „Köpfe“ der PKK und des basisdemokratischen Selbstverwaltungsprojekts Rojava zu „zermalmen“.

Der Krieg des Kurdenschlächters und neuerdings angeblich globalen Friedenstäubchens Erdoğan

Um internationale Kritik, Ächtung, gar Sanktionen, muss sich das faschistische Regime des AKP/MHP-Koalitionsblocks in Ankara aufgrund der doppelten Standards des Westens daher nicht scheren. Die NATO-Staaten besitzen quasi die Lizenz zum Töten und haben schon seit Langem ihr eigenes Faustrecht auf Kriege über den Globus verhängt, wenngleich sich das kriegsideologische Narrativ der „demokratischen Wertegemeinschaft“ versus „Autokratien“ mit der Türkei auch für die einfältigsten Gemüter immer etwas schroff stößt. Aber seitdem der Westen offene Kriegspartei gegen Russland ist, fungiert Ankara nicht nur als blutiger Türsteher Europas gegen Flüchtling, sondern mimt der innenpolitisch in einer tiefen Hegemoniekrise steckende Despot am Bosporus gar den letzten internationalen Vermittler und gilt der Weltöffentlichkeit sogar als vermeintlicher Friedensstifter – fast schon als Friedenstäubchen.

7 Jahre Krieg gegen Kurdistan als Randnotiz der Leitmedien

Weitgehend unter dem Radar der Leit-Medien gehalten wird dabei geflissentlich, dass Erdoğan die Türkei seit seiner Wahlniederlage 2015 in einen militanten nationalistisch-chauvinistischen Taumel gejagt, die faschistische MHP ins Boot geholt, den letzten Anlauf zu einer politischen Lösung der kurdischen Frage aufgekündigt hat, die Opposition für vogelfrei erklärt und – mit grünem Licht des westlichen Metropolenkapitalismus und seiner NATO-Partner – eine Kaskade mittlerweile bereits 7 Jahre andauernder, schmutziger Kriege gegen Kurdistan, die kurdische Freiheitsbewegung, das radikaldemokratische Selbstverwaltungs-Projekt der „Demokratischen Föderation Nord- und Ostsyrien“ entfesselt hat.

Unbeachtete bzw. mit grünem Licht des Westens versehene neo-osmanische Kriegsgänge und Okkupationen

Zugleich forciert das türkische Regime im Windschatten der imperialistischen Konfrontations- und Kriegspolitik seine neo-osmanischen und immer stärker auch panturanistisch-völkisch konnotierten Ambitionen: einer Ausweitung der türkischen Grenzen auf die nördlichen Regionen Syriens (die es zwischen Tall Abjad und Ras al-Ain bereits mit Segen der Großmächte kontrolliert) bis in die erdölreichen Gebiete um Kirkuk im Nordirak, sowie die Wiedereröffnung der Mossul-Frage – mischte aber auch im Kaukasus-Konflikt 2016 und 2020 offen mit oder intervenierte in Libyen und ist heute ein gewichtiger Schutzpatron al-Sarradsch‘ und seiner islamistischen Milizen in Tripolis. Mit seinen steten Militäroperationen im Nordirak wiederum setzt sich die Türkei Schritt für Schritt dauerhaft im Irakisch-Kurdistan fest und okkupiert neben syrischem zusehends auch irakisches Territorium.

Chemische Kampfstoffe und das offene Desinteresse der NATO, westlichen Hauptstädte und der OPCW daran

Sichtlich gedeckt von ihren NATO-Verbündeten wie hartnäckig unbeachtet von der Weltöffentlichkeit, setzt Ankara in seinem seit einem Jahr tobenden Krieg gegen die kurdischen Medya-Verteidigungsgebiete in den Kandil-Bergen in Südkurdistan/Nordirak systematisch international geächtete chemische Kampfstoffe ein. Und zwar mindestens fünf verschiedene Arten dieser gleichermaßen giftigen wie verbotenen chemischen Waffenarsenale oder Waffengattungen. Trotz immer zahlreicherer Belege und erdrückender Berichte sowohl des Nationalkongresses Kurdistans (KNK) sowie der kurdischen Guerilla und der mit ihr verbundenen kommunistischen Guerillaorganisationen bleibt die – 2013 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnete – „Organisation für das Verbot chemischer Waffen“ (OPCW) nach wie vor auffallend untätig. Und auch aus den Hauptstädten von Washington, über Brüssel, bis Berlin und seitens deren ansonsten so umtriebiger und wortgewaltiger Chef-Ankläger, wenn es Kriegsverbrechen auszumachen gilt, vernimmt man zum systematischen und breitflächigen Einsatz verbotener chemischen Waffen durch die Türkei kein Wort. Ebenso freilich gegen den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg selbst.

Bevölkerungspolitische Neuordnung im 21. Jh. sowie das Schicksal der JesidInnen im Besonderen

Dasselbe gilt auch für die in der nordsyrischen Region Afrin seit deren völkerrechtswidrige Besatzung und Zerschlagung des basisdemokratischen Selbstverwaltungs-Projekts großangelegte bevölkerungspolitische Neuordnung durch das das AKP/MHP-Regime. Begleitend verdrängte und verdrängt die staatliche türkische Religionsbehörde Diyanet in jesidischen Dörfern forciert deren Glaubenseinstellung und breitet über die einst multi-religiöse Region ihr türkisch-islamisches Ideologem aus. Aber auch über deren Hauptsiedlungsgebiet Şengal im kurdisch geprägten Nordirak selbst hängen (nach der seinerzeitigen heldenhaften Vereitelung des groß angelegten Versuchs der Mörderbanden des IS die JesidInnen in einem Genozid auszulöschen durch die PKK) mit dem militärischen Überfall auf Irakisch-Kurdistan und die Kandil-Berge dunkle Wolken. Nur das im Şengal dieses Mal die Türkei mit grünem Licht des Westens und in abgekartetem Spiel der PDK Barzanis die Blutspur des IS fortschreibt.

Nach der unmittelbaren Rettung der JesidInnen, einer der ältesten Religionsgemeinschaften, 2014 durch die ihnen sofort zur Hilfe eilende PKK und nachfolgende Niederringung der Kalifat-Krieger durch die kurdisch geführten Syrischen Demokratischen Streitkräfte (SDK) wie ihrer kommunistischen Verbündeten, erreichte das Schicksal der JesidInnen für kurze Zeit die Weltöffentlichkeit. Heute ist es aus dieser wieder weitgehend verschwunden, obwohl erneut das Damoklesschwert über ihnen schwebt. Dieses Mal allerdings durch das neo-osmanische und völkisch geprägte sowie polit-ideologisch befeuerte Vernichtungs- und Okkupations-Projekt der Türkei.

Löbliche Ausnahmen – oder der Einfluss Buddhistischer Gemeinden in Irland oder Polen

Ein kleiner Kreis von Europa-ParlamentarierInnen verurteilt die völkerrechtswidrige Militäroffensive der Türkei zwar und setzt sich als löbliche Ausnahme für eine politische Lösung des Konflikts ein. Aber ihr politischer Einfluss im Konzert der NATO-Krieger und westlichen Globalstrategie entspricht realiter etwa der der Buddhistischen Gemeinden im stock-katholischen Irland oder Polen. Und von Österreichs Außenminister Alexander Schallenberg, ein nur notdürftig in diplomatischen Schafspelz gehüllter Falke ersten Ranges, ertönt kein Mucks. Dreht es sich um Aggressionen des westlichen Militärbündnisses oder eines dessen Mitglieder, steht der blaublütige Adelsspross und äußerlich ganz Diplomat im Benimmkostüm á la Knigge, als Schreibtischmittäter am internationalen Parkett wie immer stramm auf Linie. Dass der irakische Staatspräsident Salih und Iraks Außenminister die neuerliche Militärintervention der Türkei in ihrem Land abermals scharf als Verletzung der Souveränität des Iraks und abermaligen Verstoß gegen internationale Verträge verurteilt haben, findet sich wie gewohnt als im Zusammenhang türkischer Kriegsgänge anscheinend eher unerhebliches Beiwerk in Fußnoten wieder. Nun, Salih ist halt auch kein gelernter Schauspieler wie Wolodymyr Selenskyj oder Ronald Reagan, die nicht lang mit Wirklichkeiten herumfackeln mussten oder müssen, sondern ein Staatspräsident der alten Schule, ungeschult in heute viel wichtigerer TikTok-Diplomatur.

Die dreckige Kollaboration des Barzani-Clans, der KDP und ihrer Peshmerga-Einheiten

Bezeichnend oder vielleicht sogar kennzeichnend für den jetzigen Kriegsgang ist freilich zumal die dreckige Kollaboration Masrur Barzanis, des aktuellen Sprosses des feudal-konservativen Familien-Clans an der Spitze der Autonome Region Kurdistan im Nordirak. Die vom Oberhaupt der jeweiligen feudal-konservativen Barzani-Dynastiegeführte KDP (Kurdisch Demokratische Partei) und deren Peschmerga-Einheiten kollaborierten zwar schon in den 1990er Jahren militärisch mit der Türkei und ihre politisch autoritäre, bürokratische und feudal strukturierte Herrschaft in der Autonomieregion fußt auch ökonomisch auf einem Kompradoren-Dasein. Aber mit der offenen Unterstützung und militärischen Beteiligung der Peshmerga der KDP am Feldzug der Türkei sind die traditionell guten Beziehungen Erbils mit dem Palast in Ankara in den offenen „Verrat“ umgeschlagen.

Entsprechend hatte sich Masrur Barsani denn auch letzten Freitag, den 15.4., noch mit Erdoğan selbst und dessen berüchtigten Geheimdienstchef Hakan Fidan in Ankara getroffen und anschließend positive Bilanz über die „Ausweitung der Zusammenarbeit“ mit der Türkei „zur Förderung von Sicherheit und Stabilität“ im Nordirak gezogen. Die KCK, Union der Gemeinschaften Kurdistans, erklärte dazu unter anderem: „Die Macht der KDP ist clanbasiert, familienbasiert und kapitalistisch. Es geht um die Konfrontation zwischen Dynastie und Demokratie, zwischen Autoritarismus und Selbstverwaltung.“ Darüber hinaus geht es aktuell allerdings auch profan ums Ölgeschäft. In der gegenwärtigen Preisexplosion und Nachfrage nach dem schwarzen Gold wittert Erbil ein derart großes Geschäft, dass es auch zum einem verderblichen innerkurdischen „Bruderkrieg“ („Brakuji“) bereit ist. Denn, ohne die „strategische Energiepartnerschaft“ mit Ankara ist Masrur Barzani nicht in der Lage, das lukrative Ölgeschäft auf Rechnung seines Clans zu tätigen. Und so erging der Befehl an seine Peshmergas sowie an die militärischen Spezialeinheiten der KDP die türkische Armee bei der Umzingelung der Guerillakräfte der PKK und ihrer kommunistischen Verbündeten zu unterstützen, die Medya-Verteidigungsgebiete strategisch zu umstellen zu versuchen und die Kontakte zwischen den Guerilla-Einheiten möglichst zu unterbrechen, um der türkischen Militäroperation die nötige Schlagkraft zu verleihen. Bis es, in Erdoğans Worten, „keinen Ort namens Kandil mehr geben wird“.

Gleichviel: Der Kampf geht ungebrochen weiter

Allerdings: Versuche der türkischen Armee, das Gebiet der kurdischen Freiheitsbewegung im Norden Südkurdistans auf irakischem Boden einzunehmen, musste diese immer wieder unter hohem Blutzoll und großen Verlusten abbrechen. Entsprechend traf die türkische Militäroffensive seit Montag auch auf erbitterten Widerstand der kurdischen und kommunistischen Guerilla-Einheiten. Sich dieses Umstands bewusst, dass das „Herz“ und der Rückzugsraum der kurdischen Guerilla selbst für die zweitgrößte NATO-Armee schwieriges Terrain ist, ist die unter dem Namen „Operation Winteradler“ laufende Militäroffensive Ankaras wohl auch weniger als Blitzkrieg denn als langfristiger Feldzug angelegt. 

Der kurdische Europaverband KCDK-E ruft vor dem Hintergrund der neuerlichen türkischen Militäroffensive für Samstag quer durch Europa zu Protesten gegen den türkischen Vernichtungsfeldzug in Kurdistan auf: „Dieser Angriff zielt auf die Existenz unseres Volkes ab. Wer dazu schweigt, unterstützt die Besatzung, die Massaker und die auf einen Völkermord abzielende Politik des türkischen Kolonialstaates.“ Und da die massive Luft- und Bodenoffensive ohne Einverständnis der USA und NATO schlicht nicht möglich wären, gilt für sie nicht minder was erklärte die KCK bereits zu ihrer jetzt abgelösten Vorgängeroperation, der „Operation Krallenblitz“, formuliert hatte: „Der laufende Angriff auf Südkurdistan ist ein NATO-Angriff, der durch die Türkei ausgeführt wird“.

Demgemäß finden diesen Samstag auch entsprechende Demonstration in Österreich statt:

Wien, Treffpunkt 15.00 Uhr Resselpark (geändert)

Innsbruck, 16.00 Uhr Landesmuseum

Ähnliche Beiträge

Gefällt dir dieser Beitrag?

Via Facebook teilen
Via Twitter teilen
Via E-Mail teilen
Via Pinterest teilen