Angesichts des neuerlich verlängerten Lockdowns, samt der mit ihm einhergehenden schuldenfinanzierten Hilfs- und Rettungspakete, werfen immer mehr KommentatorInnen die Frage auf: Wer soll das bezahlen? Denn so prinzipiell richtig es ist, angesichts der tiefsten kapitalistischen Krise seit 1929ff zu klotzen und nicht zu kleckern, wirft die Geldschwemme mit der die aktuelle Corona- und Wirtschafts-Krise – allem voran im Interesse des Kapitals – zugeworfen wird, im Gefolge natürlich auch diese Fragestellung in aller Brisanz mit auf.
Galt vor dem Ausbruch der Krise noch die viel strapazierte Sparsamkeit der „Schwäbischen Hausfrau“ als finanzpolitisches Credo und wirtschaftspolitisches Staatsgrundgesetz, gilt mit deren Anbruch das genaue Gegenteil. In Anlehnung an das Motto des EZB-Chefs Mario Draghi „Whatever it takes“ zur Wirtschafts- und Finanzkrise 2008ff protzte die Regierung bereits im Frühjahr des letzten Jahres, der Krise unter Einsatz aller Ressourcen zu begegnen: „Koste es, was es wolle“. Und in der Tat übertreffen bereits die bisherigen Dimensionen der Hilfs- und Rettungspakete die Größenordnungen der zurückliegenden Finanzkrise – als der Casino-Kapitalismus kurz vor der Kernschmelze stand – bei weitem. Auch in Österreich. Ja, die Potenz auf den Finanzmärkten und Größe der Rettungsmaßnahmen ist mittlerweile geradezu zu einer nationalen bzw. ebenso regional-kontinentalen Prestigeangelegenheit geworden. Dass dahinter, neben der Unumgänglichkeit entschiedener Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie, überwiegend handfeste Kapital- und nationale wie globale Konkurrenzinteressen stecken, dürfte für Linke, Nachdenkliche und GewerkschafterInnen keine allzu große Überraschung bergen.
Entsprechend wurden denn auch im März 2020 ohne viel Federlesen europaweit die unsinnigen „Maastricht-Kriterien“ sowie zudem das im Land vormals in die Verfassung geschraubte neoliberale Zwangskorsett der „Schuldenbremse“ kurzerhand außer Kraft gesetzt. Zu Recht – zumal die derzeitigen Niedrig- und Negativzinsen für Österreich praktisch eine Verschuldung zum Nulltarif erlauben. Stärker noch, wie Vizekanzler Werner Kogler unlängst mit brustgeschwelltem Ton die Bonität Österreichs hervorstrich: „Wir nehmen das Geld zu Konditionen auf, bei denen wir aufgrund des realen Zinssatzes de facto Geld dafür bekommen, dass wir investieren können.“
Gleichzeitig häuft sich mit der weiteren Auftürmung der Staatsschulden jedoch die Brisanz, wer diese am Ende zu berappen haben wird oder wie mit diesen verfahren wird. Denn die Expansion der Verschuldung entschärft gleichsam unmittelbar zwar den damit im Raum stehenden Verteilungskonflikt, aber lediglich um diesen dann in den auf die Pandemie und den Wirtschaftseinbruch folgenden Jahren umso schärfer zu stellen.
Das Einfachste in diesem Zusammenhang wäre, die Europäische Zentralbank (EZB) würde die staatlichen Schuldscheine und Anleihen wie von einigen Ökonomen vorgeschlagen einfach europaweit im erforderlichen Ausmaß aufkaufen und stilllegen. Sprich: nach Erwerb in 100, 200 oder 500-jährige Anleihen umwandeln und damit de facto zum Verschwinden bringen. (Und dies nach den jeweils staatlichen Erfordernissen, nicht nach Euro-Kern- und Gewinnerländer privilegierend-nationalistischer Maßgabe der Kapitalanteile der nationalen Zentral- bzw. Notenbanken an der EZB.) Eine derartige Maßnahme wäre auch gar nicht so neu, wie sie auf den ersten Blick erscheinen mag. Ähnlich agierte vor Dekaden bereits Großbritannien bezüglich seiner Kriegsanleihen, ohne dass heute noch ein Hahn danach kräht. Allerdings ist ein solcher Pfad der EZB selbst unter breiterer Verschiebung der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse kaum in Aussicht.
Solange der wirtschafts- und finanzpolitische Maastricht- und Fiskalpakt-Knebel krisenbedingt suspendiert bleibt, ist der eingeschriebene Verteilungskonflikt hinsichtlich der Rettungspakete allerdings noch nicht (zumindest nicht in seiner ganzen Brisanz und Tragweite) schlagend und lässt sich sozusagen vorläufig (noch) überbrücken. Aber eben nur vorübergehend. Wenn also Vizekanzler Werner Kogler jüngst vollmundige posaunte „Es gibt auf Regierungsebene keine Diskussion über ein Sparpaket – und wir werden das auch unterbinden“, so hat dies ungefähr denselben Wert wie sein nicht minder jenseitiger Sager: „Die Neoliberalen haben jetzt Sendepause“.Denn freilich, solange die Geldschleusen für die Krisenbekämpfung noch offen gehalten bleiben, kann die Regierung das Ganze noch hintanhalten. Aber sobald das Gröbste überstanden ist, die Pandemie stärker eingedämmt ist und sich ein von Konjunkturpaketen angeschobener zumindest moderater Wiederaufschwung der Wirtschaft nach durchschrittener Talsohle abzeichnet, werden auch „Maastricht“ und der „Fiskalpakt“ wieder in Kraft gesetzt werden.Dann ist aber nicht nur Ende mit Deficit Spending, sondern gelten auch wieder die EU-Fiskalregeln. Diese bestimmen allerdings, dass bei einer Verschuldung von mehr als 60% (Maastricht-Regeln) eine „Schuldenbremse“ zu greifen beginnt, die regelt, dass pro Jahr mindestens ein Zwanzigstel des Werts über 60% abgebaut werden muss (sowie dessen sogenannte „Two-Pack“-Überwachung durch die EU).Daran vermögen im EU-Kontext noch nicht einmal deren „Notfallsklauseln“ weiterzuhelfen.Und die österreichische, Ende 2011 vom Nationalrat in breiter Eintracht bereits im Vorfeld zusätzlich beschlossene nationale „Schuldenbremse“ für die Republik, Bundesländer und Gemeinden, ist – beiher bemerkt – in bestimmten Hinsichten ohnedies sogar noch rigider verfasst als der kurz darauf im Frühjahr 2012 auf den Weg gebrachte „europäische Fiskalpakt“.
Spätestens mit dem Wieder-in-Geltung-Treten des „Fiskalpakts“ stehen wir somit vor einem brachialen offenen Verteilungskonflikt zwischen Kapital und Arbeit. Ob in aller Schärfe bereits mit 2022 oder nach ein, zwei weiteren „Gnadenjahren“: dann geht es um’s Eingemachte.
An sich ließe sich die Finanzierung der sog. Corona-Krise durch entsprechende Schuldenstilllegungs-Maßnahmen und die finanzielle Heranziehungen der Vermögen und Profite – zu denen wir als KOMintern eine Reihe konkreter Forderungen eingebracht haben – recht „unproblematisch“ bewerkstelligen. Ob und inwiefern die Frage „Wer zahlt für die Krise?“ jedoch im Sinne der Arbeitenden und breiten Massen ihre Lösung finden wird, entscheidet sich letztlich an den gesellschaftlichen Kräfteverhältnissen und nötigen Klassenkämpfen.